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Uff'n Athletenboden

Eens, zwee, drei, viere, fümwe, sechse, sieben, achte, neine, zehne! … eilff … zwölwe! … nee, weiter jeht's nich! … uff'n Dutzend, höher komm' ick nich! Aber weeßte, Schnitzel, vor'n Jahr, eh' ick rinjing in Untasuchung, da wa ick bessa! …«

»Wie lange wahst'n drin?« fragte der nach seiner Vorliebe für das bekannte Wiener Nationalgericht so benannte Klubbruder. Er nahm dabei seinerseits die auf beiden Seiten je mit einem halben Zentner beschwerte Hantelstange und fing an, sie zuerst mit beiden Händen zu stemmen. Noch waren die zwei ganz allein in dem ziemlich geräumigen, weiß getünchten Raum, in dem sich ein Tisch, etliche Stühle und ein großer Schrank befanden, der die Geräte des Klubs barg.

Veilchenauge hatte sich eine Zigarre angesteckt; umständlich und erst gehörig paffend, schien er mit sich zu Rate zu gehen, ob und was er dem andern, der ja offenbar mehr wissen wollte, sagen müßte.

»Ick spreche dadrieba nich jerne,« meinte er endlich und massierte den linken Arm über dem Handgelenk.

»Wieso, haste Pfeffer beßogen da draußen?«

»Pfeffer?! Na heer mal, Schnitzel,« meinte Veilchenauge, der wegen seiner starrblauen, fast unerträglichen Glotzer so hieß, »wenn ick rintrete in de Villa an de Flensburger Straße, dann steh'n de sämtlichen Uffseher stramm! Mir hat eenmal eena anjefaßt, mit den bin ick über die Jalerie jejang'! Jott sei dank wohnte ick damals parterre, sonst hätten wa uns allebeede de Rübe ausjehakt! Seitdem kenn' se mir da draußen in Moabit, un wenn't heeßt, »Veilchenooge kommt!«, denn wissen se, wat los is!«

Die hölzerne Treppe herauf kamen rasche Tritte und gleich darauf traten zwei andre Mitglieder des Athletenklubs »Jammerlappen« ein. Schlächteradolph und der Spanier. Übrigens beide an der Spree geboren. Sie entledigten sich rasch ihrer schicken Jakettanzüge, holten die Trikots aus dem Schrank und zogen sie über den nackten, hervorragend bemuskelten Körper. Dann kommandierte der eine, der wegen seines schwarzen Gelocks und der drohend funkelnden Augen »Der Spanier« genannt wurde, selbst den Gang. Die beiden schon vorher Dagewesenen ließen ihre Gewichte und kritisierten.

»Die Roulade is falsch, Adolph … Mehr rum! … So!« Die beiden Ringer lagen schon auf der Decke. »So, nu de Brücke! … Jetzt! … So! … Siehste, da muß er ja runter! … Aber der Spanier hält sich! … Ein Aas! Adolph … Adolph! …« Veilchenauge hatte die Uhr in der Hand: »halt! … Fünf Minuten sind's! … Der erste Gang! … Unentschieden! … Aber 'ne sehr feine Arbeit! … Jratuliere!«

Die beiden hatten sich losgelassen, waren wie von Federn emporgeschnellt auf den Beinen und reichten sich gewohnheitsmäßig mit raschem Griff die Hände.

Indem kam der Wirt, von dem sie den Raum gemietet hatten, und brachte Bier.

»Ick habe jleich achte bestellt!« sagte Veilchenauge, dessen Schulterpartie der eines mächtigen Stieres ähnelte, und faßte mit einer Hand zwei Gläser, die er geschickt und ohne einen Tropfen zu vergießen in zwei Zügen leertrank. Die andern hielten sich auch nicht mit dem Getränk auf. Der Spanier sagte:

»Meine Carola haben se heite frieh abjeholt … wegen Stellen.«

»Det heeßt, weil se nich stellen jejangen is,« erläuterte Schnitzel, »mir wundert, det du sowat leidst, Paule! Bei mir jibt's det nich, da muß allens seine Ordnung haben! Ick seh' det Buch nach und wehe ihr, wenn nich allens stimmt! Denn bring' ick se hin, aber nich wie't Mode is! Ick wer ma doch nich die Sitte uff'n Hals laden! Seh da mal Nonnenstecher'n an, der lernt jetzt Wolle zuppen uff seine alten Dage!«

»Wie? wat? Der is wirklich in de Winde? Heeßt er denn eigentlich Nonnenstecher oder nennst du'n bloß immer so? Wie lange hat er denn?«

Sie waren alle sehr interessiert, und Schnitzel erklärte mit Wichtigkeit.

»Wegen Kuppelei erst sechs Monate Tegel, und nachher in de Rummeline zwei Jemmchen, det heeßt landespolizeiliche Überweisung! Ja, ja, Kinderkens, mit unsern Beruf is nischt mehr los! Wir müssen umlern'!«

»Na,« lachte Schlächteradolph, dessen Stimme wie eine alte Säge knarrte, »ick weeß nich! Wenn ick von Fräulein Minna Schulze 'ne Stube abmiete und ihr hin und wieder mal 'ne kleene Visite abstatte, wer will mir'n da wat? De Pollezei kann mir …« Es genügte ihm nicht, diesen Satz symbolisch fortzusetzen. Die andern aber äußerten laut ihren Zweifel, ob die Behörde die Annahme dieser Einladung des verehrten Klubmitgliedes in den Kreis ihrer amtlichen Erwägung ziehen würde. Indem ging abermals die Tür auf und herein trippelte Fräulein Leontine. Sie war sehr echauffiert und schrie laut in den Saal hinein. »Also hier is er ooch nich, der verdammtige Kerl?! Son Lump, son niederträchtiger! Wißt ihr, was er jemacht hat? Ick war doch in Barnim, vier Tage! Und da komm' ich heite früh nach Hause, und ich denke, mir riehrt der Schlag: Mein Pelzjackett is wech! Und det seidene Foulardkleid ooch und die Joldkäberstiebel bis oben ruff, wo ick immer de scheensten Effchens druff hatte! Is det zu jlooben, von son Schweinigel, sone infamigte Krete! Davor quält man sich nu und looft Tach und Nacht! Aber ick jeh bei de Polezei, ick zeij'n an, der muß rin! Der muß in't Kittchen!« Sie weinte und schluchzte laut.

Die Herren schwiegen. Sie wußten alle, ihr Kollege Fliegenfuß hatte Pech im Spiel gehabt. Und da hatten die »Lumpen« seiner lieben Braut in deren Abwesenheit denn dran glauben müssen.

»Er wird se doch woll bloß vasetzt haben,« sagte Veilchenauge milde, »Ihr löst se später wieder ein!«

»Ihr! Ihr!« kreischte Leontine, »wat heeßt'n »Ihr«? Ick, meenst du, ick leese se wieder in! Natürlich, meine Knochen sind billig! Aber det sag' ick euch, wenn der vafluchte Schlamassel denkt, er darf bei mir wieder über die Schwelle, denn irrt a sich! Und damit ick'n da ein für alle Mal'n Riegel vorschiebe.« – Sie stellte sich unter einer großen Bewegung vor ihr Publikum hin: »Wer von die Herren is so freundlich und begleitet mir jetzt nach Hause?«

Einen Augenblick zögerten alle, aber nur einen kleinen; dann machten sie a tempo Miene vorzutreten. Doch vor Veilchenauges überlegener Stärke, mehr noch als vor dem bösen Blick seiner Glotzaugen hielten sie sich zurück. Er trat mit Kavaliergebärde vor, reichte der Dame den Arm und sagte zu den Kollegen: »Pardong! In'ne Stunde bin ich wieder hier!« Und er schritt an ihrer Seite hinaus, wie ein Triumphator.


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