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Die »Flugmaschine« Minna

Juten Dach, lieba Adolph … Ju'n Dach, liebe Frau Stresemann! … na, un det is woll Frollein Stresemann?«

»Jawoll, det is unse Mieze! Herr Vuttke! … Ach, da is ja ooch Frau Vuttke! Na, nu sagen Se mal, Frau Vuttke! Nee, ieba Ihn' aba ooch! Un wie Sie sich konserveriert ham'! Wenn man so denkt, det sin jetzt ieba zwelf Jahre her, det wir uns nich jesehn ham! Un det is Ihr Herr Sohn? … Ju'n Dach, Ha Vuttke! Ihn hätt' ick wahaftich nich wiedaerkannt! Neinzehn sind Se jetzt, wah? … Ja, ja, aus Kinda wer'n Leite!«

»Un aus Meechens wer'n Braite!« ergänzte Frau Vuttke, mit den kleinen, lustigen Augen zu Lenchen Stresemann hinzwinkernd, die sehr verschämt tat, »is denn schon wat in Aussicht, Frau Stresemann?«

Die dicke Gattin des ehemaligen Budikers und jetzigen Erfinders Adolph Stresemann schüttelte lachend ihr hoch frisiertes Haupt.

»Ih wo denken Sie hin, Frau Vuttke! Lenchen is ja erscht siebzehn un sozusagen noch'n halbet Kind!« wobei sie selbst zärtlich ihrem Töchterchen zunickte. Das halbe Kind aber hatte kein Auge für die gute Mutter, sein aufleuchtend begehrlicher Blick hing an dem jungen Vuttke, der in der Gegend der Koblankstraße, wo sein Vater einen alten, gutgehenden Flaschenbierverlag besaß, seinen Ruf als Don Juan nach besten Kräften zu rechtfertigen suchte.

Max Vuttke sah seines Vaterfreundes Tochter an und fand, es sei der Mühe wert, der kleinen runden Blondine mit den etwas zu roten Wangen, deren Augen in reiner Himmelsbläue strahlten, näherzutreten. Vorerst begnügte er sich mit einer kurzen, vornübertippenden Verbeugung und sagte:

»Dis is lange her, Fräulein, diß ich mit Sie Fanschong und Huckezeck jespielt habe!«

»Ach ja,« sagte sie und lächelte vielsagend, »aber schön wa's doch!«

Sie dachten dabei gleichzeitig an die großen Lagerkeller eines Eierhändlers, der in dem Hause wohnte, wo beide ihre Kinderjahre verlebt hatten. An diese dämmrigen, immer etwas nach muffigen Eiern riechenden Kellerräume dachten sie, in denen das Stroh aus den Eierkisten bis an die Decke aufgetürmt war … Und Lenchen errötete in der Erinnerung, während Max Vuttkes dunkle Augen lebhafter blitzten.

Die Väter hatten sich inzwischen ebenfalls angelegentlich unterhalten. Vater Stresemann, von jeher ein unruhiger Geist, der deshalb trotz seiner Gastwirtstätigkeit nicht zuviel Fett angesetzt hatte, forderte jetzt mit lauter Stimme zur Besichtigung seiner Erfindung auf.

»Denn,« sagte er, »det is ja jrade des scheene! Wir leben in eene Zeit, wo den Menschen uff de Erde nischt mehr festehält! Wir wollen ruff! Bis in de hechste Höhen! Un weil uns keene Fliegel an'n Buckel anjewachsen sind, da machen wa uns welche! … Nich wah, Ficktohr!« (Er wandte sich dabei an Herrn Vuttke, der diesen siegreichen Vornamen sein nannte und der eben auch voll Interesse das neben seinem Sohn stehende Lenchen betrachtet hatte, »nich wah, olla Junge, det wa det erschte, wat ick zu dich jesacht habe, wie wir uns nach so lange Jahre zum erschtenmal uff'n Schles'schen Bahnhof wieda jetroffen ham: Ruff missen wa! hab' ick jesacht. Da kann't kosten, wat et will! Wir missen ruff un wir kommen ruff! Det is jetzt bloß noch eene Frage der Zeit, wie lange't dauert! … Un jeda muß seinen janzen Stolz un seine janze Enerjerie und sein hechstet persenlichet Kennen insetzen! Un uf Jelb darf et dabei iebahaupt nich druff ankommen! Un nu los! Jetz' wer ick euch mal det Dings vorfiehren! In Freiheit dressiert! Et is'n sojenannter Fluchapparat un heeßt »Minna« – nach meine brave Jattin! Jawoll, zier' da man nich, Milje, nach dir heeßt se!«

»Na, ich denke, du sagtest ebend, der Ballon heeßt Minna, lieber Adolph?«

»Na ja, heeßt er ooch! Erscht wollt ick ihm Justaff Adolph nenn', nach mir un den ollen Schwedenkönig zusammen, aber denn wa' jrade Miljen ihr Jeburtstach un da hab' ick 'n aus Vasehn »Minna« jenannt, denn Milje heeßt se woll, aba mir jefällt Minna besser! Un'n Ballon is et übrichtens ooch nich, lieber Ficktohr! Et is 'ne Fluchmaschine!«

Damit führte Herr Stresemann seine Gäste an der netten Villa vorbei, die er sich in der Kolonie »Waldfrieden« erbaut hatte. Dahinten, am Rande des Fichtenwaldes, der noch das ganze Grundstück umsäumte, stand ein Bretterschuppen von ziemlicher Ausdehnung. Dessen breite Flügeltüren riß der ehemalige Gastwirt weit auf, und dann wies er seinen Freund Vuttke an, mit Hand anzulegen.

»Wir müssen ihr rausziehen! Se jeht uff Reder!« sagte er wichtig. Gleich darauf schwankte ein seltsames, aus Holz, Eisen und Segelleinewand bestehendes Monstrum auf vier Rädern aus dem Schuppen hervor. Und sofort begann Herr Stresemann seine Erklärung. Die andern verstanden kein Wort, obwohl Frau Stresemann und Fräulein Lenchen sehr bedeutsame Gesichter schnitten.

Endlich sagte Herr Vuttke:

»Na, weesde Adolph, laß'n doch ma fliegen!«

»Ho! Det is doch nich so eenfach! Dazu brauch' ick doch Feld! Ick kann'n doch hier nich mitten in Wald loslassen! 't is übrigens 'ne Sie! Minna, vastehste?«

»Na, wie kommste denn nu aba rin?«

Stresemann lachte.

»Darvor is jesorcht! Det ick rin komme! Paß ma' uff!« Und er klappte eine zierliche Leiter vom oberen Rand des Gondelkorbes herunter und stieg behende in den noch sehr nach frischem Lack duftenden Korb hinein.

»Derf ick ooch?« fragte Vuttke.

»Woll woll, immer rin!«

»Ich auch, Herr Stresemann?«

»Na, erscht recht! Ohne Ihnen jeht's doch janich, Frau Vuttke!«

»Ich mechte aber auch!« flehte Lenchen. Und schon half ihr Max, welcher ihre niedliche Reversseite liebevoll stützte, indem er hinter ihr ebenfalls die Leiter hinaufstieg. Schließlich kam auch Mutter Stresemann, aber deren Doppelzentner faßte der Korb nicht mehr.

»Ne, Kinda, de Jondel platzt! Un nachher muß ick se 'n Bruchband koofen!« meinte Stresemann, der sich der noch recht temperamentvollen und gutgebauten Frau Vuttke beim hinaufklimmen annahm, während Lenchen sich über den Korbrand mit angenehmem Schauder von ihrem Kavalier hinwegheben ließ.

»Nu sage mal aba janz uffrichtich,« meinte Herr Vuttke, »jeht denn det Ding ooch von alleene? Ick meene so janz richtich in de Luft?«

Der Erfinder war über diesen Zweifel fast traurig.

»Mensch, Ficktohr!« sagte er. »Du kennst mir doch! Seh' ick denn so aus wie'n Schwindlehr? Ick tu' et doch nich aus Jeldjier! Ick will doch nischt damit vadienen! Det sind doch sozusagen reen idjale Monumente, die mir dabei leiten! Heechstens, det ick valleicht 'n Orden kriejen würde! Det wer det Eenzichste! Un mehr will ick ja ooch janich! … Aber heer mal! Kenntest du dir freimachen bis morjen frieh? Die ollen Stadtbahnzieje sin jetzt uff'n Sonntach Am'd imma sowieso so iebafillt! Ihr fahrt einfach morjen frieh um achte, halb neune! Heite jehn wa früh schlafen und stehn morjen schon um sechse uff! Un denn kannste 't ja selber sehn: um sieben Uhr flieg' ick! Wennste mit willst, kannste!«

»Nee, mein Mann nich!« sagte Frau Vuttke; »der akält sich da oben!«

»Ja,« stimmte Herr Vuttke etwas zögernd zu »ick leide 'n bißken dadran! … An Reißmatichtich! … Da muß ick ma vorsehn!«

»Scheen,« meinte Stresemann, »kannste 't dir ja noch übalejen! Jetzt woll'n wa essen!«

Und die sechs Leutchen ließen sich nieder vor der Villa, wohin das Mädchen das Abendbrot gebracht hatte. Die Alten aßen und schwatzten und die beiden Jungen fühlten ein bißchen von dem Zauber der goldgesäumten Abendwolken, die leise über dem dunklen Föhrenwald dahinzogen.

»Ick je' 'n bißchen spazieren,« sagte Lenchen dann.

»Darf ich Sie bejleiten?« fragte Max.

»Wir dürfen doch, Mutti, wah?«

Frau Stresemann nickte und Frau Vuttke hatte auch nichts dagegen.

Die Männer hörten gar nicht darauf, sie sprachen immer noch von der Flugmaschine.

»Un du hast wirklich schon jeflogen, Adolph?« fragte Herr Vuttke bewundernd.

»Na, un ob! Ick fliege alle acht Dage mindestens zweemal! Der janze ›Waldfrieden‹ is imma bei! Se nennen mir hier schon ›Fliegemann‹ statt Stresemann!«

»Wenn ick bloß wüßte, wie det Dings jeht!« sagte Vuttke nachdenklich. In diesem Augenblick hörte er hinter sich ein eigenartig surrendes Geräusch, wie wenn ein mächtiger Käfer, seine Flügel spannend, empor will.

Alle fuhren sie herum.

Da sahen sie, wie das Flugungetüm seine Flügel schnell und immer schneller drehte und sich erhob. Gleichzeitig ein fürchterliches Geschrei, und über dem Rande des Korbes erschienen die Oberkörper der beiden Kinder, die wehklagend ihre Arme ausstreckten. »Um Jotteswillen!« schrie Stresemann im ersten Augenblick. Aber dann beruhigte er sich und die drei anderen Eltern schnell.

»'t kann nischt passieren! ›Minna‹ liegt vor Anker!« Tatsächlich riß der Apparat fortwährend brausend und sausend wie ein ungebärdiges Tier an den starken Drahtseilen, die ihn irgendwo am Boden festhielten.

Stresemann formte seine Hände zum Trichter und schrie hinauf: »Ihr habt den jroßen Hebel runterjedrückt! … Wieder hochheben! Hochheben! … un rechts die Zuchstange uffziehn! Det is der Schirm! … Seht a',« wandte er sich an die drei andern, »se sinkt schon!«

Endlich war »Minna« wieder auf dem Boden.

Die Kinder stiegen heraus. Beide erklärlicherweise sehr echauffiert.

»Wir sind in de Jondel jeklettert!« sagte Lenchen, noch immer etwas weinerlich »weil … weil … weil wa mal sehn wollten, ob man von draußen sehn kann!«

»Nee,« sagte der Erfinder nachdenklich, »sehn kann man nischt! Aba ihr müßt euch da wo druff jesetzt haben!«

»Na, lassen Sie man, Herr Stresemann,« meinte Frau Vuttke, ihren Sohn anlächelnd, »de Hauptsache is doch, det se beede keen Schaden genommen ham! … Un nich wahr, Max, jetan hast du dir doch nischt?«

»Nee, Mutta,« meinte der gute Sohn, »im Jejenteil, 't wa janz hübsch, ich möchte jleich noch mal sone Tour machen!«


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