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Rennbahnschieber

Dir gesagt, Anton, das Geschäft möcht ich machen, wie die Goite christliche Braut. hat, nebbich, 'n Großvater, von den beßieht se alleine dreinhundert Emm jeden Monat! Un der alte Herr soll auch noch sehr rüstig sein, was, Rosa?«

Alle zehn eng aneinander gedrängten Insassen des Kupees lachten.

»'s is infam heiß!« meinte der Breitbrustige mit dem gradlinigen, brutalen Gesicht, den Isaak Schlochauer eben mit »Anton« angesprochen hatte, »laßt doch das andre Fensta auch janz runta, wenn's ooch'n bißken zieht!«

Drüben stand ein blasser, schlanker Mensch auf, ein Mann mit vornehm ruhigen Bewegungen, der Typ des auf den Rennplätzen und beim Spiel verkommenen Adligen. Deklassiert, aber doch noch Masse. Er verlor das Monokel, das auch zwei andere von den im Kupee sitzenden Herren trugen, nicht aus dem Auge, wie er sich am Fenster, das nicht in Ordnung zu sein schien, abmühte. Als er seinen überschlanken Körper wandte, nickte er der kleinen Julie liebenswürdig zu, die ihm hatte behilflich sein wollen.

Julie war, obwohl mit der Rosa eng befreundet, doch nicht Kokotte wie diese. Sie war freigiebig mit sich, wie mit ihrem Gelde, und oft schenkte sie ihre Gunst aus Gutmütigkeit dem, der lange genug und inständig darum bettelte. Aber sie nahm weder Geld noch Geschenke dafür, ja, sie ließ sich nicht einmal gerne freihalten. Dahingegen spielte sie und mogelte dabei wie der ärgste Zocker Spieler. … Kein Trick beim Wetten war ihr fremd, und sie liebte die Pferderennen ebenso leidenschaftlich wie ihre Freunde, die Jockeis, die ihr immer Tips gaben. Sie war klein und von leichten, schmiegsamen Bewegungen. Aber ihre Figur hatte trotzdem etwas Männliches, und wenn sie, mit der Zigarette im Mundwinkel, in einem silbergrauen Staubmantel auf dem Sattelplatz umherschlenderte, hätte sie mit ihren blonden, kurzabgeschnittenen Locken und dem hellen Strohhut bequem für einen jungen Sportsmann passieren können.

»Laß die Witze, Hirschfeld!« sagte sie eben zu dem ihr gegenübersitzenden Hebräer, der seine Rasse nie hatte verleugnen können, »ich habe helle Schuhe an und kann' überhaupt nicht leiden, wenn mir einer an die Füße kommt!«

»Wie Weinbergs Fabula,« meinte Graf Weddingen, »die soll auch so fabelhaft empfindlich an der Fessel sein!«

»Den Vergleich kannste dir jefall'n lassen, Kleene!« lachte Freitag, ein dicker Bäckermeister aus Berlin N., der auf den Rennplätzen und besonders nachher beim Spiel sich eifrig bemühte, sein gutgehendes Geschäft zu ruinieren.

»Nennen Sie mich nicht »Du«, wir haben noch nicht zusammen techtelmechtelt,« erwiderte Julie mit strengem Gesicht. In der Tat gestattete sie das Duzen nur denjenigen, die ihre Gunst genossen hatten. Aber sie duzte sich mit den meisten.

Die Herren prusteten vor Lachen, und der Bäcker, der Julie heute erst kennen lernte, war anfangs ein wenig verdutzt, dann sagte er:

»Na, mein Jott, wenn't weita nischt is! Ick bin imma zu haben!«

»Un deine Olle?« fragte sein Nachbar, ein böses Gesicht, das einem der bekanntesten Zutreiber eines ebenso unreellen Buchmachers gehörte, »nee, Mensch, det laß man lieba! Da kriechste keene Odds bei raus!«

Isaak Schlochauer, ein Blonder mit sinnigem Gesicht, nahm sich des Meisters an – er wußte, warum! – und mauschelte absichtlich:

»Wie haißt?! … Was wird siach Zores machen der Herr Freitag! Gott soll schützen! … Um so ä Schickselach! … Er hat doch ä Frau! Un sogar ä hibsche Frau! … In sei' Alter kann er doch nix mehr verwechseln den Schabbes mit den Jontäf!« Feiertag.

»Wat heeßt 'n det, Schlochauer?« fragte der ehemalige Gastwirt, jetzige Pferdehändler Anton Malmecke, indem er sein massives, an der Stirn gerötetes Gesicht vorschob und den glatten Scheitel mit zwei kleinen Taschenbürsten bearbeitete.

»Versteht's nich der Chammer, kennts der Chochem!« Was der Dumme nicht versteht, kennt der Kluge. antwortete der Buchmacher beinahe ebenso rätselhaft und fügte hinzu:

»Nu, was sagt'r zu »Goldgülden«? … Haißt ä Pferd!«

»Ja,« meinte Martin Hirschfeld, seines Zeichens Hypothekenmakler, »ich geb scho' garnichts mehr auf'n Namen! Und de Graditzer kenn' mer alle … « er vervollständigte die Bemerkung ziemlich unsanft, woran nur der rotblonde Graf Anstoß zu nehmen schien, der sein duftendes Seidentuch an die Nase brachte, als gelte es einen üblen Geruch zu verscheuchen.

Übrigens war in der Tat trotz der geöffneten Fenster die Luft im Kupee schlecht. Dieser von der Hoppegartener Rennbahn kommende Extrazug, der sich vor Berlin nirgends aufhielt, führte eine eng zusammengepferchte Menschenfracht mit sich. Die Tausende und Tausende, die meist in gewinnsüchtiger Absicht am frühen Nachmittag hinausgestürmt waren auf den grünen Rasen, die saßen jetzt, größtenteils enttäuscht und von den Sorgen um ihre Verluste gequält, matt und müde in den dumpfen Waggons, der großen Stadt zueilend, die wie ein gewaltiger Polyp in den brennenden Strahlen der Augustsonne dalag und nun in langen Zügen das heranbrandende Leben wieder aufsog.

Aber die von der wilden Hatz da draußen aufgepeitschten Nerven wollten sich nicht so schnell beruhigen. Der Graf Weddingen, vor dem die dunkelblonde Rosa ihren schönen, durch die helle Seidenbluse hindurchschimmernden Nacken umsonst paradieren ließ – der Graf spürte das am meisten! Was hatte er alles um dieses tollen Kitzels willen, das Spiel heißt, hingeben müssen! … Keiner von denen, die eigentlich zu ihm gehörten, sah ihn mehr an. Seine glühende Sehnsucht nach den Kreisen, die seine waren und die ihn einstmals vergötterten, hatte er bezähmen gelernt, weil er nur noch dort Karten spielen durfte, wo der Begriff »Ehre« mit dem Worte »Vorteil« sich deckte … Der junge Adlige lachte unmotiviert laut auf und zog ein Spiel Karten aus der Tasche.

»Na, das is endlich mal 'ne vaninftige Idee!« meinte Anton Malmecke, »aba, wissen Se, lieba Jraf, Ihre Karten stecken Se man wieda in! Ich weeß jerne, womit ick zocke! … Un hier sind Stralsunder, die noch janich offen sind!«

Er holte dabei ein noch in versiegelter Emballage steckendes Päckchen aus der Rocktasche, riß es vor den begierig aufleuchtenden Augen seiner Kumpane auf, und ein paar Minuten später pokerten die Herren schon eifrig, Julie natürlich eingeschlossen! Und alle Einwendungen der hübschen, zartfarbigen Rosa, die in ihrer hellen Toilette jung und reizend genug aussah, halfen da nichts. Graf Weddingen war bei den Worten des ehemaligen Budikers noch bleicher geworden. Die Säbelnarben auf seiner rechten Gesichtshälfte zeigten, daß der Mann kein Feigling war. Aber was sollte er hier tun? Sich herumschlagen mit diesem Knoten, der nicht satisfaktionsfähig war – – – satisfaktionsfähig? … hahaha! ja, wem denn? … ihm, der …? Der Graf von Weddingen lachte noch lauter wie zuvor. Dann beteiligte er sich ebenso eifrig am Spiel und hatte Glück, er gewann … Als der Zug in den Bahnhof Friedrichstraße rollte, hatte er mehr Gold in der Tasche wie seit langer Zeit.

»Spaß!« Isaak Schlochauer wiegte seinen schmalen Habichtskopf hin und her, »ä Graf bleibt ä Graf, un wenn er de Taille Die Karten nacheinander vom Spiel nehmen. abzieht …«

»Ja, un Schieba bleibt Schieba!« setzte der frühere Gastwirt hinzu.

Julie aber stimmte den gerade populärsten Gassenhauer an, den bald nicht nur die Insassen dieses, sondern auch sämtliche Mitreisenden in den Nachbarkupees mitsangen:

»Mein liebes, süßes Lottchen!
Du bist ein Erztokottchen! – – – «
»Sie sind bekannt, mein Lieber,
Als Schieba, als Schieba! … «


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