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Rendez-vous

Der Rechtsanwalt Dr. Hans Sanderson war soeben aufgestanden. Es war zwei Uhr nachmittags. Er ging trotz der erheblichen Kühle in seiner Zweizimmerwohnung im Hemde und auf bloßen Füßen ins Badezimmer, warf dort auch noch die letzte Hülle von sich und duschte. Anfänglich lauwarm – die Warmwasserversorgung blieb er mit der Miete schuldig – dann erniedrigte er die Temperatur – wie nur je der schneidigste Vorsitzende einen Angeklagten! – und freute sich, wie das eisige Wasser auf seinen kraftstrotzenden Körper herabstürzte, wie die weiße, feste Haut sich rot färbte, und wie sein gesundes Blut unter dieser harten Behandlung zu pulsen und klopfen begann.

Naß und fast nackend, litt er nicht im geringsten unter der Kälte dieses Sonntagnachmittags im Vorfrühling. Trotzdem überlegte er, ob er die Zentralheizung schon aufdrehen sollte, und entschloß sich dazu, weil er sie erwartete. … Aber aufstehen, sich anziehen – ih, keine Idee! … Gerade im Bett, im weißen Nachthemd, wirkte er besonders anziehend!

Nett wäre es gewesen, wenn er jetzt eine Tasse Tee oder Kaffee mit ein wenig Gebäck, Butter, Wurst, Schinken, Eier, kalten Braten, Hummermajonnaise, Sekt – überhaupt irgendetwas Genießbares gehabt hätte! … Aber er hatte nichts, nichts als seinen Rechtsanwalts- und Doktortitel, für den er sich momentan noch nicht mal 'ne trockene Semmel kaufen konnte … Ach, es ist doch was Herrliches um die sozialen Gegensätze! … Heute früh hatte er, der Oberleutnant der Reserve Dr. Hans Sanderson, der Zeitungsfrau die Mark für das Blatt schuldig bleiben müssen, das ihn mit dem an sich gleichgültigen Dasein der Mitwelt und ihren ziemlich überflüssigen Lebensäußerungen bekannt machte … Diese arme Frau hatte jetzt sicherlich schon gefrühstückt, hatte zu Mittag gegessen, wenn auch nicht gerade bei Hiller, und sie würde Kaffee trinken zu ihrer Zeit und Abendbrot essen – lauter Dinge, die bei ihm entweder fortfielen oder durchaus von der Einsicht des erwarteten Besuchs abhingen … Ja, ja, man hätte gestern abend ein wenig vorsichtiger sein, nicht zu Riche gehen und der »Lispelfrieda« keinen Sekt spendieren sollen! … Denn man verdiente ja schon Geld, wenngleich der sogenannte »Kompagnon« oder »Sozius« eines durch seine Mordprozesse berühmten Anwalts nur einen sehr bescheidenen Anteil hat an den pekuniären Früchten der Hinterziehung von Kapitalverbrechern!

Der junge Doktor, jetzt im schön gefältelten und geschmackvoll gestickten Nachthemd – achtfunfzig das Stück, auf sehr langes Ziel! – in seinem geräumigen Bett ruhend, das den Stil der niederdeutschen Bauernstube zeigte, sah auf die Uhr: Hedwig könnte kommen …

Da, das verstohlene Klingeln!

Er stürzte hinaus.

»Einen Moment, bitte!«

Sie wartet schicklichkeitshalber eine kleine Sekunde.

»Hansi!«

»Mein Schatz!«

Sie kniete auf dem abgetretenen Ziegenfell mit ihrem blaugrauen, perlengestickten Sammetrock und küßte ihn wild.

»Du Armes! … Hast woll sehr gefroren?«

Sie biß ihm lachend ins Kinn:

»Zu dir her??«

Und der Zeigefinger mit dem unbezahlbaren Topas tippte die niedere Stirn mit dem aschblonden Lockengewusel.

»Ich verbrenne ja beinah' innerlich!«

»Na – und – – er?«

Ein paar harte Falten kamen bei ihr vom Mund zum Kinn herunter.

»Er – – er ist ein Brebis!«

»Allerdings … aber auch Schafe haben Hörner!«

Sie schüttelte lächelnd das Köpfchen:

»Nur die Zuchthammel, Hans!«

»Sieh mich nicht so frech an, du!« sagte er und grunzte dabei vor Vergnügen, worauf er ihren Kopf nahm und unter vielen Küssen untersuchte, »ob noch alles dran sei«.

Sie atmete wie nach einer Riesenanstrengung. Und dann sagte sie mit dem einfältigsten Gesicht von der Welt, es hätte ihr neulich ein Herr in der Gesellschaft gesagt, das wären lauter Wechsel, die prompt eingelöst werden müßten – die Küsse nämlich!

»Und wenn nicht?« konnte er kaum fragen vor Lachen.

Sie blieb todernst:

»Das solltest du doch als Anwalt am besten wissen – man protestiert!«

»Na, und wenn das auch nichts hilft?«

»Dann nimmt man sich einen guten und brauchbaren Anwalt!«

Sie ging, nein sie glitt mit ihren weichen Katzenschritten hinüber an den Spiegel über der Waschtoilette, ordnete ihre Coiffüre und seufzte:

»Ach diese scheußlichen Locken! … Jetzt mit den hohen Hüten!«

Und seine spöttische Miene sehend, streckte sie ihm ihre kleine, spitze, rote Zunge raus und rief gleich darauf, förmlich zusammenschreckend:

»Ich sehe doch gar kein Kaffeegeschirr! Du hast wohl noch nicht gefrühstückt?«

Er wurde rot und log, die Aufwartefrau sei nicht gekommen; er selbst sei zu faul gewesen, aufzustehen.

Ihr ganzes Gesicht war Güte und Mitgefühl. Sie hätte ihn so gern bedauert, denn sie kannte seine Misere. Aber – so – kein Wort – nur:

»Ich hab' ein bißchen Schokolade da … warte, die koch' ich!«

Hinaus. Draußen ein Rumoren am Gaskochapparat, und in zehn Minuten, die er trotz des leise knurrenden Magens selig verträumte, ein Frühstück.

»Ahhh!« … Er sog vor Entzücken durch die halb geöffneten Lippen die Luft und den angenehmen Duft ein. Dabei sträubte sich der dicke braune Schnurrbart, den sie rasch mal küssen mußte.

»Gewaschen bin ich!« scherzte er. Und dann zulangend, ungeniert, im behaglichen Schlucken:

»Weißte, du … wir müßten verheiratet sein, Schatzi!«

»Nee!« … sie dehnte das »E« unendlich, »nur nich heiraten! … So heißt sogar ein Buch von … von … ich glaube von Weber … na, un wie recht hat der! … Ihr Männer seid ja doch eijentlich alle Scheusäler! Besonders wenn ihr uns erst mal untergekriegt habt! Pfui, Hans, ich rede jetzt ganz ernst! Dich … dich hab' ich zum Sterben lieb! …«

Sie küßte ihn leidenschaftlich.

»Aber heiraten? – Nein, lieber tot … auf der Stelle! Ich hab's einmal gemacht! … und bin's noch! … und er … na, laß ihn, er schläft jetzt, und dann trinkt er Kaffee un raucht, und dann geht er kegeln und trinkt Bier, und dann kommt er nach Hause und riecht danach – Pfui Deibel!!«

Er sah sie groß an, wie ihr die Wangen glühten, die feinen runden Wangen, wie zarte Fruchthälften, mit ihrem Schmelz und dem Schimmer der Jugend. Ihre dunkeln Augen brannten vor Entrüstung. Der junge Rechtsanwalt wußte gar nicht, wie er sich da verhalten sollte. Denn im Herzen gab er trotz alledem ihrem Manne recht. Das fühlte sie wohl und sagte:

»Ich will gar nicht hierbleiben! … Du bist auch so!«

Er wollte sie an sich ziehen.

Indem rief sie, zusammenfahrend, leise:

»Du! … horch doch! … was?«

Sie war leichenblaß geworden.

Auch der junge Anwalt richtete sich im Bett auf.

»Also scheint er doch etwas gemerkt zu haben, dein Mann.«

Sie nickte, in Todesangst, hauchend:

»An der Tür … ist er … was mach' ich … mein Gott!«

»Er wird dir nachgegangen sein … Hedi …«

Draußen gab's ein klickendes, nicht lautes Geräusch am Schloß.

»Nanu,« sagte Hans, »der bricht doch nicht etwa das Schloß auf?«

Dabei schob er die Beine vorsichtig aus dem Bett.

»Hans, ich bitte dich!« flehte sie. Aber schon schlich er zur Tür. Sie folgte ihm in namenloser Angst.

Ein Riß an der Tür – ein Sprung – ein wilder Ruf!

»Sie! Was denn? … wat is … denn?«

»Ich wer dich lehren einbrechen!«

Sie atmete auf. Durch die Tür sah sie den Liebsten. Der stand wie ein etwas komischer Cherub vor dem Dieb, einem kleinen, untersetzten Kerl, der sich von der eigenen Brechstange bedroht sah, die Hans im Ansprung aufgegriffen hatte und über dem struppigen Kopf schwang.

Ihm selbst kam die Situation spaßig vor. Lachend fragte er: »Haben Sie denn wenigstens genug Geld bei sich?«

»Aber nee!« stotterte der Kerl, »ick … icke« … er lachte unsicher.

»Na, dann ist es doch doppelt leichtsinnig von Ihnen, hier einzubrechen, lieber Freund! … Ohne Vorschuß kann ich ja nicht mal Ihre Verteidigung übernehmen!«

Er schob den Einbrecher, der froh war, so davonzukommen, zur Tür hinaus. Dann kam er zu der kleinen Frau zurück und zeigte ihr die »Elle«.

»Na, was sagst du, Klaus; is das nich ein entzückender Briefbeschwerer?«

Und sie ganz enthusiasmiert:

»Ja, großartig! Den mußt du meinem Mann schenken! Dann gehört er uns und ich denke jeden Tag an meinen Helden!«

»Amen,« sagte er, »es geht nichts über die Begeisterungsfähigkeit und liebende Größe des weiblichen Herzens!«

Damit kroch er wieder unter die Decke.


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