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10. Eifersucht

Mariechen war mit Ulbersdorffs nach Hause zurückgekehrt, sehr glücklich über das unerwartete Wiedersehen mit Buchwald. Doch konnte sie ihren Gefühlen nicht, wie sie es gerne getan, Ausdruck geben. Theodora lehnte stumm in der Wagenecke, Herr und Frau von Ulbersdorff unterhielten sich von Persönlichkeiten, die sie weniger kannte, des Grafen wurde nur flüchtig erwähnt. Aber am andern Morgen kam der Dämpfer auf die Freude.

»Wie sie es wagen könne,« platzte Theodora heraus, »den vornehmsten aus der ganzen Gesellschaft wie einen intimen Freund anzureden? Sie sollte sich doch ihrer Stellung bewußt bleiben und sich ein Beispiel an ihrer Freundin nehmen. Die habe sich benommen, wie sich's für eine Untergebene schicke, die habe man kaum bemerkt, habe sie sich doch dem Grafen nicht einmal so genähert, daß er sie habe anreden können usw.«

Mariechen, die eigentlich tief beleidigt und gekränkt hätte sein können, schien die Sache zu belustigen. Sie erwiderte ganz fröhlich:

»Aber, gnädiges Fräulein, freuen Sie sich nicht auch, wenn Sie einen guten Bekannten von früher treffen, und sprechen gern mit ihm über vergangene Zeiten?«

Frau von Ulbersdorff, die bei dieser Unterhaltung zugegen war, hatte sich bis jetzt schweigend verhalten; sie war auch nicht ganz einverstanden mit Mariechens Benehmen gewesen, fand aber, daß Theodora zu weit ging in ihrem Schmähen und sagte einlenkend:

»Nun, sagen Sie, Fräulein Rothe, woher datiert sich denn eigentlich Ihre Bekanntschaft?«

»Der Bruder des Grafen war mehrere Jahre bei uns in Pension: der Graf, damals Leutnant, verkehrte sehr viel in unserem Hause, seine Schwester war meine Freundin, auch bin ich selbst wochenlang auf Schloß Wiesendorf zu Besuch gewesen –«

»Immer noch kein Grund, sich an den jetzigen Gebieter von Horst heranzudrängen: Sie müssen Ihre und seine Stellung immer im Auge behalten,« schmollte Theodora.

»Es war gewiß ein Verstoß, den ich begangen, daß ich gleich auf den Grafen zueilte; daher bitte ich die Damen untertänigst um Verzeihung, wenn ich dadurch Ärgernis bereitet habe. Sonst sehe ich kein Unrecht darin, daß Graf Horst sich mit der Freundin seiner Schwester unterhielt, daß wir, als alte Bekannte, uns in Jugenderinnerungen ergingen.« Mit diesen Worten richtete Mariechen sich auf und sah Theodora herausfordernd an.

Diese stand etwas verwirrt da. Das sonst so freundliche, demütige Mariechen war ja auf einmal stolz und hochfahrend geworden. Das sei schon die Frucht, wenn bezahlte Personen in ihre Kreise geladen würden, meinte sie später, als Mariechen gegangen, zur Mutter.

Da Theodora vorerst schwieg, fuhr Mariechen fort:

»Haben gnädiges Fräulein mir sonst noch etwas zu sagen? Sonst,« nach ihrer Uhr sehend, »möchte ich mich empfehlen. Die Kinder erwarten mich zur Stunde.«

Theodora hatte sich schon lange geräuspert, um noch das letzte herauszubringen; jetzt stieß sie hastig hervor:

»Was hatte der Graf denn so heimlich mit Ihnen in der Ecke des roten Musikzimmers zu reden?«

»Das sind Privatangelegenheiten, gnädiges Fräulein,« sagte Mariechen mit lustigem Gesicht und verließ schnell das Zimmer.

»Hat man je so etwas Unerhörtes gesehen? So muß ich mich von der Gouvernante meiner Schwestern behandeln lassen? sie muß augenblicklich fort, ich dulde sie nicht länger hier.«

»Willst du etwa den Unterricht deiner Schwestern übernehmen?« sagte Frau von Ulbersdorff unwillig. »Du weißt, welche Schwierigkeiten es gemacht, bis wir für unsre kleinen Wilden eine passende Gouvernante fanden; du weißt, wie glücklich Papa und ich sind, in Fräulein Rothe eine so treffliche Erzieherin bekommen zu haben. Sie jetzt gehen lassen, hieße den Kindern den größten Schaden zufügen, und da hier drei meiner Kinder in Frage kommen, muß die Eine doch sehen, wie sie mit Fräulein Rothe fertig wird!«

»Sie soll mir wohl den besten Freier wegschnappen!« brauste Theodora auf.

»Aber bestes Kind, gib dir doch nicht solche Blöße! Wenn du ruhig über das eben Gesagte nachdenkst, mußt du dich schämen.«

»Aber das Heimlichtun in der Ecke war mir gar so verdächtig!«

»Was wird es gewesen sein! Er hat vielleicht einen kleinen Scherz gemacht!«

»Nein, nein! Sie machte ein sehr ernstes, nachdenkliches Gesicht!«

»Wer machte ein nachdenkliches Gesicht?« fragte Herr von Ulbersdorff, der eben in die Tür trat.

»Wir sprechen von Fräulein Rothe und ihrem taktlosen Benehmen,« versetzte Theodora, noch zu aufgeregt, um das Thema, das sie sonst in ihres Vaters Gegenwart nicht berührte, fahren zu lassen.

»Was taktloses Benehmen! Das Mädchen hat sich allerliebst gemacht, ganz famos! Sie durchbrach mit einem Mal den steifen, feierlichen Ton mit ihrem frischen, natürlichen Wesen. Wir Herren haben uns alle darüber gefreut, es war, als ob plötzlich ein frischer Luftzug durch den schwülen Saal wehte, der alle angenehm berührte. Es folgte allgemeine, lebendige Unterhaltung, und ich war stolz darauf, sagen zu können: Die Kleine gehört zu meinen Damen. Theodora, daß du mir gegen Fräulein Rothe freundlich bist, sonst kriegst du's mit mir zu tun!«

Theodora erhob stolz das Haupt und sagte: »Wenn man hier mit den Gouvernanten solchen Kultus treibt, da müssen die Töchter des Hauses weichen,« und bevor ihr Vater eine scharfe Antwort, die er auf den Lippen hatte, aussprechen konnte, war sie hinausgegangen. Daß Mariechen von nun an einen noch schwereren Stand hatte, läßt sich denken.

Sie war aber durch die soeben gehabte Szene durchaus nicht niedergedrückt, es kam ihr spaßhaft vor, daß Theodora so falsche Schlüsse zog, denn daß Eifersucht dabei im Spiel war, hatte sie sofort erkannt. Eigentlich konnte sie ihr leid tun!

Nun, trotz Theodora und ihrem Unmut war es doch wunderschön gestern gewesen. Sie mußte Emma und den Eltern alles schreiben. Sie hatte es so fröhlich und kindlich genossen, von allen Seiten war ihr Güte und Freundlichkeit zu teil geworden, so blieb ihr der Abend in steter freundlicher Erinnerung. Und nun das größte Ereignis: Waldemar, der alte Bekannte, war – Graf Horst! Es war doch zu interessant, daß dieser gefürchtete Graf sich so entpuppte! »Noch ganz der Alte!« dachte sie, als sie nach den Stunden die Kinder entlassen hatte und ein halbes Stündchen freie Zeit genoß. Plötzlich lachte sie, als sie sich Theodoras Frage: »Was hatte der Graf so heimlich mit Ihnen zu reden?« noch einmal zurückrief. Doch bald nahmen ihre Züge einen ernsten Ausdruck an, ihre Gedanken lenkten sich auf Hildegard. Der Graf war, als die jungen Damen musizierten, plötzlich auf Mariechen, die gerade allein stand, zugekommen und hatte leise gefragt:

»Wie kommt denn Hildeg – Fräulein Schmidt hierher?«

»Ich habe sie rekommandiert, Herr Graf!« hatte Mariechen lächelnd geantwortet.

»Das ist brav von Ihnen, Fräulein Mariechen! Ist sie schon lange hier?«

»Seit dem Frühling, Herr Graf! Sie ist hier ganz an ihrem Platz!«

»Das glaub' ich schon,« erwiderte Waldemar. »Aber nennen Sie mich nicht immerfort ›Herr Graf‹. Zwischen uns bleibt es beim Alten,« fügte er lächelnd hinzu, reichte ihr freundlich die Hand und entschlüpfte ins andere Zimmer.

Mariechen bewegte es sehr im Herzen, daß die beiden durch wunderbare Fügung einander so nahe waren. Und doch, Hildegard konnte ja nie an Erfüllung ihrer Wünsche denken, im Gegenteil war sie gezwungen, sobald wie möglich ihre angenehme Stellung zu verlassen, um nicht neuen Kämpfen ausgesetzt zu sein.

So fiel es Mariechen schwer aufs Herz, daß sie sich eigentlich doch sehr wenig gestern um Hildegard gekümmert. Wie egoistisch war sie gewesen! Wie hatte sie nur ihrem Vergnügen gelebt und so wenig daran gedacht, daß ihre Freundin gewiß viel darum gegeben hätte, ein Viertelstündchen mit ihr allein zu plaudern. Jetzt fiel es ihr ein, daß Hildegard gestern abend sehr blaß ausgesehen und sich möglichst unsichtbar gemacht hatte. Und sie hatte fast gar nicht an sie gedacht, es war schlecht von ihr gewesen, eine Freundin so vernachlässigt zu haben. Sie wollte, sobald es ihre Zeit erlaubte, hinüber gehen und sie um Verzeihung bitten. Wie sehnte sich ihr Herz, die liebe Freundin wieder zu sehen, alles neu Erlebte mit ihr zu besprechen!

Mariechen entdeckte im Lauf des Tages, daß sie ein Paar Handschuhe in Klosterberg vergessen, und da der folgende Tag ein Sonntag war, zudem ein schöner, klarer Novembertag, so entschloß sie sich mit den Kindern zu Fuß nach Klosterberg zu wandern und ein Stündchen bei Hildegard zu weilen. Frau von Ulbersdorff hatte nichts dawider, und die Kinder waren glücklich! Als sie eben über den Hof wanderten, öffnete Herr von Ulbersdorff das Fenster und rief ihnen zu:

»Ich schicke abends die Ponys zum Abholen.« –

Sie wanderten plaudernd nebeneinander her. Die in den Stunden gefürchtete Lehrerin war außer denselben die vertraute Freundin der Kinder. Die Liebe zu ihr hatte in den jungen Herzen bereits feste Wurzel gefaßt.

»Fräulein,« sagte plötzlich Gretchen, sich freundlich an sie anschmiegend, »ich wollte, Sie wären unsere Schwester und Theodora unsere Gouvernante.«

»Du möchtest wohl lieber bei ihr Stunden haben, mit ihr nach Klosterberg wandern?« – »Nein, nein, darum nicht – Stunden mag ich am liebsten bei Ihnen haben – und spazieren gehe ich auch lieber mit Ihnen als mit Theodora, die immer so langweilig ist!«

»Ich weiß,« sagte Adele, »warum sie möchte, Sie wären unsere Schwester. Dann könnten Sie immer bei uns bleiben, und würden nie fortgehen, wie die andern Gouvernanten.«

»Aber liebe Kinder, ich will euch ja gar nicht verlassen, und ich denke, ihr werdet mir immer solche Freude machen, daß ich gar nicht ans Fortgehen zu denken brauche.«

»Ja, und denken Sie,« fiel nun Luise, die älteste ein, »Theodora sagte gestern, wir sollten Sie nur immer recht ärgern, desto eher bekämen wir eine andere Gouvernante!«

»Ich habe Theodora nicht ein bißchen lieb,« schmollte Gretchen.

»Mein liebes Gretchen, wir müssen alle Menschen lieb haben,« versetzte Mariechen sanft, ihre Aufregung verbergend, »besonders unsere Brüder und Schwestern.«

»Haben Sie Theodora lieb?« fragte Gretchen, Mariechen erwartungsvoll anblickend.

»Ich möchte sie gern recht lieb haben und will mich freuen, wenn ich ihr einmal meine Liebe beweisen kann. Doch seht, Kinder, da guckt schon der Schloßturm hervor, wir werden bald da sein!«

So lenkte Mariechen die Aufmerksamkeit der Kinder auf etwas anderes. Sie begann von der guten Kastellanin zu sprechen, und ob dieselbe wohl heute die versprochenen Puppen holen werde, und so gelangten sie fröhlich plaudernd ins Schloß.

Hildegard, die am Fenster gesessen und der Gräfin vorgelesen, eilte ihnen entgegen, sie herzlich willkommen heißend.

»Ihr sollt alle zur Gräfin kommen,« sagte sie, fügte aber leise zu Mariechen hinzu: »Wir gehen später in mein Zimmer.«

Eine Stunde danach saßen die Freundinnen allein.

»Hildegard,« begann Mariechen, sie umschlingend, »sei mir nur nicht böse, daß ich vorgestern abend so rücksichtslos gegen dich war. Siehst du, so bin ich! Wenn ich es selbst gut habe, denke ich so wenig an andere. Du hast dich gewiß an dem Abend nach einer vertraulichen Aussprache gesehnt?«

»Das kann ich nicht leugnen,« sagte Hildegard sanft und drückte Mariechen die Hand. »Aber es ist besser so, heute können wir ungestörter und unbeobachteter plaudern. Mariechen, was sagst du zu dem allem?« Und nun ging den Freundinnen das Herz auf. Hildegard erzählte Mariechen von der ersten Begegnung am See, von ihrer Bestürzung und Freude, von den darauffolgenden Kämpfen; Mariechen ihrerseits teilte Hildegard mit, daß Buchwald nach ihr gefragt habe usw.

Endlich, nachdem sie ihrer Herzen Gedanken ausgetauscht, umschlang Mariechen die Freundin wieder und sagte: »Hildegard, ich freue mich, dich so getrost zu sehen. – Ich glaubte schon, du würdest dein Bündel schnüren und auf und davon gehen!«

»Wie damals, als Waldemars Mutter mich von meinem Mütterlein trieb!« erwiderte Hildegard mit einem Anflug von Bitterkeit. »Nein,« setzte sie dann hinzu, sich stolz aufrichtend, »ich will der Gefahr nicht entfliehen, sondern tapfer kämpfen und mutig sein, Gott wird mir aus Gnaden den Sieg verleihen. Du, liebe Kleine, bist ja auch nicht entflohen, als dein Werner so plötzlich auftauchte, bist auch in deinem Beruf geblieben.«

»Bitte, sage nicht: ›mein Werner‹,« sagte Mariechen über und über errötend.

»Es ist und bleibt aber doch wunderbar, daß wir alle, die wir uns lieb haben, auf diesem Fleckchen Erde zusammentreffen müssen,« fuhr Hildegard fort.

»Die wir uns lieb haben?« fuhr Mariechen auf. »Pastor Werner und ich lieben uns durchaus nicht, wir hassen uns.«

»Mariechen,« fiel Hildegard lächelnd ein, »Haß ist keine christliche Tugend, hassen dürfen wir keinen Menschen.«

Mariechen errötete von neuem. Eben auf dem Wege hierher hatte sie die Kinder ermahnt, alle Menschen zu lieben, wie stimmte das mit ihren eben gesprochenen Worten?

»Nein, hassen will ich auch nicht sagen, wir sind uns aber wenigstens ganz gleichgültig. Nein, das ist auch nicht das Richtige. Ich weiß für unser Verhältnis keinen Ausdruck. Jedenfalls ist es ein sehr gespanntes!«

»Das scheint mir's auch,« versetzte Hildegard lächelnd, während Mariechen ganz triumphierend dreinschaute, endlich den rechten Ausdruck gefunden zu haben.

Dann plötzlich weich werdend, fuhr sie fort: »Siehst du, Hildegard, mir ist es schrecklich, zu denken, daß jemand etwas wider mich hat. Aber die Strafe für meine unbesonnenen Worte muß ich geduldig tragen. Freilich, hart ist es, sich von jemand verachtet zu wissen!«

»Kleine, verachtet er dich denn? Ich kenne zwar Pastor Werner so gut wie gar nicht, kann mir aber nach allem, was man sonst über ihn hört, nicht vorstellen, daß er Haß und Verachtung in seinem Herzen nähren sollte –«

»Warum tut er dann so fremd gegen mich, ignoriert unsere frühere Bekanntschaft ganz?«

»Es kann dem ebensogut ein feines Taktgefühl zu Grunde liegen. Wäre es nicht peinlicher für dich gewesen, wenn er die alten Verhältnisse berührt hätte? Und besonders jetzt, wo du in der Fremde bist, wo all dein Tun und Handeln strenger gerichtet wird als daheim!«

»Du hast recht! Es hätte für mich Ulbersdorffs gegenüber peinlicher sein können. So mag er ja weise handeln, aber gemütlich ist es nicht – brr!«

»Mariechen, wir haben beide einen harten Kampf zu bestehen, aber laß uns das festhalten: Wer aus Gott geboren ist, überwindet die Welt, und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Laß uns in der Trübsal nicht verzagen, laß uns Gott bitten, daß Er uns erleuchte, allezeit das Rechte zu tun, und so getrost von einem Tag zum andern gehen, hinnehmend aus Gottes Hand, was Er beschieden.«

»Hildegard, für dich ist es leichter, die Last zu tragen, als für mich. Ich büße eine Schuld, du kannst nichts dafür, daß du in einfachen Verhältnissen geboren und darum verachtet wirst.«

»Aber ich habe ein stolzes und hoffärtiges Herz und das ist schwer zu demütigen, darum nimmt mich Gott in eine so harte Schule.«

»Laß uns beide füreinander bitten, daß uns aus unserer Trübsal eine heilsame Frucht der Gerechtigkeit erwachse, daß wir uns dadurch erziehen lassen zum Reiche Gottes.«

Die beiden Freundinnen umschlangen sich und sahen zum Fenster hinaus.

»Siehst du, Mariechen, nun hat der Schloßturm hinter dem See noch ganz andere Anziehungskraft. Aber wenn mein Herz sich in irdisches Träumen verlieren will, dann sage ich mir: der Turm weist nach oben, dahin soll auch das Herz sich richten und nichts begehren, denn Jesum allein.«

 


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