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11. Familienzerwürfnis in Wiesendorf

Ein helles Kaminfeuer brannte im Salon. Frau von Buchwald saß zurückgelehnt in ihrem Fauteuil. Ihre bleichen, sorgenvollen Züge verrieten, daß sie Kummer hatte. Ihr Töchterchen sah auch nicht so fröhlich drein wie im Sommer; sie saß wie ein geknicktes Röschen am Fenster und schaute ängstlich auf den Vater, der mit laut dröhnenden Schritten auf und ab ging, endlich vor Frau von Buchwald stehen blieb und rauh und heftig die Worte hervorstieß:

»Sage du es Waldemar, ich mag ihn nach der aufregenden Szene von heute mittag nicht wieder sehen. Sage ihm, wenn er wider das Gebot seiner Eltern handelt, wenn er nicht von dem Mädchen läßt, so hat er seinen Vater zum letztenmal gesehen. Muß denn diese Person, an die er sich gehängt, so den Frieden unseres Hauses stören, unser Familienleben, das selten schön war, vernichten?«

»Kurt, es kann ja noch alles gut werden,« bat Frau von Buchwald sanft, »laß uns doch in Liebe und Güte versuchen, Waldemar umzustimmen.«

Röschen, die bei den heftigen Worten des Vaters aufgestanden und leise hinausgegangen war, traf im Korridor ihren Bruder. »Geh jetzt nicht hinein, der Vater ist böse,« bat sie dringend, ihre Hand auf seinen Arm legend.

»O, Rosa, mußte es so kommen? Ich hoffte in dir eine Helferin zu finden, eine treue Verfechterin meiner Sache!«

»Das bin ich auch gewesen, Waldemar. Ich habe alles, was ich konnte, zugunsten des Fräulein Schmidt geredet, die ich ja eigentlich selbst sehr wenig kenne, doch aus Liebe zu dir hätte ich sie auch lieb haben wollen. Da du die Eltern aber so unglücklich machst, solltest du es aufgeben.«

Die letzten Worte hatte Waldemar nicht mehr gehört. Gewichtige Schritte auf der Treppe überzeugten ihn, daß der Vater den Salon von der andern Seite verlassen, und bevor Röschen geendet, hatte er den Türdrücker ergriffen und war leise eingetreten.

Frau von Buchwald schien ihn nicht zu bemerken. Sie saß mit gefalteten Händen da und sah traurig vor sich hin. Leise berührte Waldemar ihre Schulter. »Liebe Mutter,« sagte er, »muß ich ohne Hoffnung gehen?«

»Ohne Hoffnung,« versetzte Frau von Buchwald tonlos. »Waldemar, mein Sohn, wenn du sagst, du hast durch jenes Mädchen den verlorenen Glauben wieder gefunden, – weißt du denn, was des Glaubens beste Frucht ist? Sich beugen unter die Zucht Gottes, seinen eigenen Willen, sein eigenstes, innerstes Herz zum Opfer bringen. Hier steht Gottes Gebot klar vor Augen. Deine Eltern sehen in der Verbindung mit dem Mädchen, das du zu lieben wähnst, kein Heil für dich, sie wünschen, daß du diesen Gedanken aufgibst, sie können dir ihren Segen nicht erteilen.«

»Und meine Hildegard sagt, ich soll ohne der Eltern Segen nicht wieder kommen – dann ist mein Urteil gesprochen! Aber Mutter, sind die Folgen, welche Härte und Grausamkeit der Eltern nach sich ziehen können wie Entfremdung der Kinderherzen von den Eltern oder vom Vaterhause, nicht schwerer und gewichtiger, als wenn die Eltern sich herbeilassen, eine bürgerliche Schwiegertochter ins Haus zu lassen?«

»Bürgerlich,« sagte die Mutter. »Das ist es nicht, was uns abschreckt. Ich wollte nichts dagegen haben, wenn sie aus einem gebildeten bürgerlichen Hause wäre. Ihre Mutter ist Kammerjungfer gewesen, ihr Vater Bedienter, der sich später zu einem kleinen Vertrauensposten aufgeschwungen hat. Du kannst es uns nicht verargen, wenn wir starke Bedenken gegen diese Verbindung haben.«

»Wenn du Hildegard sähest, wenn du sie kennen lernen wolltest, du würdest vergessen, daß sie so niedrigem Stande angehört.«

»Was hinter unserm Rücken angefangen, mag auch, ohne daß wir uns hineinmischen, abgebrochen werden,« sagte die sonst so sanfte Frau erregt. – Dann fuhr sie weiter fort: »Mein Sohn, prüfe dich ernstlich vor Gott und handle danach; ich hoffe, du wirst das Rechte treffen. Versuche heute abend nicht noch einmal mit dem Vater zu reden.«

»Ich werde mit dem letzten Zug nach D. zurückkehren und nächste Woche wiederkommen; sind dann eure Ansichten noch dieselben – wohlan, so muß ich mich fügen, so bittersauer es mir wird. Aber dann, Mutter, sei versichert, daß ich keinem andern Mädchen meine Hand reiche. Einsam und öde wird mein Leben sein – und das – verdanke ich meinen Eltern!«

»O, mein Gott,« schluchzte Frau von Buchwald. »Waldemar, gehe nicht so fort!«

»Meine Zeit ist um. Lebewohl, Mutter.« Er berührte leicht ihre Hand und war verschwunden.

»Waldemar! Bleibe!« Doch er war hinten durch den Garten durch das bekannte Pförtchen enteilt, nachdem er flüchtig Röschen, die ihm nachlief, umarmt hatte mit den Worten: »Bete für mich, Rosa, daß ich der Anfechtung nicht unterliege.«

Es war ein schwerer Tag gewesen in Wiesendorf, dieser letzte Januar. Am Silvesterabend hatte Waldemar Hildegard seine Liebe gestanden und erst am Schluß des nächsten Monats war es in Wiesendorf zur offenen Aussprache gekommen. Als Waldemar an jenem Abend nach Hause kam, stand es bei ihm fest, in den ersten Tagen nach Wiesendorf zu gehen, sich den Segen der Eltern zu seiner Verbindung mit Hildegard zu erbitten. Er kam dort an. Aber was war's, das ihn zurückhielt, sein Geheimnis den Eltern zu offenbaren? Eine gewisse Befangenheit überfiel ihn, wenn er sich mit den Eltern allein sah. Ohne daß er es wollte, fing er an Vergleiche zu ziehen zwischen ihnen und der schlichten Frau im weißen Häubchen, die er oft verstohlen von Rothes Fenster aus beobachtet hatte; oder zwischen Rosa und dem etwas derb und gewöhnlich aussehenden Minchen, die er auch zuweilen am Fenster gesehen. Ihm kam alles doppelt vornehm und luxuriös vor, die Dienerschaft, das ganze Leben im Schloß, der Verkehr mit dem Adel der Umgegend. Dachte er jedoch nur an seine Hildegard, so erhellten sich seine Züge und er flüsterte leise die Worte: »Sie paßt in diese Umgebung; wenn die Eltern sie sehen, müssen sie ihre Zustimmung geben.« Er verschob die Unterredung auf den Nachmittag, doch, o weh, die Kaffeestunde, die er sich dazu ausersehen, wurde unterbrochen durch Besuch aus der Nachbarschaft. Rittmeister von T. mit Gemahlin und Töchtern hatten sich vorgenommen, Buchwalds einmal gründlich zu besuchen, sie blieben nicht nur den Nachmittag, sondern auch den Abend und Waldemar mußte gegen die Damen den Liebenswürdigen spielen, was ihm heute ungeheuer sauer war. Nun setzte er seine Hoffnung auf den Abend, wenn der Besuch fort sei. Das war der letzte Termin, den andern Morgen früh mußte er wieder in der Residenz sein, da er Dienst hatte.

Nun fing aber der Rittmeister bei Tisch ein Gespräch an, das Waldemar allen Mut nahm, sich seinen Eltern zu entdecken.

»Denken Sie nur, mein bester Herr von Buchwald,« begann er, »was mein Neffe uns für einen Streich spielt, verlobt sich da mir nichts dir nichts mit einem ganz simplen Mädchen aus bürgerlichem Stande und macht sich dadurch seiner ganzen Verwandtschaft höchst mißliebig.« – »Sehr schlimm, wenn die jungen Leute so wenig Vernunft entwickeln, so gar nicht auf ihren Stand und ihre Würde halten,« – erwiderte Herr von Buchwald. »Wer ist denn seine Auserwählte?« – »Eine Pastorstochter. Ein leidlich hübsches Mädchen, aber wissen Sie – sonst gar kein savoir vivre! Wie wird sie sich in unsern Kreisen benehmen! Es ist ein Unverstand, eine Taktlosigkeit.« – »Was sagen die Eltern?« – »Sind natürlich außer sich, tun alles, was sie können, die Sache zu hintertreiben. Aber es nützt nichts mehr! Arthur ist bis über die Ohren verliebt und Sie wissen, die Liebe macht dumm, verblendet« –

»Ich bin froh,« sagte Herr von Buchwald, »daß ich derartiges nie in unserer Familie erlebt und Gott gebe es! nie erleben werde. Ich bin stolz auf meinen Stand und meine Ahnen und bin der festen Zuversicht, daß meine Söhne wie ich denken und das edle Geschlecht derer von Buchwald nie durch eine Mißheirat entehren werden.«

Waldemar hatte anfangs regungslos dagesessen und war dem Gespräch mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt; um sich jedoch nicht zu verraten, wandte er sich an seine Nachbarin mit einigen gleichgültigen Worten. Als aber sein Vater ihn bei den zuletzt gesprochenen Worten ansah, gleichsam eine Antwort von ihm erwartend, sagte er fest: »Es gibt aber auch einen Adel der Seele, der mir höher zu stehen scheint als der Geburtsadel« –

»Und den kann jedes Mädchen haben,« fügte Frau von Buchwald hinzu. »Überdies kann man einem Pfarrtöchterlein doch auch die Bildung nicht absprechen. Ich finde diesen Fall noch lange nicht so schlimm, als wenn ein junger Mann von edlem Stande sich mit einem Mädchen aus den untern Schichten der Bevölkerung verbindet, wie es ja leider auch vorkommt. Ein schönes Gesicht« – –

Hier trat der Diener ein und das Gespräch wurde abgebrochen. Waldemar hatte genug gehört! Es war nicht zu verwundern, daß er abreiste, ohne gesprochen zu haben. Noch einige Male wiederholte er seine Besuche kurz hintereinander und suchte nach günstiger Gelegenheit, sich seinen Eltern zu entdecken, aber je länger er es aufschob, desto schwerer ward es. Einmal waren die Eltern nicht zu Hause, dann waren sie durch Besuch in Anspruch genommen, oder sein Vater schien ihm nicht in der geeigneten Stimmung – kurz, es verging ein Tag nach dem andern, eine Woche um die andere, ohne daß er zum Ziel gelangte. Wenn nun aus diesem Grunde ein schwerer Druck auf ihm lag, so war er auf der andern Seite hoch beglückt durch den Gedanken, sich von dem schönen, stolzen Mädchen geliebt zu wissen. Das war, seiner Meinung nach, die Hauptsache; alles andere mußte und würde sich finden! Wie verlangte sein Herz, sie wiederzusehen, sie als seine teuer geliebte Braut zu umschließen! Er durfte sich jetzt ihr jedoch nicht nähern, ohne den elterlichen Segen mitzubringen. Wie feige mußte er ihr erscheinen, daß er so lange zögerte! Er beschloß zu handeln, – noch heute seinen Eltern schriftlich alles darzulegen, und sie um baldigen, mündlichen Bescheid zu bitten.

Er schilderte sein erstes Begegnen mit Hildegard in beredten Farben, legte seinen Eltern dar, wie sie sein guter Engel gewesen, der ihn auf rechte Bahn geleitet, wie nun Liebe und Dankbarkeit ihn dränge, sie ganz zu seinem Eigentum zu machen, zumal er wisse, daß auch er ihr nicht gleichgültig sei. In kindlicher, ehrerbietiger Weise war der Brief abgefaßt. Er hatte den Eltern nicht verhehlt, daß Hildegard arm und aus niedrigem Stande sei, aber die Hoffnung ausgesprochen, sie werden alle Vorurteile fahren lassen, sobald sie sie gesehen usw.

Darauf erfolgte in Kürze folgende Antwort: »Lieber Sohn! Dein Brief hat uns in große Betrübnis und Aufregung versetzt. Papa ist sehr ärgerlich. Er läßt dir sagen, morgen mit dem ersten Zug hierher zu kommen, da die Sache mündlich erledigt werden soll. – Wir hoffen, es ist eine Übereilung von deiner Seite. Es erwartet dich – deine treue Mutter.«

Das war ein kurzer, wenig Hoffnung verheißender Brief. Und doch reiste Waldemar ab in der festen Zuversicht, es werde alles glücklich enden!

Wir haben bereits gesehen, wie die Eltern dachten und die Sache auffaßten. Der Vater, der es für eine bloße Kinderei, für eine Liebschaft, die nicht viel auf sich hatte, gehalten, wurde immer aufgeregter, als er merkte, daß Waldemar bereits eine tiefgehende Neigung zu dem Mädchen gefaßt hatte. Es erfolgte eine heftige Szene zwischen Vater und Sohn, die damit endete, daß Herr von Buchwald mit Enterbung, mit Entziehung aller väterlichen Liebe drohte, wenn Waldemar sich nicht entschlöße, den Gedanken an die Verbindung mit einer Person aus niederem Stande aufzugeben. Die sanfte Mutter, die sonst stets die Vermittlerin war, wenn es zwischen Vater und Sohn kleine Mißhelligkeiten gab, hätte auch hier gern alles zum Frieden gewendet, wenn sie nicht selbst zu sehr überzeugt gewesen wäre, daß Waldemars Handlungsweise eine durchaus tadelnswerte sei. Sie konnte nur bitten, daß der Vater Geduld habe und nicht im Zorn Worte rede, die er später zu bereuen habe.

Nach Waldemars Abreise vergingen einige Tage in Wiesendorf in banger Schwüle. Frau von Buchwald trieb es, die Sache mit einer befreundeten Seele zu besprechen, sich Rats zu erholen. Wo glaubte sie ihn besser zu finden als bei der Professorin? Hatte sie doch von Waldemar gehört, daß er Hildegard im Rotheschen Hause näher kennen gelernt. Sie ahnte gewiß etwas von der Sache, von ihr konnte sie vielleicht noch näheres erfahren und auf ihre Verschwiegenheit konnte sie bauen. Sie fuhr also in die Stadt und begab sich sofort in die Steinstraße. Kurt war noch in der Schule, so hatte sie genügende Zeit, mit der Professorin allein zu reden. Doch leider traf sie dieselbe nicht zu Hause – auf Warten wollte sie sich nicht einlassen. Da fiel ihr plötzlich ein, daß ihre Jugendfreundin, die Geheimrätin von Rosen, ganz in der Nähe wohne. Zu ihr wollte sie gehen und dann später wieder bei Professors vorsprechen.

Sie machte also einen Besuch bei Frau von Rosen, die sie freundlichst aufnahm. Die Damen sprachen von alten Zeiten und versenkten sich in Jugenderinnerungen, doch bald nahm das Gespräch eine andere Wendung. Frau von Buchwald eröffnete ihrer Freundin alles, was ihr Herz bedrückte.

Hildegard hatte soeben eine Klavierstunde, die sie dem ältesten Töchterchen gegeben, beendet. Es war ein schöner, klarer Frosttag, so daß der übliche Mittagsspaziergang unternommen werden konnte. Es mochte ihr das Spazierengehen ebenso notwendig sein als den Kindern, denn ihre Wangen waren bleich und ihr sonst so fester Gang hatte etwas schlaffes, unsicheres bekommen. Die Mutter sah sie mit Sorge an. Sie wußte wohl, daß dies ungewisse Warten, das lange Schweigen von Waldemars Seite, Hildegards Unwohlsein hervorgerufen hatte.

Nun hatte Frau Schmidt heute morgen von ihrem Bruder, einem alten, alleinstehenden Witwer in einem etwa drei Stunden entfernten Ort, Nachricht erhalten, daß derselbe erkrankt sei und bitten ließ, eine ihrer Töchter einige Zeit zu seiner Pflege senden zu wollen. »Wer will gehen?« hatte sie lächelnd gefragt. »Mich halten meine Stunden,« hatte Hildegard entschieden geantwortet, »und wenn Minchen geht, will ich mich außer den Stunden der Wirtschaft annehmen, damit du, liebes Mütterlein, keine Not leidest.« »Willst du, Minchen?« »Muß wohl,« hatte die gutmütige Schwester geantwortet, »was soll sonst der arme Onkel anfangen?«

So war beschlossen worden, daß Minchen den andern Tag abreisen sollte, und Hildegard war in die erste Etage gegangen, um ihren kleinen Mädchen eine Stunde zu erteilen. Sie rüstete sich nun, wie gesagt, zum Spaziergang. Die Kinder ließen sich von der Jungfer ankleiden, und Hildegard fiel es ein, der gnädigen Frau ein Buch, welches dieselbe ihr geliehen hatte, zurückzugeben. Sie war in das vordere Zimmer getreten, das nur durch eine Portiere vom Salon getrennt war. Lautes Sprechen tat ihr kund, daß ein Besuch bei der gnädigen Frau sei. Sie wollte das Buch auf den Tisch legen und das Zimmer wieder verlassen, als Worte, die sie hörte, sie an der Stelle, wo sie stand, festbannten.

»Meine liebe Frau von Buchwald,« hörte sie Frau von Rosen sagen, »beunruhigen Sie sich doch nicht so um diese Geschichte. Ich sage Ihnen, es ist nichts als eine kleine Liebschaft, wie sie bei den jungen Offizieren hundertmal vorkommt. Sie haben Ihrem Waldemar ganz entschieden Ihre Meinung gesagt, er wird einige Zeit ungehalten sein, sich einbilden, unglücklich zu sein, aber binnen Jahresfrist ist die Geschichte vergessen, er denkt nicht mehr daran. Sie sagten eben, er werde nach Ihres Onkels Tode das große Fideikommiß der Familie mit dem Grafentitel überkommen; da versteht es sich ja von vornherein, daß er keine Verbindung eingeht, die so wenig ebenbürtig ist.« – »Freilich, freilich,« sagte Frau von Buchwald. »Ich fasse gar nicht, wie Waldemar so ohne Vernunft und Verstand handeln kann.« »Ein hübsches Gesicht und vielleicht« – »Kokette Manieren, wie sie diese Mädchen aus niedrigem Stande oft haben,« fiel Frau von Rosen schnell ein. »Doch sagen Sie mir, Liebste, wie heißt denn eigentlich die Person, die ihn so betört« – –

»Die Person steht vor Ihnen,« sagte plötzlich eine laute Stimme fest und sicher. Und in der Tür stand Hildegard hoch aufgerichtet. Eine glühende Röte bedeckte ihr Angesicht, in ihren schönen Augen blitzte und zuckte es, ein edler Stolz sprach aus ihren Zügen, ihre ganze Gestalt drückte eine solche Hoheit und Unnahbarkeit aus und wirkte so imponierend auf die beiden Damen, daß dieselben, ganz verwirrt, keine Worte fanden, sondern sich stumm und verlegen ansahen.

»Sagen Sie Ihrem Sohn,« fuhr Hildegard, zu Frau von Buchwald gewendet, fort, »daß er frei ist. Ich will ihn weder seiner Güter noch Titel berauben, noch ihn seinen Eltern entziehen. Ich will und mag nicht aus Barmherzigkeit in eine Familie aufgenommen werden, die sich meiner schämen zu müssen meint, – ich will und mag mich nicht als eine Person behandeln lassen, die den Herrn Sohn durch ihre koketten Manieren an sich gelockt. Wenn auch niedrig und gering, wenn auch arm an irdischen Gütern, so habe ich von meiner Mutter ein anderes Erbteil überkommen. Sie hat mich gelehrt, wie eine Jungfrau ihre Krone hoch tragen soll. Diesen Schmuck mir zu bewahren, soll meine höchste Zierde sein. Ich beklage es tief, eine Neigung in Ihrem Sohn erweckt zu haben, Gott weiß es, es war nicht meine Schuld. Aber nie werde ich die Seine, Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, gnädige Frau, ich werde seine Wege nicht wieder kreuzen.«

Und ohne die Damen eines weiteren Blickes zu würdigen, schritt sie mit stolz erhobenem Haupt durch die Tür.

Die beiden Damen saßen eine Weile stumm und regungslos und starrten nach der Tür, als erwarteten sie, daß noch etwas Unerhörtes sich ereignen müsse, dann fand Frau von Rosen endlich Worte. Sie rief aus: »Ist es möglich! Fräulein Schmidt, der ich meine Kinder anvertraut, unterhält ein Verhältnis mit einem Offizier! O, wie schrecklich –«

»Ein Verhältnis ist es durchaus noch nicht,« sagte Frau von Buchwald gereizt. »Übrigens bin ich durch die Erscheinung des Mädchens ganz betroffen. Sie hat nichts Gewöhnliches. Man könnte sie sich in unsern Kreisen denken! Aber die Familie, der Anhang –«

»Seien Sie froh, meine beste Frau von Buchwald, daß sich die Sache so gelöst hat. Ich werde das Fräulein sofort durch ein Billet benachrichtigen, daß sie ihrer Pflichten bei mir enthoben ist. Hoffentlich ist sie so gescheit, sich hier baldmöglichst unsichtbar zu machen.«

»Und ich werde mich sofort zu meinem Sohn begeben und ihm das soeben Erlebte mitteilen, ihm sagen, daß das Mädchen auf das bestimmteste erklärt hatte, nie die Seine werden zu wollen.«

Hildegard ging in größter Erregung und Eile die Treppe hinauf. Als sie oben ankam, wich die Erregung einer vollständigen Abgespanntheit. Die Röte war verschwunden und hatte einer auffallenden Blässe Platz gemacht. Sie sank erschöpft in einen Stuhl, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und rang mühsam nach Atem. Die Mutter, die sie angstvoll beobachtet hatte, streichelte sanft das Haupt und sagte mit trauriger Stimme: »Mein liebes Kind, du hast Schweres erlebt, sage mir alles, daß ich dich tröste.« Und Hildegard berichtete unter Schluchzen und Weinen die erfahrene Demütigung.

Die Mutter wurde erregter, als Hildegard es für möglich gehalten. »Meinem Kinde soll man nicht so begegnen! Du brauchst es dir nicht gefallen zu lassen. Ich gehe zu den Damen und erkläre ihnen. Warte, es soll alles gut werden. Deine« –

»Halt ein, liebe Mutter,« sagte nun Hildegard mit fester Stimme. »Ich habe von Anfang an gewußt, wohin diese unglückliche Neigung führen würde! Ich reise morgen ab. Gott hat für ein Plätzchen gesorgt. Ich gehe zum Onkel und übernehme die Pflege.«

Mit diesen Worten war sie aufgestanden und in ihr Schlafkämmerlein gegangen. Als sie herauskam, war sie ruhig geworden. Ihr Gesicht trug den Stempel des Friedens, den die Welt nicht kennt, ihre Seele war stille geworden. Sie ordnete mit sicherer Hand ihre Angelegenheiten, packte den kleinen Reisekoffer und suchte ihrer Mutter gegenüber heiter zu erscheinen. Wenig ahnte sie, was dies treue Mutterherz bewegte! »Wäre die Sache nicht zu unglaublich, hätte ich eine Spur von den Großeltern, so würde ich keinen Augenblick zögern, mit Buchwalds zu sprechen. Aber so ist es zu gewagt. Es hieße Gottes Vorsehung vorgreifen,« dachte die Mutter. Sie schaute gläubig aufwärts und sprach: »Ihn, ihn laß tun und walten, Er ist ein Weiser Fürst Und wird sich so verhalten, Daß du dich wundern wirst.« –

Nachdem Emma am andern Morgen den Wagen hatte abfahren sehen, hatte sie auf dem Vorsaal zu tun und hörte laute Schritte eilig die Treppe heraufkommen. Es wurde stürmisch geklingelt. Als sie öffnete, stand Waldemar mit erregtem Gesicht vor ihr. »Fräulein Emma, es ist gut, daß ich Sie treffe, gestatten Sie mir, einen Augenblick allein mit Ihnen zu reden?«

»Mit mir?« sagte Emma erstaunt –

»Ja – wenn ich Ihnen mein Vertrauen schenken darf?«

»Ich glaube, ich weiß alles,« sagte Emma leise, ihn traurig und mitleidig anblickend. »Nicht wahr, es hängt mit Fräulein Hildegards Abreise zusammen?«

»Abreise? Hildegards Abreise? Ist sie denn abgereist?« rief Waldemar in einem Ton so wilden Schmerzes, daß Emma, fürchtend, er möchte gehört werden, schnell die Salontür öffnete und ihn bat einzutreten.

Als die Tür sich hinter ihnen schloß, rief er noch einmal: »Ist denn Hildegard wirklich abgereist? Konnten Sie mich nicht davon benachrichtigen?«

»Ich habe es selbst nicht gewußt und sie nur zufällig in den Wagen steigen sehen. Überdies, Herr von Buchwald, haben Sie uns ja nie merken lassen, daß Sie in irgend einer Beziehung zu Fräulein Schmidt stehen. Wenn ich nicht selbst am Silvesterabend unfreiwillige Zeugin einer Szene gewesen, wenn mir darnach nicht Fräulein Schmidt ein Geständnis gemacht, hätte ich keine Ahnung davon. Denn der Gedanke einer Verbindung zwischen Ihnen und dem armen Mädchen liegt zu weit, hat soviel Unwahrscheinliches –«

»Also Sie halten es auch für unmöglich, daß ein adeliger Leutnant sich mit einem bürgerlichen Mädchen verlobt?«

»Nicht nur für unmöglich, sondern auch für unrecht. Die Standesunterschiede sind einmal von Gott verordnet und ich ersehe keinen Segen darin, wenn Sie, ohne Genehmigung Ihrer Eltern, sich mit einem Mädchen aus den niederen Ständen verbinden.«

»Und woher wissen Sie, daß meine Eltern ihre Einwilligung versagen?«

»So wie ich dieselben kenne, habe ich es nicht anders erwartet und deshalb habe ich mit Kummer auf die weitere Entwicklung dieser unglücklichen Geschichte gesehen. Heute morgen, als ich Hildegard abreisen sah, ahnte ich, daß etwas vorgefallen sei, und nun –«

»Will ich Ihnen sagen, daß allerdings viel vorgefallen ist.« Er erzählte in kurzen, abgebrochenen Sätzen, daß er gestern nicht zu Hause gewesen und abends gehört, daß seine Mutter nach ihm gefragt habe. Er habe, in seinem Zimmer angekommen, einen Brief von derselben gefunden, in dem sie ihm die Begegnung mit Hildegard geschildert und deren festen Entschluß, nie die Seinige werden zu wollen. Er habe gleich geahnt, daß Hildegard beleidigt sein müsse; seine Mutter hatte die Sache nicht ganz klar dargestellt, auch wohl das Tiefverletzende ausgelassen. Nun sei er hergekommen, um sich hier Rats zu erholen, denn sehen müsse und wolle er Hildegard. Er wolle Klarheit haben. Nun sei sie abgereist, niemand wisse wohin! Was nun tun!

Emma sah unruhig aus. Sie hatte sich schon in verschiedenen Situationen bewegt, in dieser wußte sie sich nicht zu benehmen. Also kurz entschlossen stand sie auf, suchte die Tante, und nachdem sie dieselbe von dem Vorgefallenen unterrichtet hatte, bat sie sie, an ihrer Statt mit dem jungen Leutnant zu reden.

Die Professorin ging zu ihm. Ihr mütterliches, freundliches Wesen entlockte ihm bald das ganze Geheimnis. Ihre reiche Erfahrung, ihre gesunde Anschauung der Dinge im Lichte des Wortes Gottes ließen sie bald die rechten Worte finden. Sie riet ihm, stille zu warten, und sollten Jahre darüber hingehen. »Wird Ihre Liebe sich dann bewährt haben, werden Sie dem Mädchen die Treue gehalten haben in echter, christlicher Weise, dann wird Gott Sie zusammenführen und die Herzen Ihrer Eltern lenken. Entfremden Sie sich nicht dem Elternhause, beugen Sie sich in willigem Gehorsam unter den Willen Ihres Vaters, dann wird die Verheißung, die auf dem vierten Gebot liegt, an Ihnen in Erfüllung gehen. Der Eltern Segen bauet den Kindern Häuser!«

Waldemar war ruhiger geworden unter den sanften Worten der trefflichen Frau. Er ergriff ihre Hand und küßte dieselbe, dann stand er schnell auf sich zu verabschieden.

»Warten Sie einen Augenblick,« sagte die Professorin, »ich möchte Ihnen ein Buch holen, Sie werden manches Beherzigenswerte darin finden. Wenn Sie's gelesen, bringen Sie es wieder. Überhaupt besuchen Sie uns so oft Sie mögen, so oft es Ihre Zeit erlaubt!«

»Ich werde wohl nicht allzulange hier sein,« seufzte Waldemar. »Mich zieht's in die weite Welt hinaus. Wenn der Mann in der Heimat nicht Wurzel fassen kann, muß er in die Fremde.« Die Professorin war hinausgegangen, das besprochene Buch zu holen. Waldemar bemerkte jetzt, daß er im Eifer des Gesprächs ein Buch, das auf dem Tisch gelegen, ergriffen hatte. Er sah hinein. Der Name der Eigentümerin stand auf dem ersten Blatt. »Album. Hildegard Schmidt.« Er blätterte darin. »Verse und Erinnerungen an Schulbekannte und Freundinnen.« Schnell zog er einen Bleistift aus der Tasche und schrieb auf die letzte Seite des Buches mit deutlicher, fester Hand:

»Behüt dich Gott, es wär' so schön gewesen,
Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein.

Ihr bis in den Tod getreuer
W. v. B.«

 


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