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Der Westfälische Frieden

»Was uns Teutschen bisher mehr gemangelt«, sagte der deutsche Jesuit Scherer, »ist der freudige Mut und ein unerschrockenes Herz. An großen Federbüschen hat es nicht gemangelt, auch nicht an vielscheckiger Kleidung, noch an Helmen und Sturmhauben … Das Herz, das Herz, sage ich, das man pflegt wider die armen Leute und Untertanen zu brauchen, das ist uns gegen den Feind abgangen, denn sobald es zum Ernst kommen, hat sich der Hase im Busen gerührt, und das Herz ist in die Schuh hinuntergefallen. Wie denn noch in diesem Lager auf ein verzagt Geschrei ›der Türke kommt‹ eine schändliche Flucht sich erhebt.« Dies Urteil mag überraschen, wenn man daran denkt, daß im Ausland die Deutschen wesentlich als kriegerische Nation galten und irgendein Verdienst auf anderem Gebiet ihnen kaum zugestanden wurde. Indessen hatte sich wirklich schon in den Hussitenkriegen eine erschreckende Unfähigkeit der deutschen Heere, die zahlenmäßig dem Gegner oft weit überlegen waren, gezeigt. Auch im Schwabenkriege konnten die deutschen Truppen den schweizerischen nirgends standhalten. Erst die geschulten Landsknechte, die Maximilian I. gebildet und geübt hatte, konnten es unter großen Führern, wie Frundsberg einer war, mit den sieggewohnten Schweizern aufnehmen. Aber auch Frundsberg lobte seine Knaben hauptsächlich, wenn sie einen Pokal Wein im Busen hätten. Bei bevorstehendem Sturm auf eine Stadt pflegte man die Truppe durch Wein zu ermutigen, und wenn wenig Wein vorhanden war, teilte man ihn zuerst unter die Deutschen aus; Spanier und Italiener begnügten sich allenfalls mit Wasser. Im Laufe des 16. Jahrhunderts hatten sich die Spanier als die besten Soldaten erwiesen; sie wurden verhältnismäßig gut bezahlt und gut geführt, Alba war fast unwiderstehlich. Von regelmäßiger Bezahlung hing viel ab. Der sparsame und ordentliche Herzog Maximilian und der ebenso geartete Tilly sorgten so gut wie möglich dafür, wie auch für Manneszucht, und richteten viel damit aus: Ihre Armee stach vorteilhaft ab von denen Mansfelds und Christians von Braunschweig, die auf erzwungene Kontributionen und auf Raub angewiesen waren und sich dadurch an Gewalttätigkeit gewöhnten. Vollends zeichneten sich die schwedischen Soldaten durch ihre Haltung aus, fromme, anständige Bauern, die als Retter ihres Glaubens und im Gehorsam ihres Königs und Vorbildes in den Krieg zogen. Allein, nachdem die zuerst mit Gustav Adolf Herübergekommenen gefallen waren, änderte auch dies Heer seinen Charakter, wie denn überhaupt, je länger der Krieg dauerte, der Auswurf, den der Krieg selbst erzeugte, sich in den Heeren sammelte: heimatlos und brotlos Gewordene, die bei den Soldaten ihr Leben zu fristen suchten. Dies zusammengelaufene Gesindel ohne Erinnerung und Hoffnung mochte rauflustig sein, aber Tapferkeit, Zucht erwarb es sich nicht. Nach der Schlacht bei Lützen und nach der zweiten Schlacht bei Breitenfeld hielt Wallenstein Strafgerichte über die Regimenter ab, die sich durch Feigheit ehrlos gemacht hätten. Daneben fehlte es nicht an Taten des Mutes und tapferen Ausharrens. Die Offiziere pflegten ihre Truppen persönlich in den Kampf zu führen, wie denn auch die Verluste an hohen Offizieren sehr groß waren. Im allgemeinen nahm das kriegerische Ansehen der Deutschen sehr ab; die Figur des prahlerischen Bramarbas, der einen riesigen Federbusch auf dem Kopf, welsche Flüche im Munde und ein Hasenherz in der Brust hat, wurde typisch für sie. Nach dem Tode Gustav Adolfs, dessen Art der Kriegführung überraschend und umwälzend wirkte, ging der Ruhm der Waffen auf die Franzosen über. Schweden und Frankreich übten denn auch bei den Friedensverhandlungen den stärksten Einfluß aus.

Seit dem Jahre 1643 waren in Münster die katholischen, in Osnabrück die protestantischen Abgeordneten aller im Kriege beteiligten Staaten versammelt, um die Friedensbedingungen festzusetzen. Während die Heere sich Schlachten lieferten, Bürger und Bauern unter der Brutalität der Soldateska ächzten, das deutsche Land ausgesogen wurde, stritten die Gesandten um das Zeremoniell bei ihren Sitzungen und feilschten um die Vorteile, die sie für ihre Auftraggeber herauszupressen suchten. Die größte Schwierigkeit bildete die Entschädigung Frankreichs und Schwedens. Unabänderlich war die Abtretung eines Teils von Pommern an Schweden, des Elsaß an Frankreich; den Verlust zweier schöner, rein deutscher Länder mußte Deutschland über sich ergehen lassen. Schon vor dem Dreißigjährigen Kriege hatte Ferdinand II. heimlich das Elsaß Spanien versprochen; das war bei der engen Verbundenheit von Spanien und Österreich keine so einschneidende, so bedrohliche Veränderung wie die Abtretung an Frankreich. Spanien, das gehofft hatte, sich aus dem Elsaß und der Pfalz ein Nebenland zu bilden, war im Laufe der letzten Jahrzehnte durch Frankreich aus seiner Vormachtsstellung verdrängt worden; es mußte seinen Plan aufgeben, eine Brücke zum habsburgischen Österreich herzustellen. Da Frankreich seine Absicht, möglichst viel zu bekommen, Österreich seine Absicht, möglichst wenig herzugeben, im Augenblick nicht durchsetzen konnten, faßten sie die die Abtretung betreffenden Artikel wie zwei Betrüger ab, die sich die Möglichkeit offenlassen wollen, einander bei Gelegenheit übers Ohr zu hauen, so zwar, daß Österreich, als dem schwächeren Teil, die weitaus schwächeren Anhaltepunkte blieben. Man kann den betreffenden Abschnitt nicht lesen, ohne zu staunen, daß zwei Vertragschließende sich auf eine so aufdringlich absichtliche Verdunkelung einigten. Der heikelste Punkt war der, daß im Elsaß mehrere Reichsstädte, darunter Straßburg, lagen, die, wenn von der Landgrafschaft Elsaß die Rede war, selbstverständlich nicht darin inbegriffen waren, die aber ebenso selbstverständlich Frankreich mit dem Elsaß sich aneignen wollte. Zuerst verzichtet der Kaiser und das gesamte Haus Österreich auf die Landgrafschaft von Ober- und Unterelsaß, auf den Sundgau und auf die Landvogtei über die zehn im Elsaß gelegenen Reichsstädte, und sie übertragen dies alles auf den König und das Königreich Frankreich, und zwar mit voller Souveränität in alle Ewigkeit, ohne daß Kaiser und Reich irgend etwas von Recht oder Macht in diesen Ländern beanspruchen dürfen. »Der Allerchristlichste König«, heißt es dann, »ist verpflichtet, nicht nur die Bischöfe von Basel und Straßburg, nebst der Stadt Straßburg, sondern auch die übrigen reichsunmittelbaren Stände in Ober- und Niederelsaß, nämlich die Äbte von Murbach … desgleichen die genannten zehn Reichsstädte … in der Freiheit und im Besitze der Reichsunmittelbarkeit zu belassen, deren sie sich bisher erfreut haben … So jedoch, daß durch diese gegenwärtige Deklaration allem dem oben zugestandenen Souveränitätsrecht kein Abbruch geschehen soll.« Offenbar war also an Frankreich nur die Landvogtei über die reichsunmittelbaren Stände im Elsaß abgetreten; aber auf die volle Souveränität hin konnte es doch zu gelegener Zeit die Hand auf sie legen. Ein Gegenstück dazu war, daß die Stadt Breisach Frankreich überlassen wurde, während der Breisgau, dessen Hauptstadt Breisach war, Österreich verblieb. Der Umstand, daß Frankreich durch den Krieg mit Spanien, in dem es begriffen war, und durch innere Unruhen beschäftigt war, erhielt den umgarnten Reichsständen für einige Jahrzehnte noch ihr selbständiges Dasein, und Frankreich verschob seine Eroberungsgelüste auf eine günstigere Zeit, Österreich hoffte vergebens, das Entrissene unter glücklicheren Umständen zurückzugewinnen. Auch die Abtretung von Vorpommern und einem Teil von Hinterpommern an Schweden enthielt, wenn die Abfassung auch nicht so dunkel war wie die das Elsaß betreffenden Artikel, den Keim zu späteren Kriegen in sich, indem eine Brandenburg benachteiligende Festsetzung der Grenze durch Schweden erzwungen war. Nur die allgemeine Friedenssehnsucht verhinderte, daß dieser Punkt schon jetzt den Krieg neu entzündete. Von den anderen Fragen, die die Gesandten beschäftigten, boten namentlich zwei fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Die eine betraf die Entlohnung und Entlassung der Armee. Die Soldaten mit Einschluß der Offiziere waren die einzigen Beteiligten, die das Ende des Krieges im allgemeinen nicht herbeiwünschten. Sie wagten zwar ihr Leben, aber solange sie es erhielten, hatten sie die besten Aussichten. Besonders die Offiziere bereicherten sich durch den Krieg. Die Erhebung der Kontributionen, die Plünderungen, die Auszahlung des Soldes an die Soldaten eröffneten gerade und schiefe Wege zu bedeutendem Gewinn; der gemeine Soldat mußte schon ins Räuberische ausschweifen, um zu prosperieren; aber an Gelegenheit dazu fehlte es nicht. Man konnte nicht wagen, so große Massen unbefriedigt zu entlassen; so entschloß man sich denn, fünf Millionen Gulden zur Entlohnung der Soldaten und Offiziere auszuwerfen. Die deutschen Reichsstände hatten die Summe aufzubringen. Der andere Punkt betraf die Religion.

Die Gleichberechtigung der drei christlichen Bekenntnisse, des katholischen, lutherischen und calvinischen, war der einzige Gewinn, den dieser auf Kosten Deutschlands geführte Krieg einbrachte. Nicht nur, daß die Alleinherrschaft der römisch-katholischen Kirche im Reich durchbrochen war, die Möglichkeit friedlichen Nebeneinanderlebens von Andersgläubigen war in gewissen Schranken gegeben. Es war eine Bestimmung von ungeheurer Bedeutung: dem von Nicolaus von Cusa ausgesprochenen Gedanken, daß die Gottheit nicht unmittelbar erkannt, daß sie im Spiegel der menschlichen Seele verschieden aufgefangen werde je nach der Beschaffenheit der Seele, wurde zum erstenmal im Abendlande durch öffentliche Einrichtungen Rechnung getragen. Wenn diese beschränkte Religionsfreiheit auch nur den Ständen, nicht den Untertanen zukam, so war man doch auf gewisse Erleichterungen auch für diese bedacht gewesen, wie denn Gottesdienst im Hause oder Besuch etwaigen Gottesdienstes in Nachbarorten den Andersgläubigen gestattet wurde. Sehr unfolgerichtig wollten die protestantischen Fürsten das jus reformandi, das sie selbst ausübten, dem Erzherzog von Österreich nicht zugestehen; die Rechtlosmachung ihrer zahlreichen Glaubensgenossen dort war ihnen so empfindlich, daß zeitweilig ein neuer Ausbruch des Krieges deswegen bevorzustehen schien. Es ist überaus merkwürdig, daß der venezianische Gesandte bei dieser Gelegenheit sagte, der Krieg, der bisher ein politischer gewesen sei, werde jetzt zu einem Religionskrieg werden. So sehr waren die religiösen und die politischen Interessen miteinander verquickt, daß ein Krieg, den wir als das gewaltigste Beispiel eines Religionskrieges zu betrachten gewohnt sind, einem der klügsten zeitgenössischen Beobachter als politischer Krieg gelten konnte. In der Tat, im Reiche waren die Gewinnenden, wenn man von den einzelnen reich gewordenen Offizieren absieht, die Fürsten. Was sie seit Jahrhunderten erstrebt hatten, die vollständige Unabhängigkeit, war erreicht: das Friedensinstrument erklärte sie zu souveränen Landesherren. Das Recht, Bündnisse mit auswärtigen Mächten zu schließen, das sie sich tatsächlich schon genommen hatten, wurde ihnen ausdrücklich, als der Souveränität inhärierend, gewährt; immerhin sollten die Bündnisse nicht gegen Kaiser und Reich gerichtet sein.

Das Bedürfnis, sich nach unten, also den Ständen gegenüber, ebenso unabhängig zu machen, wie es nach oben gelungen war, betrachteten die Fürsten als ihre nächste Aufgabe. Weitgehend hatte das bereits der Herzog von Bayern, der nunmehrige Kurfürst, erreicht, der im Jahre 1612 den Landtag zum letzten Male versammelte. Den äußersten Gegensatz dazu bildete Schwaben, das von vielen kleinen Reichsstädten durchsetzte, unter kleine Grundbesitzer verteilte Land. Da der schwäbische Adel größtenteils reichsunmittelbar war und die Prälaten keine große Rolle spielten, setzten sich die Stände fast ganz aus Bürgern zusammen; ihnen gelang es, die Magna Charta von 1514, die ihnen bedeutenden Einfluß sicherte, unverkürzt festzuhalten, so daß sich Württemberg in dem kommenden absolutistischen Zeitalter einer Verfassung mit demokratischem Einschlag rühmen konnte. Ebenso wie die Stände in den einzelnen Territorien waren durch den Absolutismus der Fürsten die kleinen Reichsstände bedroht, und dies war der Umstand, dessen sich der Kaiser bedienen konnte, um Einfluß im Reich zu gewinnen, trotzdem ihm so wenig Rechte geblieben waren. Unter Reich im engeren Sinne verstand man jetzt nicht mehr die Einheit der Fürsten gegenüber dem Kaiser, sondern die Einheit der kleineren Reichsstände, die auf der Hut vor den stärkeren häufig ihr Heil im Anschluß an den Kaiser suchten. Zu ihnen gehörten auch die Reichsstädte und die Reichsritterschaft, die diejenigen Fürsten, in deren Gebiet sie saßen, sich untertänig zu machen suchten. Eine rechtmäßige Handhabe, auf den Gang der Ereignisse zu wirken, hatte der Kaiser etwa noch dadurch, daß er fortfuhr, als Quell des Rechtes zu gelten, und daß das unter ihm stehende Reichshofgericht noch immer als ein Konkurrenzgericht neben dem Reichskammergericht tätig war.

Man sollte meinen, daß einem mächtigen Fürsten nicht viel an einer Würde gelegen hätte, die so bescheidene Vorteile bot und nicht wenig Kosten und Mühen auferlegte. Allein die habsburgische Dynastie, die seit Albrecht II., dem Schwiegersohn Kaiser Siegmunds, die höchste Krone der Christenheit ununterbrochen getragen hatte und sie fast erblich besaß, würde freiwillig nicht auf sie verzichtet haben. Noch immer umgab diese Krone in den Augen der Völker der magische Schimmer, den die Jahrhunderte verleihen, der ebenso unbeschreiblich wie unvertilgbar ist. Wie grotesk sich auch oft der Gegensatz zwischen den Ansprüchen des Kaisertums und seiner Ohnmacht auswirkte, ob der Erwählte sich und andern in der unförmlichen alten Krönungstracht wie ein wunderlicher Popanz vorkam, sie machte ihren Träger zu dem vornehmsten aller Monarchen, dem einzigen Kaiser unter Königen, dem es zukam, an der Spitze der christlichen Völker zur Überwindung der Türken auszuziehen.

Nach dem Grundsatz der Wiederherstellung des Alten war der Kongreß von Münster und Osnabrück im allgemeinen verfahren. An der Verfassung des Reiches war nichts Wesentliches geändert, wenn es auch nun acht Kurfürsten anstatt der Siebenzahl gab. Nach den verwüstenden Stürmen der Reformation und des Dreißigjährigen Krieges stand der alte Wunderbau scheinbar neubefestigt da; aber innen in den labyrinthischen Gewölben waren die Mittel der Zerstörung verborgen. Wäre nicht durch die Zweideutigkeit der Friedensbestimmung schon Anlaß zu neuen Kriegen und Einmischung fremder Staaten gegeben, so lag ein solcher sogar in der Verfassung selbst. Frankreich allerdings erhielt das Elsaß nicht als Lehen des Kaisers, sondern als souveränen Besitz. Man hatte sich darauf geeinigt, weil es auf deutscher Seite unerträglich erschien, Frankreich Sitz und Stimme auf dem Reichstage zu gewähren, und für Frankreich der uneingeschränkte Besitz vorteilhaft war. Schweden dagegen empfing Pommern als Lehen und wurde dadurch Reichsstand, und auch der König von Dänemark als Herzog von Schleswig, der Herzog von Savoyen, der seinen Ursprung auf Wittekind zurückführte und eine Zeitlang daran dachte, Kurfürst zu werden, der Herzog von Lothringen, der zugleich in Lehensbeziehungen zu Frankreich stand, hatten die Reichsstandschaft. Im Osten waren ungeklärte Verhältnisse dadurch, daß Polen der Lehensherr des Herzogs von Preußen war, daß aber das Reich sein Recht auf Preußen noch nicht eigentlich aufgegeben hatte. Wenn einst benachbarte Länder sich unter dem Zepter der Imperatoren gesammelt hatten, so mehrte das den Glanz des Mittelreiches; jetzt nisteten sich die Nachbarfürsten ein, um den Bau, dessen Glieder sie sich nannten, zu sprengen. Ein Reich aus Reichen, ein Riesenkörper, zusammengesetzt aus Körpern, von denen jeder ein durchgeformtes Individuum war, voller Gegensätze und Spannungen und doch schwer beweglich, nur sich selbst gefährlich, so lag das heilige Monstrum da, nachdem die Fieberwut des Krieges, die es geschüttelt hatte, erloschen war.

Es war ein Sonntag im Oktober, als in Münster, wohin zu diesem Zweck auch die Gesandtschaften von Osnabrück verlegt worden waren, unter Kanonendonner die Urkunden des Friedens unterzeichnet wurden. Am folgenden Sonntag fanden für alle Konfessionen Dankgottesdienste statt, und der Stadtsyndikus ritt im feierlichen Aufzug durch die Straßen, um den Frieden zu verkündigen. Kuriere eilten in alle Länder und zu den Armeen, um sie zur Niederlegung der Waffen aufzufordern. Paul Gerhard dichtete das schöne Friedensgedicht, in dem es hieß: »Wohlauf und nimm nun wieder – Dein Saitenspiel hervor – o Deutschland, singe Lieder – in hohem, vollem Chor!« Das aber war doch wohl zu viel verlangt. Als in Osnabrück der Stadtsyndikus den Frieden ausrief, standen Tränen in den Augen mancher Zuhörer. Man meinte, sie hätten der Enttäuschung darüber gegolten, daß infolge der Friedensbestimmungen der unbeliebte Bischof nach Osnabrück zurückkehrte; indessen waren es wohl die Tränen, die sich einstellen, wenn ein Glück so spät kommt, daß man es nicht mehr genießen kann. Was konnte der Frieden dem verarmten Bürger in den verarmten und bedrängten Städten geben? Was vollends dem Bauer, dessen Hütte verbrannt, dessen Vieh weggetrieben, dessen Kinder oft genug im Kriege verschollen, verdorben und gestorben waren? Auch änderte sich zunächst für die Bevölkerung noch nichts. Die Armeen, die den Diplomaten mißtrauten, legten die Waffen nicht nieder, bis die Friedensbestimmungen ausgeführt waren; darüber vergingen Monate. Die Rückgabe von geistlichen Gütern an die protestantischen Besitzer war nicht leicht durchzusetzen; die fünf Millionen, die zur Befriedigung des Heeres ausgesetzt waren, mußten vom deutschen Volke aufgebracht werden. Von den Glücklosen des Heeres zogen viele als verkrüppelte Bettler, hilflos und überall verhaßt durch das Land, andere, die noch heile Glieder hatten, lebten vom Raub, an den der Krieg sie gewöhnt hatte. Verwildert wie sie waren, wie hätten sie sich in die armseligen, umschränkten Arbeitsverhältnisse des Tages hineinfinden sollen?

An der Grenze dieses Reiches, von dem nur wenig Gegenden, wie Oldenburg und Hamburg, von dem Kriege verschont geblieben waren, gab es ein Land, das, wie in einen unüberschreitbaren Ring gezaubert, ihn dreißig Jahre lang nahebei gesehen und doch nicht von ihm berührt worden war, die schweizerische Eidgenossenschaft. Hier erhielten sich die Freiheit, der Reichtum, die Solidität der Städte, ihre wohlabgewogenen, erprobten Einrichtungen, die Überlieferungen einer ruhig ausreifenden Kultur. Überraschender ist die Kultur eines anderen deutschen Grenzlandes, Hollands, die ein Gebiet, das achtzig Jahre lang Krieg geführt hatte, mit ihren Früchten überschüttete. Beiden Ländern bestätigte der Westfälische Frieden ihre Selbständigkeit und die Unabhängigkeit vom Reiche, die tatsächlich schon lange bestanden hatte. Daß diese Trennung nun rechtlich ausgesprochen wurde, machte sie doch erst zu einer endgültigen; es war der Verlust zweier Länder, in denen gewisse Seiten des deutschen Wesens, Freiheitsliebe, Gerechtigkeitsliebe, Sachlichkeit zu besonders reiner Ausprägung gekommen waren.


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