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Aufschwung der katholischen Kirche

Ein spanischer Edelmann aus dem Hause, das durch verschiedene seiner Mitglieder fürstliches Ansehen erworben hat, Francisco Borja, war Stallmeister der Königin Isabella, der Gattin Karls V. Nach ihrem Tode war es seine Aufgabe, den Leichnam von Toledo nach Granada in die Gruft zu geleiten und dort zu beschwören, daß sie es sei. Bei der Eröffnung des Sarges, die zu diesem Zweck vorgenommen werden mußte, waren die edlen und lieblichen Züge Isabellas schon so zerstört, daß er sie nicht mehr erkennen konnte. Dieser Eindruck und der bald darauf erfolgende Tod seiner eignen geliebten Frau erschütterten ihn so, daß er sich, da seine Kinder ohnehin erwachsen waren, von der Welt schied und in den kürzlich von seinem Landsmann Loyola gegründeten Orden der Jesuiten eintrat. Die Borja waren mit der spanischen und der portugiesischen Dynastie verwandt und Francisco insbesondere bekannt und wohlgelitten. So wurde er, als er den Kaiser in San Yuste aufsuchte, freundlich empfangen; doch sagte der Kaiser, Freund des Althergebrachten und Feind aller Neuerungen, mißbilligend zu ihm, er begreife nicht, warum Francisco in den neuen Orden eingetreten sei, in dem es keine weißen Haare gebe, und der nicht im besten Rufe stehe. Die Jesuiten wurden nämlich von verschiedenen älteren Orden als Werkzeug des Satans und Vorläufer des Antichrist angegriffen, und Karl selbst hatte den übrigens verdienten Jesuiten Bobadilla wegen seiner Kritik des Interims aus dem Reiche verbannt. Borja erwiderte, daß jede Erscheinung an ihrer Quelle am besten sei und verteidigte außerdem den Orden mit so vielen Gründen, daß Karl milder über ihn zu denken begann.

Der neue Orden, der anfänglich auf so viel Widerwillen der Katholiken stieß, hat der Kirche, die vor dem Ansturm der Protestanten erschreckt zurückwich und ihre zündenden Ideen nur mit abgestorbenen, entwerteten zu bestreiten wußte, neue Kraft und neues Leben zugeführt. Der mittelalterliche Klerus war ein sehr gesicherter Stand, so gesichert, daß er anfänglich die allgemeine Kritik und Abneigung kaum beachten zu müssen glaubte. Die Geistlichen fühlten sich unerschütterlich im Besitz. Als der ernstliche Angriff kam, hatten sie der Begeisterung und Glaubensinnigkeit der Evangelischen nichts Gleiches oder Stärkeres entgegenzusetzen. Das Bewußtsein, Fehler begangen zu haben, lähmte sie, viele stimmten heimlich oder laut in die Vorwürfe ein, die gegen sie erhoben wurden. Die Jesuiten brachten ihnen das reine Gewissen, sie hatten die Angriffslust der unverbrauchten Glaubenskraft, sie lehrten sie, mit neuem Geiste neue Wege einzuschlagen.

Iñigo de Loyola ist bei seiner Schöpfung ebenso von seiner Eigenart und seinen persönlichen Erlebnissen ausgegangen wie Luther bei der seinigen. Sein Ehrgeiz, seine Abenteuerlust, seine visionäre Inbrunst, seine Lust an der Mechanisierung des Menschlichen haben sich in seiner Gründung gerade so verwirklicht, wie im Luthertum Luthers Gottinnigkeit, Luthers Sehnsucht nach Entbindung seiner geistigen Kräfte, Luthers Tiefsinn, seine Herrschsucht, seine geistige Freiheit, seine Überschätzung des Menschen. Will man den bedeutendsten und folgenreichsten Gegensatz bezeichnen, der zwischen beiden bestand, so ist es der, daß Luther die freie Betätigung der schaffenden Geisteskraft für ein Gut hielt, das alle Menschen ersehnen, und auf das alle Menschen ein Recht haben, während Loyola die Neigung des Menschen, sich alles Denken, Wählen und Verantworten abnehmen zu lassen, benützte, um aus den Menschen ein nutzbares Werkzeug, einen lebendigen Mechanismus zu machen. Er verglich deshalb seinen Orden mit einem Heer und stattete die höheren Beamten des Ordens mit einer Gewalt aus, wie Offiziere sie über ihre Untergebenen haben. Wenn Luther den Christen mit einem Ritter oder Soldaten verglich, wie die Bibel es oft tut, dachte er dabei nicht an die Disziplin eines Regiments, wo Fahnenflüchtige durch die Spieße gejagt werden, sondern an den Heldenmut derer, die sich für ihre Überzeugung einsetzen. Erst wenn man Luthers Werk mit dem Loyolas vergleicht, erkennt man, daß Luther recht hatte, sich der Befreier zu nennen, was man über den Härten seiner Kirchengründung und seiner übermäßigen Betonung des Untertanengehorsams wohl vergißt. Gregor de Valencia, ein sehr angesehener spanischer Jesuit, sagte, daß Menschen von der wahren Lehre Christi abirrten, könne geschehen, weil sie den Maßstab außer acht ließen, wonach man unterscheide, ob etwas sichere Lehre Christi sei oder nicht. Habe man die Norm vor Augen, so sei mit Leichtigkeit in allen Streitfragen die Wahrheit gefunden. »Ich will nun«, sagte er, »den sicheren Weg zu dieser Norm zeigen. Die Norm ist der Papst.« Es gibt also nach ihm keine Wahrheit, kein Recht an sich: wahr und recht ist der Wille der Oberen, sei es der des Generals oder der des Papstes. Luther kam es gerade darauf an, die Menschen von Menschensatzung in der Beziehung zum Göttlichen zu befreien. Das Gerüst von Dogmen, das er aufgestellt hat, ist der Heiligen Schrift entnommen, die die einzige Quelle des Glaubens für den evangelischen Christen sein soll. Indem Luther seinen Anhängern empfahl, sie zu lesen, ein unerschöpfliches Lebensbuch, eröffnete er ihnen eine fast schrankenlose Freiheit, verwies er sie im Grunde auf ihr eigenes Gewissen, wobei freilich vorausgesetzt ist, daß das Gewissen von Gott eingepflanzt ist und daß das Wort und Gesetz Gottes in ihm widerhallt. Diese geistige Freiheit neben dem dogmatischen Bekenntnis ist trotz der Gefahren, die sie mit sich bringt, und die sich so bald zeigten, ein unveräußerlicher, herrlicher Besitz der Protestanten. Die Leistungen des Jesuitenordens waren in den ersten 50 Jahren seines Bestehens außerordentlich und auch später zuverlässig, wie die einer exakt funktionierenden Maschine, während die lutherische Kirche im ganzen wenig fruchtbar war; aber der Geist Luthers und der Heiligen Schrift wirkte innerhalb und außerhalb der Kirche unberechenbar, lindernd und lösend, schöpferische Kräfte weckend.

Nach der Lehre des Loyola, die eine Frucht langer, reiflicher Überlegung war, sollte die Erziehung des Jesuiten auf einer Wechselwirkung von Befehl und Gehorsam beruhen, wobei die Gehorchenden naturgemäß in der Mehrzahl waren. Der Gehorsam entwickelte sich in der Reihenfolge des Gehorsams der Tat, des Willens und der Gedanken. Es ist leicht, zu tun, was der Obere befiehlt, schwerer zu wollen, was er will, am schwersten und am lobenswertesten zu denken, was er denkt. Sorgfältige Übungen bereiteten den Zögling darauf vor, auf Befehl befohlene Vorstellungen zu hegen, fallen zu lassen, wiederaufzunehmen, auf Befehl bestimmte Gedankengänge zu verfolgen. Diese Übungen und die Erforschung des Gewissens, die jede Regung der Gedanken und Empfindungen dem Vorgesetzten bloßlegten, bildeten Menschen aus, die, wenn sie nicht sehr geschickte Heuchler waren, sich in vorgeschriebenen Gedanken bewegten. Es war zwar dem Untergebenen erlaubt, wenn er einen Befehl für sündhaft hielt, dies dem Vorgesetzten vorzustellen; aber es war nicht anzunehmen, daß nach mehrjähriger derartiger Bearbeitung Kritik sich noch regte. Indessen sollte die Unterwürfigkeit durchaus nicht auf Verdummung begründet sein. Der Jesuit sollte unterrichtet, klug, schneidig, selbsttätig wie ein Soldat sein, der in schwieriger Lage, auf sich allein gestellt, selbst einen Ausweg finden muß. Er sollte ein selbständig handelnder Mensch sein; aber das Ziel und die Mittel seines Handelns sollte er mit den Augen seines Vorgesetzten sehen. Indem er angewiesen war, seinem jeweiligen Vorgesetzten sich so hinzugeben, als ob er Gott wäre, da er ja an Gottes Statt stehe, war er von Gott selbst abgeschnitten. Der Spruch: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen, den die Protestanten so häufig anführten, hatte für den Jesuitenzögling keine Bedeutung. Der Inhalt und Zustand seines Gewissens hing von seinem Vorgesetzten ab.

Das Gelübde des Gehorsams hatten auch die Klosterbrüder geleistet; aber dieser Gehorsam bezog sich nur auf das klösterliche Leben, dessen Zweck nie ein anderer sein konnte als die Heiligung des Lebens der Mönche. Nichts konnte gefordert werden, was nicht im Einklang mit diesem Zweck stand, dem auch die Regeln der großen Ordensgründer entsprachen. Der Jesuitenorden bestimmte seine Angehörigen für eine vielfache Tätigkeit in der Welt, die zu unübersehbaren Folgen führen konnte und einem selbständigen Menschen die schwerste Verantwortung auferlegt hätte.

An der Schnelligkeit, mit der der Orden sich ausbreitete, kann man sehen, daß die Menschen im allgemeinen nicht den Drang haben, selbst zu denken, selbst sich eine Überzeugung zu bilden und sie zu vertreten, daß sie vielmehr gern sich zum Werkzeug machen lassen, besonders wenn die Möglichkeit des Aufstiegs gegeben ist und man sich einbilden kann, als Glied einer Gemeinschaft etwas Besonderes und anderen überlegen zu sein. Menschen zu Gefäßen einer vereinfachten und übersichtlich zubereiteten Weltanschauung und zu gefügigen Werkzeugen zu machen, ist verhältnismäßig leicht, wenn die Menschen im Besitz dieser Weltanschauung sich für auserwählt halten können. Luther fand wenige, die freie Christenmenschen, Herren aller Dinge und zugleich freiwillige Knechte aller sein wollten.

Erziehung und Erziehung zu unbedingtem Gehorsam war jedoch nicht der Ausgangspunkt von Loyolas Wirken. In ihm war ein sehr starker Hang, etwas Großes zu tun, wohl damit etwas Großes geschehe, vornehmlich aber doch, daß es durch ihn geschehe. Nachdem sein Bein durch eine Kugel getroffen und er dadurch aus seiner soldatischen Laufbahn herausgerissen war, nahm er sich die großen Taten großer Heiliger zum Vorbild, anfänglich sich noch ganz in den gewohnten Geleisen haltend, indem er die Eroberung Jerusalems plante. Durch die Übertragung weltlicher Ideale auf das geistliche Gebiet kam in seine Haltung etwas Schiefes; sein Drang, sich auszuzeichnen, blieb derselbe, was aber durch die Demut des Heiligen vor anderen und vor ihm selbst verschleiert werden mußte. Indessen blieb der heroische Schwung seiner Seele echt, und er wußte ihn seinen Gefährten und Nachfolgern einzuhauchen. Er übte eine starke persönliche Anziehungskraft aus, zunächst auf Frauen, aber auch auf Männer. Seine Gesichtsbildung war vornehm, es prägte sich wohl das Bedeutende seines Geistes darin aus. Im Umgang mit Gefährten entdeckte er die Kraft, die von ihm ausging, seine Fähigkeit, Seelen zu durchschauen und zu beherrschen, und damit wuchs seine Neigung dazu. Nicht naive plumpe Herrschsucht erfüllte ihn; er verallgemeinerte seine Erfahrungen und schuf aus der gewonnenen Kenntnis der menschlichen Seele ein System der Seelenbeherrschung und Seelenführung im Dienste der Kirche. Als er den Plan, Jerusalem zu erobern, hatte aufgeben müssen, widmeten er und seine Gefährten sich der Krankenpflege, die zugleich Askese war. Je mehr er aber in das wirkliche Leben eindrang, desto deutlicher begriff er die Notlage der Kirche, und daß ihr Verfall und ihre Schwäche sie verschuldet hatten. Nun erst erfaßte er es als seinen Beruf, Menschen zu sammeln und zu erziehen, die die Kirche mit neuer Glaubensglut erfüllten, den Klerus aufrichteten, die ketzerischen Sekten, vor allem die Protestanten überwänden. Er wollte General eines unwiderstehlichen Heeres werden, das seine Befehle durch ihn vom Papste selbst empfinge. Als es ihm gelungen war, den Papst von der Wichtigkeit seiner Idee zu überzeugen, so daß er die Ordensgründung genehmigte, hatte er nach mühevollen Irrwegen seine endgültige Bestimmung erreicht.

Der erste Jesuit, der bei Gelegenheit des Religionsgespräches nach Deutschland kam, war ein Savoyarde, Peter Faber, Sohn einer armen bäuerlichen Familie, weit mehr als Loyola von ursprünglicher katholischer Frömmigkeit erfüllt. Er strebte aufrichtig nach Vollkommenheit, die er durch Askese, Abkehrung von der Welt, gehorsame Ausübung aller kirchlichen Vorschriften zu erlangen hoffte. Der Anblick von Reliquien konnte ihn zu Tränen rühren. In seiner Art, die Menschen zu behandeln und die Ketzer zur Kirche zurückzuführen, fiel Schlangenklugheit mit Taubeneinfalt zusammen. Daß die Religionsgespräche keine Frucht brachten, fand er selbstverständlich, er hielt derartige Versuche der Verständigung für verfehlt. Man solle, sagte er, sich auf Erörterungen mit den Ketzern nicht einlassen, viel weniger sie bekämpfen, sondern ihnen mit Liebe begegnen und ihnen, wo immer möglich, helfen. Die Hauptsache aber sei, den katholischen Klerus zu beeinflussen. Schuld am Entstehen des Luthertums trage die Entsittlichung des Klerus, hätte der seine Pflicht getan und den Laien als erbauliches Vorbild vorgeleuchtet, würde niemand sich von der Kirche getrennt haben. Falsch sei es, die Abtrennung als eine Gelehrtenstreitigkeit über Dogmen aufzufassen; der einzige Beweis, der hier not tue und gelte, wären gute Werke und Selbstaufopferung bis zum Tode. Nur Heilige könnten die Abtrünnigen zur Kirche zurückführen. In der Verwerfung der guten Werke sah er den wichtigsten Unterscheidungspunkt der alten und neuen Lehre. Luther hatte gesagt, in betreff des Lebens könne man Nachsicht üben, aber die Lehre müsse richtig und unerschütterlich sein. Es war das ein Punkt, der von Anfang an innerhalb des Protestantismus Widerspruch fand. Daß die Früchte so schlecht waren, mußte man es nicht der Lehre zuschreiben? Nicht ohne Großartigkeit setzten die ersten Jesuiten hier ein. War Luther der menschlichen Schwäche weit entgegengekommen, indem er sagte, der Mensch sei nicht imstande, die Klostergelübde zu halten, flößte Faber den Menschen den heroischen Glauben ein, aus Liebe zu Gott auch das Übermenschliche leisten zu können. Etwas von dem Schwung, der Loyola und seine ersten Gefährten bewegte, ging in der Tat auf diejenigen über, die mit Faber in Berührung kamen. Die Tatsache, daß einer da war, der mit Leidenschaft und Hingebung an die Kirche glaubte, erweckte ihr ebenso überzeugte Anhänger. Das Blut begann den gelähmten, fast verendenden Organismus wieder zu durchströmen. Ein Führer trat auf, der Soldaten um eine heilige Fahne sammelte, Kampfbereite, Ehrbegierige sowie Müßige und Neugierige strömten hinzu. Als die wesentlichen Mittel der Kirche, die Seelen zu Gott zu führen, bezeichnete Faber drei: Beten, Beichten und Kommunizieren. Alle drei waren in der Kirche fast erstorben, nun drängten sich mehr und mehr Andächtige zum Beichtstuhl und zur Messe. Zu diesen Mitteln kamen als wirkungsvollstes die von Loyola ersonnenen Exerzitien, die von der dankbaren Kirche der Eingebung des Heiligen Geistes zugeschrieben wurden.

Es ist schwer zu verstehen, warum die Exerzitien einen so gewaltigen Einfluß ausübten. Vermutlich wurde es als wohltätig empfunden, daß ein Führender das Denken von Menschen, die des Denkens ungewohnt waren, weckte und anleitete. Es war eine Gymnastik des Kopfes, das den Köpfen so wohltat wie dem Körper das Turnen. Sie wurden in eine bestimmte Vorstellungswelt eingeführt und dazu angeleitet, sich Vorstellungen anschaulich zu machen. Sie mußten die Hölle sich so vorstellen, daß sie die Hitze des Feuers spürten und den Rauch schmeckten, das Leiden Christi am Kreuz so, daß sie sein Blut fließen sahen und seine Schmerzen fühlten. Die vielleicht noch nie zur Sammlung ihrer Gedanken auf einen überirdischen Gegenstand gekommen waren, ließen sich die Knetung ihres geistigen Lebens gern und wehrlos gefallen. Unter denen, die zuerst gewonnen wurden, waren einige Fugger aus Augsburg. Mit den Exerzitien konnten zunächst nur die Gebildeten bearbeitet werden, weil die Jesuiten Ausländer, Spanier oder Savoyarden, und der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Ihre Tätigkeit in den Spitälern und Gefängnissen jedoch kam den Armen zugute und wurde von ihnen verstanden. Es ging von diesen Männern, die nicht stritten, niemand beschimpften, die Gutes taten, wo immer sie konnten und die Liebe Gottes und der Kirche verkündeten, eine Kraft aus, die weithin wirkte. Sehr bald wurden sie von den katholischen Fürsten bemerkt, namentlich von Ferdinand von Österreich und von den Herzögen von Bayern. Sie baten sich vom General in Rom Ordensmitglieder aus, bauten ihnen Häuser und Kirchen, statteten sie reichlich aus. Sie verdienten die Auszeichnung durch ihre unermüdliche und erfolgreiche Tätigkeit.

Städte, die wir als durchaus katholisch kennen, Wien, Passau, Bamberg, Würzburg, waren damals teils protestantisch, teils religiös verwildert unter einem sittenlosen, gleichgültigen Klerus. Peter Canisius, der erste deutsche Jesuit, sagte: »Wir übertreffen die Juden an Wucher, die Türken an Völlerei und Trunksucht, die Heiden an Geiz und Schlechtigkeit, die Tiere an Unzucht und Ausschweifung. Unsere Kirchen sind nicht Bethäuser, sondern Schwätz-, Kauf- und Tanzhäuser.« Das alles änderte sich, als in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts deutschsprechende und deutsche Jesuiten in Deutschland erschienen. Was ihren Einfluß sehr verstärkte, war, daß die Freigebigkeit der Fürsten sie instand setzte, Schulen zu gründen, deren Besuch unentgeltlich war, und daß die Schulen gut waren. Diese Anstalten waren so mustergültig, daß auch Protestanten gern ihre Kinder hinschickten. Bedenkt man, wie roh die Lehrer damals waren, wie erbarmungslos die Kinder verprügelt wurden, ist schon die Vorschrift, daß die Schüler mit Liebe zu behandeln seien, eine Umwälzung. Allerdings war das gute Beispiel zuerst in den Schulen der ›Brüder vom gemeinsamen Leben‹ gegeben, die den Jesuiten in mancher Hinsicht zum Vorbild dienten. Die Schüler genossen guten Unterricht und gute körperliche Pflege. Loyola hatte sich bald von übertriebener Askese abgewendet; denn er wollte, daß der Körper des Jesuiten zum Kampfe für Christus und die Kirche stark gemacht werde. Eine geistige Askese bestand in der Aufopferung des Willens und der Einsicht, ja eigentlich der ganzen Persönlichkeit; doch wurde diese gemäß der außerordentlichen Feinheit in der Menschenbehandlung, zu der die Jesuiten erzogen wurden, mit fast unmerklichen, allmählich wirkenden Mitteln erreicht. Der Tag des Schülers war bis auf die Minute eingeteilt, und zwar so, daß die Tätigkeit nicht nur stündlich, sondern zuweilen viertelstündlich wechselte. Den Lehrstunden waren halbstündige Erholungsstunden eingeschoben, viertelstündige Belustigungen, viertelstündige Gebete. Die eigentümliche Zerstückelung des Tages zerteilte gleichsam auch die jugendliche Seele, ließ sie nicht zum Wachsen von innen, zum Kristallisieren in eigener Form kommen. Alles im Leben des Schülers begab sich nach Vorschrift: es war ihm vorgeschrieben, was und wie lange er zu denken, was und wie lange er zu beten, wie lange und in welcher Weise er sein Gewissen zu erforschen habe. Die Pflicht zu häufiger Beichte, die Beobachtung durch die Oberen und Gefährten lieferte den Knaben völlig seiner Umgebung aus. Eigene Gedanken, selbständiger Wille konnten sich nicht in ihm bilden, dagegen wurde er angefüllt mit den Vorstellungen und Bestrebungen, die der Orden für richtig hielt. Doch war es nicht so, daß der Wille überhaupt gebrochen werden sollte, nur der eigene Wille. Der Schüler sollte ein Werkzeug in der Hand des Oberen sein, das auch fern von ihm in seinem Sinne tätig sein konnte. Er mußte durchdrungen sein von den Absichten des Ordens, erfüllt von seinem leidenschaftlichen, unbeugsamen Eifer. War er durch Gehorsam zum fertigen Jesuiten geworden, durfte er auch herrschen. Zwar war jeder Führer dem General unterworfen; aber innerhalb der großen Organisation konnte man doch zu weitgehender Selbständigkeit kommen, und jeder einzelne Jesuit hatte Macht über jede Seele, die er sich unterwerfen konnte, natürlich stets im Rahmen der festgesetzten Weltanschauung.

Dieser auf Befehl und Gehorsam gegründete Organismus wurde wirklich das, was dem General vorgeschwebt hatte: eine Armee von tapferen Soldaten, die auf Befehl des Feldherrn bereit waren, die höchste wie die niedrigste Aufgabe, Ehre und Gnade sowie Tod und Schmach auf sich zu nehmen. Wie hätte ein solches Heer nicht Großes vollführen sollen? Der Wille des Führers ging zunächst hauptsächlich dahin, die Häresie auszurotten oder soviel wie möglich zurückzudrängen. Die jungen Jesuiten lockte mehr die romantische Märtyrerkrone, die in fernen Ländern, in Indien oder in China zu erwerben war, nach dem Beispiel des Franz Xaver; allein der General wehrte meistens ab, indem er sagte, sie sollten das mühsamere Martyrium des Schulehaltens auf sich nehmen, Deutschland als der Ketzerei verfallen sei Indien, sei Barbarenland, das müsse zurückerobert werden. Ganz ohne Beihilfe staatlicher Mittel, Drohungen und Strafen, Einquartierungen, Quälereien, ging die Bekehrung nicht vor sich; aber Predigt und hingebende Bemühung der Jesuiten hatte doch großen Anteil daran. Bis in den Norden, nach Westfalen, Ostfriesland, Hildesheim, Bremen, Hamburg drangen die Jesuiten vor, überall faßten sie Fuß. Mit derselben Energie, mit der der Protestantismus sich vor 50 Jahren ausgebreitet hatte, wurde er durch die neue katholische Strömung zurückgeworfen. In den Jahren 1607-1611 war in Paderborn und Münster noch die Mehrzahl der Einwohner protestantisch, 1625 waren beide Städte fast ganz katholisch. Mehrere Fürsten, so der von Pfalz-Neuburg, der von Nassau-Hadamar, traten zum alten Glauben zurück und zwangen ihre Untertanen, ihnen zu folgen. Die Markgrafschaft Baden hat bis 1635 zehnmal, die Oberpfalz in 80 Jahren fünfmal den Glauben gewechselt. Es ist anzunehmen, daß die geistigen Vergewaltigungen den Charakter der Bevölkerung sehr geschwächt und erniedrigt haben; aber viele hatten wohl von vornherein keine feste Überzeugung und waren es zufrieden, sich die Schnürbrust eines gut geregelten Glaubens von den Jesuiten anlegen zu lassen. »Die Deutschen«, sagte ein Jesuit, »sind im allgemeinen einfach und ehrlich, nicht verstockt und bösartig. Sie nehmen auf, was man sie lehrt.« Eine gewisse geistige Trägheit kam dem Bekehrungseifer entgegen. Da, wo durch Luther die christliche Freiheit verkündet war, wo Wallfahrten und Bilderdienst aufhörten, der Zwang zu Gebet und Beichte wegfiel, hatte das kirchliche Leben oft fast ganz aufgehört; in den durch die Jesuiten bekehrten Ländern wurde wieder gewallfahrtet, der Rosenkranz abgebetet, das Marienbild bekränzt, Knie vor dem Allerheiligsten gebeugt. In Österreich, Bayern, Westfalen war es bald vergessen, daß hier einmal trotziger Protestantismus geherrscht hatte.

Es ist begreiflich, daß die Protestanten die siegreich vordringende Armee der Jesuiten haßten. Sie konnten sich ihren Erfolg nur durch den Gebrauch abgefeimter Mittel, Verzauberung der Seelen und Vergiftung der Leiber erklären. Sie schrieben den Jesuiten alle erdenklichen Teufeleien zu, die ihnen fernlagen; aber die Witterung von etwas Anrüchigem trog sie doch nicht ganz. Peter Faber und Peter Canisius waren aufrichtig fromme Männer, die versuchten, auch ihre Feinde zu lieben, die die grobe und gehässige Polemik, wie sie Luther aufgebracht hatte, verschmähten. Den schönen Grundsatz, den Irrtum durch Darstellung der Wahrheit zu bekämpfen, bemühten sie sich durchzuführen. Bei den Nachfolgern der Begründer der Gesellschaft waren die bedeutenden Eigenschaften und die religiöse Wärme nicht mehr so allgemein, sie mußten sich oft mit der Maske des liebevollen, sanften und tugendhaften Heiligen aushelfen. Ohnehin war den Schülern nicht nur die Gesinnung, sondern auch das Benehmen bis auf die Haltung des Kopfes, die Richtung des Blickes, die Bewegung der Hände vorgeschrieben; schon ihre äußere Erscheinung sollte zur Erbauung dienen. Bei diesem Zwang, sich gottselig zu gebärden, mußte den Jesuiten eine Heuchelei zur zweiten Natur werden, der gegenüber die massive Grobheit und das naive Darauflosleben der Protestanten erquickend wirkte. Etwas Künstliches, Übertriebenes, Süßliches drang mehr und mehr in die katholische Kirche überhaupt ein. Nicht allein, aber zum großen Teil war der Jesuitismus schuld daran, daß der reformierte, nachmittelalterliche Katholizismus sehr von dem des Mittelalters abwich. Weitherzig, großartig hatte die mittelalterliche Kirche das germanische Heidentum in sich aufgenommen, die menschliche Schwäche nicht nur geduldet, sondern sich weise eingeordnet. Freude und Übermut, ja Ausschweifung durfte schwärmen und überschäumen, um von der heiligenden Macht der Kirche wieder gereinigt und geweiht zu werden. Die Irrenden wurden verfolgt und verbrannt; aber nur wenn sie sich ausdrücklich von der Kirche lossagten und gegen sie wandten. Die nach der höchsten christlichen Vollkommenheit streben wollten, konnten sich in Klöstern von der Welt scheiden und wurden von der Welt verehrt; aber auch in den Klöstern konnten Kunst und Wissenschaft und fröhliches, gemütliches Leben sich entfalten. Im Gegensatz zu der Sittenlosigkeit, die das Bedürfnis der Reformation hervorgerufen hatte, hielten sowohl Protestanten wie Jesuiten auf Sittenstrenge, die bei den Reformierten oft ans Sauertöpfische und Finstere, bei den Jesuiten ans Zimperliche, Versteckte grenzte. Es kam dazu, daß die Jesuiten als Fremde für die Neigung des deutschen Volkes, auf unschuldige Art mit dem Heiligen zu spielen, der es in den Mysterien und bei Festlichkeiten sich hingab, wenig Verständnis hatten. Schon der Umstand, daß über ein Jahrzehnt nach der Gründung des Ordens verging, ehe deutschsprechende Jesuiten nach Deutschland kamen, zeigt, wie durchaus die Bewegung eine fremde war. Das Christentum überhaupt war aus dem Süden nach Deutschland gekommen, die großen Erfrischungen des mittelalterlichen Glaubenslebens aus Frankreich, Italien, Spanien. Diesmal kam die Neubelebung aus Spanien und brachte mit sich die Eigentümlichkeit dieses Landes: Fanatismus, Inbrunst, Heroismus und eine seltsame Mischung von Sinnlichkeit und Verstandesschärfe. Die Sinnlichkeit äußerte sich darin, wie das Göttliche den Sinnen nahegebracht wurde; wenn in den Exerzitien etwa das Höllenfeuer oder die äußere Schönheit des Heilands ausgemalt wurde, so steht das in bedeutsamem Gegensatz zu dem Spruch, den Luther liebte, von dem, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und was Gott denen zubereitet habe, die ihn lieben. Die Marienverehrung bekam einen neuen Aufschwung dadurch, daß die Jesuiten sie zu ihrer Patronin wählten, sie als die holdseligste aller Frauen verehrten; aber es kam in diesen lieblichen Kult etwas Überhitztes. In alle kirchlichen Betätigungen schlich sich etwas Gespreiztes, Krampfhaftes. Die Figuren der Heiligen in den Kirchen und auf den Kirchen glichen geschickten Schauspielern mit pathetischen Gebärden in wirbelnden Gewändern, die leere oder lüsterne, jedenfalls ganz weltliche Seelen verhüllen. Formvolles und auf das Äußerliche gerichtetes Wesen war den Italienern und Spaniern natürlich, nicht den Deutschen. Loyola wünschte, daß die Jesuiten Redeübungen in den großen Ruinen Roms veranstalteten, um klangvoll und großartig sprechen zu lernen. Man begreift, daß von Zeitgenossen der Protestantismus als germanisches Christentum bezeichnet wurde. Es war, als habe das Luthertum die Innerlichkeit aus der Kirche herausgelöst und ihr die äußere Form und Gebärde gelassen. Auch darin sprach sich das aus, daß Loyola als wesentlichen Gegensatz zum Luthertum die Freiheit des Willens und die Notwendigkeit der guten Werke lehrte. Luther kam es darauf an, die Menschen auf die Allmacht Gottes und seine Gnade hinzuweisen, Loyola wollte seine Anhänger zu energischem Handeln fortreißen. Auch Luther hat ungeheure Tatkraft gezeigt; dennoch war er mehr ein Mann des Glaubens als des Willens und scheute oft vor dem Handeln zurück, das den Menschen so leicht in Schuld verwickelt. »Wenn ihr stille wäret, so wäre euch geholfen.« Für die Erhaltung und namentlich für die Ausbreitung des Protestantismus war es gut, daß gleichzeitig mit Loyola ein Romane auftrat, der dem vorwärtsdrängenden Jesuitismus entgegenwirkte, Calvin.


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