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Faust

Mehrmals während des Mittelalters klopfte faustischer Geist an den Ring, der den Geist der Deutschen gebunden hielt. Erst war es Albertus Magnus, dann der Abt Trithemius, der dem Kaiser Maximilian seine frühverstorbene Gattin erscheinen ließ, dann Agrippa von Nettesheim, der einen Hund, Monsieur genannt, besaß, von dem man glaubte, daß er der Teufel sei. Kaum hatte Luther den Ring gelockert, trat Faust hervor; daher hat die Sage Luther und Faust seltsam miteinander verbunden und einander entgegengesetzt. Beide haben einen unheimlichen Begleiter, halb Freund halb Feind, von dem ein feuriger Schein ausgeht und über sie hin zuckt. Satan quält sie mit Disputationen und Anfechtungen, aber sie können ihn nicht loswerden; noch kurz vor seinem Tode meinte Luther, ganz Deutschland müsse frei von Teufeln sein, weil sich alle in Eisleben versammelt hätten. Die Sage läßt Faust in Wittenberg studieren und ein Haus besitzen, läßt Luther seinen Weg kreuzen. In einem wesentlichen Punkte zwar unterscheidet sich Faust von Luther, in seinem Drange, die Fülle der ausgebreiteten Welt an sich zu reißen, alle Länder zu bereisen, alle Genüsse der Erkenntnis und der Sinne einzutrinken. Luther hat zwar den Menschen der Erde zugewendet, aber doch nur, um das Irdische zu heiligen; er hat seinen Verstand gebraucht, aber zugleich nannte er ihn eine Hure, er wollte sich am Worte Gottes genügen lassen, wenn er auch zuweilen für das Gleichnis den Sinn setzte. In seinem Hinausstürmen in die morgenrote Erde, um die Wahrheit von den Dingen zu erfahren, nicht aus Büchern zu lesen oder von den Kanzeln predigen zu hören, ist Faust ein Sohn der Renaissance. Die Italiener hatten lange vor Luther die von der Kirche gesetzten Schranken überschritten, naiv, ohne an eine Trennung von ihr zu denken, als Nachkommen und Jünger der Griechen und Römer, denen kein Priester verwehrte, von der Natur zu lernen. Als nach dem Einbruch der Reformation den leichtlebenden Renaissance-Päpsten die Eiferer folgten, verschanzten sich die italienischen Denker wohl hinter katholischen Formeln und Gebräuchen, um nicht der Inquisition zu verfallen; aber ihr Glauben gehörte der Wissenschaft oder der Natur und jener Religion, die sie in die Herzen der Menschen gelegt habe. Ganz anders ist Faust; er hat einen ungestümen Drang nach Erkenntnis, aber er ist gläubig und leidet an dem Gegensatz seines Glaubens zu seiner wilden Genußsucht, der geistigen und der sinnlichen. Gott ist ihm gegenwärtig, wenn er sich auch von ihm lossagt. Er ist kein schlechtweg der Welt zugewendeter Heide, sondern ein lutherischer Deutscher, der ganz und gar an Gott und Gottes Wort orientiert ist. Der Teufel erklärt sich bereit, ihn überallhin zu führen, ihm alles zu zeigen und ihm alle Fragen zu beantworten, die sein nach Erkenntnis dürstender Geist ihm stellen wird; dagegen soll Faust sich verpflichten, Gott und allen Menschen feind zu sein. Das eine wie das andere fällt Faust schwer; denn er ist zu Liebe und Freundschaft geneigt und wäre fromm, wenn nicht Stolz und Vermessenheit ihn verderbt hätten. Den Pfaffen freilich ist er immer feind gewesen, Auferstehung der Toten und Jüngstes Gericht glaubt er nicht, »als er den Teufelspakt unterschrieb, war ihm zumute wie jenem Fürsten, der auf dem Reichstage 1530 sagte: Himmel hin, Himmel her, ich nehme hier das Meinige, mit dem ich mich erlustige, und lasse Himmel Himmel sein.« Ein solcher Leichtsinn ist aber bei Faust nur eine Anwandlung; er muß, wie das Faustbuch sagt, zuzeiten an den lebendigen Gott gedenken, der alles geschaffen hat, ein kleines Fünklein Liebe gegen Gott ist ihm geblieben und sogar eine zage Hoffnung, Gott könne sich seiner noch erbarmen. Wie der Teufel von Zeit zu Zeit Luther bedrängte und überzeugen wollte, daß kein Gott sei, so besuchte der gute Engel Faust, um ihn aus dem Banne des Teufels zu lösen und zu Gott zurückzuführen. Einem Theologen, der ihn bekehren will, sagt er: »Wie eine liebliche Predigt ist dies zuzuhören, wo die Wurzel meines Herzens nicht verdorrt wäre, daraus kein Saft zur Ergrünung Frucht tragen will.« Auch Luther kannte die entsetzlichen Augenblicke seelischer Dürre. »Ich stirb als ein böser und guter Christ«, sagt Faust, als sein Ende naht.

In der Persönlichkeit des historischen Faust ist kaum etwas zu entdecken, was die Rolle erklärt, die die Sage ihn hat spielen lassen. Man weiß nicht mit Sicherheit, wo er geboren noch wo er gestorben ist. Am meisten spricht für das württembergische Knittlingen als Geburtsort; in einem Turmgemach des Klosters Maulbronn, mit dessen Abt Entenfuß er befreundet war, soll seine Höllenfahrt stattgefunden haben; aber auch in einem Dorf Breda an der Elbe zeigte man zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges Blutflecken an einer Mauer, die von Fausts letztem Kampfe mit dem Teufel herrühren sollten. Er ist auf seinen Wanderungen mit verschiedenen berühmten Männern in Beziehung getreten, die Sage ließ ihn auch den großen Kaisern, Maximilian und Karl V., begegnen. Eine Zeitlang stand er als Schulmeister in Sickingens Dienst, mußte ihn aber wegen sittlicher Verfehlungen aufgeben. Der Abt Trithemius, Luther und Melanchthon urteilten wegwerfend über ihn als über einen Gaukler, der sich als Astrolog und Wundertäter aufspiele; die Wunder, die Christus getan habe, könne er auch tun, sollte er gesagt haben. Vielleicht erleichterte der Umstand, daß man so wenig Genaues von ihm wußte, der Sage, sein Bild phantastisch umzugestalten und allerlei Mären, tolle, liebliche, groteske, die im Volke umgingen, mit ihm zu verknüpfen. Wie Klingsor durchmaß er mit einem Zauberpferd oder Zaubermantel in kürzester Zeit große Entfernungen, vielleicht in Erinnerung an Wotans Sturmroß, wie Albertus Magnus verblendete er die Sinne seiner Gäste, daß sie mitten im Winter Trauben zu pflücken meinten, wie Trithemius beschwor er die Toten, er verstand sich auf alle magischen Künste. Daß der historische Faust ein Zauberer war, das war, was ihn dem Volke und der Sage wert machte, das blieb seine wesentliche Eigenschaft.

Ungefähr um dieselbe Zeit, als Widmanns Faustbuch erschien, in den neunziger Jahren, veröffentlichte der französische Gelehrte Jean Bodin das Siebengespräch über die verborgenen Geheimnisse erhabener Dinge, worin Vertreter verschiedener Geistesrichtungen sich über die wahre Religion unterhalten. Der Deutsche, der darin auftritt, heißt Friedrich und ist in Mathematik und Magie bewandert. Zur Magie hatten die Deutschen eine besondere Neigung; es war die Sehnsucht, das Maß der den Menschen verliehenen Kraft ins Übermäßige zu steigern. In seinem Pakt mit dem Teufel sagt Faust, er habe die Elemente spekulieren wollen, aber in seinem Kopfe die Geschicklichkeit dazu nicht gefunden, die überhaupt von Menschen nicht erworben werden könne; deshalb habe er den Mephistopheles gerufen. Als magisch bezeichnete man dasjenige Wirken, was über das Natürliche hinausgeht, wie zum Beispiel das Wiederbeleben von Toten oder das Beschwören von Geistern, das Heilen durch Handauflegen, das Besprechen von Wunden. Solches Wirken geht unmittelbar vor sich, wie Gott nicht durch Arbeit, sondern durch das Wort oder durch den bloßen Willen schafft; er will und es geschieht. Das Volk nannte Zauberei und schrieb der Kunst des Teufels alles zu, was es sich nicht erklären konnte, wie zum Beispiel jene Automaten, die Albertus Magnus verfertigte; die Gelehrten wußten Menschenwerk und Zauberei wohl zu unterscheiden. Zur Zeit Luthers begannen sie die Magie, die sie für sehr erstrebenswert hielten, aus verborgenen Kräften der Natur zu erklären. Agrippa von Nettesheim setzt wundervoll auseinander, wie die Magie auf dem Zusammenhang des Universums beruhe, indem alle Dinge aufeinander bezogen seien und aufeinander wirken. Das Niedere strebt danach, sich dem Höheren anzugleichen, und das Höhere, das Niedere zu sich emporzuziehen. Infolgedessen weist ein Ding auf das andere hin, spiegelt sich das Natürliche im Menschlichen, das Künftige im Gegenwärtigen. Er vergleicht das Universum einer gespannten Saite, die, wenn man sie an einem Ende berührt, überall anklingt. In jedem einzelnen ist ein Anklang des Ganzen, am meisten im Menschen, der ein vollendetes Bild des Universums ist, in dem alle Kräfte, auch die der alles erfüllenden, alles durchdringenden Weltseele, zusammenströmen. Deshalb können menschlicher Geist, Phantasie und Wille, die aus den Augen des Menschen hervorblitzen, bezaubern. Er führt Alexander an, der Licht und Feuer gesprüht habe, als er in der Schlacht umringt gewesen sei. Schrecken und Freude können töten, Liebe und Vertrauen zum Arzt heilen mehr als Arzneien. Solche Taten, sagt er sehr schön, seien so wenig über oder wider die Natur wie die Bezauberung, die ein Musiker durch die Macht der Töne über seine Zuhörer ausübe. Auch Paracelsus glaubte, daß der Mensch durch bloßes, inbrünstiges Wollen einen anderen stechen könne; das sei kein Werk des Teufels, sondern natürliche Kraft. Auch er leitete wunderbare Wechselwirkungen aus dem Zusammenhang des Universums ab, in dem jeder Körper beseelt, der Tod eine Wiedergeburt sei. Der Abt Trithemius, der bei Gelegenheit ziemlich in heiliger Einfalt schwelgte und die verfänglichen Fragen des Kaisers Maximilian nicht, wie dieser es wünschte, aus der Natur, sondern an der Richtschnur der Kirche beantwortete, hielt doch die Beschäftigung mit den geheimen Wissenschaften nicht für Sünde. Er wollte ein Buch über die von ihm entdeckte Kunst schreiben, einem Eingeweihten seine Gedanken oder seinen Willen auf jede Entfernung mitzuteilen, sowohl durch einen Boten, der aber das Mitzuteilende nicht kenne, wie ohne Vermittler. Wer die Kräfte der Natur nicht kenne, meinte er, werde das für Zauberei halten; es gehe aber ohne abergläubische Mittel und ohne den Beistand von Geistern vor sich. Wegen des Mißbrauchs, den schlechte Menschen mit dieser Kunst treiben könnten, unterließ es Trithemius, das Buch zu schreiben.

Wenn aber auch diese Männer das Zaubern aus natürlichen Kräften erklären wollten, konnten sie ihm doch, schon weil gesteigertes menschliches Wollen und Phantasie dabei mitwirkte, das Gefährliche und Anrüchige nicht nehmen. Seit Urzeiten beruht das menschlich-gesellige Dasein auf der Übereinkunft, nicht anders als durch die Mittel zu wirken, die Natur und Kunst dem Menschen darbieten. Wie wir die Kraft der Schlange, ihr Opfer durch das Blicken ihrer Augen bewegungslos zu machen, als teuflisch empfinden, so graut es uns auch vor Menschenaugen, in denen eine zwingende Kraft zu liegen scheint; die Menschen begriffen, daß Zauberei ein geordnetes Dasein unmöglich machen würde. Gegen Verbrechen kann man sich schützen, ihnen ausweichen oder entgegenwirken, sie bestrafen; Zauber ist unentrinnbar, unfaßbar, allzerstörend. Den Zauber und das Wunder hat Gott sich vorbehalten. Er kann Zauberkraft Menschen verleihen; das ist die weiße Magie, die zum Heile der Menschen oder zur Verherrlichung Gottes ausgeübt wird. Lehrt der Teufel, der Affe Gottes, die Menschen zaubern, so ist es nur Blendwerk, da er ja nicht schaffen kann, und sie müssen mit dem Heil ihrer Seele dafür zahlen. Die Kirche unterschied in vorkommenden Fällen die weiße von der schwarzen Magie, der des Teufels; aber sie pflegte in einer so subtilen Sache lange zu untersuchen, ehe sie ihr Urteil aussprach, und glaubte nicht leicht, daß Gott den sündhaften Menschen mit so großen, göttlichen Gaben ausgestattet habe.

Widmann, der Verfasser des Faustbuches, das 1599 erschien, hat die Sage in den Gegensatz von Luthertum und Papsttum eingespannt. Ihm ist Faust ein Lutheraner, den die Katholiken mit ihrer Zauberei betört haben; denn für ihn wie für viele Protestanten trieben sie Zauberei, indem sie Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi verwandelten; das opus operatum, die Handlung die durch den bloßen Vollzug wirkt, wurde als Zauber aufgefaßt. Das aber ist ein theologischer Schnörkel Widmanns; das älteste Faustbuch sagt ausdrücklich, Fausts Abfall sei sein Stolz und seine Vermessenheit, die hätten ihn getrieben, Gott gleich sein zu wollen, es vergleicht ihn mit den Riesen, die Berge zusammentrugen, um Gott zu bekriegen, mit dem bösen Engel, den Gott wegen seines Hochmuts aus dem Himmel verstieß. Auch an den persischen König Zoroaster wird erinnert, den der Teufel reizte, etwas Neues und Unerhörtes zu beginnen, damit er unter die Götter gezählt werde; der Teufel führte ihn über sich in die Lüfte, wo er die Götter und Gestirne sehen wollte, aber vom himmlischen Feuer verbrannt wurde. Augenscheinlich fühlte die Sage, wenn es ihr auch nicht deutlich zum Bewußtsein kam, die Verwandtschaft mit Luther, dem Riesen, der den schützenden und engenden Ring zerbrach und sich in die Geheimnisse Gottes drängte. Er erlaubte seinem Volke, das bisher Gott angebetet hatte, Gott zu denken, mit seinen gebrechlichen Sinnen, seinem mangelhaften Verstande, seinem belasteten Gewissen sich der Ewigen Glut zu nähern. Den Dämon Luther verzehrte sie nicht, weil er die Macht des Gebetes wie einen Zauber gebrauchen konnte; den Dämon Faust erfaßte sie und wurde ihm zur Hölle.


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