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Die Kirchenreform

Daß die Reformation der Kirche die Deutschen von oben bis unten mehr als die des Reiches und mehr im gleichen Sinne beschäftigte, hat verschiedene Gründe, deren wesentlicher der ist, daß dem Reich Mangel an Wirksamkeit, der Kirche ihr Übermaß vorzuwerfen war. Man konnte zweifeln, was und wieviel vom Reiche verlangt werden sollte, man war sich einig über das, was man von der Kirche nicht länger ertragen wollte. Der Umstand, daß der Staat zwischen Kaiser und Ständen geteilt war, hatte zur Folge, daß sich in Hinsicht auf die Reform verschiedene Interessen kreuzten, während alle vom Kaiser bis zum armen Manne sich irgendwie von der Kirche geschädigt fühlten. Da Italien tatsächlich vom Reiche getrennt war, fingen die Deutschen an, den Papst als eine ausländische Macht zu betrachten, und die Anklagen gegen ihn wurden gesteigert durch das Feuer des nationalen Bewußtseins, das jedem Kampfe besonders in den unteren Schichten des Volkes einen Schein von unbestreitbarer Berechtigung, ja von Heiligkeit zu geben pflegt.

Die Sittenlosigkeit und Unwissenheit des Klerus war, wie erheblich auch immer, doch nicht so groß, wie sie ausgeschrien wurden; es sollte sich bald zeigen, wieviel tüchtige, ja hervorragende Elemente sowohl unter den Bischöfen wie unter Pfarrern und Mönchen sich noch befanden. Unbestreitbar aber hatte die Kirche einen anderen, einen massiven, aufdringlich unverschämten Fehler: sie war zu reich. Sie brütete wie ein Lindwurm auf sagenhaft unermeßlichen Schätzen unbeweglich, wartend, daß die goldenen Eier anschwollen und sich mehrten. Hier war der Hort, den Reineke dem König vorspiegelte. Voll grimmigen Neides umschlichen ihn die Braun und Isegrim sowohl wie die Hinz und Henning und sogen sich mit blanken Augen an dem feisten Wanst des Wurmes fest. Er sah mit stillem Lächeln die Gier entbrennen, denn er war durch kanonisches Recht und Reichsgesetze gesichert. Das Kirchengut durfte nicht angetastet und seiner Bestimmung nicht entfremdet werden: man nannte das Inalienabilität; wer wagen sollte, sich kirchlichen Besitz anzueignen oder ihn für andere als kirchliche Zwecke zu verwenden, würde nicht nur von der Hölle verschlungen, sondern von Acht und Bann getroffen werden. Es scheint ein Widerspruch zu sein, daß trotz wachsender Raublust die Schenkungen an die Kirche eher zunahmen als sich verminderten; aber das hing zusammen mit der Lehre von den guten Werken, in deren Ausübung die Religiosität der meisten Menschen sich auswirkte. Indessen das Geld hat magnetische Kraft, die unwiderstehlich wird, wenn eine große Menge in verhältnismäßig wenigen Händen angesammelt ist, und es übt sie aus, indem es immer mehr Geld und zugleich mehr Habgier an sich bannt. Die böse Lust wurde in Schranken gehalten, solange die Kirche die einzige Kulturträgerin war und solange das, was ihr vom Volke zugewendet war, in unzähligen Kanälen zu ihm zurückströmte, sei es durch die Armenpflege, durch Schulen oder dadurch, daß die Kirche die Stelle der Banken vertrat. Seitdem aber die Städte einen großen Teil dieser Leistungen übernommen hatten und der Klerus nicht mehr durch vorbildliches Verhalten den Schutz der Gesetze zu verdienen schien, wurde es zum Schlagwort, daß das Kirchengut dem gemeinen Nutzen nicht mehr diene und daß es notwendig sei, es dem gemeinen Nutzen auf irgendeine Art wieder zuzuführen. Gerade das, daß der Reichtum der Kirche nur der Kirche dienen sollte, Besitz in toter Hand war, erschien als unerträgliche Ungerechtigkeit und volkswirtschaftlicher Unsinn, nun sich unter dem Deckmantel des Gottesdienstes die Wollust von Heuchlern und Nichtstuern verbarg. Am meisten Vorteil von der Kirche hatte der niedere Adel. Die ritterlichen Familien pflegten von ihren Kindern die besonders kräftigen zur Heirat auszulesen, die schwächeren wurden in Stiften und Klöstern untergebracht, die man deshalb die Spitäler des Adels nannte. Die Bistümer, auch vielfach in der Hand von Rittern, begannen im 15. Jahrhundert von den Fürsten in Anspruch genommen zu werden; andererseits suchten die Fürsten sich nach Möglichkeit in das Kirchenregiment einzumischen, wozu das Vogteirecht eine Handhabe bot, und die in ihrem Gebiet liegenden Kirchengüter demselben einzuverleiben. Nicht weniger fühlten sich die Städte durch Klöster und Stifte gehemmt und ärgerten sich noch mehr als die Fürsten über die Steuerfreiheit des Klerus; denn die Fürsten konnten sich dadurch entschädigen, daß sie sich von ihren Ständen, zu denen der Klerus gehörte, freiwillige Beiträge zahlen ließen.

Der Kampf um das Bistum Brixen zeigt, wie weit die fürstlichen Ansprüche sich hervorwagten, und welche Anstrengungen die Kirche machen mußte, um ihre alte Macht zu behaupten. Bereits war dem Staat mancher Vorstoß in die Festung der kirchlichen Rechte gelungen, und zwar gerade von seiten besonders kirchlicher Fürsten. So hatten Ferdinand und Isabella, die sich die katholischen Könige nannten, als wären sie es in einer bestimmteren Art als andere, die spanische Kirche in hohem Grade von sich abhängig gemacht, und von dem sehr kirchlichen Herzog Georg von Sachsen wird die Äußerung berichtet, er sei in seinem Lande Papst, Kaiser und Deutschmeister. Ähnlich soll sich der Herzog von Cleve ausgesprochen haben, und sicher war dies das geheime Ziel aller Staatsmänner. Während sie es zu erreichen suchten, indem sie irgendeine Gelegenheit benützten, in eine zufällige Lücke zu schlüpfen, kämpfte Gregor von Heimburg grundsätzlich. Er fuhr fort, den Primat des Papstes zu bestreiten, und riß einige Fürsten, sogar geistliche, mit sich fort. Erzbischof Jakob von Trier verlangte ein Konzil, um einen Druck auf den Papst auszuüben; nach seinem Tode setzte Dietrich von Erbach, Erzbischof von Mainz, seine Politik fort, unterstützt und angespornt durch den Heidelberger Martin Mayr, seinen Kanzler. Die Ausschreibung eines Ablasses durch den Papst verstärkte die Opposition; denn die Beschwerden, die man gegen den Papst hatte, betrafen zumeist die finanzielle Ausbeutung, und deren ertragreichstes Mittel waren neben den Annaten die Ablässe, die von Zeit zu Zeit verkündet wurden. Getragen von der allgemeinen Entrüstung, schrieb Martin Mayr im Jahre 1457 einen Brief an Enea Silvio Piccolomini, in welchem er das Wesentliche, was die deutsche Nation dem Papst vorwarf, in 10 Punkte zusammenfaßte. Sie betrafen die Eingriffe des Papstes in die Wahl der Prälaten, deren Freiheit durch Dekrete des Konstanzer und Baseler Konzils gesichert war, übertriebene Geldforderungen wie die durch Ablässe, Türkensteuer und über das festgesetzte Maß hinausgehende Annaten, schließlich Eingriffe in die Gerichtsbarkeit, indem der Papst alle Prozesse vor sein Tribunal zu ziehen suchte. Wenn diese Mißbräuche nicht abgestellt würden, werde es zum Abfall von Rom kommen.

Dieser Brief Martin Mayrs hätte noch größere Wirkung ausgeübt, wenn der Druck damals schon erfunden gewesen wäre; aber unter den Gebildeten wurde er verbreitet und ist denkwürdig als das erste halböffentliche Dokument, das die Beschwerden der Deutschen gegen den Papst aufzählte. »Tausend Schliche werden ersonnen«, hieß es in dem Brief, »wie der Römische Stuhl uns Barbaren das Geld auf eine feine Art aus dem Beutel ziehen kann. Unsere ehemals so berühmte Nation, die mit ihrer Tapferkeit, ihrem Blute das Römische Reich zusammengebracht hat und die Herrscherin und Königin der Welt war, ist jetzt in Armut gestürzt, Sklavin und zinsbar geworden.« Wenn sich Martin Mayr an Piccolomini wandte, geschah es wohl deshalb, weil man wußte, welchen Einfluß er im Interesse des Papstes auf den Kaiser ausgeübt hatte, und weil er unter allen Italienern der einzige war, der die deutschen Verhältnisse gut und aus eigener Anschauung kannte. Piccolomini gab zu, daß die Deutschen dem Heiligen Stuhl Geld darbrächten, sie aber hätten von Rom den christlichen Glauben empfangen. Wer habe dem andern mehr gegeben?

Zu so höhnischer Antwort berechtigte Piccolomini die Bestechlichkeit der Fürsten. Sowohl Trier wie Mainz ließen sich die Opposition abkaufen, wenn nur genug gezahlt wurde. Es gelang in diesem Falle dem Markgrafen Albrecht Achilles, den Mainzer für den Kaiser und damit für den Papst zu gewinnen, Martin Mayr ging zum Pfalzgrafen über, der in der Hoffnung, römischer König zu werden, die Opposition weiterführte.

Ein Jahr schon, nachdem Martin Mayr seinen berühmten Brief erlassen hatte, wurde Piccolomini Papst; noch ein Jahr später starb Dietrich von Erbach, und Dietrich von Isenburg, der neugewählte Erzbischof, nahm den von seinem gealterten Vorgänger aufgegebenen Kampf gegen Papst und Kaiser wieder auf. Zum Zeichen seiner Gesinnung nahm er Gregor von Heimburg in seinen Dienst, der damals die Sache Siegmunds von Tirol gegen den Papst vertrat. Weite Kreise im Reich verfolgten die große Auseinandersetzung im kleinen entlegenen Tirol mit lebhafter Teilnahme, die Verfluchung Heimburgs, seinen Appell an ein künftiges Konzil und alle Freunde unschuldig durch eine gewalttätige Übermacht Verfolgter. Auf mehreren Tagungen ballte sich die Opposition so mächtig zusammen, daß ein entscheidender Schlag bevorzustehen schien; aber wieder gelang es Papst und Kaiser, die Front der Gegner aufzulösen, namentlich dadurch, daß sie den Gegensatz zwischen Pfalz und Böhmen benutzten, die beide nach der Königskrone strebten. Der Erzbischof von Mainz wurde zur Strafe entsetzt und zog die Stadt Mainz, die ihm treu blieb, mit in seinen Fall.

Eine gesonderte Opposition von Reichsfürsten kam seitdem nicht mehr zustande; anstatt dessen wurden, nachdem die Kirchenreform ganz von der Reichsreform getrennt worden war, die Beschwerden gegen den Papst, auf lateinisch Gravamina, ein Gegenstand der Beratung auf allen Reichstagen. Den Reichstag zu Nürnberg des Jahres 1501 beschäftigte der vom Papst ausgeschriebene Jubiläumsablaß. Trotz der Anwesenheit des päpstlichen Legaten ging der Beschluß durch, daß der Ablaß nur dann verkündet werden dürfte, wenn das erzielte Geld im Reiche bliebe.

Maximilian war auch in seinem Verhältnis zur Kirche ganz von seinem Vater verschieden. Unterordnung unter den Papst lag ihm fern. Kirchlich war er insofern, als er ein Freund der Tradition war und das Verbindende alter, durch lange gemeinsame Übung geweihter Gebräuche fühlte; so hat er die Ausstellung des Heiligen Rockes von Trier erneuert. Im Papst sah er vor allen Dingen den italienischen Fürsten, der eine erhebliche Rolle in der abendländischen Politik spielte und ihm in seinen Kriegen mit Frankreich und in Italien böse Streiche anzetteln konnte. Das Gewicht, das dem Papst seine Ausnahmestellung immer noch gab, war ihm oft sehr im Wege. Als Fürst und Kaiser hatte er Sinn genug für die staatlichen Rechtsansprüche, um eine Beschränkung der kirchlichen Eingriffe zu wünschen, und als ständiger Reichstagsbettler sah er ungern den Strom des deutschen Geldes nach Rom fließen. Indessen war es eine heikle Sache, in der man behutsam vorgehen mußte und über die er sich zunächst einmal mit seinen Vertrauten besprach. Des Wortes mächtig, wie er war, liebte er es, mit seinen Humanisten über die großen Fragen der Zeit zu reden. Einmal berief er Sebastian Brant zu diesem Zwecke, ein andermal Geiler von Kaisersberg. Es war bekannt, wie rückhaltlos sich dieser Geistliche über die Verderbnis der Kirche und des Glaubens zu äußern pflegte; man schrieb ihm den Ausspruch zu, er hoffe zu erleben, daß Gott einen Mann zur Erneuerung der Kirche erwecken werde, und wenn das geschehe, wolle er dessen Schüler werden. Als im Jahre 1509 eine Wendung in den politischen Verhältnissen eintrat, die Maximilian gegen Papst Julius II. aufbrachte, kam ihm der Gedanke, ob es tunlich sei, die pragmatische Sanktion, die die Beziehungen Frankreichs zum Heiligen Stuhl in einer für den Staat vorteilhaften Weise geregelt hatte, in Deutschland einzuführen. Von Wimpheling, dessen Neffe Jakob Spiegel sein Sekretär war, verlangte er ein Gutachten, ob und wie die pragmatische Sanktion auf die deutschen Verhältnisse anzuwenden sei. Wimpheling, der, wie die meisten älteren Humanisten, bei aller Begeisterung für den Kaiser und kaiserliches Ansehen an der Suprematie des Papstes festhielt, riet nicht zur Einführung der pragmatischen Sanktion, dagegen solle vom Papst die genaue Beobachtung der mit dem Reich geschlossenen Konkordate zu erlangen gesucht werden, und zwar auf dem Wege friedlicher Vereinbarung. Er fügte seinem Gutachten die zehn Klagepunkte bei, die Martin Mayr in seinem berühmten Brief vor nun etwa 50 Jahren aufgesetzt hatte.

Ob ein revolutionärer Rat Wimphelings wirkungsvoller gewesen wäre als der vorsichtige? Es ist nicht anzunehmen; denn wie schroff sich auch im Spiel der Gedanken Maximilian oft zu dem Problem stellte, er blieb auf der Ebene des Spiels, wo er sich um so verwegener, weil ganz folgenlos tummeln konnte.

Wie der große Künstler, der ihn gezeichnet hatte, war Maximilian voller Figur: Pläne zu Denkmälern, zu Dichtungen, zu Organisationen, zu heroischen Taten, zu folgenschweren Umwälzungen tauchten wechselnd in seinem tätigen Geist auf. Als er sich mit Wimpheling beriet, dachte er an eine Staatskirche, wie sie in Frankreich begründet worden war; aber schon vorher war ihm ein anderer, höchst merkwürdiger Einfall gekommen, nämlich, ob er nicht selbst Papst werden könne. Schließlich war es noch nicht lange her, daß ein weltlicher Fürst, Felix von Savoyen, Papst geworden war. Als im Jahre 1511 Julius II. erkrankte und dem Ende nahe schien, hielt er den Augenblick für gekommen, das Spiel seiner Gedanken zu verwirklichen. Er überlegte sich, welche Persönlichkeiten mit welchen Mitteln gewonnen werden müßten, und zog den und jenen ins Vertrauen. Dabei schien er bald nur die weltliche Gewalt des Papstes, die sogenannten Temporalien, an sich ziehen, bald selbst den Päpstlichen Stuhl besteigen und dennoch Kaiser bleiben zu wollen. Seiner Tochter Margarete, die an Stelle seines jungen Enkels Karl die Niederlande regierte und die ihn zu einer neuen Heirat ermunterte, schrieb er, er habe nicht im Sinne, eine Frau zu nehmen, wolle vielmehr vom Papst sich zu seinem Koadjutor ernennen lassen, um nach dem Tode desselben Papst zu werden. Er wolle, schrieb er in seinem mit souveräner Willkür behandelten Altfranzösisch, das die Naivität und den Humor seines Einfalls verdoppelt, Papst und dann ein Heiliger werden, damit sie nach seinem Tode gezwungen sei, ihn anzubeten, » dont je me trouveré bien gloryoes«. Ob er im Ernst für möglich hielt, die eifersüchtigen Großmächte würden einer so ungeheuren Vermehrung seiner Macht gleichgültig zusehen? Vielleicht interessierte ihn hauptsächlich, was für ein Gesicht seine kluge Tochter bei der Aussicht machen würde, ihren leichtbeschwingten Vater als Heiligen anbeten zu sollen. Die Genesung des Papstes machte diesen Phantasien um die Tiara ein Ende. Man begreift, daß die Florentiner sagten, über Maximilian reden sei ebenso wie über die Trinität disputieren.

Wie sehr für Maximilian das politische und kriegerische Interesse im Mittelpunkt stand, zeigte sich, als er anfangs das Konzil von Pisa unterstützte, das die Reformation der Kirche durchführen sollte, dann aber, nachdem er mit dem Papst versöhnt war, die Beschlüsse desselben für nichtig erklärte und das Lateran-Konzil beschickte, das Julius II. dem Pisaner entgegenstellte und das gehorsam für die Verstärkung seiner Macht sorgte. Es wurde im Jahr 1517 durch Leo X. geschlossen.

Wenn Maximilian in seiner Haltung schwankte, so hielten die Stände doch grundsätzlich fest an ihren Beschwerden. Seit dem großen Reichstage von 1495, wo die Reichsreform alles andere zurückgedrängt hatte, erschienen die Gravamina auf jeder Reichsversammlung wieder. Gesandtschaften an den Papst, um sie zu überbringen, wurden beschlossen, kamen aber nicht zur Ausführung. Es waren allmählich hundert Klagepunkte geworden, von denen ein Teil die römische Verwaltung, ein Teil das Finanzwesen, ein Teil die Prozesse betraf. Es wurde von dieser offiziellen Seite nur die causa reformationis in Betracht gezogen, die das Konstanzer Konzil von der causa fidei, der Glaubensfrage, abgesondert hatte. Diese beschäftigte das so vielfach von den hussitischen und waldensischen Sekten beeinflußte Volk. Man möchte glauben, daß solchen Kreisen jener ungenannte Elsässer nahestand, dessen Gedanken über die Reichs- und Kirchenreform auf uns gekommen sind. Wie er den rechten Kaiser in die Nähe Gottes rückt, so stellt er die rechten Priester Engeln gleich; aber er findet nicht, daß es rechte Priester gebe. Sie sind alle verweltlicht, ganz und gar verwerflich, man soll sie in den Türkenkrieg schicken und die Pfaffenkinder verhungern lassen. Die Kirchengüter und geistlichen Fürstentümer sollen eingezogen werden. Jeder fromme Mann kann Priester sein, die guten Werke nützen nichts, wenn das Gemüt nicht zu Gott gewendet ist, auch der Ablaß hat keinen Wert, denn nur Gott verzeiht dem Reuigen seine Sünde. Die Messe soll in deutscher Sprache gefeiert werden, denn kein Gebet ist so herzlich andächtig wie in der Muttersprache. Der Papst und alle Geistlichen sind dem weltlichen Recht unterzuordnen, das kanonische Recht muß verschwinden. Gott hat niemandem Ehelosigkeit, im Gegenteil, er hat die Ehe geboten, deshalb wird der Zölibat und werden auch die Klöster aufgehoben. – Das war keine Reformation mehr, sondern eine gewaltige Revolution im ketzerischen Sinne; aber diese Gedanken wühlten nur in der Tiefe, züngelten zufällig einmal ans Licht und verschwanden wieder.

Heftiger und schonungsloser als die offiziellen Aktenstücke, die immerhin auch eine scharfe Sprache führten, waren einige von privater Seite veröffentlichte Äußerungen. Auf dem Reichstage zu Worms 1495 erschien eine Schrift von dem Vertreter Magdeburgs, Hermann von Hermannsgrün, die darin gipfelte, daß dem Papst, wenn er die Kaiserkrone einem Franzosen zuwenden sollte, von den Deutschen der Gehorsam zu kündigen sei. Das hätte Trennung von Rom, Gründung einer Reichskirche bedeutet. Dreiundzwanzig Jahre später war noch keine Beschwerde erhoben, die Kirche triumphierte, auf dem Reichstage zu Augsburg 1518 verlangten Papst und Kaiser gemeinsam einen Zehnten für den Türkenkrieg. Maximilian drohte denjenigen, die ihn verweigern würden, mit Reichsacht und Kirchenbann.

Während die Stände mit ihrem Votum zögerten, erschien ein Flugblatt unter dem Titel Oratio dissuasoria, eine Rede, die von der Bewilligung des Zehnten abmahnte. Das war nicht die wohlabgewogene Sprache einer Kanzlei, sondern der leidenschaftliche Erguß eines Entrüsteten, eines verzweifelten Patrioten. Es sei eine gute Sache, den Türken zu bekämpfen, sagte er, aber unter diesem Vorwande das arme Volk auszuplündern, das sei ein ärgeres Verbrechen als alle Untaten der Türken. Nicht auf das Geld komme es an: das Unerträgliche sei, daß der Satan sich in den Engel des Lichtes verstelle, daß in den Becher der Frömmigkeit Gift gespritzt werde, daß das Volk, im Glauben, gottgefällig zu handeln, der Habsucht opfere, die die Mutter der falschen Religion sei. »Den Türken wollt ihr schlagen? Ich billige eure Absicht, aber ich fürchte sehr, ihr irrt euch im Namen. Sucht ihn nicht in Asien, sucht ihn in Italien. Gegen den asiatischen kann jeder Fürst sich selbst wehren, den anderen zu bändigen reicht die ganze christliche Welt nicht aus. Jener liegt mit seinen Nachbarn ab und zu im Kampf und hat uns noch nicht geschadet, dieser wütet überall und dürstet nach dem Blut der Armen, diesen Höllenhund könnt ihr auf keine andere Art als mit einem goldnen Strom beschwichtigen.« Ebenso scharf war die Denkschrift des Bischofs von Lüttich, eines Grafen von der Mark. »Von der Hölle aus ging eines der ärgsten Tiere«, hieß es darin, »die Geldgier, die Wurzel alles Übels.« Für den Verfasser der Oratio dissuasoria hielten viele den Ritter Ulrich von Hutten; dieser aber hatte in einer Schrift zur Bewilligung der Zehnten aufgefordert, in der er freilich, hin- und hergerissen zwischen seiner Anhänglichkeit an den Kaiser und der Einsicht in die Notwendigkeit des Türkenkriegs auf der einen Seite und dem Haß und Argwohn gegen den Papst auf der anderen, nicht umhin konnte, ein Übergewicht dieses Hasses spüren zu lassen. Wahrscheinlich hat ein Würzburger Domherr, Friedrich Fischer, die Oratio geschrieben; es waren also zwei hohe Geistliche, die einen so unverhüllten, beleidigenden Angriff auf das Kirchenoberhaupt wagten. Das Bedenkliche der wirtschaftlichen Zustände, hervorgerufen, wie man annahm, durch die Ausbeutung von seiten Roms, machte blind gegen die Gefahr der Türkenkriege; wenigstens traute man den regierenden Häuptern nicht zu, daß es ihnen mit der Abwendung der Gefahr Ernst wäre. Die päpstlich-kaiserlichen Forderungen wurden abgelehnt, und zwar mit Hinblick auf den armen Mann, das vielgeplagte Volk, auf das alle Abgaben abgewälzt zu werden pflegten, und das nicht noch mehr belastet werden dürfe. Bereits waren im südwestlichen Deutschland Bauernaufstände ausgebrochen und hatten die Herren erschreckt. Man sagte sich, daß die Aufständischen mit ihren Klagen nicht durchaus im Unrecht waren; Befürchtungen, daß eine allgemeine Erhebung des bedrückten Volkes bevorstehe, wurden häufig ausgesprochen. Sei es nun, daß die Stände ernstlich daran glaubten oder nicht, sie wollten ihren Unwillen über das Ausbleiben der Reformation zeigen, indem sie ihren Beutel verschlossen.

Traurig ritt der Kaiser von Augsburg fort, wo er so oft auf der Höhe des Lebens getagt, gescherzt, getanzt hatte; jetzt mahnte ihn die über seine Seele sinkende Dämmerung, daß er es nicht wiedersehen werde. Als er in Innsbruck, die vor allen geliebte Stadt in den Bergen, einkehren wollte, schloß sie die Tore vor ihm zu, weil er ihr ohnehin viel schulde. »Er wird ein Streuhütlein werden«, hatte sein Vater, der sparsame Friedrich, von dem Kinde gesagt, als es bei der gestellten Wahl nicht nach dem Goldstück, sondern nach dem Apfel griff, und wirklich hatte er das Geld nie festhalten können. »Der Kayser war ein herr von oesterreich«, berichtet eine Chronik von Maximilian. »Er war fromm und nicht von hoher vernunft und war stets arm.« Wie ein abgewiesener Bettler ritt der kranke Herr weiter nach Wels, wo er am 12. Januar 1519 starb. Er war noch nicht 60 Jahre alt geworden.

Das Bild des seinem Ende nahen Kaisers, das in seinem kleinen Stüblein auf der Augsburger Pfalz Dürer von ihm zeichnete, versteht man erst recht, wenn man das Bild des jungen Maximilian damit vergleicht, das Lukas von Leyden gemalt hat. Trotz der kennzeichnenden höckerigen Nase, und wenn wir auch die gleichen Züge wiederfinden, ist doch kaum ein Zusammenhang zwischen dem blonden, weichen, ganz ungeprägten, ganz empfänglichen Prinzengesicht und dem souveränen Haupt des scheidenden Kaisers. Die Spuren eines reich ausgefüllten, weit ausgreifenden Lebens sind hier zu einem ergreifenden Akkord gesammelt. Lag vielleicht ein Keim der Schwermut auf dem Grunde dieser unermüdlich tätigen, elastischen, heiteren Seele? Schöpfte er rastlos die unzähligen Quellen seines Reiches aus, damit der dunkle Keim nicht aufschießen und ihn überschatten könne? Dem unvergeßlichen Antlitz haben sich ebensosehr die Strapazen eines mehr an Mühsal als an Erfolgen reichen Lebens eingegraben wie die Einsicht in bodenlose Tiefen und klägliche Unzulänglichkeiten alles Menschlichen, und ebensosehr wie hohe Würde scheint unausgesprochenes Leiden Distanz zu gebieten.

Es ist schicksalhaft, daß Maximilians Körper nicht in Innsbruck, sondern in Wiener-Neustadt begraben liegt; denn nicht seiner Person gilt die übermenschliche Gedächtnisfeier, die die ehernen Kolosse an seiner Tumba in der Hofkirche zu Innsbruck begehen, sondern dem letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, des in einem Glauben einigen. Er ist ein Letzter, dessen hier voll Ehrfurcht gedacht werden soll, der Letzte einer stolzen und tragischen Reihe. Bild ist hier die Klage geworden, die zu seinen Lebzeiten, von Sebastian Brant ausgesprochen, aus vielen Herzen brach: »O Deutschland, hülle dich in Trauer, denn das Zepter wird aus deiner Hand genommen werden! Wer gibt meinen Augen Tränen, um den Zusammenbruch des Reiches zu beweinen!«


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