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Der Prophet

Seine Häresien, hatte der Offizial von Eck zu Luther gesagt, wären nicht neu, sondern längst von anderen Ketzern vorgebracht und von der Kirche verdammt. Er hatte recht; alles, was Luther lehrte, war vor ihm von anderen gelehrt: daß die Schrift die einzige Grundlage des christlichen Glaubens sei, das allgemeine Priestertum, daß der Ablaß eine schädliche Einrichtung sei, daß nur Gott Sünden vergeben könne, daß Gott die Werke der Nächstenliebe angenehmer seien als die sogenannten guten Werke, der Kampf gegen den Bilderdienst, Verehrung der Heiligen und der Reliquien, gegen den Primat des Papstes, gegen die Messe. Wenn es nun aus seinem Munde auf einmal wie ein Blitz einschlug und zündete, wie ein Feuer um sich griff und die Welt erleuchtete, als habe man sie noch niemals zuvor klar gesehen, so lag das zum Teil an dem Zustand herbstlicher Dürre und Durchsichtigkeit, in dem das Abendland sich befand, vor allem aber an Luthers Eigenart, an seiner Gläubigkeit. Man hatte seit einem Jahrhundert versucht, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu ordnen, Übergriffen der Kirche, namentlich der finanziellen Ausbeutung zu wehren, Mißbräuche abzuschaffen, Sittenlosigkeit zu bessern – Luther erneuerte die Beziehung zu Gott. Der Strom, der das Irdische dem Göttlichen verbindet, der lange versiegt war, rauschte wieder, durch seinen Glauben magisch entbunden. Wie es Menschen gibt, für die eine bestimmte Reihe von Tönen nichts weiter ist als ein zufälliges Geräusch, während es für andere eine Melodie ist, die das Herz erschüttert, so unterscheiden viele das göttliche Wort nicht von dem dem Irrtum ausgesetzten menschlichen: Luther hörte die mit nichts Irdischem vergleichbare, unfehlbar verpflichtende Stimme des Herrn, und weil Gott für ihn Wirklichkeit war, wurde er es auch für andere.

Um die Propheten her, die im Quellgebiet des Übersinnlichen leben, ist ein leuchtenderes Licht und ein lebendigeres Leben als anderswo, darum drängen sich die Menschen an sie heran und hoffen von ihnen göttliche Botschaft zu erfahren. Mit der Musik aus dem Jenseits, die er mitteilte, hatte Luther das Herz seines Kurfürsten getroffen, traf er unzählige empfängliche Herzen, denen es nun schien, als hätten sie nur darauf gewartet.

Als Luther im Kloster sich in die Schrift versenkte, enthüllte das Wort der Propheten ihm sein eigenes Schicksal. Lange rang er damit, da es ihn erschreckte, nicht lockte. Wollte man den Augenblick bezeichnen, wo er sich entschloß, die Last des Herrn auf sich zu nehmen, so müßte es wohl der sein, als er die Bannbulle verbrannte und damit das Band zerriß, das ihn mit der Kirche verknüpfte. Wenn auch der Kampf in seinem Innern nicht aufhörte, auf dem Wege nach Worms noch ihn schüttelte und sich erst legte, wenn die tröstende Stimme seiner Laute ihn beschwichtigte, war doch seit jenem Zeitpunkt seine Haltung anders geworden. Er war nun der Diener seines Volkes ohne Unterschied der Stände, aber auch sein Herr. Wenn es das Wort Gottes betraf, trat er als Gebieter auf, leitete, drohte, strafte, rühmte, einzig durch seine Überzeugung gebunden. Und wie die Halme vor dem Winde beugten sich alle vor ihm, die Großen wie die Kleinen; sie erwarteten das richtende Wort von ihm und nahmen es an.

Die Verantwortung für das Schicksal eines Volkes zu tragen ist schwer und drückte so auf Luther, daß er zusammengebrochen wäre, wenn nicht seine Seele immer sich aus dem Paradiese hätte weiden können, zu dem er den Zugang hatte. Dort gab er sich Träumereien hin, wie sie Kinder träumen, spielte mit Sternen, Blumen und Tieren wunderliche Spiele, von denen zuweilen ein liebliches Wort in seine menschliche Sphäre glitt. Solcher erlösender Augenblicke mochte er manche haben, als er den Frühling auf der Wartburg erlebte. Es war auf einmal still um ihn; anstatt des scharfen Gezänks der großen Welt, hinter dem Habgier und Ehrgeiz und allerlei böse Lust steckte, umgab ihn das dämmernde Schweigen der Burg und die dienstfertige Freundlichkeit ihrer kleinen Besatzung. Wenn er aus dem Fenster blickte, sah er die gelblich grünen Schleier der eben entfalteten jungen Buchenblätter, und in der Frühe hörte er die erwachenden Vögel mit sanftem Jubelton das neugeschaffene Licht begrüßen. Wenn die Sonne untergegangen war, vernahm er das silberne Geriesel der Nacht an den alten Mauern und den alten Stämmen. Hier war das Ewige, das zugleich Unergründliche und Selbstverständliche. In glücklichen Stunden war er Träumer und Dichter: er vollendete das Magnifikat, den Lobgesang der heiligen Jungfrau, er legte Psalmen aus, er schrieb Predigten. Gegen den Winter begann er die Übersetzung des Neuen Testamentes aus dem Griechischen. Als Übersetzung aus dem Urtext ist seine Verdeutschung die erste, nicht die erste überhaupt. Bis zum Jahre 1518 waren 17 oberdeutsche und 3 niederdeutsche Drucke der ganzen Bibel erschienen, dazu eine Reihe von Ausgaben einzelner Evangelien und Episteln. Das Lesen der Bibel wurde von kirchlicher Seite empfohlen, zuweilen aber auch als gefährlich bezeichnet; das Bedürfnis war da und wurde befriedigt. Wie schon vor der Reformation bei etwaigem Neubau von Kirchen das Bedürfnis der Predigt besonders berücksichtigt wurde, so daß man sagen kann, die protestantische Predigtkirche sei dagewesen ehe es Protestanten gegeben habe, so zeigte sich auch hinsichtlich des Bibellesens, daß die Bewegung, die Luther zum Siege führte, da war, gleichsam nur auf einen wartete, der sie benannte. Luthers Neues Testament erschien im September 1522; obwohl die Auflage in vielen Exemplaren gedruckt und ziemlich teuer war, war sie bis zum Dezember vergriffen. Die ganze Heilige Schrift kam zwölf Jahre später heraus. Wenn trotz vorhandener Übersetzungen die neue so begierig gelesen wurde, zeugt das für den Ruhm von Luthers Namen, aber mehr noch für die Größe seines Werkes. Ein Meister der Sprache, ein Dichter hat seinem Volke für Jahrhunderte Nahrung gegeben. Generationen von Deutschen lasen fortan die Bibel, und viele nichts als die Bibel in seiner Sprache. Aus den orientalischen Büchern strömte in ihr Gemüt zugleich Luthers Herzlichkeit, Inbrunst, kriegerische Kraft und Leidenschaft, die Glut seines Glaubens. Wie der Geist der israelitischen Propheten und Apostel zu seinem gesprochen hatte, so überströmte nun seiner in den ihrigen, und es ging etwas daraus hervor, was die Deutschen als ihr eigenstes, tiefstes empfanden.

Aber die Stille und Einsamkeit der Burg war auch verzehrend. Jetzt wurde er seiner Vereinzelung inne. War es nicht Wahnsinn, wenn ein einzelner umstürzen wollte, was die Christenheit in Jahrhunderten gebaut und was sein Volk durch Jahrhunderte verehrt hatte? Ging nicht das Leben weiter ohne ihn? Was taten sie draußen ohne ihn? Er war nicht ohne Nachrichten, wechselte Briefe mit Freunden. Im Beginn des Herbstes erfuhr er, daß in Halle, der Residenz des Kurfürsten Albrecht von Mainz, ein Ablaß ausgeschrieben war. Zornig verfaßte er eine Schrift »Wider den Abgott zu Halle« und schickte sie an Spalatin, damit er sie drucken lasse; auf Befehl des Kurfürsten unterblieb es. Er gedenke nicht, sich zu fügen, schrieb da Luther an Spalatin, lieber wolle er ihn und den Fürsten und alle Welt ins Verderben reißen. »Denn wenn ich dem Papst, der den Mainzer gemacht hat, Widerstand geleistet habe, warum soll ich vor der päpstlichen Kreatur zurückweichen? Ich ersuche Euch also, das Buch weder Melanchthon vorzuenthalten, noch mir von der Veröffentlichung abzuraten. Es ist bei mir beschlossene Sache, ich will Euch nicht hören.« Dem Kurfürsten von Mainz drohte er, wenn er nicht binnen 14 Tagen den Ablaß zurückziehe, werde er eine Schrift gegen ihn veröffentlichen. Lange genug habe er ihn geschont; wenn Albrecht fortfahre, sich nicht wie ein Bischof, sondern wie ein Wolf zu betragen, werde er Ernst gebrauchen. Künftig solle Albrecht diejenigen Geistlichen gewähren lassen, die für gut fänden, sich zu verheiraten; die Bischöfe sollten ihre Huren vertreiben, anstatt fromme Ehefrauen von ihren Männern zu scheiden. Bevor er noch Antwort erhalten hatte, ritt Luther im ritterlichen Kleide mitten durch Leipzig nach Wittenberg, um sich selbst vom Stande der Dinge zu überzeugen. Da der Ablaß inzwischen abgestellt war, zog er selbst seine Schrift zurück. Er war als der Prophet aufgetreten, der das Recht hat, die Fürsten seinem Urteil zu unterwerfen, und die Fürsten beugten sich. Der Kurfürst von Mainz versprach zerknirscht, sich zu bessern. Indessen, kaum war dieser Widerstand gebrochen, als sich von anderer Seite Gefahren erhoben.

Im kurfürstlich-sächsischen Gebiet ging die antikirchliche Bewegung, die nun einmal ausgebrochen war, weiter, und da keiner mehr da war, der sie leitete, griffen diejenigen zu, die am wenigsten durch Scheu und verständige Bedenken gehemmt waren. Die Bilder wurden aus den Kirchen gerissen, die Messe wurde abgeschafft, das Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgeteilt, Mönche und Nonnen liefen aus den Klöstern und verheirateten sich, Priester, die sich nicht fügen wollten, wurden beleidigt und wohl gar tätlich angegriffen. Der Kurfürst wußte nicht, was er gestatten, was verbieten sollte. Zu der gewaltsamen Veränderung des Gottesdienstes kam noch etwas Ärgeres. In der gewerbereichen Stadt Zwickau traten mehrere Handwerker und ein Geistlicher, Thomas Münzer aus Stolberg am Harz, auf, die nicht die Heilige Schrift allein als Grundlage des Glaubens anerkennen wollten, die ja zu verschiedenen Zeiten entstanden, voller Widersprüche sei und durchaus nicht in allen Teilen Gottes Wort enthalte. Gott habe sich, sagten sie, nicht nur im Altertum auserwählten Menschen offenbart, er fahre noch immer fort, das zu tun, und die göttlichen Offenbarungen im Geist ließen den Willen Gottes besser erkennen als die ungewisse Schrift. Diese Ansicht fand Beifall in den Handwerkerkreisen, die von jeher zur Sektenbildung und zur Aufnahme von Ketzereien neigten. Den Leuten, die ungeschult im Denken waren, aber oft eine ebenso flache wie verworrene Phantasie hatten, tat es wohl, ihre Meinungen, gestützt durch das Ansehen göttlicher Eingebung, mitteilen und erörtert sehen zu können.

Als einige von diesen neuen Propheten sich nach Wittenberg begaben, machten gewisse Punkte ihrer Lehre auf Melanchthon, auf Spalatin und den Kurfürsten Eindruck. Sie waren augenscheinlich von der Wahrheit ihrer Behauptungen überzeugt, von denen sich manche in der Tat nicht ohne weiteres widerlegen ließen. Es war richtig, daß Widersprüche in der Bibel enthalten wären, daß sie ausgelegt werden müsse, daß jeder, dem allgemeinen Priestertum zufolge, das Recht dazu habe, und daß das Auslegen schon eine Offenbarung im Geiste sei. Und warum sollte Gott sich einem Storch, Stübner und Münzer nicht ebensogut offenbaren wie einem Luther? Auch die Behauptung, daß neugeborene Kinder keinen Glauben haben könnten und daß deshalb die Taufe an Erwachsenen vollzogen werden müsse, wie ja auch Christus als Erwachsener sich habe taufen lassen, hatte etwas Einleuchtendes. Die Verlegenheit, wie den neuen Propheten zu begegnen sei, führte zur Auflösung jeder Ordnung in Wittenberg, was schließlich den Stadtrat veranlaßte, sich an Luther mit der Bitte zu wenden, er möge zurückkommen. Dem Kurfürsten wurde es bange. Durch das Edikt von Worms wurde er eigentlich gezwungen, Luther auszuliefern, wenn er sich nicht mehr damit entschuldigen konnte, er wisse nicht, wo er sei. Er sah die ärgerlichsten Verwicklungen voraus und schrieb an Luther in einer Weise, die die ratlose Unruhe seines Gemütes widerspiegelt: »Ich habe gehört, daß du bereit bist zu kommen; die Wittenberger Zustände sind unerträglich; ich kann dir nicht raten zu kommen und kann mich deiner Sache nicht öffentlich annehmen; wüßte ich aber, daß es Gottes Wille wäre, daß du kämest, so wollte ich gerne leiden, was daraus erwächst; die Wittenberger Zustände wachsen mir über den Kopf; gleichwohl rate ich, bis auf den nächsten Reichstag zu warten. Doch wünsche ich auch nicht, daß durch dein Warten Gottes Wille gehindert wird.« Die zartfühlende Güte des Kurfürsten, seine großartige Bescheidenheit, seine Sorge um Luther, sein aufrichtiger Wunsch, den Willen Gottes zu erfüllen, spricht aus dem Brief. Luther beachtete ihn kaum. Er antwortete respektvoll, mehr, so scheint es, dem greisen Haupt als dem Fürsten zu Ehren, aber streng, stolz, wie aus einer unzugänglichen Ferne. Es war, als wolle er sagen: hier handelt es sich um Gottes und um meines Volkes Sache, was du sagst, was du leidest ist gleichgültig. Mit einer ruhigen Handbewegung schob er den Landesherrn beiseite.

An einem der ersten Märztage ritt er von der Wartburg herunter im ritterlichen Wams und roten Barett, von einem Reitknecht begleitet. Von zwei Sankt-Galler Studenten, die im Schwarzen Bären vor Jena mit ihm zusammentrafen, hat der eine, Johann Keßler, die merkwürdige Begegnung ausführlich geschildert. Wir fühlen das Sausen der Zeit, das Gespanntsein der Gemüter auf Neues, Wunderbares, das sich jeden Augenblick begeben kann, wie es große Revolutionen mit sich bringen. Wie föhnige Windstöße flackert es um die großen Namen, die auf aller Lippen sind, und um den merkwürdigen Mann mit den tiefen schwarzen Augen, der ein ritterliches Gewand trägt und ein Buch neben sich liegen hat. Er ist gütig und heiter, sehr anmutig in seiner Art, sich zu geben, und es ist etwas Besonderes um ihn, etwas Geheimnisvolles. Ist es Luther? Ist es Hutten? Ja, es wird Hutten sein; denn wie wäre es möglich, daß sie, zwei einfache junge Studenten, so traulich mit Luther gesprochen hätten? Als sie in Wittenberg bei Hieronymus Schurf Besuch machten, an den sie Empfehlungsbriefe hatten, da war er wieder, begrüßte sie als Bekannte aus dem Schwarzen Bären und stellte sie seinem Freunde Melanchthon vor, und es war wirklich Luther, das Wunder des Jahrhunderts. Dann hörten sie die acht Predigten, die er eine Woche hindurch hielt, um die Ordnung in Wittenberg wiederherzustellen.

Es ist nicht zu verwundern, daß die Studenten von der Persönlichkeit des Propheten überwältigt waren; sie erlebten Luthers größte Stunde. Damals, als er von der Wartburg nach Wittenberg kam, gebannt und geächtet, vogelfrei, aber ganz sicher in seinem Gott, als wäre er für Menschenaugen unsichtbar, stand sein gläubiges Herz wie die Sonne in seiner Brust, getragen von den Dämonen, die sich ihm beugten. Seine Wildheit, seine Maßlosigkeit, seine Herrschsucht, alle Unbändigkeiten seines Wesens dienten dieser Sonne, waren nur dazu da, dieses himmlische Feuer anzufachen. Vor der erbarmungsvollen Vatergüte, die er ausstrahlte und die den Glanz seiner Überlegenheit erträglich machte, mußten sich Widerstand, Bosheit, Torheit und Roheit in Erkenntnis der Schuld und guten Willen wandeln. Kaum jemals wieder war so viel Großartigkeit und so viel Schmelz in seiner Rede. Wie wenn ein König aus der Verbannung zurückkehrt und sein Zepter wieder ergreift, nahm er die Herrschaft wieder in die Hand, und jeder fand es selbstverständlich. Meine Freunde, welchen Schmerz habt ihr mir angetan, wiederholte er immer wieder. Vielleicht seid ihr gläubiger, klüger, weiser als ich, aber ich bin es doch, der dies Wesen angefangen hat; war es recht, daß ihr, ohne mich zu fragen, es nach eurem Gutdünken regellos weiterführtet? Er erklärte, daß sie die Freiheit nicht verstünden, wenn sie meinten, weil es nicht christlich sei, Menschen mit Zwang im Kloster zurückzuhalten, sei es christlich, sie mit Zwang daraus zu entfernen. Das tue ihm am meisten weh, sagte er, daß sie es an Liebe hätten fehlen lassen. Zum ersten Male wohl ertönte in deutscher Sprache des Paulus und sein unsterbliches Gedicht: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.« Vielen, die diese Predigten hörten, war es zumute, als habe wirklich ein Engel gesprochen. Wie auf Zauberwort rückte alles an seinen Platz, glättete und ordnete sich alles Verstörte. Das Leben in Kirche, Kloster und Universität entfaltete sich unter allgemeiner Teilnahme wie früher. Auch die Zwickauer Propheten und Bibelausleger wichen unter bösem und traurigem Krächzen aus der Stadt wie Raben, wenn es Frühling wird, freilich ohne ihr Wesen und ihre Absichten zu ändern. Luther hatte den Mut zu entscheiden, daß er von Gott berufen sei und daß jene es nicht seien. Er war der Ansicht, berufen sei jeder zu dem Tun, das in seinem Amt begriffen sei; deshalb betonte er gern, daß er Doktor der Theologie und vom Kurfürsten zum Predigen angestellt sei. Als Theologe und Prediger sei er für die Seelen seiner Gemeinde und für die Erhaltung des Gotteswortes verantwortlich. Auf die unmittelbare Berufung durch Gott, die ihm wohl bewußt war, könne man nicht pochen; sie müßte erlebt werden und sich auswirken.

Dadurch, daß er das Zusammenarbeiten mit den Zwickauern durchaus ablehnte, machte er sie sich zu Feinden. Das schreckte ihn nicht; wohl aber war es ein bitteres und folgenschweres Erlebnis, daß er, dem das Volk zugejubelt hatte, als er von Kaiser und Papst verfolgt war, sich nun gegen einen Teil dieses Volkes, gegen seine eigenen Anhänger wenden mußte, die in seinem Sinne gehandelt zu haben glaubten. Er hatte bisher das schöne Lied der Freiheit gesungen, nun mußte er mit strengen Worten Ordnung fordern. Im Augenblick seines Sieges mußte er einen neuen Weg einschlagen, einen weniger gefährlichen, aber freudlosen.


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