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Stadtwappen

Goslar

Unter den Kaisern des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation ist Heinrich III. derjenige, der die Idee des mittelalterlichen Kaisertums am bewußtesten und folgerichtigsten zum Ausdruck gebracht hat. Uralter, aus dem Orient stammender Anschauung zufolge soll durch den Kaiser auf Erden die Gottheit vertreten werden; wie der Himmel Gott, so umwallt der Hermelin die Schultern des Kaisers und der Reichsapfel ruht in seiner Hand wie die Welt in Gottes Händen. Wie aus dem Herzen Gottes quillt aus seinem Herzen die Macht und das Recht, und die des Rechtes Ungerechtigkeit ausgleichende Gnade. Hohen Mutes übernahm Heinrich III. die schwere Aufgabe, dem Abendlande Einigkeit und Frieden zu geben, und verließ sich dabei hauptsächlich auf die unmittelbare Gewalt seiner Persönlichkeit. Keiner hat so wie er verstanden, zu versöhnen und doch zu herrschen, selbst der Kirche gegenüber demütig und doch der Gebieter zu sein. Dieses großen Kaisers Gedächtnis wahrt monumental die Stadt Goslar am Harz, die er, soweit das bei der damals üblichen Art der Wanderregierung möglich war, zu seiner Residenz machte. Schon bestanden eine Pfalz und mehrere Kirchen in Goslar; denn Heinrich II. und Konrad II. hatten mehrmals dort verweilt und Synoden und Reichsversammlungen dort abgehalten, vielleicht um einen beherrschenden Mittelpunkt in das noch ungezähmte Sachsenland zu legen. Heinrichs III. Mutter, die kluge und schöne Gisela, ließ durch den Bischof Godehard von Hildesheim und seinen künstlerischen Propst Benno von Schwaben, den nachherigen Bischof von Osnabrück, neben der Pfalz die Liebfrauenkirche erbauen, die später in Verfall und Vergessenheit geriet, bis in neuester Zeit ihre Grundmauern aufgedeckt wurden. Auch der Dom, den Aposteln Simeon und Juda geweiht, war schon begründet; aber seine endgültige Form ließ ihm Heinrich III. durch denselben Benno geben. Heinrichs Frau Agnes gründete auf dem Kalkberge vor der Stadt das Peterskloster mit der wundervollen Peterskirche, der Sage nach um den Tod eines Dieners zu sühnen, den sie ungerechterweise des Diebstahls verdächtigt hatte. Auch von diesen Prachtgebäuden sind nur noch die Grundmauern übrig. Der Glanz, den Heinrich III. über Goslar ausgegossen hatte, erlosch bald nach seinem frühen Tode; er starb auf seiner Burg Bodfeld erst 46 Jahre alt. Auf seinen Wunsch wurde sein Herz im Dom von Goslar beigesetzt; die von dem gerade anwesenden Papst Nikolaus II. geweihte Leiche kam nach Speier.

Bis zum Interregnum hielten sich alle Kaiser vorübergehend in Goslar auf; hier verhängte Friedrich Barbarossa die Acht über Heinrich den Löwen. Die Habsburger, seßhaft gewordene Kaiser, darauf bedacht, sich ein eigenes Reich zu gründen, kamen nicht mehr nach dem nordischen Rom, wie Goslar genannt wurde, und aus der Kaiserstadt wurde eine Reichsstadt. Sie bereisten noch eine Zeitlang die Pfalz, das Denkmal kaiserlicher Macht, und ließen sie dann verfallen; die Dynastie Hohenzollern, die an das alte Kaisertum anzuknüpfen liebte, seine wesentliche Verschiedenheit von dem neugegründeten verkennend, stellte den ehrwürdigen Bau nach der Auffassung von 1870 her.

Steht man vor dem Domvorbau, dem einzigen Überrest der kaiserlichen Basilika mit dem Dach aus Kupfer und den silbernen Glocken, so ist man geneigt, die Rettung des Palastes zu beklagen. Wie ergreifend trauert die Ruine zwischen den Bäumen, die sie umdunkeln. In ihrem abgestuften Giebel stehen groß und ernst zwischen zwei Kaisern die Heiligen Simon, Judas und Mathias, darüber zwischen Engeln die Jungfrau Maria; schwache Spuren von Bemalung verstärken den Eindruck verwitterter Lebendigkeit. Es spricht nicht nur Menschenwerk zu uns, sondern die Dämonie der Elemente, in die es sich auflöst, die Schwermut der Vergänglichkeit. Was im Innern der Kapelle an altem Gerät und Kunstwerk sich trümmerhaft aus dem Dunkel hervorbildet, wirkt magisch; von den Scherben bunter Glasfenster glühen sich Bilder, eine Verkündigung, eine Geburt Christi, unauslöschlich ins Gedächtnis. Wäre vom Palast nichts mehr übrig als die schöne alte Ulrichskapelle und vielleicht ein paar halbvermauert schöngeschwungene Bogenfenster, so würde man träumen von den schicksalsvollen Gestalten, die hier aus- und eingingen, von dem unglücklichen Heinrich IV., der hier geboren wurde und der hier, so erzählt die Sage, sein Schwert und Schild, noch heiß vom Blitz, der hineingefahren war, mit eigener Hand schmiedete, um es aus 62 Schlachten gerettet, unverminderten Glanzes mit ins Grab zu nehmen. Der allzu neue Bau von heute läßt solche Bilder nicht aufkommen; die modernen Reiterfiguren Barbarossas und Kaiser Wilhelms I., anspruchsvoll und leer, stören empfindlich. Einst muß der Platz Kaiser und Reich würdig repräsentiert haben. Der weltberühmte Palast, von dem man annimmt, daß er das Vorbild für Heinrichs des Löwen Burg Dankwarderode in Braunschweig und Friedrich Barbarossas Pfalz in Gelnhausen war, die Liebfrauenkirche, mit ihr verbunden der Dom mit seinen beiden achteckigen Türmen und der Vierungskuppel, dahinter der erzreiche, verhängnisvolle Rammelsberg: es war eine Bühne, weltgeschichtlicher Szenen würdig. Merkwürdige Betrachtungen erweckt es, daß während des Dreißigjährigen Krieges die Jesuiten, die Goslar zu einem Mittelpunkt katholischer Wissenschaft bestimmten, das Kaiserhaus als Universität benutzen wollten, und daß der nördliche Flügel bereits Jesuitenflügel genannt wurde. Der Rat verhielt sich nicht ablehnend gegen den Plan, von dem er sich ein Aufblühen der verarmten Stadt versprach, aber die Bürgerschaft wollte nichts davon wissen und war froh, daß man durch die Ankunft der Schweden »dero blutdürstigen, unglückbewandten Jesuiten ohne Nachtheil einmahl dieses Orts wieder loß wurde.«

Der Stadt kam es zugute, daß die Schatten der großen Kaiser nicht mehr auf sie fielen; allein schon erregten die Schätze des Rammelsberges die Begier einer anderen mächtigen Dynastie, die Jahrhunderte hindurch wie ein Wolf zum Überfall bereit auf ihrer Schwelle gelagert hat. Man sagt, daß Heinrich der Löwe, als sein Vetter und Kaiser Friedrich Barbarossa vor seinem unglücklichen Kampf in Italien ihn um Hilfe beschwor, sich als Preis die Reichsvogtei über Goslar ausbedungen und nicht erhalten habe. Es würde den Wert der Beute kennzeichnen, wenn zwei mächtige Fürsten um ihretwillen ihr Glück aufs Spiel setzten. Goslar blieb staufisch und erfuhr darum zweimal Überfall und Zerstörung durch die Welfen. Ottos IV. Feldherr, Gunzelin von Wolfenbüttel, belagerte Goslar jahrelang, bis es ihm gelang, wie es heißt durch Verrat der Äbtissin von Neuwerk, einzudringen. Nach dreitägiger Plünderung wurden damals so viel geraubte Schätze nach Braunschweig geführt, daß die Fuhrleute durch acht Tage damit beschäftigt waren. Nach Ottos Tode hielt Kaiser Friedrich II. einen Reichstag in Goslar ab und verlieh der Stadt, die um ihrer standhaften Treue willen soviel erlitten hatte, das erste Stadtrecht.

Indessen, wie so oft die Fürsten sich auf Kosten der Geringeren versöhnen, geschah es nach einigen Jahren, daß Friedrich II. den Enkel Heinrichs des Löwen, Otto das Kind, mit der Vogtei über Goslar belehnte und ihm gewisse Rechte am Bergwerk verlieh, wodurch die Welfen einen Zipfel in die Hand bekamen, den sie festhielten, um gelegentlich das Ganze an sich zu ziehen. Die beiden nächsten Jahrhunderte hindurch kam das große Ziel für die welfische Familie noch nicht in Betracht, und Goslar konnte seine Blüte entfalten. Das Recht am Bergwerk ging zunächst als Pfandbrief an die reichen adligen Herren, dann an die Korporation der Montanen und Silvanen, die Berg- und Waldherren, und endlich an die Stadt über, die inzwischen auch die Vogtei erworben hatte. Außer dem Silber und Kupfer des Rammelsberges besaß Goslar noch eine andere Quelle des Reichtums, nämlich Wälder und Schieferbrüche. Durch allmählichen Erwerb erstreckten sich die Goslarer Forsten im 16. Jahrhundert bis an den Brocken und bis Osterode. Die Mittel, um die Anteile am Bergwerk und Forst zu erwerben, die in den Händen adliger Familien, der v. d. Dyke, v. d. Gowische, v. Goslaria waren, bekam die Stadt von den Gewandschneidern und Kopluden, deren Gildehaus unter dem Namen Kaiserworth oder kurzweg Worth als letztes der den Markt umsäumenden Gildehäuser übriggeblieben ist.

Die Zeit des Interregnums wurde für Goslar wie für alle anderen Städte eine Zeit des Aufstiegs; es wurde Mitglied der Hanse, verbündete sich mit Hildesheim und Braunschweig und gewann die Reichsunmittelbarkeit. Ludwig der Bayer verlieh dem Rat das Heerschildrecht, wonach er als Ganzes sowie jeder einzelne Ratsherr erledigte Reichslehen erwerben konnte. Von dem geldbedürftigen Kaiser Wenzel erkaufte die Stadt die letzten reichsvogteilichen Rechte; der letzte um 1415 angeführte Reichsvogt hieß Sievert von Rollingke.

Kaiser Maximilian beabsichtigte einmal nach einer von Karl IV. eingeführten üblen Gepflogenheit Goslar an Kursachsen zu verpfänden, mußte aber gegenüber der auf ihrem Recht beharrenden Stadt darauf verzichten. Die Goslarer verweigerten die Huldigung und mahnten den Kaiser ernstlich an ihre Privilegien. Sie wurden namentlich durch Herzog Heinrich den Älteren von Braunschweig-Wolfenbüttel unterstützt und entgingen wirklich der Gefahr, wenn auch nicht der Zahlung einer bedeutenden Geldsumme.

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts geriet das Bergwesen durch eine Pest in Verfall und wurde so unergiebig, daß die Herzöge von Braunschweig es vorzogen, ihre Anteile um 800 Mark Fein-Silber an die Familie v. d. Gowische zu verkaufen mit Vorbehalt des Wiederkaufs. Diese aber, die bei dem Zustande des Bergwerks ebensowenig Interesse daran hatten, verkauften die Anteile weiter an den Rat; noch ist die Urkunde der Genehmigung dieses Übergangs durch die Herzöge vorhanden. Zunächst hatte der Rat keinen Vorteil davon, da der Rammelsberg einen Riß bekam und die Gruben ertranken. Des Wassers Herr zu werden war damals eine Kunst, die nur wenige verstanden, und es wurden viele vergebliche Versuche gemacht, bis endlich der kundige Meister Klaus von Gotha das Bergwerk wieder zu Sumpfe brachte. Planmäßig suchte nun der Rat alle Anteile am Rammelsberg, die noch in anderen Händen waren, wie z. B. der Bischof von Verden und die Städte Lüneburg, Hildesheim, Göttingen, Einbeck welche besaßen, an sich zu bringen und hatte das auch im Jahre 1511 erreicht. Nach den seit längerer Zeit erlassenen Berggesetzen stand ein Kollegium von Ratsherren an der Spitze des Bergwerks, das seine Sitzungen im Paradies des Doms abhielt, und das verschiedene Beamte anstellte, vor allen Dingen den Bergmeister und den Bergrichter. Die Anteile oder Kuxe konnte man in Miete, als Lehen und als Eigentum haben und wurde durch ihren Besitz zum Gewerke.

Reichtum erweckt Habgier. Den raublustigen Feinden verkündeten die erweiterten und verstärkten Mauern und Warttürme an der Grenze des Gebiets die Macht und Unantastbarkeit der Reichsstadt. Die Mauer war durch 182 Türme befestigt. Die zyklopischen Werke waren geschmückt und geweiht mit Bildnissen von Kaisern und dem Adler, den Kaiser Ludwig der Stadt als Wappen verliehen hatte. Durch Kunst und Geschichte herrlich und denkwürdig, alte reichsunmittelbare Stifter umschließend, von anderen umkränzt, die Souveränität in schönen öffentlichen Gebäuden, den Bürgerwohlstand in reichen, zierlichen, gemütlichen Häusern darstellend, durch Schutz- und Trutzbündnisse gesichert, stand das nordische Rom ansehnlich da, als sich fast unmerklich die ersten Anzeichen nahender Erschütterung meldeten.

Die braunschweigischen Herzöge Heinrich der Ältere und Erich der Ältere erklärten, daß sie den Rammelsberger Zehnten, den ihre Vorfahren denen v. d. Gowische wiederkäuflich verkauft hatten, wieder einlösen wollten, was einen unleidlichen Verlust für Goslar bedeutet hätte. Die Stadt übertrug den Fall einem Schiedsgericht, das zugunsten Goslars entschied, wodurch denn die Gefahr noch für einmal abgewendet wurde. Allein in Herzog Heinrich dem Jüngeren, der seinem Vater in der Regierung folgte, erstand der Stadt ein Feind, dem sie erliegen sollte. Heinrich der Jüngere, der Nachwelt hauptsächlich bekannt durch den leidenschaftlichen Angriff Luthers in seiner Schrift Wider Hans Worst, war einer jener Fürsten, die unbedenklich um die Folgen, von einem elementaren Drange getrieben, ihre ganze Kraft der Schaffung eines einheitlichen Territorialstaates widmeten. Er tat, was ihn gelüstete, und ihn gelüstete es nach Herrschaft, Kampf und aller Art Genuß. Die Offenheit, mit der er verfuhr, eine beinahe kindliche Gewissenlosigkeit, eine gewisse heidnisch-nordische Gutmütigkeit in der Wildheit, nehmen trotz allem für den gewaltigen Störenfried ein. Religiöse Probleme interessierten ihn nicht; da er sich vom Kaiser mehr Gewinn versprach als von den evangelischen Ständen, hielt er entschlossen zu jenem. Er erlaubte sich ein übermütiges Abenteuer, indem er seine Geliebte Eva von Trott, um sie ungestört besitzen zu können, für tot ausgab und ihr ein feierliches kirchliches Begräbnis veranstaltete, dem seine eigene Frau beiwohnte. Die Geliebte hatte ihm schon vorher mehrere Kinder geboren und fuhr damit auf der Staufenburg fort, wohin er sie entführte.

Goslar erneuerte mit dem unheimlichen Nachbar den aus früherer Zeit datierenden Schutzvertrag, worin er versprach, die Stadt mit ihren Berg- und Hüttenwerken und ihren Forsten, so wie sie von den Kaisern damit begnadigt sei, unbehindert zu lassen und zu beschützen. Dessen ungeachtet zeigte er einige Jahre später nicht nur die Absicht an, den rammelsbergischen Zehnten einzulösen, sondern er behauptete, unter der kaiserlichen Verleihung desselben wären alle Rechte und Gerechtigkeiten, das Ober- und Niedergericht über den Rammelsberg, das Verkaufsrecht aller Metalle begriffen, ja, es stehe der Stadt Goslar außerhalb ihrer Mauern gar kein Recht zu, und alle ihre Forsten wären pfandweise Braunschweig überlassen. Der Rat von Goslar zeigte sich anfangs entgegenkommend, ließ die Einlösung des Zehnten, wiewohl ungern, geschehen und verzichtete auch auf einen Teil seiner Forsten: wegen der ungerechten Forderungen wandte er sich an den Kaiser. Karl V. ernannte eine Untersuchungskommission, die nie zusammenkam, und Heinrich setzte sich ohne weiteres in den Besitz aller Hüttenwerke, schlug die Wappen ab, verjagte die Bergleute und setzte einen eigenen Bergrichter ein, an den alles gewonnene Blei und Silber abgeführt werden sollte. Trotzdem sich das Reichsregiment sowie verschiedene Fürsten und Städte einmischten, besetzte und befestigte er das eine halbe Stunde von Goslar entfernte Kloster Riechenberg und störte von dort aus durch Ausfälle den Verkehr. Gegenausfälle der Goslarer verbitterten die Stimmung und brachten diese schließlich zu einer Tat, die wir Heutigen sehr beklagen. Sie zerstörten nämlich, damit der Feind nicht dort begünstigt werde und sich dort festsetze, die vor den Mauern liegenden Kirchen und Klöster, darunter die Klöster St. Georg und St. Peter und die Johanniskirche in dem uralten Bergedorf am Rammelsberge. Damals, es war im Jahre 1527, hatten die unteren Volksklassen, nicht der Rat, schon protestantische Neigungen, und das mag die Wut der um ihre Existenz kämpfenden Bürger angefacht haben. Was konnte es sie kümmern, wenn das Feuer, das die Reichtümer der alten Stifter verzehrte, die faulen Chorherren und nun sogar dem gefährlichen Feinde zugute kamen, zugleich edle Kunstgebilde vernichtete? Nichts ist von der stolzen Basilika der Kaiserin Agnes, von der Klosterkirche Heinrichs V., die dem Münster zu Aachen nachgebildet war, übriggeblieben. Neuerdings sind die Grundmauern der Johanniskirche durch einen in der Vergangenheit seiner Vaterstadt bewanderten Goslarer, der einen Zufall klug zu deuten wußte, wieder aufgefunden. Wenn man jenseits der Stadt den kahlen, windüberwehten Rücken des Rammelsberges hinansteigt, sieht man den Grundriß der Basilika wie mit dem Riesenfinger der Geschichte in die grasbewachsene Erde gezeichnet.

Ob der Gewaltakt der Bürgerschaft dem gewalttätigen Herzog imponierte oder ob seine Gedanken sich bereits mit dem Zuge nach Italien beschäftigten, den der Kaiser geboten hatte: er ließ sich auf einen Vergleich ein und enthielt sich der Feindseligkeiten bis zur Entscheidung des Reichskammergerichts. Der Gerechtigkeit entsprechend fiel diese für Goslar günstig aus, so daß Heinrich nicht nur, unbeschadet seiner Rechte, alles in den früheren Stand setzen, sondern auch die Gerichtskosten tragen und Ersatz des Schadens leisten sollte, was er zwar nicht tat. Sowie er von Italien zurückgekehrt war, nahm er seinen Plan wieder auf. Zum Reichstage von Augsburg, wo der Streit beigelegt werden sollte, ordnete Goslar den allgemein geehrten Dr. v. Dellinghausen ab; Heinrich ließ ihn aufheben und in Schöningen in einem Gefängnis verwahren, wo er bald darauf starb. Die öffentliche Meinung schrieb seinen Tod dem Gift des Herzogs zu. Ein Parteigänger des Braunschweigers, Georg Ziegenmeyer, sagte der Stadt Fehde an, hob einen Goslarer Ratsherrn auf, von dem nie wieder etwas gehört wurde, überfiel und zerstörte die Schmelzhütten und suchte die ganze Gegend so heim, daß der Rat sich endlich herbeiließ, den Räuber mit Geld abzufinden.

Der Umstand, daß Herzog Heinrich trotz der gerechten Entscheidungen des Reichskammergerichts am Kaiser immer wieder einen Rückhalt fand, trieb den Rat von Goslar, der sich anfänglich eben aus Rücksicht auf den Kaiser zurückgehalten hatte, mehr und mehr auf die Seite der Protestanten. Er trat, längst dazu gedrängt, dem Schmalkaldener Bunde bei, der ihn auch mit Rat und Tat unterstützte und den unbändigen Fürsten gefangennahm; allein der Sieg des Kaisers bei Mühlberg gab ihm die Freiheit wieder, die er sofort benutzte, um Goslar zu drangsalieren. Nicht achtend alle Vermittelungsversuche und Befehle des Kaisers, dessen Verzeihung sich der Rat mit 40 000 Gulden erkauft hatte, legte er sich vor Goslar und begann es zu beschießen. Der entmutigte Rat, vom Kaiser im Stich gelassen, schloß den unglücklichen Vertrag von Riechenberg ab, durch welchen der Herzog die Hoheit über die Bergwerke und Forsten erhielt und tatsächlich Herr des Rammelsberges wurde. Nicht genug damit mußte der Rat den Feind zum Erbschutzherrn annehmen und sich eidlich verpflichten, aller Rechtsmittel zu entsagen, durch welche er sich etwa der Erfüllung des Vertrages entziehen könnte.

Ein Jahr nachdem er auf solche Weise seinem Willen Genüge getan hatte, verlor Herzog Heinrich in der Schlacht bei Sievershausen, wo er auf seiten des protestantischen Kurfürsten von Sachsen kämpfte, seine beiden Söhne Philipp und Karl Viktor. War auch sein Kriegsmut dadurch nicht gebrochen, so doch sein Sinn erweicht. Er störte seinen andersgearteten Sohn Julius nicht in seinem lutherischen Glauben, und als in seiner Gegenwart das evangelische Kirchenlied: »Es woll uns Gott genädig sein« gesungen wurde und jemand darüber Klage führte, sagte er: »Soll uns etwa der Teufel gnädig sein?« Auf einer Reise durch den Harz begriffen, entgegnete er einem Begleiter, der annahm, er wolle Goslar vermeiden: »Ich mag meine Feinde noch wohl sehen; ich will bei der Stadt vorbeireiten.« Goslar, gleichfalls versöhnlich, grüßte den greisen Wolf, wie man ihn wohl nannte, durch eine vom Kirchturm wehende Fahne.

Die Prozesse mit dem Hause Braunschweig-Wolfenbüttel hörten indes nicht auf, Herzog Julius, obwohl schwächeren Temperaments als sein Vater, hielt doch an dem Erworbenen fest und mutete Goslar zu, sich der Reichsunmittelbarkeit zu begeben und ihm untertänig zu werden. Eine Entscheidung Kaiser Maximilians II. zugunsten Goslars bewirkte nichts; die Herzöge blieben im Besitz des einst goslarischen Gebietes und Goslar fuhr fort, auf günstige Umstände zur Wiederersetzung desselben zu hoffen. Noch einmal trat ein Bürgermeister auf, der in seiner Person die alte reichsstädtische Kraft und die alten Ansprüche der Stadt vertrat, nicht ihr Sohn, sondern ein Fremdling. Die Familie Cramer stammt aus dem Bergischen Lande am Niederrhein, wo sie durch Tuchhandel reich geworden war. Rupprecht zog, es ist unbekannt aus welchem Grunde, nach Goslar und wurde dort in die vornehmste Gilde, die der Gewandschneider, aufgenommen. Nach einer Ratsstelle trachtete er nicht, einzig auf Geschäft und Erwerb bedacht; das Bergwerk erregte seine Aufmerksamkeit, und er gründete eine Vitriolfaktorei, die ihm so viel eintrug, daß er nicht nur für den reichsten Christenmenschen galt, sondern sich selbst so nannte. Von den drei Söhnen dieses Mannes fühlte Henning neben dem Erwerbstrieb auch den Drang, eine Rolle zu spielen und sich politisch zu betätigen. Er wurde Bürgermeister und ergriff das Amt mit dem Schwung einer starken Natur und eines hochfahrenden Sinnes. Uneigennützig war er nicht: der Krieg, der 30 Jahre währen sollte, vernichtete seine Einnahmequellen und bewirkte, daß er gleichsam eins mit der Stadt wurde, für ihre und seine Interessen zusammen kämpfend. Um sich zu bereichern, scheute er verwerfliche Mittel nicht, wie er denn mit seinen Brüdern aus der herrschenden Münzverwirrung Gewinn zog; kurz, er war kein edler, aber ein unternehmender Mann, der, in den Strudel einer wilden Zeit geworfen, nicht ohne großartiges Wagen nach Gewinn und Sieg trachtete.

Merkwürdig hatte sich die Parteiung verschoben: so wie vor 100 Jahren die katholische Haltung Heinrichs des Jüngeren Goslar in den Schmalkaldischen Bund trieb, so klammerte sich jetzt, wo seine Nachfolger auf protestantischer Seite standen, die alte Reichsstadt an ihre Verbundenheit mit dem Kaiser. Des tollen Christian Versuch, in Goslar Einlaß zu bekommen, wurde abgeschlagen, dagegen unterhielt Cramer freundliche Beziehungen mit Tilly und Wallenstein. In seinem Hauptquartier zu Aschersleben empfing Wallenstein goslarische Abgeordnete und trank beim Essen auf das Wohl der Stadt, und man bemerkte mit Befriedigung, daß es die einzige Gesundheit war, die an dem Tage ausgebracht wurde. Auch mit Versicherungen kargte er nicht, Goslar solle, wenn es treu zum Kaiser hielte, alle seine verlorenen Privilegien und Güter wieder erhalten; denn darauf kam es Cramer an, daß der beschwerliche Riechenberger Vertrag, den Heinrich der Jüngere erpreßt hatte, aufgehoben werde.

Der Verkehr mit den Kaiserlichen, der nicht verborgen bleiben konnte, erregte den Zorn der Evangelischen und namentlich der Herzöge von Braunschweig, die wohl wußten, welchem Zweck diese Politik diente. Dem Bürgermeister Cramer, als dem Träger derselben, wurden von Braunschweiger Seite gegen ihn ausgestoßene »grobe, unerweisliche und unverantwortliche Injurien« hinterbracht, die er entrüstet zurückwies, die Umtriebe mit dem Kaiser leugnend. Bei Gelegenheit des ersten Höhepunktes kaiserlicher Erfolge traf die Belohnung ein: der Bürgermeister wurde als Cramer von Clausbruch in den Adelsstand erhoben und bekam außerdem die Anwartschaft auf große Reichslehen, die er erstrebte. Wie er es aufnahm, daß nur seine Person, nicht die Stadt, die er vertrat, ausgezeichnet wurde, ist nicht bekannt.

Bei der ernstlichen Leidenschaft, mit der damals das religiöse Bekenntnis erfaßt wurde, ist es begreiflich, daß ein evangelischer Reichsstand, der hinterrücks zur katholischen Partei hielt, von den Glaubensgenossen als Verräter angesehen wurde. So hatte der unselige Streit um den Rammelsberger Schatz Treu und Glauben vernichtet; der Wunsch nach Vergeltung und Wiedergewinnung des Verlorenen löschte jede andere Rücksicht gerade in den herrschenden Kreisen aus. So weit trieben sie es, daß sie sich nicht scheuten, zur Eroberung Magdeburgs mitzuwirken, indem sie Pappenheim Schaufeln, Spaten, Pulver und anderes Kriegsmaterial lieferten. Der Sturz der alten, festen Stadt, einer Hochburg des neuen Glaubens, wurde von allen Protestanten und namentlich von den Städten tief empfunden. Cramer wird nichts bereut haben, vielmehr bereicherte er sich, wie auch andere Bürger Goslars taten, an der Magdeburger Beute. Gustav Adolfs Ankunft, des Rächers, brachte über Goslar eine Zeit des Schreckens. Bedeutete jede Besetzung, von welcher Seite sie auch erfolgte, das Verderben der betroffenen Stadt, so war das um so mehr hier der Fall, wo Mißtrauen vorhanden war und eine Strafe verhängt werden sollte. Gustav Adolf zwar, bei dem die Stadt über erlittene Quälereien klagte, fand »seine königliche Reputation interessiert« und trug seinem Vertreter in jenen Gegenden, Ludwig von Anhalt, auf, die Schuldigen zu bestrafen, »damit die Stadt ihrer Beschwerde enthoben und keine uns disreputierliche Gedanken und Reden fallen, sondern jedermann bekanntbleiben möge, daß wir an solchen Exorbitantien keinen Gefallen haben.« Nicht ganz vertraut mit der Privatpolitik der vielen kleinen deutschen Fürsten oder gleichgültig dagegen, scheint der König dem Anhalter die Stadt Goslar als erblichen Besitz versprochen zu haben; als aber Friedrich Ulrich von Braunschweig »zwar gelinde doch verbose« beim König darüber vorstellig wurde, war nicht mehr davon die Rede.

Die Besorgnis Henning Cramers, er könnte seinem fürstlichen Feinde in die Hände fallen und das Opfer seiner Rache werden, war wohl nicht unbegründet; er entschloß sich zur Flucht nach Lübeck, wohin sein Bruder ihm die in Goslar zurückgelassene Frau brachte. Als er in Karlsbad, wo er seine erschütterte Gesundheit pflegte, den Tod seines Gegners, des Herzogs von Braunschweig, vernahm, reiste er mit dem regierenden Bürgermeister von Goslar nach Wien, um den Kaiser an seine Versprechungen, die Wiedereinsetzung der Stadt in ihre Rechte betreffend, zu mahnen. Der Versuch war ebenso vergeblich wie zwei spätere, die er noch unternahm; denn inzwischen hatte der Kaiser mit dem Hause Braunschweig Frieden geschlossen, dem zuliebe Goslar preisgegeben wurde. So bitter enttäuscht, machte Cramer seinerseits Friede mit Schweden. Er hatte verspielt, sowohl für sich wie für die Stadt, und als er im Jahre 1646 starb, weil, nach amtlichem Zeugnis, er sich versehentlich beim Erproben einer Pistole eine Kugel durch den Kopf geschossen hatte, nahm man an, er habe seinem gescheiterten Leben selbst ein Ziel gesetzt. Er hinterließ keine Kinder; ein anderer Zweig der Familie nahm die Tradition auf und setzte sie fort.

Noch im Anfang des 19. Jahrhunderts, nachdem Goslar preußisch geworden war, suchte Preußen die alten Rechte Goslars am Bergwerk gegen Braunschweig geltend zu machen.

Trotz kläglicher Verarmung und verheerender Feuersbrünste im 18. Jahrhundert stellt sich die Stadt noch heute imponierend dar. Der graublaue Schimmer des Schiefers, der die Dächer bekleidet, gibt ihr ein Aussehen ernster Würde, das die übriggebliebenen, fest in der Erde wurzelnden, umfangreichen Türme noch steigern. Beim Zwinger und Achtermann – der letztere trägt den Namen eines Goslarer Ratsgeschlechtes – ist die Höhe geringer als der Durchmesser. Man würde meinen, sagenhafte Geschlechter von Hünen oder Kobolde des Gebirges hätten diese Bollwerke aufgetürmt, wenn nicht Bilder von Kaisern und Wappenadler auf den sinnvollen Menschen deuteten. Im Zwinger arbeiteten die großen Geschütze, etwa der »wilde Mann« oder der »Engel Gabriel« oder die gewaltige Ruhmestasche, in die 24 Zentner Kupfer gegossen waren. Mit dunklen Zinnen umfängt die Stadt im weiteren Kreise die Mauer der Berge, unter denen der Berg des Verhängnisses, kahl und zerrissen, mit breit beherrschender Linie hervortritt.

Im Innern der Stadt unterscheiden wir die verschiedenen Gebiete, aus denen sie sich zusammensetzte: die Pfalz mit dem Domstift und dem Markt, die alte Frankenstadt, wo sich die Bergleute niederließen, die um die Jakobikirche gesammelte Handwerkerstadt und die ländliche Stadt, die die Stephanikirche zum Mittelpunkt hatte. Das Rathaus ist um die Mitte des 15. Jahrhunderts an Stelle eines älteren, von Kaiser Lothar herstammenden erbaut worden. Das Erdgeschoß besteht nach dem Markte zu aus einer Laube auf schweren Pfeilern; hier spielte sich der Marktverkehr und das Gericht ab. Neben dem alten Haupteingang der Worth gegenüber, der durch Kaiserbild und Adler bezeichnet ist, befindet sich eine überdachte, mit einer kunstvollen Brüstung verzierte Treppe, die zu der Diele des oberen Geschosses hinaufführt. Dieser kleine Vorbau verleiht dem ernsthaften Gebäude das überraschend individuelle Gepräge, dessen ein Bauwerk von den mittleren Zeiten selten ermangelt. Von der flachen Decke der behaglich dämmernden Diele hängen vier alte Kronleuchter herab, deren einer mit dem treuherzigen Spruch verziert ist: »O Goslar du bist togedan – Dem hillegen romesken rike – Sunder middel un wae – Nicht maestu darvan wike.« Würdig bereitet dieser wohltuende Raum vor auf den sogenannten Huldigungssaal, der die beschauliche Stimmung ins Ehrfürchtige steigert. Hier wurden im Jahre 1858 die wunderbar geheimnisvollen Wandmalereien aufgedeckt, die man dem Michael Wohlgemut zuschrieb, und deren Ursprung man jetzt noch in Nürnberg vermutet. Das gedämpfte Feuer in der Farbigkeit der Bilder, die Hoheit der dargestellten Gestalten, Kaiser, Sibyllen und Propheten, umgibt den Raum mit Zauberschranken, der einst das Herz reichen Lebens war und jetzt der Erinnerung geweiht ist. Da gibt es Urkunden und Münzen, da ist ein bronzenes Reliquiar, das als Schwurhand diente, worauf die Ratsherren ihren Eid ablegten, da ist die köstliche Bergkanne aus vergoldetem Silber, ein Kunstwerk zum Beschauen und Sinnen, das mit Sinnbildern und Wahrzeichen, am lieblichsten durch die musizierenden Halbfiguren geschmückt ist, die die Mitte des Bechers umkränzen. Dies ausgezeichnete Stück ist mit zwei kleineren Bechern das einzige, was vom Silbergeschirr des Rates übriggeblieben ist.

Von den stolzen Gildehäusern, die das Rathaus feierlich umgaben, wie die Kurfürsten den Kaiser, hat die große Feuersbrunst von 1780 sechs niedergelegt. Übriggeblieben ist das Amtshaus der Gewandschneider, d. h. der Großkaufleute, welche den Gewandschnitt hatten, das durch die Wollweber hergestellte Tuch verkauften. Diese vornehmste Gilde ermöglichte es dem Rat, mit ihrem Reichtum den Pfandbrief am Rammelsberg und die Reichsvogtei an sich zu bringen; auch als die Handwerker und die unzünftige Bürgerschaft in den Rat eindrangen, was sich in Goslar ohne große Erschütterungen vollzog, behielten die reichen, erfahrenen und gewandten Kaufleute doch vorwiegenden Einfluß. Das Gewandschneidergildehaus, mit seinen Lauben dem Rathaus im baulichen Charakter verwandt, wird jetzt Kaiserworth oder kurzweg Worth, d. h. Grundstück, genannt; man hat in neuerer Zeit an die Stelle der Heiligen, die das Stockwerk über den Lauben zierten, Kaiserbilder gesetzt.

Trotz der beiden Brände des 18. Jahrhunderts, die einmal 168, das zweitemal 294 Häuser vernichteten, sind noch ganze Straßen und viele einzelne Prachtbauten übriggeblieben, darunter das sogenannte Brusttuch, das Magister Johannes Thiling erbaute, das Bäckergildehaus, die Walkmühle, das Hospital zum kleinen heiligen Kreuz, ein Haus wie aus einem Märchen. In Goslar fehlen die Vorkragungen, die in den Hildesheimer Bauten so rhythmisch-eindrucksvoll wirken, dafür fallen hier die ungeheuren beschieferten Dächer als anziehende Besonderheit auf, mit absonderlichen Biegungen und Ausbuchtungen, Riesenhüte, unter denen sich die kleinen Hauspersonen verkriechen. Bald mahnt den Wanderer romantische Phantastik an die Berg- und Waldstadt, bald eine große Linie an die Kaiser, die sie gründeten, bald ein traulich-holder Winkel an die eingeschränkte Welt frommer Bürger. Durch hohe rauschende Wipfel sieht man die grauen Mauern der romanischen, später gotisierten Jakobikirche, sieht man außen am Turm seine Glocke läuten; die erste, wo später das Evangelium gepredigt wurde, ist später der katholischen Gemeinde übergeben worden. Dörflich sieht es aus an der rieselnden Gose und Abzucht – ein Name, der aus dem lateinischen Aquaedukt entstanden ist –, wo die Häuser sich in bunter Mannigfaltigkeit zusammendrängen und feste kleine Brücken über das Wasser langen. Dem Rathaus gegenüber steht der Brunnen mit dem altertümlich putzigen Adler, an dessen weites Becken um Mitternacht drei Schläge getan den Teufel herbeiriefen. Andere sagen, es sei wegen seines metallischen Schalls als Sturmglocke benutzt worden und die Knappen hätten im tiefsten Berge den ehernen Hilferuf vernommen. Fast verschwindet das Neue in der starken Atmosphäre, die von den alten Mauern, den edlen und wunderlichen Formen ausgeht; mit der Natur im Bunde, die von allen Seiten einströmt, überwinden sie die Häßlichkeit und Aufdringlichkeit der Zivilisation.

So gut man es vermochte hielt man auch in der verelendeten Stadt an der überkommenen Ehre fest. Im Jahre 1705 fand eine Kaiserhuldigung statt, die freilich nicht Joseph I. in Person, sondern der ihn vertretende Reichsgraf zu Schwarzburg und Hohenstein, Herr zu Arnstadt, Sondershausen, Lohra und Klettenburg entgegennahm. Er wurde an der Grenze durch ein städtisches Kavalleriekorps und den Stadtsyndikus, am Breiten Tore durch den Bürgermeister empfangen; dort wurden ihm auch auf einem Samtkissen die Schlüssel überreicht. Zu Fuß und barhäuptig geleitete ihn dann der Rat in sein Logis. Am folgenden Tage zog man von der Marktkirche, wo Gottesdienst und Tedeum war, in das Rathaus zur Huldigung durch Bürgermeister und Rat, Geistlichkeit und Gilden; die Bürgerschaft legte auf dem Markte den Eid der Treue ab. Glockengeläut und Kanonendonner verherrlichten die Thronbesteigung des vorletzten Habsburgers, dem ein früher Tod bestimmt war. Vielleicht empfanden die Ratsherren, während ein Novemberwind welke Blätter über ihre Blätter hinblies, die traurige Leere in diesem Schaugepränge.

Das Jahrhundert, das diese Festlichkeit eingeleitet hatte, brachte zwei zerstörende Feuersbrünste und zunehmende Verarmung. Im Jahre 1802 entfernte die Regierung Preußens, dem Goslar zufiel, den heiliggehaltenen Reichsadler vom Rathause; unter Hannover wurde der verfallene Dom Heinrichs III. auf Abbruch verkauft. Die kostbare Einrichtung war vorher versteigert worden, der Kaiserstuhl für 27 Taler.

Letzter regierender Bürgermeister von Goslar war Joh. Gev. Siemens, geboren im Jahre 1748 als elftes von vierzehn Kindern in dem 1693 errichteten Stammhause an der Berg- und Schreiberstraße, einem herrschaftlichen Fachwerkbau. Würdig hat der energisch tätige, gemeinnützig denkende Mann die Reihe der Stadtregenten Goslars beschlossen. Er überlebte den Untergang der Selbständigkeit seiner Heimat nur um wenige Jahre.

Die drei berühmten Familien, die aus Goslar stammen, Cramer v. Clausbruch, Bethmann und Siemens stehen unter dem Zeichen des Rammelsberges wie auch unter dem Kaiser- und Stadtadler, der so vielen Mauern Goslars eingeprägt ist; auf Erwerb gegründet, haben sie ihn mit dem großartigen Gemeinsinn der mittelalterlichen Städte verwaltet.


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