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Stadtwappen

Schwäbisch-Gmünd

Die Schwabenmädchen haben den Ruf besonderer Lieblichkeit; schöner können keine sein, als die von Gmünd. Sie sind schlank und behende und ihr feines Gesicht leuchtet von Geist. Es wäre denkbar, daß die lange Beschäftigung mit schönen Dingen, denn seit dem 18. Jahrhundert ist die Anfertigung von Schmucksachen das blühendste Gewerbe in Gmünd, den Sinn für das Schöne so ausgebildet hätte, daß er sich auch in den Schöpfungen offenbarte, die die Natur der Frau zugewiesen hat. Schon lange jedoch, bevor an Gegenstände der Kultur gedacht wurde, zog sich an der himmlischen Kuppel, die über Gmünd sich wölbt, die reizende Linie der Alb mit Hohenstaufen und Hohenrechberg hin, die das Auge an das Schöne gewöhnte. Umfangen und umschirmt in samtgrüner Mulde liegt die Stadt da; in dieser Muschel war eine Perle zu liegen bestimmt.

Als Haupt der Gemeinde erhebt sich über die niedrigeren Häuser das breite und hohe Giebeldach der Heiligkreuzkirche, die über einer alten romanischen erbaut wurde. An ihr haben zwei Glieder der weitgewanderten und weitberühmten Künstlerfamilie der Parler im 14. und 15. Jahrhundert gearbeitet, Vater und Sohn, Heinrich und Johannes; vollendet wurde sie erst im 15. Jahrhundert. Sie ist ein herrliches Denkmal des gotischen Stiles in seiner Blüte, aber in gemäßigter Auffassung. Das Aufstreben der senkrechten Linie wird überall durch die wagerechten zurückgehalten, wodurch das Münster nicht sosehr den stürmischen Schwung mancher anderen Dome, sondern den Charakter ruhiger Vollkommenheit, Majestät erhalten hat; so ist zum Beispiel der reiche Chor zweigeschossig und die Linie der Teilung durch einen Umgang betont, wie auch dadurch, daß die Fenster im unteren Geschoß bedeutend breiter als die im oberen sind. Wie auf einem Gebirge wachsen im Sommer zwischen seinen grauen Steinen Glockenblumen, die der leiseste Lufthauch bewegt. Von den Portalen, großen steinernen Bilderbogen, kann man die Weltschöpfung, das Weltgericht und die Welterlösung durch Maria und Christus ablesen; denn die mittelalterliche Kunst wollte gerade das, was der modernen durchaus verboten ist: erzählen, belehren, erleuchten. Nicht solche Begebenheiten werden hier dargestellt, wie sie dem einzelnen etwa zustoßen, sondern der große Kampf und die unabwendbare Tragik des zwischen Himmel und Hölle hingespannten menschlichen Lebens in Symbolen, die der ganzen Christenheit geläufig und verständlich waren. Die Hauptdarstellungen sind unterstützt durch einzelne Figuren von Propheten, Aposteln, Königen, die an jeder Stelle ihre besondere Wirkung und Bedeutung haben, sowohl für das Auge wie zum Verständnis der sinnvollen Geschichte. Manche unter den plastischen Gruppen haben durch Stilisierung jene Fremdheit und Undurchdringlichkeit bekommen, die das Kunstgebilde über das Lebendige erhebt, so die jetzt im Inneren aufgestellte Verkündigung. Der Fülle des Chors und der Nord- und Südportale ist die monumentale Einfachheit der Westfassade ebenbürtig. Die durch Strebepfeiler angedeutete Gliederung der Halle, drei wundervoll gearbeitete Rundfenster, fünf hohe Blendfenster im Giebel und das Portal bilden den Schmuck der gewaltigen, der Abendsonne zugekehrten Wand. Die über die Mauer hinaufgeführten, in Fialen endigenden Spitzen der Strebepfeiler umgeben das ganze Gebäude wie mit einem Kranz von Lanzenspitzen oder versteinerten Flammen, dem der Kranz wagerecht vorspringender Wasserspeier in Gestalt von tierhaften und dämonischen Ungetümen entspricht. Diese doppelte Umrandung verleiht dem Münster etwas Kriegerisches: es ist eine Gottesburg, die himmlische Heerscharen, unterstützt von knirschenden Teufeln, gegen die Hölle verteidigen.

Nach diesem erschütternden Vorspiel wirkt das Innere als beruhigende Erfüllung. Die Übereinstimmung der Zahlenverhältnisse, wie sie die Gotik errechnete und ergrübelte, hat eine Musik hervorgebracht, die den Eintretenden wie Orgelklang begrüßt. Nicht, was das Auge sieht oder wovon der Verstand sich Rechenschaft geben könnte, ist es, was ergreift; sondern etwas, was vom Gewölbe, von den uns umwandelnden Säulen, von dem Bogengänge der Fenster strömt und uns durchdringt, von allen Seiten, besonders von den zehn Chorkapellen fließen dem großen Wohllautstrome Stimmen zu, die ihn anschwellen lassen und seine Harmonie bereichern. Unter den Kunstwerken, die die Kirche füllen, ist das steinerne Heilige Grab das eindrucksvollste. Auf einer Tumba ausgestreckt liegt der überlebensgroße Leichnam Christi, dahinter stehen die drei Marien und in gleichem Abstande von ihnen zu beiden Seiten je ein Engel; vor dem Sarkophage sitzen drei schlafende Wächter. Während diese mannigfaltig bewegt sind, stehen die Trauernden wie Säulen, liegt der Tote wie ein Felsen am Horizonte. Die unzugängliche Entrücktheit des Todes tritt uns erschreckend entgegen und ein Schmerz, der währen soll, solange die Menschheit währt; es ist, als umgäbe diese Gruppe nicht die Luft der Lebendigen, sondern raumlose Ewigkeit. Obwohl das Material des Steins sich gut zu diesem Werk eignet, har man doch den Eindruck, als wäre es nach einem hölzernen Vorbild gearbeitet.

Am Karfreitag des Jahres 1497, während am Heiligen Grabe Andacht gehalten wurde, stürzten plötzlich die beiden Türme ein, welche als einzige Zeugen des älteren romanischen Baus übriggeblieben waren, wahrscheinlich infolge davon, daß man den Bogen entfernt hatte, der den Chor vom Schiff trennt, um einen ungehemmten Blick durch die ganze Halle zu ermöglichen. Einer der Türme durchbrach das Kirchendach und riß eine Lücke, die erst dadurch ganz geschlossen wurde, daß der Nürnberger Patrizier Sebald Schreyer, der, vor der Pest flüchtend, einen längeren Aufenthalt in Gmünd genommen hatte, aus Dankbarkeit für die genossene Gastfreundschaft eine Kapelle an der beschädigten Stelle stiftete. Der kunstsinnige Mann stattete sie mit allem Zubehör aus, dabei zugleich die Künstler seiner Vaterstadt beschäftigend; einen Altar, seinem Lieblingsheiligen Sebaldus geweiht, ließ er in Dürers Werkstatt anfertigen. Dieser Altar befindet sich jetzt in einer anderen Kapelle, während in der Schreyerkapelle der sogenannte Sippenaltar aufgestellt ist. Der Stammbaum Christi, der aus dem schlafenden Stammvater Jesse als aus seiner Wurzel hervorwächst, sich vielfach verzweigt und endlich in der Maria und ihrem Sohne gipfelt, war ein beliebter Gegenstand mittelalterlicher Kunst. Der holzgeschnitzte Altar von Gmünd, dessen Mitte vier heilige Frauen einnehmen, umgeben von den beturbanten Häuptern sagenhafter Könige in reicher Verzweigung, und dessen Spitze der Gott am Kreuz bildet, hat in seiner Verschlungenheit etwas Romantisches, das es begreiflich macht, wenn manche glauben, das Werk sei nach einer Skizze des Baldung Grien, Gmünds größtem Sohne, gefertigt.

Unter den Grabsteinen hat der des im Jahre 1285 verstorbenen Bürgermeisters Bertold Klebzagel, aus der 1807 abgerissenen alten Michaelskapelle hierher versetzt, besonderes historisches Interesse. Klebzagel war nach einer erstmaligen Austreibung der Adligen aus Gmünd Bürgermeister, der zwar selbst zu den Geschlechtern gehörte, sich aber im Kampf auf die Seite der Bürgerschaft gestellt hatte. Zu den zahlreichen Adelsfamilien gehörten die Rinderbach, Rauheimer, Feierabend, Horkheim, Euler, Fetzer, Zeiselmüller, Eytakofen. Viele vom Landadel, so die Edlen von Wolfskehl, die Wöllwarth, die von Degenfeld, die von Lauingen, die Blarer von Wartensee, hatten Häuser in der Stadt. Ein Ritter Wolfskehl blieb in der Schlacht bei Döffingen, ebenso Joh. Wolf von Thal, der den Gmünder Heerhaufen anführte. Bis 1462 blieb der Adel am Regiment, dann kamen die Zünfte zur Herrschaft und regierten bis 1551, in welchem Jahre Karl V. wieder eine aristokratisch-oligarchische Verfassung einführte. Der Goldschmied Hans Blezger war der letzte Bürgermeister aus den Zünften. Hoch über der Tür der Schatzkammer hängt eine Ritterrüstung von mailändischer Arbeit, die dem berühmten Bürgermeister Johann Rauchbein, einem langen, hageren Manne, gehört haben soll, der durch seinen persönlichen Eifer das Eindringen der Reformation in Gmünd verhindert hat. In dem barocken Orgelgehäuse, einem von Giganten gestützten Gerüst, auf dem Engel musizieren, glaubt man schon die neue Kunst, die Musik, zu hören, die im Begriff war, den Ausdruck der Empfindungen aufzunehmen, der in Holz und Stein bis an die äußerste Grenze gelangt war.

Sehr altertümlich, wunderlich und malerisch steht neben der Kirche ein Holzturm auf einem Fundament von Quadersteinen, in dessen pyramidenförmiger Spitze die Glocken hängen. Er diente erst als Glockenturm, seit die beiden Osttürme im Jahre 1497 eingestürzt waren; die beiden ältesten von den Glocken, die damals in ihn übertragen wurden und deren kleinste Susanna heißt, hat der Weltkrieg geschont. Es wird angenommen, daß der Sonderling einst zu einem Kirchhofstor oder zu einem der bewehrten Adelstürme gehörte, wie sie im 13. und 14. Jahrhundert beliebt waren.

Bis zum Jahre 1803 wurde auf dem Kirchplatz alljährlich am grünen Donnerstag und am Karfreitag ein Passionsspiel aufgeführt, das, nachdem es Jahrhunderte hindurch der Stadt Stolz und Lust gewesen, vielleicht auch ausgeartet war, von dem neuen Herrn, dem Staate Württemberg, abgeschafft wurde. Das Spiel begann um 7 Uhr abends auf einer gedeckten Bühne, während die Zuschauer unter freiem Himmel saßen. Alle Stände beteiligten sich daran nach einer Regel, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben mochte; eine Familie, welche durch Generationen die Darsteller des Herrn geliefert hatte, wurde d'Herrgottles genannt. Seltsam grotesk muß der Zug des kreuztragenden Christus gewirkt haben, der sich am Karfreitag durch die Stadt bewegte, und in welchem barocke und vielleicht noch spätere Elemente dem Althergebrachten augenscheinlich sich beigemischt hatten.

Auf weißem Pferde reitend, eröffnete die Prozession der Tod mit Krone und Szepter. Ihm folgte zu Pferd ein Sardenbläser, der mit abgerissenen Trauertönen auf Schreckliches vorbereitete. Dann kamen Adam und Eva, zwei uralte weißgekleidete Leute mit Pflug und Ochsen. Nun nahte sich, wieder zu Pferd, der Hohe Rat der Juden, der von alten, angesehenen Bürgern dargestellt wurde, darauf der Judenhauptmann zu Pferde. Die nächste Gruppe bildete die Rotte der Henker mit den Leidenswerkzeugen, denen Christus folgte mit dem Kreuz, das Simon von Kyrene ihm tragen half. Ihm nach gingen die heiligen Frauen, Johannes und die Töchter Jerusalems. Unerwartet kamen die sieben Todsünden und der heilige Joseph, von Kindern an einem Bande geführt, dann Tod und Teufel, die in einem kleinen Wagen das Söhnchen des Pilatus und das Töchterchen des Herodes führten. Die heilige Genoveva mit Schmerzensreich, von vier Jägern begleitet, und eine Menge von Büßern machten den Beschluß.

Gmünd kam durch Handel empor, glücklich an der Straße gelegen, die von Augsburg nach dem Neckar und Rhein führte. Daneben hatten die Erzeugnisse der Waffen- und Sensenschmiede weithin Ruf, sowie die der Paternostermacher und Perlarbeiter, lauter Gewerbe, die der Kunst nahestehen. Die auf Schmuckgegenstände angewendete Goldschmiedekunst entfaltete sich im 18. Jahrhundert; es gab damals in der kleinen Stadt 250 Goldschmiedemeister. Die Einführung fabrikmäßigen Betriebs, welcher im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts stattfand, schadete dem Wert der Arbeit. Massenfabrikation unechter und billiger Ware trat in den Vordergrund, die persönliche Arbeit des Mittelalters verdrängend, die jedem Stück gründliche Vollendung und eigenartiges Gepräge gab. Vergeblich suchte man jetzt in Gmünd Schmuck, der sich durch überlieferte Form auszeichnete. Natürlich traf das Abhandenkommen des Schönheitssinnes und gewissenhafter Arbeit nicht allein Gmünd, sondern das ganze Abendland.

Dem Adel fehlte es nicht an kriegerischer Beschäftigung, wenn auch Gmünd, obwohl von zahlreichen Ritterburgen umgeben, nicht so gefährliche Nachbarn hatte wie Hall. Die mächtigsten Herren der Umgegend waren die Hohenstaufen und die Rechberg, wie auch die Berge, die ihre Stammsitze trugen, das Landschaftsbild beherrschen.

Um die Mitte des 11. Jahrhunderts lebte auf der Schwäbischen Alb, unweit Göppingen, Graf Friedrich von Büren, Herr einer kleinen Burg, die auf der Stelle eines untergegangenen römischen Kastells erbaut sein soll. Es mag als Zeichen hochstrebenden Sinnes und aufsteigenden Glücks zu betrachten sein, daß er sein Stammschloß verließ und auf dem nahen, als schlanke Pyramide aufsteigenden Hohenstaufen sich ein größeres, prächtigeres Haus errichtete. Daß er bestimmt war, Stammvater eines ruhmreichen Kaisergeschlechts zu werden, ahnte ihm damals noch nicht; er war ein treuer Vasall des unglücklichen Heinrich IV., der nicht ohne eigene Schuld soviel Abfall und Verrat erleben mußte. Die Anhänglichkeit Friedrichs des Alten von Hohenstaufen, wie der Graf sich nach seinem neuen Schloß nannte, muß ihn dem Kaiser wert gemacht haben; denn auf einem Reichstage zu Regensburg vermählte er dem Getreuen seine einzige Tochter Agnes und machte ihn zugleich zum Herzog von Schwaben. Er war nun Schwiegersohn des herrschenden Kaisers und Schwager des künftigen, dem keine Kinder beschieden waren. Nachdem das nördliche Deutschland mit Lothar von Süpplingenburg noch einmal den Thron besetzt hatte, drangen die Staufer als nächste Verwandte der vorigen Dynastie und reiche, hochangesehene Herren bei der Wahl durch: Konrad, der Sohn Friedrichs, wurde als Konrad III. römischer König.

Friedrich der Alte und die Kaisertochter Agnes werden als Gründer der alten romanischen Johanniskirche von Gmünd betrachtet, die sowohl durch ihre Bauart wie durch altgermanisch anmutenden Reliefschmuck von Tieren und undeutbaren Symbolen auffällt. Auch als Gründer der Stadt gilt Friedrich der Alte, während andere die Rechberger Herren dafür halten; Friedrich Barbarossa verlieh ihr das Wappen, ein silbernes Einhorn im roten Schilde.

Als Grabstätte für sich und ihr Geschlecht gründete Friedrich der Alte das Kloster Lorch. Von den schweifenden Kaisern ist freilich keiner dort begraben: Friedrich Barbarossa ertrank im syrischen Flusse Saleph und liegt in Tyrus, Friedrich II. und Heinrich VI. im Dome von Palermo. Der blonde Enzio starb als Gefangener in Bologna und wurde dort auch bestattet, Konradin fiel auf dem Schafott in Neapel, Margarete endete in einem Kloster in Frankfurt am Main, nachdem sie vor ihrem eigenen Manne, Albrecht dem Entarteten von Thüringen, hatte fliehen müssen. Die Sage erzählt, daß Barbarossa in der kleinen Kirche des Dorfes Hohenstaufen am Fuße des Bergkegels einmal seine Andacht verrichtet habe; über einer jetzt vermauerten Tür stehen die Worte: hic transibat Caesar. Das einzige Glied jedoch der kaiserlichen Familie, von dem sich mit Sicherheit feststellen läßt, daß es die Burg der Väter betreten hat, ist Irene, die Tochter des Kaisers von Byzanz und Gattin Philipps, des liebenswürdigsten jüngsten Sohnes Friedrichs I. Er hatte eben den ihm entgegengestellten Otto IV., Sohn Heinrichs des Löwen, besiegt, als er in Bamberg von Otto von Wittelsbach ermordet wurde. Da floh seine Witwe auf den Hohenstaufen, wo sie nach einigen Tagen ein totes Rind gebar und starb. Die beiden Fremdlinge wurden im Kloster Lorch begraben.

Nach dem Aussterben des herrschenden Geschlechts bemächtigten sich die württembergischen Grafen der staufischen Güter und wurden Schirmvögte der Burg. Jahrhunderte zogen schicksallos an ihr vorüber, bis im Frühling 1525 ein Haufe aufständischer Bauern zuerst das Kloster Lorch, dann die Hohenstaufenburg zerstörte. Ein Reuß von Reußenstein, der sie an Stelle des abwesenden Kommandanten hätte verteidigen sollen, entfloh und gab sie preis. Eine bedeutende Ruine blieb stehen, deren Steine Herzog Christoph zum Bau einer Kirche und eines Schlosses in Göppingen benutzen ließ. Seit der Zeit wurden die Trümmer des einstigen Kaiserhauses nach Belieben zu Neubauten verwendet, bis nichts mehr übrig war. Kahl und einsam, eine wüste Stätte, liegt jetzt der Gipfel da, dessen Name ein Schall voll Ruhm und Größe ist. In dem wilden Gras, das ihn bedeckt, fängt sich zuweilen ein Schmetterling, Wolken und Winde und tragische Erinnerungen gehen über ihn hin. Der Schäfer, dessen Herde an seinem Fuße weidet, gedenkt der Vergangenheit nicht, die durch so viele Umwälzungen, die sich seither vollzogen haben, verschüttet wurde; und doch ist die Strecke zwischen dem Hohenstaufen und dem Hohenrechberg ein Geisterweg. Der Hohenstaufen ist nicht ganz 700 Meter hoch und überragt die Ebene nicht wie die Alpen, die unberührt oder spät von Menschen berührt in eisiger Schneeluft den irdischen Geschicken entrückt sind; sondern er gehört zu ihnen, wenn er auch über ihnen ist. Römer besiedelten diese Berge nicht, ob heidnische Kelten und Germanen dort ihren Göttern opferten, wissen wir nicht, aber es ist wahrscheinlich, da Anhöhen mit Vorliebe als Kultstätten benutzt wurden. Die Bewohner der umliegenden Dörfer sahen manchmal des Nachts Lichter unerklärlichen Ursprungs zwischen Hohenstaufen und Hohenrechberg hin- und herfliegen. War es das wilde Heer? Der alte Gott Wodan mit seinem Gefolge? War es Barbarossa, den es von Tyrus in die Heimat zog? Friedrich der Zweite und seine unglücklichen Söhne, Manfred – Enzio – Konradin? Es ist ein Weg für Götter und Göttersöhne; heißt er doch auch Asrücken, die Straße der Asen. Man blickt von hier weit ins Land, nichtbeackertes Feld, Tannendickicht, in dem das Licht erlischt, Dörfer, alte Mauern und Türme; es mag vor tausend Jahren nicht viel anders ausgesehen haben. Man spürt das Leben, das sich ewig wiederholt und ewig dasselbe ist: Dämmerung, Sonnenuntergang, blaß aufbrechende Sterne, weidende Schafe, Arbeit und Ernte der Bauern; und man denkt zugleich die weltumspannenden Gedanken der schwäbischen Herren nach, die hier erwuchsen, kurze Zeit das Abendland beherrschten und untergingen.

Die Spitze des Rechberg war seit alten Zeiten ein Heiligtum. Im 11. oder 12. Jahrhundert lebte ein Einsiedler dort, der in seiner Zelle ein Marienbild ausgestellt hatte; am Ende des 15. Jahrhunderts stiftete ein Herr von Rechberg eine Kapelle und ein ewiges Licht. Jetzt steht dort eine Wallfahrtskirche und die frommen Gesänge darin wechseln ab mit den Wanderliedern der vorüberziehenden Jugend. Unterhalb des Gipfels, durch einen tiefen Graben von ihm getrennt, erhebt sich ein abgesonderter Felsenhügel, der die Burg trägt. An einen steinernen Viadukt, der über den Abgrund führt, schließt sich eine Holzbrücke als Zugang zur Burg, ein kühner Auftakt zu der großartigen Ruine. Das war die passende Burg für jenen Junker Rechberg, von dem Uhland erzählt, daß er in einer Kirche, wo er eine Nacht geruht hatte, seinen Handschuh habe liegen lassen. Als er zurückkehrte, um ihn zu holen, sah er einen häßlichen Teufel auf der verlassenen Stelle sitzen, damit beschäftigt, den ritterlichen Handschuh auf seine feurigen Finger zu ziehen. Der Unerschrockene nahm dem Bösen die Beute ab und ging seines Weges. Da begegnete er einem seltsam stillen Reiterzuge, dem ein lediges Pferd folgte. Wem das Pferd gehöre? fragte der Junker den, der es führte. Dem Rechberger, sagte der, den soll es zur Hölle tragen.

Die Rechberger der Geschichte sollen dem der Sage, der vermutlich manchen Raubritterfrevel auf dem Gewissen hatte, nicht geglichen haben, sondern im allgemeinen biedere Herren gewesen sein, die sich in angesehenen Stellen bewährten. Es gab einen Bischof von Augsburg unter ihnen, einen Bischof von Thur, einen Propst zu Ellwangen, einen Abt von Maria Einsiedeln; einer fiel in der Schlacht bei Sempach. Ebenso treu wie anfangs den Hohenstaufen dienten sie später den Grafen und Herzögen von Württemberg. Ihre Treue war so ungestüm, daß sie manchmal dem lästig fiel, dem sie galt. Ein Rechberg diente dem Herzog Georg von Bayern, den im Jahre 1489 der Papst in den Bann tat. Als nun ein Geistlicher den Bann verkündigte, forderte der entrüstete Rechberg denselben auf, den Bannbrief zu verschlingen und durchschoß ihn, da er sich weigerte, mit einem Pfeil, worauf der Diensteifrige nicht nur vom Papst mit dem Bann belegt wurde, sondern auch beim Herzog von Bayern in Ungnade fiel.

Mit der Stadt Gmünd gerieten die Rechberger zuweilen in Streit, besonders einmal, als der Graf Ulrich von Württemberg der Stadt Eßlingen Fehde ansagte und Rechberg dem Grafen beistand, während die Städte Eßlingen zu Hilfe kamen. Trotzdem zeigten sich die Rechberger, die drei Häuser in Gmünd besaßen, im allgemeinen als Freunde und durch Stiftungen als Wohltäter der Stadt. Seit dem Aussterben der Hauptlinie im Jahre 1585 wurde die Burg nur noch von Beamten bewohnt. Eine Seitenlinie, in neuerer Zeit gegraft, blüht noch immer.

Außer den Kirchen und einigen Türmen, den Überbleibseln der Befestigung, besitzt Gmünd nicht viel Altertümliches mehr: die meisten Häuser, soweit sie nicht modern sind, stammen aus dem 18. Jahrhundert. Das alte, 1523 aus Eichenholz erbaute Rathaus mußte im Jahre 1793 wegen Feuersgefahr abgerissen werden, und auch die Zunfthäuser der Krämer, der Goldschmiede, der Gerber verschwanden damals. Indessen Gmünd ist so geartet, daß man ihm das Unschöne nicht zurechnet und nur das Gefällige in sich aufnimmt. Seine Seele ist mit den Hügeln, den Wäldern und dem Remsbach verbunden geblieben, die sie umschlingen, und wurde nicht berührt von den Häßlichkeiten der Zivilisation, die auch hier eindrang. Verschiedene Städte erheben Anspruch auf die Sage von dem armen Geiger, dem die Madonna in der Kapelle, durch Musik ins Leben gezaubert, ihren goldenen Schuh reichte; aber keiner steht sie so wohl an wie Gmünd, der sie der romantischste Dichter Schwabens, Justinus Kerner, in seiner Ballade zugesprochen hat. Er feiert Gmünd als die Stadt, die seitdem auch den ärmsten Sohn der Lieder gastlich empfängt, die stets von Geigen, Gesängen und Tänzen klingt, und aus deren Trümmern noch Melodien tönen werden. Gewiß, der hatte nicht unrecht, der einst den Namen dieser musischen Stadt, Heimat der Schönheit, der Kunst und der Musik, Gamundia, aus den lateinischen Worten Gaudium mundi, Freude der Welt, ableitete.


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