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15. Kapitel.
Ein unvergessener Pfad.

Und noch einmal kam Jan auf ein großes Schiff; auch diesmal war er nicht ängstlich, denn seine Freunde begleiteten ihn. Hippity-Hop und Cheepsie waren bei der Frau des Arztes zurückgelassen worden; sie sollten bei ihr bleiben, bis der Kapitän die Tiere nach seiner Rückkehr abholen würde.

Auf die Seereise folgte abermals eine Fahrt auf der Eisenbahn. Öfters, wenn der Zug an Stationen länger hielt, nahmen seine Freunde ihn aus dem Wagen, so daß er umherlaufen und seine Beine strecken konnte. Jan begriff sehr bald, daß er zurückbleiben würde, wenn er nicht beizeiten wieder im Wagen war. Also paßte er scharf auf, und beim ersten Ruf des Arztes oder des Kapitäns lief er zum richtigen Wagen hin und sprang hinein. Die Passagiere verwunderten sich darüber, daß er niemals in einen verkehrten Wagen ging, obwohl es mehrere gab, wie der, in welchem er reiste.

Jan trug sein silbernes Halsband, das überall von Männern und Frauen betrachtet wurde, die dann seinen großen Kopf streichelten und ihn lobten. Er fühlte sich sehr glücklich, ohne zu wissen, wohin seine Freunde mit ihm reisten.

Am Ende der Eisenbahnfahrt übernachteten die drei Reisenden in einer kleinen Stadt und gingen dann früh am anderen Morgen nach einem Platz, wo ein merkwürdiger kleiner Karren auf sie wartete. Vor denselben war ein Maulesel gespannt, bei dessen Kopf ein Maultiertreiber stand. Nach einer Unterredung zwischen dem Fuhrmann und dem Arzte kletterte der Kapitän auf den Karren. Dann ging die Fahrt los. Der Arzt marschierte neben dem Maultiertreiber, der dicht beim Kopf seines Tieres ging. Zuerst folgte Jan hinterdrein; als er nach kurzer Zeit bemerkte, daß die Fahrstraße steiler wurde, lief er voraus, schaute sich aber öfters um, ob alles in Ordnung sei.

Die Stadt, in der sie übernachtet hatten, lag auf einer steilen Anhöhe und schaute auf einen rauschenden kleinen Fluß hinab, der anscheinend große Eile hatte, von einem Ort zum anderen zu gelangen. Der Weg, den sie beschritten, wurde immer steiler. Als Jan einmal stillstand und abwärts blickte, konnte er den kleinen Fluß unten sehen. Der Maultiertreiber nannte ihn die Dranse. Zuweilen entschwand er dem Blick, so daß Jan glaubte, der Fluß habe eine andere Richtung genommen. Dann aber brach er plötzlich wieder schäumend und sprudelnd hervor, gerade, als ob er Jan habe necken wollen. Hie und da schien der Fluß rückwärts zu laufen, dann aber lief er unvermutet wieder vorwärts, spielte mit ihnen allen Versteck und lachte und tanzte wie eine muntere Fee oder Wassernymphe das Tal entlang. Der kleine Fluß gewährte unseren Reisenden viel Unterhaltung, bis sie in einem kleinen Dorfe, Cantine de Proz genannt, halt machten. Hier spazierten sie eine Zeitlang umher, bis der Maulesel ausgespannt war. Der kleine Karren wurde jetzt zurückgelassen, und der Kapitän bestieg den Maulesel, während der Arzt und der Treiber ihm zur Seite gingen. Die Fahrstraße hatte sich in einen schmalen, schlüpfrigen Pfad verwandelt, auf dessen einer Seite ein tiefer Abgrund gähnte, in dem hier und dort etwas Schnee zu sehen war.

Vor ihnen türmten sich hohe Gebirgsmassen auf, und als der Pfad eine scharfe Biegung machte, hielt Jan plötzlich an und starrte in die Ferne. Weit entfernt erhob sich ein riesiger weißer Berg und um ihn reihten sich andere Bergspitzen, alle mit blendendem Schnee bedeckt. Es war der erste Schnee, den Jan erblickte, seit dem er ein junger Hund gewesen war.

Der Arzt und der Kapitän beobachteten ihn, aber Jan sah sie nicht. Dinge kamen ihm in den Sinn, die er fast vergessen hatte. Der Maulesel schritt langsam aufwärts, und der sich schlängelnde Pfad stieg höher und höher. Jan hob seinen Kopf und schnupperte in der Luft umher, die von Minute zu Minute kälter wurde. Als sie eine Biegung des Weges erreicht hatten, wo der Pfad zu enden schien, bellte der Hund laut und raste einer Stelle zu, wo etwas Weißes auf der Erde lag. Schneller und schneller jagte er dahin, bis er mitten in dem weißen Fleck stand. Mit seiner Schnauze berührte er die Masse, und schleuderte sie dann empor, so daß sie wie kleine, weiße Wölkchen in der Luft umherflog. Dann warf er sich hin, überkugelte sich, sprang wieder auf und bellte laut und scharf vor Aufregung. Abermals beschnüffelte er den Schnee, raste dann den Weg entlang und sprang ausgelassen umher wie ein ganz junger Hund, während der Arzt und der Kapitän lächelten und einander zunickten.

Aber erst, als sie eine kleine Hütte erreicht hatten, wo sie kurze Zeit rasteten, wußte Jan, daß der weiße Pfad, der sich den Berg hinanzog, an der Pforte des Hospizes enden würde, denn er hatte die Hütte wiedererkannt. Nachdem der alte Mann sich wieder auf den Maulesel gesetzt hatte und die Reisenden sich dem hohen, weißen Gipfel zuwandten, wartete Jan nicht länger, sondern jagte bellend voran. Schneller und schneller, höher und höher hinauf lief er. Sein Herz klopfte, und seine Zunge hing ihm weit zum Maule heraus. Dann machte er halt, steckte die Schnauze in die kalten weißen Schneemassen, zuweilen einen großen Bissen davon verschlingend, um dann mit erneutem Freudengebell wieder vorwärts zu jagen. Hoch über seinem Wege prangten die zackigen Gipfel, die Hunderte von Schluchten, wo der Schnee niemals schmolz, überragten, selbst nicht im Sommer. Und Prinz Jan war glücklich, daß er jetzt wieder den Fährten folgte, die seine Vorfahren begangen hatten.

Plötzlich hielt er inne, hob seine Schnauze hoch empor und stieß den Ruf der Bernhardinerhunde aus. Die tiefen Töne erschallten von Fels zu Fels als Echo wieder und klangen, als ob alle Hunde, die hier gewandelt waren, ihm Antwort geben würden.

Bei der nächsten Biegung des Weges wurden die höchsten Gipfel sichtbar, und hinter dem Bergrücken erhob sich das Dach des Hospizes. Jan stand einen Augenblick still, ehe er den Ruf seines Stammes wiederholte.

Auch diesmal erscholl lautes Gebell als Antwort, aber es war kein Echo, sondern es waren die Stimmen der Hunde in den Zwingern des Hospizes.

Jan bebte vor Aufregung; dann jagte er wieder vorwärts, ohne Unterbrechung, bis er die ausgetretenen Stufen des Hospizes erreicht hatte, deren er sich jetzt gut erinnerte. Die Tür war geschlossen, aber sein Instinkt hieß ihn den bekannten Ruf wiederholen.

Langsam wurde die große Tür geöffnet, und Bruder Anton stand vor dem Bernhardinerhund, den er nicht kannte. Aber Jan hatte ihn nicht vergessen. Er stellte sich auf die Hinterbeine und legte seine Pfoten leicht auf die Schultern des Mönchs. Als er den Mönch anblickte, rief Bruder Anton aus: »Es ist Jan, – Prinz Jan ist zu uns zurückgekehrt!«

»Wau, wau!« Jans Stimme brachte andere Mönche an die Tür, die Bruder Anton bei einem fremden Hunde sahen, der mit leuchtenden Augen umherblickte und wie toll mit dem Schwanze wedelte.

Während sie beieinander standen, sich unterhielten und sich wunderten, auf welche Weise der Hund zu ihnen gekommen sei, erschienen der Arzt und der Kapitän mit dem Maultiertreiber, und so war die Sache bald aufgeklärt.

Im Innern des Hospizes versammelten sich nun die Mönche, um die Geschichte von Jans Abenteuern zu hören, die er im Land ohne Schnee erlebt hatte. Sein silbernes Halsband wurde bewundert, und Jan war glücklich, wie sich alle über seine Heimkehr freuten.

Es war Bruder Anton, der dann sagte: »Komm mit mir, Prinz Jan.«

Der Hund gehorchte sofort. Er ging durch die langen Gänge des Hospizes in das Erdgeschoß, dann unter den hohen gewölbten Bogen fort durch den offenen Eingang, der in den Zwinger führte. Und jetzt stand Jan wieder im Heim seiner Vorfahren und sah die Hunde seines eigenen Stammes.

Vor Aufregung keuchend lief er umher und sah sich nach allen Seiten um. Viele der Hunde waren ihm fremd. Als er aber den alten Bruno bemerkte, der langsam auf ihn zuhinkte, ertönte Jans Bellen so laut, daß die andern Hunde erschreckt auffuhren. Und als er bei Bruno war und ihm zeigte, daß er ihn nicht vergessen habe, war dessen Freude ebenso groß. Zwei andere, gelbbraune Tiere sprangen an Jan empor, beschnüffelten ihn und kläfften und bellten dann in wildester Aufregung, woraus Jans Stimme sich mit den ihrigen vereinte, denn er erkannte seine Mutter und Rollo. Die andern Hunde stimmten in die Freude mit ein, und das Echo ihres Rufes erscholl wider von den weißen Bergen herüber.

Mit einem zufriedenen Lächeln streichelte Bruder Anton Prinz Jan und ließ ihn dann bei den anderen Hunden. Später kam er aber wieder zurück und gebot Jan, ihm zu folgen. Sie betraten den großen Saal, in dem der Kapitän und der Arzt sich mit mehreren Reisenden und zwei Mönchen unterhielten. Sie unterbrachen ihr Gespräch und beobachteten, wie Jan sich an die Seite des alten Mannes stellte. Darauf nahm Bruder Anton dem Hunde das silberne Halsband ab und hing es über den Kamin neben das große Gemälde, das einen Bernhardinerhund zeigt, wie er einen Mann aus dem Schnee rettet.

»Es soll dort hängen,« sagte Bruder Anton, »damit alle, die zum Hospiz kommen, es sehen und die Geschichte von Prinz Jan erfahren können.«

Alle lobten und streichelten den Hund, der dann wieder nach den Zwingern ging, wo er von den anderen Hunden wie ein Freund umringt wurde. Es war ein Festtag für die Bernhardinerhunde, die sehr stolz auf Jan waren, als er ihnen von den Abenteuern erzählte, die er erlebt hatte in jenem sonderbaren ›Lande ohne Schnee‹.


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