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7. Kapitel.
Hippity-Hop.

Die liebevolle Pflege, die der Kapitän acht Monate lang Jan zuteil werden ließ, machten ihn gesund und glücklich, und vor allem gaben sie ihm den Glauben an die Menschen wieder, so daß er sanft und anhänglich wurde, wie er es gewesen, ehe er so grausam behandelt worden war.

Einer von Jans Vorfahren war ein Neufundländer gewesen. Dies sind Hunde mit langen, weichen, schwarzen oder schwarz-weißen Haaren. Obgleich nicht so groß wie die Bernhardiner, gleichen sie ihnen doch an Gestalt und zeigen dieselbe Intelligenz und Treue und ihr anhängliches Wesen. Neufundländer können gut schwimmen und brauchen gewöhnlich nicht erst abgerichtet zu werden, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Deshalb war es begreiflich, daß Jan das Schwimmen liebte.

Der alte Pfandstallwärter und Jan spazierten fast täglich am Strande entlang, und wenn der Hund ein Stück Treibholz nahe am Ufer bemerkte, schwamm er hinaus und holte es herbei. Sein Herr legte dann das Holz in einen Korb und nahm es mit nach Hause, wo es an kühlen Abenden im Kamin ins Feuer gelegt wurde. Öfters, wenn Jan allein am Strande war und Treibholz sah, stürzte er darnach in die Brandung, und wenn das Stück nicht zu schwer war, schleppte er es ins kleine Haus. Jedesmal, wenn er es getan hatte, wurde er von dem alten Manne gelobt und gestreichelt, und dann war Jan sehr stolz, weil er seinem Herrn geholfen hatte.

Eines Tages, als er allein am Strande war, bemerkte er viele Bretter, die auf den Wogen trieben. Obgleich sie ziemlich weit entfernt waren, zögerte er doch keinen Augenblick, darnach hinauszuschwimmen. Die Wogen schlugen über seinem Kopf zusammen; mitunter war er ganz unter Wasser, und einmal erfaßte ihn eine mächtige Welle und drehte ihn mehrmals rundum, so daß seine Füße über dem Kamm der Brandung hervorragten: aber für Jan war all das nur Spaß. Er schüttelte seinen großen Kopf, so daß seine Schlappohren hin- und herschwankten; mit seinen starken Pfoten arbeitete er sich vorwärts, weit hinaus, wo die Wogen in langen Abständen daherrollten, sich aber nicht zu solch hoher Brandung auftürmten, noch mit solcher Wucht brachen, wie es nahe am Ufer der Fall war.

Die Bretter waren aneinander befestigt und bildeten ein kleines Floß, und Jan begriff sofort, daß dies seine Arbeit mehr als sonst erschwere. Er packte die Kante eines Brettes zwischen seinen starken Zähnen und wandte sich um, der Küste zu. Mehrmals mußte er das Brett loslassen wegen der Gewalt der Wogen und des Gewichts des Floßes; aber jedesmal ergriff er das Brett von neuem und schwamm weiter, dem Lande zu. Als das Ufer noch ziemlich weit entfernt war, hörte er ein leises Wimmern und sah ein kleines, graues Kätzchen, das sich an den Brettern anklammerte.

»Halt dich fest,« rief Jan, aber das Kätzchen schien ihn nicht zu hören.

Er strengte sich nun an, rascher zu schwimmen, aus Angst, die Wellen würden das kleine Tier herabspülen, denn öfters bedeckte das Wasser das ganze Floß und auch Jans Kopf. Endlich erreichte er den Strand und zog die Bretter weit herauf in Sicherheit. Jan beschnüffelte das Kätzchen, dessen Augen geschlossen waren und das sich nicht rührte. Er wußte, daß die meisten Katzen sich vor Hunden fürchten. Deshalb ging er etwas abseits, setzte sich hin und wartete, bis das Kätzchen erwachen würde. Als es sich aber nicht rührte, ging Jan nach einigen Minuten wieder hin und stieß es sanft mit der Schnauze an. Es bewegte sich nicht. Jetzt setzte er sich hin und besah es nachdenklich. Dabei fiel ihm ein, daß die Hunde vom Hospiz nach Hilfe eilten, wenn sie einen Reisenden im Schnee gefunden hatten, den sie nicht aufwecken konnten. Seine Mutter und Bruno hatten ihm das gesagt, und Jan hatte es nicht vergessen, ebensowenig wie die Tage, an denen er und Rollo von Bruder Anton unterrichtet worden waren.

Er beleckte nun das nasse Fell des Tieres; aber vergeblich, die Augen desselben blieben geschlossen. Jan erhob nun den Kopf, bellte laut und raste dann fort, so geschwind, daß der Sand unter seinen Füßen in kleinen, gelben Wölkchen emporgeschleudert wurde. Jetzt stürzte er in das kleine Wohnzimmer des Kapitäns, eine nasse Spur auf dem Boden zurücklassend. Der Kapitän blickte verwundert auf und vergaß, seine Pfeife anzuzünden, als er den triefenden Hund vor sich sah.

»Na, was gibt's denn, Jan?« fragte er. »Ich habe dich noch nie so aufgeregt gesehen! Du bist ja triefend naß!«

Jan sprang umher und raste dann zum Gartentor, wo er innehielt, sich umsah und mit dem Schwanze wedelte.

»Willst du, daß ich dich begleite?« fragte der Alte, sich erhebend.

Der Hund sprang gegen das Gartentor an, stieß es auf, lief voraus und kehrte wieder um.

»Schon gut,« sagte der Pfandstallwärter, nahm seine Mütze und folgte Jan, dessen Freude nicht zu verkennen war.

»Wau, wau!« rief er in seiner Hundesprache, was heißen sollte: »Beeile dich! Beeile dich!«

Und Kapitän Smith beeilte sich auch, so sehr er konnte; aber Jan hatte das Floß vor ihm erreicht. Das Kätzchen lag noch an derselben Stelle, wo er es verlassen hatte.

»O, es ist eine kleine Katze,« rief Jans Herr aus, als er die Bretter erreichte. »Armes, kleines Ding!«

Er bückte sich und hob den kleinen, schlaffen Körper auf. »Ich glaube, sie ist tot; aber du hast dein Möglichstes getan, sie zu retten. Nicht wahr?«

Jan beobachtete alles aufmerksam; sein Schwanz bewegte sich hin und her, und seine Schnauze berührte die Hand, die das nasse Fell der Katze rieb. Und dann, ganz plötzlich, öffnete das Kätzchen die Augen und miaute leise.

»Aber so was! Das Tierchen ist doch noch am Leben!« rief Kapitän Smith aus. »Es muß wohl auf einem verunglückten Schiff gewesen und dann ans Ufer gespült worden sein, was aus dem herangetriebenen Floß zu schließen ist. Es sieht halb verhungert aus. Wenn es wahr ist, daß Katzen neun Leben haben, muß dies arme Geschöpf ziemlich viele von ihnen eingebüßt haben, ehe es den Strand erreichte. Komm, Jan! Wir wollen immerhin versuchen, es zu retten.«

Der Hund lief in der Richtung des kleinen Hauses, kam aber öfters zurück und sprang um den alten Mann herum. Er war so glücklich, daß er das arme Tier gerettet hatte. Es war zwar nur ein graues Kätzchen, und die Hunde des Hospizes retteten Menschenleben; aber das war ja auch in einem Lande, wo es Schnee gab!

Als sie die Küche erreicht hatten, schmiegte sich Jan an den Kapitän, der die zierliche kleine Katze mit einem alten Handtuch abrieb. Dann wurde sie auf den Boden gesetzt neben eine Schüssel mit Milch. Als die Milch allmählich verschwand, rückte Jan in seiner Freude an sie heran; aber das geängstigte Tierchen machte einen Buckel, sträubte die Haare des Schwanzes und fauchte ihn an. Es wußte natürlich nicht, daß Jan sein Leben gerettet hatte, auch nicht, daß er ihm nichts zuleide tun würde. Jan wich zurück und setzte sich ruhig hin, es zu betrachten. Die Schüssel wurde zum zweitenmal mit Milch gefüllt, und das Kätzchen leckte sie wieder auf, so rasch es nur konnte. Der kleine Körper war so mager, daß die Seiten wie geschwollen schienen, als es die Schale geleert hatte und nun durch das Zimmer ging.

»Du armes kleines Ding!« rief der Kapitän aus, als er es vorsichtig aufhob. »Es hat nur drei Beine, Jan!«

Der Pfandstattwärter setzte seine Brille auf und untersuchte das Tier. »Es scheint so zur Welt gekommen zu sein,« bemerkte er. Wahrscheinlich ist es als ›Glückstierchen‹ mit auf ein Schiff genommen worden. Na, Jan, es ist schließlich einerlei, was ihm zugestoßen ist, solange es sich jetzt nur wohl und behaglich fühlt.

Das Kätzchen ging zur leeren Schüssel hin, beschnüffelte sie und kam dann mit einem drolligen Sprung zu dem alten Manne zurück, rieb sich an dessen Bein und schnurrte dabei, während es den großen Hund scharf beobachtete.

»Wir wollen es Hippity-Hop eine Bezeichnung, die annähernd durch ›Springerlein‹ übersetzt werden könnte nennen,« entschied der Kapitän; und da weder Jan noch das Kätzchen einen besseren Namen vorschlugen, blieb es bei seiner Wahl.

Hippity-Hop war wirklich ein ganz niedliches Kätzchen, trotzdem es nicht so viele Beine besaß wie andere Katzen. Sein Fell war dunkelgrau; seine weiße Brust und ein weißer Streifen um den Hals sahen aus, als ob es ein sauberes Hemd und einen Kragen angezogen hätte, und die Pfoten waren so schneeweiß wie hübsche weiße Handschuhe. Es verbrachte immer viel Zeit damit, sein Fell mit der Zunge zu waschen.

Mehrere Tage fürchtete sich Hippity-Hop vor Jan, der groß genug war, um es mit einem Schluck zu verschlingen. Als es jedoch merkte, wie er sich zurückhielt und es zuerst aus seiner Schüssel fressen ließ, obwohl es seine eigene eben geleert hatte, verlor es seine Angst und fing an, ihn zu liebhaben. Jeden Abend nach dem Essen kroch es zwischen seine Pfoten und schlief dort ein, und Jan lag dann sehr still, um seine kleine Freundin nicht zu wecken.

Jan war überzeugt, daß Hippity-Hop die liebste kleine Katze der Welt war, aber einmal war es doch nötig, ihr eine Lehre zu erteilen.

Als sie zum erstenmal sah, wie Cheepsie im Zimmer umherspazierte, funkelten Hippity-Hops grüne Augen voll Mordlust. Sie streckte die Krallen vor, die sie bis jetzt verborgen gehalten hatte, bewegte den Schwanz hin und her und duckte sich, um auf den kleinen gelben Vogel zu springen, der sich gar nicht um die Katze gekümmert hatte. Aber gerade, als sie zum Sprung ansetzte, ertönte ein schreckliches Gebrüll hinter ihr, und sie wurde von Jans großem Maul erfaßt.

Hippity-Hop stieß ein Angstgeheul aus und wandte sich, um ihre Krallen in Jans Augen zu schlagen; aber er hielt sie fest, ohne sie jedoch mit seinen Zähnen zu verletzen. Kapitän Smith, der den Lärm gehört hatte, eilte in das Zimmer und begriff sofort, was sich ereignet hatte. Er nahm die Katze dem Hunde aus dem Maul und tauchte sie, trotzdem sie spuckte und kratzte und miaute, mehrmals in einen Zuber mit Wasser. Alle Katzen hassen das Wasser und Hippity-Hop haßte es noch mehr als die meisten, denn es erinnerte sie an jenen Tag, an dem sie fast im Meer ertrunken wäre.

»Du mußt lernen, lieb gegen Cheepsie zu sein, sonst kannst du nicht hier bei uns leben,« sagte der alte Mann, als er das Kätzchen auf der Veranda niedersetzte.

Das Kätzchen fing an, sein nasses Fell zu lecken; es war sehr erschrocken, und es beschloß wohlweislich, Cheepsie in Zukunft in Ruhe zu lassen. Sein Verstand sagte ihm, daß es sonst von Jan verschlungen oder vom Kapitän in das Meer zurückgeworfen würde.

Der Vogel schien den Entschluß der Katze auch zu merken, und bald nach diesem Ereignis fraßen Hippity-Hop und Cheepsie aus derselben Schüssel. Zuweilen setzte sich der Vogel auf Jans Schwanz und sang ihnen etwas vor. Der Hund verhielt sich dann immer so ruhig wie möglich, bis der Gesang beendet und Cheepsie hinüber auf des Kapitäns Schulter geflogen war. Oftmals holte der Alte seine Geige aus der Ecke, und während er spielte, pfiff er dabei oder sang mit zittriger Stimme; Jan schlug den Takt auf dem Boden mit seinem Schwanze; Hippity-Hop mischte sich mit ihrem Schnurren ein und Cheepsie, auf der Schulter seines geliebten Herrn, sang und trillerte, so laut er konnte, in der Absicht, mehr Lärm zu machen als jener unsichtbare Vogel, der verborgen in der Geige lebte.


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