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4. Kapitel.
Das Land ohne Schnee.

Nachdem die Seereise zu Ende war, folgte eine zweite Fahrt auf der Eisenbahn und dann erreichte Jan seine neue Heimat. Als sie ankamen, hüpfte ein kleines Mädchen mit langen, goldenen Locken, großen, blauen Augen und rosigen Bäckchen die Stufen der breiten Veranda eines großen Hauses herab.

Herr Pixley hob sie in seinen Armen empor, stellte sie dann wieder auf ihre Füßchen und rief Jan herbei, der noch im Auto saß, das sie von der Eisenbahn abgeholt hatte. Der Hund sprang heraus und lief dem Kinde entgegen, blickte zu ihm auf und wedelte mit dem Schwanze.

»O du wunderschöner Prinz Jan,« jubelte sie und umschlang ihn mit ihren Armen. »Ich liebe dich,« sagte sie, ihn fest an sich drückend.

Jans Zunge liebkoste ihre Hand und berührte ihre Wangen; dann streckte er sich auf dem Boden aus, wälzte sich auf dem Rücken und zappelte mit den Beinen in der Luft umher, alles um ihr zu zeigen, daß er sie liebe. Als sie ihn rief, gehorchte er und trabte neben ihr her, an merkwürdigen Bäumen vorbei, die auf einem mit frischem, grünem Gras bedeckten Rasen wuchsen. Jan sah sich um und bemerkte, daß diese Masse, die den Boden bedeckte und so weich unter den Füßen war, sich bis an ein Wasser erstreckte, und daß das Wasser so weit hinaus erglänzte, wie seine Augen sehen konnten, und sich dann im Himmel zu verlieren schien. Wunderbare Dinge, denen ein zarter Duft entströmte, standen in farbenreicher Abwechslung rund um das Haus und kletterten sogar an den Mauern desselben empor. Später erfuhr Jan, daß diese Dinge Blumen hießen. Wenn der Wind leise säuselte, schwankten sie hin und her und bogen sich herab, ähnlich wie liebliche Damen in hübschen Kleidern, die tanzten und sich verbeugten. Aus dem dichten Blätterdach der Bäume ertönte der Gesang von Vögeln. Jans Kopf wandte sich rasch von Seite zu Seite, während er sich bemühte, alles zu sehen und zu begreifen. Aber das Wunderbarste von allem war für ihn seine herzige kleine Herrin, die zu ihm sprach, als ob sie wüßte, er könne ihre Worte verstehen.

Im großen Hause war jedermann sehr lieb gegen Jan, so daß er sich bald an sein neues Heim gewöhnte. Seine einzige Aufgabe bestand darin, Elisabeth zu behüten, und sie war so sanft und gütig, daß er stolz und glücklich war, ihr Beschützer zu sein. Er begleitete sie überall, wohin sie ging.

Elisabeths Lehrerin unterrichtete sie im Freien, auf dem Rasen unter dem Schatten eines Orangenbaumes, und Jan blieb unterdessen dicht bei ihr. Er beobachtete das kleine Mädchen und wartete geduldig, bis die Unterrichtsstunde zu Ende war. Dann wurde ein Pony vorgeführt, und während Elisabeth auf dem festen Sand des Strandes ritt, jagte Jan bellend nebenher oder versuchte auch wohl, die Wellen zurückzudrängen, wenn sie sich zu nahe herangewälzt hatten. Er liebte das Meer. Am besten gefiel es ihm, wenn seine kleine Herrin ihren Unterricht im Schwimmen bekam, denn dann konnte er sich neben ihr in den Wogen tummeln. Oftmals ließ sie sich, auf dem Rücken liegend, von der schäumenden, weißen Brandung tragen; sie hielt sich dann an Jans Halsband fest, bis das Wasser sie beide auf den warmen Sand des Strandes warf. Zuweilen gruben sie zusammen ein tiefes Loch im Sande, und der Hund legte sich dann hinein, während Elisabeth ihn begrub, so daß nur seine Augen und seine Schnauze zu sehen waren. Jan fühlte sich so glücklich, daß er zeitweise das Hospiz vergaß und auch die Arbeit, von der ihm seine Mutter gesagt hatte, daß er sie einmal werde tun müssen. Wenn er sich aber dessen erinnerte, grübelte er darüber nach und dachte: »Aber wie kann ich hier Menschen retten, wo es keinen Schnee gibt, und wo alle glücklich und in Sicherheit leben?«

Weihnachten kam heran und es gab einen Christbaum mit strahlenden Lichtern und behangen von hübschen Geschenken. Elisabeth nahm ein prachtvolles Halsband vom Baume, und die ganze Familie streichelte Jan, als sie es ihm gab und dabei sagte: »Dies ist für dich, Jan.«

Als sie es um seinen Hals legte, kam ihm der große Saal im Hospiz in den Sinn; aber er wußte jetzt, daß niemals ein Halsband von ihm dort hängen würde. Plötzlich überwältigte ihn die Sehnsucht nach den Hunden des Hospizes und der dortigen Arbeit; er schlich langsam aus dem Hause und legte sich auf der Veranda nieder, von wo aus er das blaue Meer im Sonnenschein konnte glänzen sehen und auch das weiche, grüne Gras und die wunderschönen Blumen.

»O wenn ich nur wieder nach Hause könnte und dort meine Arbeit im Schnee verrichten,« wünschte er. Nach einer kleinen Weile war er fest eingeschlafen.

Die ›Fee der glücklichen Träume‹ war an diesem Weihnachtstage sehr beschäftigt. Als sie über Prinz Jan hinwegflog und bemerkte, wie einsam er sich fühlte und wie ihn das Heimweh quälte, berührte sie ihn mit ihrem Zauberstab und schwebte dann lächelnd weiter.

Und Prinz Jan träumte, er stände an der Pforte des Hospizes und das kleine hölzerne Fäßchen hinge an seinem Halsbande. Rollo, auch mit Halsband und Fäßchen daran, tummelte sich neben ihm, und zupfte ihn spielend an den Haaren, während Bruder Anton und einige andere Mönche auf der obersten Stufe standen und sagten:

»Er gleicht seinem Vater Rex, und der stammte von Barry ab! Prinz Jan hat edles Blut; er wird seinen Vorfahren Ehre machen.«

Im Traume spielte Jan dann in der scharfen, eisigen Bergluft und seine Pfoten versanken in dem kalten, weichen Schnee. O wie gut das tat!

»Meine Zeit ist gekommen! Meine Zeit ist gekommen!« rief er, vor Freude aufspringend.

»Jan, Jan, denke an deinen Vater!« riefen seine Mutter und Bruno ihm nach.

»Ja, ich verspreche es,« antwortete er. Darauf rasten er und Rollo den glatten Pfad hinab. Ihr Bellen, der eigentümliche Ruf der Bernhardiner, ertönte wie tiefes Glockengeläute. Sie schritten über Eisbrücken, arbeiteten sich durch tiefe Schneemassen hindurch, strauchelten und stürzten zuweilen, und folgten dem Wege, den ihre Vorfahren betreten hatten. Sie hielten die Schnauze dicht am Schnee und schnüffelten, ohne aufzuhören, nach einer Spur.

Plötzlich hielt Jan an und steckte die Schnauze in den tiefen Schnee. Dann fingen beide an voll Eifer zu graben, bis Jan ausrief: »Lauf, Rollo, lauf zum Hospiz zurück!«

Rollo raste davon, und war sofort verschwunden, indessen Jans rauhe Zunge den Schnee beleckte, bis er das runde, weiche Gesichtchen eines Kindes entdeckte, und unter dem Kinde lag dessen Mutter. Beide lagen ganz still. Jan beleckte immer wieder die Gesichter, stieß sie an, um sie zu wecken, und drückte seinen warmen Körper dicht gegen sie. Seine Augen waren auf den Pfad gerichtet, und bald brach er in ein Freudengeheul aus, als er sah, wie Rollo zurückkam; bei ihm waren Bruder Anton und noch ein Mann des Hospizes, der beim Suchen mithalf.

Die Männer hoben die Frau und das Kind auf und wickelten sie in warme Tücher; dann lösten sie das Fäßchen von Jans Halsband, und als die Frau die Augen aufschlug, gaben sie ihr daraus zu trinken. Auch das Kind bekam ein wenig davon. Bruder Anton nahm die Kleine auf den Arm, sein Begleiter trug die Frau, und Jan und Rollo sprangen voraus, um den Schnee niederzutreten und dadurch das Gehen zu erleichtern. Bruno und die anderen Hunde im Hofe antworteten auf das Gebell von Jan und Rollo. Das Tor wurde geöffnet, hilfreiche Lände empfingen die Frau und das Kind und gaben ihnen Obdach in guterwärmtem Hause.

Bruder Anton bückte sich und streichelte Jans Kopf und entfernte den Schnee, der noch an den langen Haaren klebte. Dann sagte er leise: »Die heilige Muttergottes hat dich geleitet, Jan, denn du hast am Weihnachtstag eine Mutter und ihr Kind gerettet.«

Dann hörte Jan plötzlich Stimmen und Gelächter, und jemand sagte:

»Jan träumt schon wieder. Wach auf, Jan.«

Er erwachte und erblickte wehende Palmen, grünes Gras, Blumen und den warmen Sonnenschein des Landes ohne Schnee. Sein Herz, das eben noch so mächtig vor Freude geklopft hatte, wurde traurig. Er sah seine kleine Herrin und ihre Freundinnen und die andern an, die ihm so freundlich zulächelten und wünschte, er könnte ihnen seinen Traum erzählen und sie bitten, ihn dorthin zurückzusenden, wo er sich nützlich machen und die Arbeit seines Vaters und Barrys aufnehmen könnte.

Aber die Hundesprache ist verschieden von der unsrigen; selbst Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, verstehen einander ja oft nicht. Nur zuweilen gibt es Menschen, die klug und gütig genug sind, um zu verstehen, was Hunde sagen wollen. Aber Prinz Jans kleine Herrin erfuhr niemals, was in seinem Herzen vorging, obgleich sie ihn zärtlich liebte.

Die Monate vergingen, und endlich war Jan völlig erwachsen. Seine rötlichgelben und weißen Haare waren so weich wie Seide, und wenn er seine Pfoten auf die Schulten eines Mannes legte, war er so groß wie dieser. Trotz seiner Kraft und seiner Größe war er sanft und anhänglich und alle liebten ihn, wie auch er alle liebte.

Der einzige Kummer seines Lebens war das Bewußtsein, daß er niemand werde helfen können in einem Lande, wo es niemals schneite. Eines Abends, als er auf die Veranda trat, meinte er, es schneie, und er lief nach der Stelle hin, wo er die fallenden Flocken im hellen Mondschein gesehen hatte. Aber als er die Schnauze in die weiche, schimmernde Masse steckte, die unter einem Baume lag, fand er nur die abgefallenen Blüten der Orangen, die duftenden Schneeflocken Kaliforniens. Jan ließ sich auf sie nieder, und die alte Sehnsucht nach der Heimat und seiner Arbeit machten ihm sein treues Herz wieder schwer.


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