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8. Kapitel.
Der Maulkorb.

Jans Neugierde in bezug auf die Hunde, die von Zeit zu Zeit verschwanden, wurde eines Abends befriedigt, als eine elegant gekleidete Dame an dem kleinen Hause vorfuhr.

Kapitän Smith begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln und brachte dann einen Airedale-Hund kräftige, mutige Hunderasse, benannt nach dem englischen Flüßchen Aire herein, der seit einigen Wochen bei den andern Hunden gewesen war. Die Dame streichelte den Hund und sprach ihm freundlich zu; dann erhob sie sich von dem Stuhl, auf welchem sie Platz genommen hatte, und der Kapitän begleitete sie an das Gartentor, vor welchem ein Auto wartete. Sie stieg ein, und der Hund wurde auf den Sitz neben ihr gehoben.

»Er wird die sorgsamste Pflege erhalten, Kapitän Smith,« sagte sie, »und ich hoffe, Sie werden die andern Hunde auch gut unterbringen. Bezahlt die Stadt Ihnen die Unkosten, bis Sie ein Heim für jeden Hund gefunden haben?«

»Es kostet nicht viel, sie zu füttern,« entgegnete er. »Eine Woche lang, nachdem sie hier abgeliefert sind, wird mir ihr Unterhalt vergütet, aber weitere Ausgaben bestreite ich aus meinem Lohn. Es macht mich glücklich, die Dankbarkeit der Tiere zu sehen, denn die meisten unter ihnen sind so umhergestoßen worden, daß sie kaum noch wissen, daß es Menschen gibt, die sie lieben und gut behandeln.«

Nachdem der Besuch fort war, lag Jan ruhig und beobachtete den alten Mann, wie er sich im Zimmer beschäftigte. Nun schien er, trotz der ihm fremden Sprache, alles zu verstehen, und er erhob sich und steckte seine Schnauze in die runzelige Hand des Alten. Das Lächeln auf dessen Gesicht, während er Jans Kopf emporhob und ihm in die Augen schaute, ging Jan tief zu Herzen.

»Es ist eine arg traurige Sache, wenn ein Mensch keinen Freund hat,« sagte er zu ihm; »aber Menschen können für sich selbst sorgen und sich verteidigen, ein Hund kann das nicht, und doch ist er der treueste Freund, den ein Mensch haben kann.«

Von nun an war Jan stets leichten Herzens, denn wem er einen der Hunde vermißte, wußte er, daß derselbe ein gutes Heim gefunden hatte und einen Menschen, der ihn lieben würde. An solchen Tagen ging der Pfandstallwärter mit leuchtenden Augen und fröhlich pfeifend umher, und Jan hörte ihn folgendes Lied singen:

»Old dog Tray is ever faithful
Grief cannot drive him away;
He's gentle and he's kind
And you'll never, never find
A better friend than old dog Tray.« »Der alte Hund Tray ist immer treu, Kummer kann ihn nicht vertreiben. Er ist sanft und er ist gut, und niemals findest du einen besseren Freund als den alten Hund Tray.«

Öfters, wenn Freunde kamen, um mit dem Kapitän zu plaudern und zu rauchen, ging Jan an den Strand, um einen Spaziergang zu machen. Eines Abends sah das Meer so verlockend aus, daß Jan nicht widerstehen konnte, weit hinauszuschwimmen; er bellte und schnappte nach vorübertreibendem Tang. Als er das Ufer wieder erreicht hatte, war es später als gewöhnlich; er schüttelte sein dichtes Fell, so daß das Salzwasser wie ein Regenschauer herabfloß; dann lief er mit lautem Gebell fröhlich nach Hause.

Die hohen Klippen, die sich an der Küste erhoben, warfen dunkle Schatten auf den Sand. Das Häuschen, in welchem der Kapitän wohnte, stand auf der Höhe dieser Klippen, das Meer überblickend. Der Pfandstall war ganz in der Nähe und andere kleine Häuser standen vereinzelt umher. Eine hölzerne Treppe, neben der sich ein Pfad emporschlängelte, führte unmittelbar zum vorderen Eingang von Jans Heim.

Es war leichter für ihn, den Pfad hinaufzuspringen als die Treppen zu steigen, und er beeilte sich, die Höhe zu erreichen. Aber ein leises Geräusch veranlaßte ihn, stillzustehen und in das naheliegende Gebüsch zu blicken. Er konnte nichts sehen, aber seine Ohren hörten gespannt zu, während seine feine Spürnase in der Luft schnüffelte. Ein einziger Atemzug genügte, ihn zu warnen: Wilhelm, sein alter Feind, war in der Nähe.

Im Nu wandte er sich um; seine Augen funkelten vor Wut, und seine Haare sträubten sich an seinem Rücken, während er die Zähne fletschte und knurrte. Ein Sack wurde ihm plötzlich über den Kopf geworfen und trotz seiner Gegenwehr fest am Halse zugezogen. Ein merkwürdiger Geruch machte ihm übel und schwächte ihn. Mit seinen Pfoten versuchte er den Sack vom Kopf zu reißen, um besser atmen zu können; aber seine Beine wurden matt, es rauschte in seinen Ohren und hämmerte in seinem Kopf. Er machte noch einen Versuch, stolperte einige Schritte vorwärts und brach dann auf dem Sande zusammen. Er wußte jedoch, daß es Wilhelms Stiefel war, der ihm einen Stoß versetzte, und Wilhelms Stimme, die sagte: »So, das wird dir wohl genügen!« Jan wollte knurren, aber er war zu elend, um einen Laut von sich zu geben.

Er wußte nichts weiter von dem, was sich ereignete, bis er an einem fremden dunklen Ort erwachte. Sein ganzer Körper war steif und lahm, und er fühlte sich elend und krank. An seiner Schnauze war ein Ding angebracht, das ihn schmerzte, und er kratzte mit seinen Pfoten daran, um es loszuwerden. Es war aus Draht geflochten, der tief in sein Fleisch einschnitt. Nun wußte er, es war ein Maulkorb, denn er hatte öfters gesehen, wie andere Hunde unter solchem Dinge zu leiden hatten. Je mehr er daran kratzte, je mehr tat es ihm weh.

Darauf rieb er die Seite seines Kopfes auf dem Boden, aber auch dies verschlimmerte die Qual, und so gab er den Versuch auf und legte sich hin, die Schnauze auf dem Boden. Aber er konnte die Schmerzen nicht lange ertragen. Als er wieder auf die Beine wankte, fand er sich an einem Strick befestigt, uns als er denselben durchbeißen wollte, hielt der Maulkorb seinen Kiefer zusammen, so daß er kaum seine geschwollene Zunge zwischen die Vorderzähne zwängen konnte.

Jan litt Qualen, nicht nur weil der Draht in sein Fleisch einschnitt, sondern auch, weil es ihm wegen des Maulkorbs unmöglich war, seine Zunge heraushängen zu lassen. Wenn Hunde sich fürchten, krank oder zu heiß sind, werden sie fieberisch und lassen die Zunge herabhängen, denn so schwitzen sie. In dem Raum war alles ganz still. Er legte sich abermals hin und verhielt sich ruhig; es blieb ihm ja nichts anderes übrig, höchstens noch zu heulen. Er wußte, daß Wilhelm ihm diese Qualen bereitete, und er haßte ihn mehr als je.

Da wurde die Tür geöffnet. Jan sprang auf in der Hoffnung, es möchte ihm gelingen, den Strick zu zerreißen, ehe die Tür wieder geschlossen würde. Er duckte sich und machte dann mit aller Macht einen Sprung, aber das Seil war zu stark, und er fiel mit einem Ruck wieder zu Boden, wo er keuchend liegen blieb. Ein grelles Licht blendete ihn; dann erblickte er Wilhelm. Jan knurrte herausfordernd. Ein zweiter Mann war mit in das Zimmer getreten. Als Jan ihn sah, erkannte er in ihm den Mann, der mit Wilhelm zusammen im Pixleyschen Stall gewesen war. Er fühlte, daß er nun zwei Feinde zu bekämpfen habe. Als Wilhelm sich dem Hunde näherte, zerrte dieser hart am Stricke.

»Dein bösartiges Wesen wird dir bald ausgetrieben werden,« sagte Wilhelm drohend, doch hielt er sich behutsam so weit entfernt, daß der Hund ihn nicht fassen konnte. Aber sein Haß gegen Jan war größer als seine Vorsicht, und er hob ein Bein, um Jan einen Fußtritt zu geben, Jan wich zurück, nicht aus Angst, sondern um besser springen und das Bein des Mannes packen zu können.

»Laß ihn doch in Ruhe,« sagte der andere Mann. »Je schlechter du ihn behandelst, desto schwerer wird es sein, mit ihm umzugehen.«

Wilhelm runzelte die Stirn. »Am besten wäre es, ihn jetzt zu töten. Wir wagen viel wegen der Möglichkeit, ihn verkaufen zu können.«

»Na, meinetwegen töte ihn,« erwiderte der andere. »Laß deine Rachsucht dich daran hindern, tausend Dollar zu verdienen.«

Er hielt ihm eine Flasche hin. »Hier ist das Chloroform. Nur zu. Mach der Sache ein Ende, wenn du willst.«

»Ich glaube gar nicht, daß du ihn verkaufen kannst,« sagte Wilhelm höhnisch; »du sagst das nur, weil du wußtest, daß ich den Hund töten würde, ehe ich von hier fortgehe.«

»Wenn dein Haß gegen Hunde nicht so tief wäre, würdest du ganz gut wissen, daß man tausend Dollar für ihn bekommen kann, sobald er jenseits der kanadischen Grenze ist. Der Mann, von dem ich sprach, wird den Hund ganz bestimmt kaufen.«

»Aber sobald der alte Kapitän die Nachricht verbreitet, daß der Hund fort ist, wird irgend jemand ihn erkennen, ehe wir mit ihm über der Grenze sind.«

»Nicht, nachdem ich ihn zurechtgemacht und sein Aussehen ganz verändert habe,« prahlte Shorty.

»Wir haben aber keine Zeit, lange an ihm herumzumachen. Wir müssen uns beeilen fortzukommen.«

»Laß mich nur gewähren,« sagte Shorty. »Das ist mein Teil der Arbeit. Wenn du nur aufhören wirst, den Hund zu reizen, werde ich schon mit ihm fertig werden. Seit meiner Kindheit habe ich noch keinen Hund gesehen, der dich nicht auf den ersten Blick haßte.«

»Jawohl, du bist einfach in Hunde vernarrt. Nun gut. Nimm du ihn also in Obhut, während ich für das Auto sorge. Du darfst ihm aber den Maulkorb nicht abnehmen. Verstanden? Sonst wirst du schöne Dinge mit ihm erleben.«

Shorty gab keine Antwort, und Wilhelm ging fort. Jan und Shorty betrachteten sich dann gegenseitig. Die Muskeln des Hundes waren noch straff und seine Augen wachsam. Der Mann sah ihn aufmerksam an.

»Du bist der feinste, mutigste Hund, den ich je gesehen habe,« sagte er endlich, als ob Jan die Worte verstehen würde. »Du gefällst mir, alter Kerl, und wenn ich es nur wagte, würde ich dich laufen lassen.«

Er setzte eine Schüssel mit Wasser vor Jan hin, worauf der bösartige Blick in den Augen des Hundes erlosch. Er steckte seine Schnauze in die Schüssel, aber der Maulkorb hinderte ihn am Trinken. Der Hund sah zu Shorty empor, der seine Hand ausstreckte. Jan fühlte die tastenden Finger an seinem Hals, die Schnalle wurde gelöst und das grausame Ding fiel auf den Boden. Ehe der Hund das Wasser, nach welchem er lechzte, aufleckte, schaute er in Shortys Gesicht und sah dort ein wohlwollendes Lächeln, das ihm sagte, dieser Mann sei sein Freund. Jans heiße Zunge berührte dankbar Shortys Hand. Dann trank er.

»So, nun geht's dir schon besser,« sagte Shorty, als er die Stellen rieb, wo der Riemen tief eingeschnitten hatte. Nachdem Jan seinen Durst gelöscht hatte, gab Shorty ihm einige Stückchen Fleisch. Darauf nahm er eine große Schere und schnitt Jans lange Haare ganz kurz; es schmerzte nicht und der Hund ließ es ruhig geschehen. Ein Schwamm und ein Eimer mit einer dunklen Flüssigkeit wurden nun herbeigeholt und Jan wurde damit gründlich bestrichen, bis die Farbe auf den Boden tropfte.

»Ich muß dir den Maulkorb wieder anlegen, ehe Wilhelm zurückkommt, mein Junge,« sagte der Mann. Aber diesmal tat der Riemen nicht so weh.

Wilhelm schmunzelte, als er den Hund sah. »Famose Idee, Shorty! Der Pfandstallwärter würde seinen eigenen Hund nicht erkennen, wenn er ihn jetzt sähe.«

Er nahm einige Pakete auf und eine Reisetasche, während Shorty Jan am Seil führte. Sie gingen fort und befanden sich bald in einer tiefen Schlucht, wo die Brandung des Meeres nicht mehr vernehmbar war. Jan kannte den Ort nicht; seit er nach Kalifornien gekommen war, hatte er immer die Brandung hören können. Ein großes, schwarzes Auto hielt unter einem Baume. Wilhelm warf die Sachen hinein und setzte sich auf den Vordersitz.

»Die Polizei wird ebensoviel Mühe haben, ein graues Auto zu finden, wie der Kapitän einen langhaarigen Bernhardiner,« sagte er höhnisch lachend. »Wir wollen nachts so schnell wie möglich fahren und tagsüber rasten. Aber eins mußt du dir merken: wenn ich sehe, daß du den Hund verwöhnst, werde ich ihn töten. Ich nehme ihn nur mit, weil du gesagt hast, du könntest ihn gut verkaufen, und ich werde mir seinetwegen keine Albernheiten von dir gefallen lassen.«

Ohne Antwort zu geben, öffnete Shorty den hinteren Schlag des Autos und bedeutete Jan, hineinzuspringen. Er gehorchte und streckte sich auf dem Boden hin. Shorty saß auf dem Hintersitz, während Wilhelm das Auto lenkte.

Jan konnte nicht schlafen während der langen, dunklen Stunden, in denen sie dahinsausten. Er dachte darüber nach, was der Kapitän wohl sagen würde, und er hoffte, bald auf irgend eine Weise zu entkommen. Zuweilen hob er den Kopf, wenn er das Licht eines anderen Autos sah, das an ihnen vorbeifuhr. Bei Tagesanbruch verließ Wilhelm die Fahrstraße und fuhr auf einem holperigen Weg zwischen dichtem Gestrüpp hindurch, bis sie zu einem kleinen seichten Bach kamen, wo er anhielt.

Jan, der noch immer den Maulkorb trug, sprang zur Erde und folgte Shorty, aber er beobachtete Wilhelm genau. Nachdem er aus dem Bache getrunken hatte, wurde er angebunden. Wilhelm setzte sich müßig hin, indessen Shorty Kaffee kochte und das Frühstück bereitete. Dann verzehrten sie es, wobei Wilhelm die ganze Zeit über allerlei murrte. Dann warf er sich auf die Erde und zog den Hut übers Gesicht.

Shorty fütterte den Hund und räumte darauf das Geschirr weg; dann ging er zu Jan hin, lächelte ihm freundlich zu und legte sich neben ihn auf die Erde. Jans Schwanz bewegte sich hin und her zwischen den dürren Blättern und Zweigen, die am Boden lagen, während Shortys Hand sein Ohr berührte und es ein wenig zupfte. Aber die Hand meinte es gut mit ihm, und die Augen des Hundes zeigten, daß sie dies wohl verstanden. Ermüdet von der langen Fahrt, schliefen Shorty und Jan bald fest ein.

Am Abend wurde ein zweites Mahl bereitet und gegessen, und dann setzten sie ihre Reise wieder fort. Zwei Tage und zwei Nächte fuhren sie in der Dunkelheit und ruhten tagsüber an verborgenen Plätzen, wo niemand sie sehen konnte. Jan behielt den Maulkorb die ganze Zeit an, denn Wilhelm war beständig auf der Hut und wiederholte öfters seine Mahnung an Shorty. Er wußte aber nicht, daß dieser den Riemen so weit gelöst hatte, daß der Draht und das Leder nicht einschneiden konnten, und dadurch für Jan erträglicher geworden war.

In der Nacht des dritten Tages war es Vollmond und die einzelnen Bäume warfen matte Schatten auf den Weg. Es war sehr heiß, und Jan fand den Maulkorb lästig; auch war er steif wegen Mangels an Bewegung, an die er gewöhnt gewesen war. Shorty bemerkte die Ruhelosigkeit des Hundes und bückte sich zu ihm nieder. Seine Hand glitt unter den Draht und löste die Schnalle des Riemens, und Jan kroch näher heran und bewegte freudig den Schwanz. Shorty hatte das bis jetzt jede Nacht getan, um dem Hunde die Lage zu erleichtern; aber jeden Morgen hatte er auch den Riemen wieder fester schnallen müssen, bevor Wilhelm die Fahrstraße verließ, um für den Tag halt zu machen.

Als Shorty sich nun wieder bückte, erreichte das Auto gerade eine offene Stelle der Fahrstraße, wo der Mond besonders hell schien. Da schlug ihn plötzlich eine brutale Faust mitten ins Gesicht, so daß er vom Sitz herab neben Jan geworfen wurde. Der Hund knurrte, aber das Knurren galt Wilhelm, nicht Shorty. Dann bemerkte Jan, daß die beiden Männer im Auto aufrecht standen und mit einander rangen, während das Auto von Seite zu Seite schwankte und immer schneller dahinsauste. Dann kam ein Krach. Jan wurde durch die Luft geschleudert, und als er auf dem Boden aufschlug, hörte er einen Schmerzensschrei von einem der Männer. Er wußte nicht, ob Wilhelm oder Shorty geschrieen hatte; aber er wußte, daß er frei war. Nun raste er in die Dunkelheit des Dickichts hinein, ohne zu wissen, wohin es ging; er hatte jetzt nur den einen Gedanken: er war Wilhelm entkommen, und er mußte laufen, so schnell er konnte.


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