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Vierzehntes Kapitel.

Nach einigen Tagen tiefster Niedergeschlagenheit ermannte sich Oda Marie. Sie ließ den kleinen, zweiräderigen Wagen vorfahren, in dem man über Land fuhr, und besuchte Gertrud v. Adlersfeld. Ihr Verkehr mit der ehemaligen Hofdame war Freundschaft geworden. Das spröde Fräulein hatte sich zu einer männlich zugreifenden Schloßherrin entwickelt. In ihren Jagdstiefeln schritt sie, von weißen Windspielen umsprungen, über den weiten Besitz; keine Versäumnis entging ihr. Sie hatte in rastloser Arbeit Frieden gefunden. Von Oda Maries Besuch beglückt, saß sie mit ihr in der hohen, buntgetäfelten Halle. Aber sie spürte bald, wie traurig die Freundin war. Als sie alles erfahren hatte, konnte sie sprechen, ohne an die Kronprinzessin zu denken: »Ich finde es gut. Bleibe nicht hier, Oda Marie. Reise, sieh dir die Welt an. Es sind natürlich nur Bilder, aber an Bildern haben wir alles. Du reisest ja mit einem Dichter. Der wird dir das Schöne zeigen. Um die Kinder brauchst du keine Angst zu haben. Ich stehe für sie ein.« – »Ich danke dir, Gertrud. Daran zweifle ich nicht. Ich würde trotzdem nicht reisen, wenn ich nicht wüßte, wie gefährlich für uns mein Aufenthalt hier ist. Ich kenne Arvid. Seine Kraft hat im guten und bösen Sinne keine Dauer. Er hat mich erniedrigen wollen. Vielleicht tut es ihm jetzt schon leid. Seine Haltlosigkeit treibt ihn dann wieder zu mir zurück. Aber er würde mich jetzt noch schlimmer beleidigen. Ich würde ihm trotzen. Verfallen darf ich ihm nicht. Wenn ich nur wüßte, wohin ich mich wenden soll. Ich glaube, daß da draußen lauter Wunder sind, aber ob ich sie noch empfinden kann?« –

Bald holte Gertrud v. Adlersfeld die Kinder Oda Maries in ihr Reich. Es war schon Winter geworden – der Schnee kam früh. Da fuhr die Gutsherrin in ihrem Schlitten vor. Die starren Bauernpferde wurden von einem rotbärtigen Riesen gelenkt. Lustig, mit silbernen Schellen klingelnd, kam das Gefährt. Oda Marie sah, daß ihre Angst vor dem Abschied unbegründet gewesen. Ihre Kinder fürchteten sich nicht, sie wurden nicht einmal traurig. Ueber der großen Verlockung, in ein neues Leben zu kommen, vergaßen sie, daß sie die Mutter so lange nicht sehen sollten. Alles war auf Adlersfeld bunt, bewegt und interessant – davon hatten sie immer gehört. Sie saßen vergnügt in ihre Pelze gewickelt neben der Tante. Als das klingelnde Gefährt davonsauste, gab es sogar ein lustiges Gelächter. Oda Marie sah dem Schlitten in merkwürdiger Erschlaffung nach. Es löste sich etwas von ihr, was ihr unendlich schwer erschienen war: Arvids Kinder. Aber es schmerzte sie nicht – sie hieß es willkommen. Als sie dem Blick des schweigenden Panadelphos begegnete, erstarkte sie wieder. Jetzt hielt sie nichts mehr hier.

An demselben Tage noch bekam sie einen Brief von Arvid. »Liebe Oda Marie! Ich möchte Dir sagen, daß ich den Auftritt, der unser letztes Zusammensein bedeutet, bedauere. Ich habe mich zu etwas hinreißen lassen, was nicht in meiner guten Natur lag. Ich habe diese gute Natur und werde sie immer wieder beweisen. Der erste Beweis sei Dir die Tatsache, daß unser Zusammenspiel ein Nachspiel hatte. Auf der Rückreise schilderte ich meinen Begleitern den Vorfall, und Herr Mosson, dieser elende Komödiant, hielt es für nötig, mir recht zu geben. Da habe ich ihn zu seiner größten Ueberraschung geohrfeigt. Es kam so plötzlich über mich – ich mußte es tun. Nun werde ich die Komödiantenfratze nicht mehr sehen. Ich arbeite Tag und Nacht an meinem Marinebuch und male draußen am Hafen. Bei Grimm bin ich nicht wieder gewesen. Davon bitte ich Dich, Notiz zu nehmen. Das Malheur mit Golo bedauere ich, aber ich glaube, es ist nicht schade um den Hund. Ich habe ihn immer für eine gefährliche Kreatur gehalten. Nun lebe wohl, Oda Marie! Ich höre, daß du von Deinem Entschluß, zu reisen, nicht abgehst. So wünsche ich Dir denn alles Gute. Herr Panadelphos, Dein kleiner Odysseus, sei feierlich von mir gebilligt. Schwärme tüchtig mit dem Dichter, aber kehr' im übrigen gesund zurück! Lasse öfters von Dir hören! Beordere die Adlersfeld, daß sie mir jede Woche über die Kinder berichtet! Ich verbleibe Dein nicht sehr glücklicher Arvid.«

Oda Marie beschloß zu antworten, wenn sie weit fort war. Er mußte ihr dankbar sein, daß sie Zeit und Raum über das Unlösbare hingehen ließ. In Rom schrieb sie ihm: »Lieber Arvid! Nun liegt schon ein großes Stück Weges hinter mir. Heute zeigt sich zum erstenmal der Frühling – das ist gut, denn ich war schon ganz traurig. In Florenz fand ich nordischen Winter, und die Ruinen in Rom trugen Schnee auf ihren Stümpfen. Hier muß Frühling sein. Ich glaube, er wird wundervoll. Es ist schade, daß wir schon im Winter hierher kamen, aber es ging ja nicht anders. In Berlin und München hielt es mich nicht lange, über den Brenner fuhren wir im Schneesturm, auch in Verona hatten wir es schrecklich kalt – in Venedig wurde es besser. Ja, ich war in Venedig. Aber ich schildere es Dir nicht – Du kennst es ja. Eigentlich war ich ganz froh, aus dem süßen, schweren Traum wieder herauszukommen. In mir ist doch zuviel Wachheit. So märchenhaft schön Venedig ist – ich brauche Gegenwart, Leben. Du lächelst wohl und denkst: dann fährt sie nach Rom. Aber hier ist eine Brücke. Das moderne Italien ist sozial sehr interessant, und die Antike weckt Bewunderung, nicht Sehnsucht. An Panadelphos habe ich den besten Begleiter. Seine Bildung ist wirklich umfassend, sein Geschmack wunderbar. Dabei wird sein Einfluß niemals lastend. Er läßt meinen Gedanken Selbständigkeit und ist nur zur Stelle, wenn ich seiner bedarf. Es ist für mich immer wieder ein Erlebnis, wie dieser unglücklich-glückliche Mensch über alle natürlichen Widerstände gesiegt hat. Panadelphos ist wirklich ein Beispiel.

Wir wollen noch zwei Wochen in Rom bleiben, dann Neapel besuchen und von Brindisi zu Schiff nach Griechenland fahren. Unsere Orientpläne sind ganz unbestimmt. Man darf kein zu langes Programm machen, wenn man wirklich etwas sehen will. Unsere Art zu reisen ist die beste. Außer Panadelphos nur die Adams, eine Zofe und ein Diener. Das genügt – alles andere belastet unnötig und nimmt mir die Selbständigkeit.

Ich hoffe, daß die gute Zeit, die Du in Nordstad angefangen hast, Dich immer weiter führen wird. Du könntest ein so wunderbar reiches Leben haben, Arvid. Bedenke doch, welche Schätze in dem Volke schlummern, das Du beherrschen wirst. Glück ist keine Blume, die man an allen Wegen findet, sondern die Frucht tiefster, sehnsuchtsvoller Arbeit. Man liebt Dich, aber Du wirst immer dafür sorgen müssen, daß Du die Liebe verdienst. Das ist unser schweres, aber auch schönes Schicksal. Nordstad ruft Dir zu: Nimm's leicht! Ich rufe Dir zu: Nimm's schwer! Vielleicht haben wir beide recht. Aber ob ich Dich nicht besser kenne, Arvid? – Wir wollen uns, jeder mit seinem Siege, wiedersehen! Lassen wir dann alles Häßliche hinter uns! Glauben wir an die Dauer der Schönheit! Lebe wohl! Deine Oda Marie.« –

Auf der Via Appia fuhren sie von Grab zu Grab und sahen die gewaltige Schönheit des römischen Abends. Nur Panadelphos hatte Oda Marie begleitet. Im stillen Einverständnis schickten sie die Baronesse Adams anderswohin. Da diese den Bildungshunger englischer Gouvernanten besaß, war sie froh, allein zu wandern. So konnte sie hundert statt zehn Kunstwerke sehen – die Kronprinzessin war ihr zu gründlich. Außerdem litt Baronesse Adams unter dem ehrlich gewahrten Inkognito. Oda Marie reiste als Gräfin Mallin. Ihr bescheidenes Gefolge ließ keine künftige Königin in ihr vermuten. Die wunderliche Erscheinung ihres Begleiters »schadete« vollends. Sogar die Hoteliers ließen von ihrer Dienstfertigkeit ab, wenn die schöne Frau mit ihrem kleinen Sekretär erschien. Man zuckte mitleidig lächelnd die Achseln. Welche Disharmonie! Gern hätte man gewußt, wie schlecht die Kronprinzessin diesen buckligen Hofnarren behandelte. Nur zum Hofnarren hatte Panadelphos nach der Meinung der »Welt« ein Recht.

Er fühlte ihn in sich. In dieser Beziehung hing er mit der Welt zusammen. Oft überkam es ihn auf Wanderungen, ein übermütiges Scherzspiel zu treiben, des Lebens und seiner selbst zu spotten. In Italien sah man so viele süße Narren – er wollte der bittere sein. Es erschien ihm oft wertvoller, mit Oda Marie zu lachen, als immer ernst zu bleiben. Die Leute hatten ja recht, wenn sie ihm lächelnd nachsahen. Panadelphos zeigte Oda Marie die Antike! Panadelphos bewunderte Stein und Bild, während die lebendige Vollkommenheit neben ihm schritt! Oda Marie liebte seinen Sarkasmus, aber sie konnte ihn nicht immer ertragen. Der Mensch in dem Dichter kam ohne den Narren nicht aus, doch der Narr setzte ihr den Menschen herab. –

Im Giardino Doria gingen Oda Marie und Panadelphos an einem Vormittag spazieren. Es hatte geregnet. Nun hing eine würzige Schwere in allen Zweigen. Die Rufe der Vögel klangen sehnsüchtig; ein inbrünstiges Wogen zog in die Menschenseelen ein. Oda Marie schien mit ihrem Begleiter in dem großen Garten ganz allein zu sein. Sie schritten über den feuchten Kies. Sie lauschten und schwiegen. Weit drüben lag in Sonnenflimmer getaucht die Stadt. Sankt Peters Kuppel ragte aus dunstiger Häusermasse. – »Wir müssen jetzt unseren Plan machen,« sagte Oda Marie plötzlich, kampfbereite Willenskraft in der Stimme. »Wann wollen wir nach Neapel? Soll es nach Griechenland hinübergehen?« – Panadelphos lächelte. »Ich bin Ihr Sekretär, Frau Kronprinzessin.« – »Und mein Ratgeber. Offen gestanden wollte ich mehr Ihretwegen als meinetwegen nach Griechenland. Es ist vielleicht eine Schwäche, aber ich bin so. Meine Gedanken erstarken nur dadurch, daß ich sie mit anderen teilen kann.« – »Sie sind die beste Frau, die ein Mann auf dieser zweifelhaften Erde zu finden vermag. Aber ich bin in keiner Weise ein Mann an Ihrer Seite.« – Oda Marie lächelte empfindlich. »Wo man Sie auch anrühren mag – immer trifft man dieselbe Wunde. Immer schmerzt es Sie nur.« – »Sie wollen mit mir in Griechenland sein? Nein, Frau Kronprinzessin – Sie müssen ohne mich in Griechenland sein. Am besten verabschiede ich mich hier von Ihnen.« – »Ich glaube, Sie sind untreu.« – »Untreu? Worin?« – »Im wesentlichsten. In Ihrem Geist, der mir gehören sollte.« – »Der kann nicht treu sein. Der ist wie ein heimatloser Vagabund. Mein Körper degradiert ihn, wo er sich blicken läßt.« Oda Marie blieb stehen. Sie stand an einer verwitterten Brunnenbank. Steinerne Engel lächelten sie an. Panadelphos aber betrachtete sie wie ein düsteres Glühen. Er trank gleichsam ihr Bild, von dem breiten, weichen Strohhut, der ihr Antlitz beschattete, bis zu den feinen, lichten Füßen. Sie fühlte seinen Blick, aber sie wagte ihn nicht zu erwidern. – »Ich bin nicht untreu,« fuhr er flüsternd fort. »Sie sind nur vom Mißbrauch zur Andacht gekommen. Als Mißbrauch fühle ich, was Männer des Alltags Liebe nennen. Liebe ist Priestertum. Liebe ist ein tröstendes Wissen. So habe ich gedichtet. So diene ich Ihnen mit einer Treue, die Leidenschaft ist.« – »Ja«, hörte er leise von Oda Maries Lippen. »Das bindet uns eben. Das macht uns zu Geschwistern. Wenn die Seelen sich ähneln – was bedeuten die Körper?« – Panadelphos antwortete nicht. Allmählich ging sein leises, hastiges Atmen in ein lautes, krampfartiges Schluchzen über. Er stand auf seinen Stock gestützt, der zwerghafte Körper zitterte. Als wollten sie daran verbrennen, waren seine Augen auf die schimmernde Kuppel der Peterskirche gerichtet. »Ich muß Sie jetzt verlassen! Ich muß Sie im Garten Ihrer Schönheit allein lassen! Weil ich ihn auch habe!! Den Mißbrauch! Den Arvid! Den Mann! …« – Sie hatte seinen Schrei gehört. Sie starrte ihn an. Aber noch konnte sie sanft, nicht anklagend erwidern: »Sind Sie so schwach?« – »Ich bin so stark! Denn das ist Stärke! Ich kann kein Schatten neben Ihnen sein! Wenn ich Ihr Hund wäre, wäre ich mehr als Ihr Dichter!« – »Ich ehre den Menschen …« – Er schlug die Hände vors Gesicht. Er grub die mageren, blutlosen Finger ein, als wollte er sich zerfleischen. – »Panadelphos!« – Da kam ein rauher, furchtbarer Laut aus seiner Kehle. Er wandte sich ab und stürzte davon. –

Am nächsten Morgen schrieb Oda Marie an ihren Gatten in Nordstad: »Lieber Arvid! Ich breche meine Reise ab und kehre zurück. Mein armer Freund ist von Heimweh ergriffen worden. Er will nach Athen zu seiner Schwester, er hofft auf einen Krieg gegen die Türken, der seine inneren Kräfte für das Vaterland nutzt. Einen schmutzigen Straßenhändler, der ihn neulich um zehn Lire betrogen hat, umarmte er, als er hörte, er sei aus Griechenland. Ich glaube, Du lachst nicht, Arvid. Panadelphos ist ein Held, und ein Held ist mehr als ein Dichter. Ich werde ihn nicht wiedersehen; eine Reise ohne ihn bedeutet mir nichts. Neapel ist ein ferner Lärm für mich. Den Orient kenne ich aus Kinderbüchern. Ich will in die Gegenwart. Pflichtvergessen war ich – aber Du darfst nicht dazu nicken, Arvid. Verzeih' – Du hast kein Recht dazu. Lasse es Dir genügen, daß Du der einzige Mensch auf Gottes Welt bist, dem ich dies sage. Weil ich Deine Frau bin. Weil ich Dir zwei Kinder geboren habe. Zu Deinem und zu unserer Kinder Leben kehre ich zurück. Nur keine Einsamkeit mehr, mag sie auch noch so schön mit Kunst und Wissen geschmückt sein. Sie bekommt eine Stimme, die ich nicht ertrage. Sie schreit in mir wie in Panadelphos, und ich muß mich vor ihr retten, wie er. Gib mir Deine Hand, Arvid – nur eine Hand! Ich weiß nicht, wie Du jetzt lebst, aber Du wirst König sein, und ich werde Deine Königin! Man soll uns nicht verhöhnen wie geputzte Krüppel! Wenn Gott uns gerade gemacht hat, will er unseren Dank haben! Oda Marie.«


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