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Viertes Kapitel.

Hinter dem herzoglichen Park lag »Deutsch-Freiland«. Eine Mauer trennte die Gebiete nicht. Jeder Bewohner der Kolonie konnte ungehindert in den Park, die Obst- und Gemüsegärten und bis in die Halle des Schlosses gelangen. Arvid, der eine Freigabe von Hofgärten für das Publikum nur kannte, wenn »die königliche Familie abwesend war«, wunderte sich, daß man auf den Wegen nicht sämtlichen Kolonistenkindern begegnete.

»Die bleiben lieber in ihren eigenen Gärten,« erklärte der Herzog. »Jedes Haus hat ja sein Stück Land.«

»Bekommst du denn viel von der Obsternte zu sehen, lieber Onkel, wenn alles durch deinen Garten laufen darf?«

»Ein Pflückverbot besteht nur, solange die einzelnen Sorten nicht reif sind. Aber unsere Kolonisten bevorzugen das Obst, das sie selbst ziehen. Sie wollen ihr Eigentum respektiert wissen und respektieren darum die Nachbarn.«

Aus dem Dunkel des Parkes trat man plötzlich in eine lichte Wiesenlandschaft hinaus. Nun sah Arvid die Kolonie, lauter neue und praktische Landhäuser. Jedes mit seinem Garten an den des Nachbarn grenzend, so daß die Absonderung sogleich wieder aufgehoben wurde. Unter der hübschen, auf einem Hügel gelegenen Kirche lagen einige größere Gebäude, denen trotz ihrer langgestreckten Form und den vielen Fenstern ihre praktische Bestimmung nicht abzulesen war.

»Wahrscheinlich der Sitz der Behörde?« fragte Arvid.

Herzog Karl lachte. »Nein, lieber Junge! So pompös sind wir nicht! Wir bauen für unsere Schreibersleute keine Ministerien! Was du siehst, sind unsere Werkstätten! Sie sollen nichts von Zwang und großstädtischem Arbeitsgefängnis haben. Im Gegenteil, etwas Mutiges und Hoffnungsfreudiges. Wer daheim arbeiten will, kann daheim arbeiten. Zu den Werkstätten meldet sich jeder von selbst. Aber das wirst du ja bald sehen.«

»Merkwürdig berührt es mich, daß die Werkstätten unter der Kirche liegen.«

»Sonst liegen da die Wirtshäuser, nicht wahr? Ist es so nicht besser, Arvid?«

Jakob Kadmus sah lächelnd den Prinzen an. Der lächelte auch, aber in seinen Zügen lag mehr Ironie als Zustimmung.

»Gibt es denn gar kein Wirtshaus in ›Deutsch-Freiland‹, Onkel?« fragte er keck.

»Aber natürlich! Dachtest du etwa, nur Betpulte?«

Als sie sich einem der Wohnhäuser näherten, bemerkten sie in dem Garten eine reizvolle Gruppe. Die Kolonisten, ein noch junges Ehepaar, standen unter einer schattigen Linde, und vor ihnen hielt Oda Marie lachend den jüngsten Sprößling bis zu den Zweigen empor. Die beiden älteren Kinder, vier- und sechsjährige Flachsköpfe, umringten die Prinzessin. Arvid blieb stehen, als er das schöne Sommerbild sah. Er hätte es gern noch länger betrachtet, aber der Herzog war kein Freund von belauschten Situationen. Er betrat mit Kadmus den Garten. So mußte auch Arvid sich nähern. Oda Marie wandte sich ihnen zu, nickte erfreut und gab der Mutter das Kind zurück.

»Guten Tag, Grönvold!« rief der Herzog dem Familienvater zu. »Ich bringe Ihnen Besuch. Wir stören doch hoffentlich nicht? Aber Sie können sich ja Ihren Feierabend einrichten, wie Sie wollen. Ich möchte den Herren hier gern mal ein besonders nettes Haus zeigen. Aber was fällt mir denn ein – es sind ja Landsleute von Ihnen! Daß ich daran noch gar nicht gedacht habe! Mein Neffe Prinz Arvid – Exzellenz Kadmus – Herr Grönvold, Graveur.«

Diese Art von Vorstellung ging dem Sohne König Eriks denn doch zu weit. Es geschah ihm zum erstenmal, einem Untertan vorgestellt zu werden. Prinz Arvid rückte nur an seinem Hut, während der Ministerpräsident die Verbeugung des Graveurs freundlich erwiderte. Bei dem Gedanken an Graf Löwenstern mußte Arvid freilich wieder lachen. Wenn sein Adjutant das miterlebt hätte! Er wäre wahrscheinlich am Abend noch nach Nordstad zurückgekehrt.

Oda Marie war leise zusammengeschreckt. Es entging ihr nicht, daß August Grönvold blaß geworden, sobald er die Namen der Besucher erfahren hatte. Dem Graveur, der sich in »Deutsch-Freiland« die erste Ordnung seines Lebens gewonnen hatte, schien in diesem Augenblick noch einmal alles durcheinander zu geraten. Mit harten, ängstlichen Augen betrachtete er die Großen seines Vaterlandes, als ob sie Polizisten wären, die sein Nest aufgestöbert hätten.

»Aus welcher Provinz stammen Sie denn?« fragte Jakob Kadmus, während es dem Prinzen nicht einfiel, eine Frage an den Kolonisten zu richten.

»Aus Westenbergen,« lautete die zögernde Antwort.

»Ich hätt' es Ihnen ansehen können. Dann sind Sie wohl nie in Nordstad gewesen? Ihr Westenberger kommt ja eher nach Amerika als nach Nordstad.«

»Ich bin nie in Nordstad gewesen,«, flüsterte Grönvold.

Herzog Karl sah ihn erstaunt an. »Irren Sie sich da nicht, Grönvold?«

Der Kolonist durfte sich vor dem Herzog keine Unwahrheit zuschulden kommen lassen. Er wurde rot und stotterte: »Ach so! Aber gewiß – was will ich denn – ich war natürlich – zwei Jahre war ich in Nordstad!«

Prinz Arvid drehte sich um. Er legte keinen Wert auf die Fortsetzung dieses Gespräches. »Wir wollten ja das Haus besichtigen, lieber Onkel?«

Ueber die Züge des Herzogs glitt eine leichte Verstimmung – dann ging er mit Jakob Kadmus voraus. Die anderen folgten. Arvid fürchtete Armeleuteluft und hielt sein parfümiertes Taschentuch unter die Nase. Er glaubte es unauffällig zu tun – Oda Marie aber hatte es bemerkt und sagte lächelnd: »Hier in der Wohnstube mußt du tief Atem holen, Arvid – hier riecht es so gut!« – Arvid schnüffelte. »In der Tat, liebe Cousine. Ach, das kommt wohl von den Broten?« – »Das kommt von den Broten. Frau Grönvold backt für die halbe Kolonie und liefert auch ins Schloß.« – Arvid betrachtete wohlgefällig die braunen, knusprigen Laibe, die auf einem Tische lagen. »Die Wohnstube ist sehr nett,« konstatierte er. »Sehr sauber.« Mit dieser Anerkennung wandte er sich, wie ein Oberst, der eine Kaserne inspiziert, zu Grönvold. Mehr Einzelheiten interessierten ihn nicht. Da standen einfache, vorzüglich gearbeitete Möbel, Erzeugnisse der Werkstätten. Jeder Kolonist hatte solche, den Schmuck seiner Wände aber konnte er sich nach persönlichem Geschmack aussuchen. Es war charakteristisch, daß Grönvold, der nichts von den Künstlern seiner Heimat gewußt, nach Reproduktionen der berühmtesten Nordstader Maler gegriffen hatte. In die Schlafstube der Eheleute ging Arvid nicht. Es gab wohl nichts auf dieser Welt, was ihn weniger interessierte. Lächelnd hörte er, wie Jakob Kadmus nebenan die zweckmäßige Einrichtung lobte. Oda Marie sah ihren Vetter mit schalkhaftem Mitleid an.

»Kommen Sie, Arvid – hier langweilen Sie sich – ich zeige Ihnen etwas anderes. In unseren Kolonistenhäusern bewohnt nicht die ganze Familie einen einzigen Raum, wie es in Großstädten leider oft der Fall sein soll – wo Kinder sind, gibt es auch eine Kinderstube.«

Sie stieg eine schmale Treppe hinauf, und Arvid mußte ihr folgen. In dem oberen Stockwerk stand er wieder vor Frau Grönvold, die ihr Jüngstes an der Brust hielt. Oda Marie aber hockte sich zu den beiden älteren nieder. »Zeigt doch mal dem Onkel eure Spielsachen! Was habt ihr für schöne Spielsachen! Die Puppe und das Automobil und die Eisenbahn! Dafür haben wir eine besondere Künstlerin in der Kolonie, Arvid! Die macht uns alles! Nicht wahr, Kinder? Tante Petzold! Ja! Ist die Puppe nicht schön?«

»Onkel Arvid« nickte. Er sah freilich nicht auf die Puppe, sondern auf die Prinzessin, die sie ihm emporreichte. Wie schön war Oda Marie. Wie wundersam umspielte der Sonnenschein, der in den hellen Raum drang, ihr Haar und das Antlitz.

»Kinder!« rief jetzt der Herzog von unten. »Habt ihr die Spielsachen genug bewundert? Wir müssen weiter! Arvid hat noch viel zu sehen!« Als die jungen Leute die Treppe hinunterpolterten, lachte der alte Fürst ihnen entgegen. »Na? Wie geht's? Daß Küche und Keller vorhanden sind, genügt dir wohl zu wissen, Arvid? Durch Grönvolds Werkstatt bist du vorhin gekommen. Jedenfalls mußt du zugeben, daß in einem Kolonialhause nichts fehlt?«

Arvid ließ die Augen nicht von seiner Cousine. »Im Gegenteil, Onkel –«

»Im Gegenteil?«

»Ich meine – unsere Beamten vierter Klasse haben es nicht so.«

»Denk' mal! Aber ich glaube, die brauchen's auch nicht so zu haben!«

»Pardon – wie meinst du das, Onkel?«

»Darüber ein andermal.«

Arvid sah, daß Grönvold zugehört und ein ironisches Lächeln auf den Zügen hatte. Das ärgerte ihn. Er ging mit kühlem Gruß an ihm vorbei in den Garten hinaus.

Man ging eine Weile schweigend weiter. Dann fragte der Herzog: »War es vielleicht eine Dummheit von mir, daß du gleich einem Mann aus deiner Heimat begegnet bist, Arvid?« – »Einem Untertan meinst du, Onkel? oh, nein. Ich habe wirklich nicht daran gedacht.« – »Er steht dir jetzt auch anders gegenüber. Nicht mehr als Untertan. Er ist Deutscher geworden. Das muß jeder Kolonist.« – »So …« – »Er hat sich auch nichts Ehrenrühriges zuschulden kommen lassen. Er war ein armer, geplagter Mensch. Wegen politischer Umtriebe ist er bei euch bestraft worden.« – »Hm …«

Der Prinz sah den Ministerpräsidenten an.

»Das dachte ich mir … aber wo bleibt die Prinzessin?« Arvid reckte beunruhigt den Kopf nach Grönvolds Haus zurück.

»Du meinst Oda? Da kommt sie schon!«

Während der Herzog und Kadmus vorausgingen, schritt Arvid neben Oda Marie. »Vermutlich ist heute Ihr Besuchstag in der Kolonie, liebe Cousine?« – Oda Marie sah ihn fragend an. »Heute? Nein … Ich komme jeden Tag.« – »Ich dachte an die offiziellen Besuche meiner Mutter – in Hospitälern und Schulen, nicht wahr –« – »Bei uns ist nichts offiziell oder alles. Wir verkehren mit den Kolonisten, Arvid.« – »Pardon, ist das so aufzufassen, daß Herr und Frau Grönvold an der herzoglichen Hoftafel erscheinen werden?« – Die Prinzessin schwieg. Arvid bereute seine Worte. Aber Oda Marie zwang ihre Verstimmung nieder. »Das natürlich nicht. Es ist selbstverständlich ein einseitiger Verkehr. Etwas anderes wünschten die Leute auch nicht. Aber wir bleiben in Fühlung mit ihren täglichen Sorgen. Ich habe speziell die Haushaltungen übernommen. Da genügen natürlich keine Pflichtbesuche. Man muß in die Häuser hineingucken, Arvid.« – »Hm … Bevorzugen Sie besonders das Grönvoldsche Haus, wenn ich fragen darf?« – »Das kann ich nicht sagen. Ich habe die Grönvolds freilich lieber als andere Kolonisten.« – »Ich vermute nämlich in meinem Landsmann einen ehemaligen politischen Verbrecher. Ist Ihnen das bekannt?« – Oda Marie blickte nach dieser Frage den Vetter mit ihren klaren Augen an – Arvid mußte unwillkürlich die seinen senken. »Da möchte ich Sie doch über ein Grundgesetz in ›Deutsch-Freiland‹ aufklären. Die Bekanntschaft mit der Vergangenheit ist nur bei Vater und bei Pastor Thyssen nötig. Ich halte mich einzig an die Gegenwart und helfe der Zukunft.«

Herzog Karl blieb stehen und wartete, bis die jungen Leute herangekommen waren. »Hier sind noch viele nette Häuschen mit den verschiedensten Berufen. Exzellenz Kadmus hat sie schon bei seinem ersten Besuch gesehen. Wenn du Lust hast, Arvid –«

»Besten Dank, lieber Onkel. Das Haus des Graveurs war offenbar sehr charakteristisch. Ich würde lieber noch einen Blick in die Werkstätten tun und vielleicht die Kirche besichtigen.«

Arvids Wunsch klang nicht aus dem Herzen kommend, mehr wie das Programm eines gelangweilten, hohen Besuches. Der Herzog aber hatte keine Lust, die Hoheit aus Nordstad so bald ins Schloß zurückzulassen. »Freilich, die Werkstätten mußt du sehen, und eine Schulstunde hören wir uns an. Auch der Basar ist interessant. Für die Kirche haben wir dann noch reichlich Zeit.«

Das erste große Gebäude, das man betrat, enthielt die Möbelwerkstätten. Ihre Erzeugnisse waren über ganz Deutschland verbreitet. In der hohen, durchaus heiter wirkenden Halle herrschte ein emsiges Arbeitsleben. Arvid fühlte sich in der Masse der Kolonisten wohler. Durch diese Halle ging er wieder als hochgeborener Herr, der das Volk arbeiten ließ. Heimarbeit regte nach seiner Meinung zu sehr zum Nachdenken an. Arvid nickte wohlgefällig und flüsterte allgemeine Anerkennungsworte, während er von einem Werktisch zum anderen schritt. Er hörte dabei kaum auf die Erklärungen des Onkels. »Hier geht's flott zu – was Arvid? Ich glaube, du mußt das spüren, hier ist kein Zwang und kein Zeitabsitzen. Es handelt sich auch nicht nur um stumpfsinnige Lohninteressen. Jeder arbeitet für alle und doch für den eigenen Vorteil. Die Lust an der Arbeit ist das Gemeinsame, und jeder kriegt den Erlös dessen, was er geleistet hat.« – »Und das Material, Hoheit?« fragte Jakob Kadmus. – »Das kauft sich jeder im Zentrallager nach dem eigenen Ermessen der Leistungsfähigkeit. Wer neu angesiedelt oder durch Krankheit zurückgekommen ist, wird mit Mitteln zum Einkauf versehen.« – »Durch Sie, Hoheit?« – »Nein, durch eine gemeinsame Kasse. Ich gebe nur Häuser und Land.«

Der Herzog sah etwas verlegen von Jakob Kadmus auf Arvid. Es war ihm nicht angenehm, daß der Ministerpräsident ihn vor den Kolonisten Hoheit titulierte. »Aber wer unterhält denn das Materiallager, Onkel?« fragte jetzt der Prinz. – »Die königliche Familie von Nordstad!« platzte Herzog Karl heraus. – »Wer?« fragte Arvid befremdet, da man seine erste wirklich interessierte Frage nicht ernst nahm. – »Na, entschuldige, lieber Junge! Das Materiallager wird nämlich von der Mitgift deiner Tante bezahlt! Die arbeitet überhaupt in ›Deutsch-Freiland‹ mit – die Mitgift, nicht die Tante! Meine gute Mathilde ist immer mehr für Theorie gewesen! Wir Malliner haben manches andere, aber leider kein Geld!«

Arvid unterließ es, nach dieser robusten Erklärung weitere Fragen zu stellen. Halb fühlte er eine gewisse Lächerlichkeit, halb auch eine Schmeichelei darin, daß seine Familie das Steckenpferd des Herzogs bezahlte. Sein Entschluß war, sich nicht mehr imponieren zu lassen. Ein etwas spöttisches Wohlwollen kam über ihn, und sein Interesse wandte sich ganz der Beobachtung Oda Maries zu. Wenn sie mit einer Arbeiterin sprach oder ihm ein Produkt der Werkstätten erklärte, sah er nur ihren Ausdruck und ihre Bewegungen, oder er studierte die Lichtwirkung der hohen elektrischen Lampen auf ihre Gestalt. Die anderen Hallen enthielten die Werkstätten verschiedenster Berufe – Teppichweberei, Töpferei, Silberschmiede waren zu sehen. Arvid begnügte sich für heute mit der Aufzählung des Vorhandenen. Er würde ja, die Gastfreundschaft seiner Wirte vorausgesetzt, Zeit genug dazu finden. Oda Marie sah ihren Vetter, während er dies in seiner gewandten Art dem Vater mitteilte, forschend von der Seite an. Sein Wesen schien ihr immer neue Rätsel aufzugeben. Zwischen Glaube und Zweifel schwankte ihr Gemüt. Gegen ihren Willen blieb auch ihre Beobachtung am Aeußeren haften. Das Jungritterliche eines Königssohnes hatte sie noch nie so verkörpert gesehen. Mochte Arvid sein, was er wollte – er war sicher ein Prinz. Jetzt fühlte Oda Marie es selbst, daß diese aristokratische Verwöhnung nicht in einen lärmerfüllten Arbeitssaal paßte. Sie stieß sich überall und man konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen. Arvid tat Oda Marie leid. Daß er Interesse heuchelte, entsprang wohl einer guten Absicht. Sie nahm sich vor, solange er auf Udde war, ihn nicht mit Interessen zu quälen, die ihm fremd waren.

Jetzt schon legte sie sich für den Vetter ins Mittel: »Arvid hat, glaub' ich, für heute genug, Vater. Wir müssen auch ins Schloß zurück – Mutter wartet gewiß schon mit dem Tee.«

Arvid sah dankbar lächelnd seine Cousine an. Der Herzog nickte und machte schweigend kehrt. Als sie das schlanke und doch mächtige Gebäude der Kirche über sich hatten, wagte der Prinz noch eine Bemerkung, die sein Interesse bekunden sollte: »Das ist ein ganz merkwürdiger Bau. Man weiß nicht, ob die Kirche protestantisch oder katholisch ist – in dem Abendhimmel bekommt sie wahrhaftig auch etwas Orientalisches. Ich möchte beinahe vermuten, daß hier die verschiedensten Bekenntnisse deiner Kolonie vereinigt werden sollen?«

Herzog Karl sah seinen Neffen forschend an. Da er ihm eine höhere Ironie nicht zutraute, antwortete er: »Wenn das so leicht wäre, lieber Junge … Christlich ist die Kirche – weiter kann ich dir nichts sagen. Da du das Orientalische erwähnst – Gottes ist der Okzident, Gottes ist der Orient, heißt es bei Goethe. Wir haben in der Nähe eine Waldwiese, an der stehen Bäume, deren Wurzeln ins Altgermanische reichen. Auch dort haben wir manchmal Gottesdienst. Kriege keinen Schreck, du wirst keinem neuen Heidentum auf die Spur kommen. Es ist ein Versuch. Er sitzt auf der Spitze meiner Bemühungen wie die äußerste Frühlingsknospe auf einem alten, morsch gewordenen Baum.«

Der Herzog sah vor sich hin und pfiff eine schöne, getragene Melodie, die Arvid nicht kannte. Es dunkelte im Park. Plötzlich verließ Oda Marie Arvids Seite, eilte zum Vater und legte ihren Arm in den seinen. Arvid blickte ihr nach. Ueber Jakob Kadmus' hagere Miene glitt ein befriedigtes Lächeln; er hatte des Prinzen Blick auf die Prinzessin bemerkt. Sie standen wieder vor dem Schloß. In der Abendkühle lustwandelte ein einsamer Spaziergänger – Graf Löwenstern. Bei seinem Anblick lachte Arvid. Während er mit dem Adjutanten die Treppe hinaufstieg, sagte er: »Sie haben viel versäumt, lieber Oskar. ›Deutsch-Freiland‹ übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Jedenfalls nehme ich meinen Aerger über Ihre Vermutung, daß mein Onkel von entlassenen Sträflingen umgeben ist, mit Bedauern zurück. Hier sind sogar die Kammerdiener Anarchisten.«

Während Graf Löwensterns faltiges Gesicht halb entsetzt und halb befriedigt lächelte, war auf Arvids Züge ein Ausdruck gekommen, als ob er für eine Reihe von Demütigungen Rache nähme.


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