Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

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XVI

Dem Chef der Firma K. R. Twersten hatten die Jahre nichts angehabt. Voll und dicht wellte sich das eisengraue Haupthaar über der Stirn, stark und elastisch war die Gestalt geblieben, und nur der dunkle Bart zeigte in der Mitte einen schmalen weißen Streifen. Aber in den Augen brannte tief innen das alte Unternehmungsfeuer.

Die Hellinge waren Seite an Seite besetzt. Und vom Schanzengraben her klangen die Hämmer, als sängen sie mit den widerhallenden Maschinenteilen eine Frühlingsmesse. Der zweite deutsche Panzer schwamm und wurde montiert.

Langst hatte Karl Twersten sich gewöhnt, die Mehrzahl der Abende bei Frau Ingeborg zu verbringen. Er allein wußte, was diese Frau ihm und seinem Schaffen bedeutete. Hier holte er sich seine Zuversicht, nicht umsonst zu arbeiten, hier den jungen Wagemut, der nicht sterben darf, will ein Unternehmen, weit vorausschauend, an der Spitze bleiben und die Jahre von sich abstreifen wie ein eng und alt gewordenes Kleid. Hier fand er das Ohr für alles das, was den Privatmann in ihm betraf, das Ohr, das in ununterbrochener Wechselwirkung mit dem Herzen stand.

Frau Ingeborg hatte viel gelernt. Daß es nicht mehr war, war ihr ein schmerzender, aber auch ein anspornender Gedanke.

»Wenn ich nicht durch dich so glücklich wäre, daß ich vergessen habe, wie Neid aussieht,« sagte sie einmal, »könnte ich Marga Vanheil beneiden, die offen und frei ihre ganze Kraft einsetzen darf, um für die Ihren zu sorgen. Ich muß im Hintergrund bleiben.«

»Du irrst dich, Ingeborg,« entgegnete Karl Twersten, »denn du vergleichst Erscheinungen, die nicht miteinander zu vergleichen sind. Marga hat die Stelle eines Mannes übernommen und füllt sie aus. Die Stelle einer Frau aber auszufüllen, ist viel schwerer, weil sie um so viel größer ist. Die Stelle einer Frau, wie ich sie mir denke und in dir erfüllt sehe. Die imstande und willens ist, sich die Welt des Mannes zu eigen zu machen und ihn auf alle Höhen und in alle Tiefen zu begleiten mit Wort und Tat, und die dennoch ihre eigene Welt für sich und den Mann bereithält, die für alle mühsamen Wanderungen belohnt. Sieh, so bist du. Du bist mir Helferin und Beglückerin in eins. Die Öffentlichkeit weiß nichts davon, daß meine Erfolge ebenso sehr die deinen sind. Aber ich weiß es, und du weißt es, und daß wir in diesen Wechselwirkungen von Helfen und Beglücken den Kern des Lebens und den Wesensinhalt der idealen Frau gefunden haben.«

»Ich bin nicht ideal, Karl. Nein, das nicht.« »Genügt es nicht, für einen Menschen ideal zu sein?« Sie legte ihm in starker Bewegtheit die Arme um den Hals. »Verwöhne mich nicht so.«

»Ich habe dich lieb, wie nur ein Mann in meinen Jahren ein solches Geschenk festhalten kann.« Ganz sacht strich sie über sein Haar. »Deine Jahre! Ich sehe sie nicht. Aber ich bin nicht jünger geworden.«

»Lieber sind wir uns geworden. Zeit und Raum sind philosophische Abstrakta. Aber uns und unsere Liebe spüren wir!« – –

Nicht spurlos war das Leben an Theodor Bramberg vorübergegangen, und er selber bemerkte es am frühesten. Aber er sah keine Warnung darin, die ihm die Natur erteilte. Nur eine Aufforderung, seine Natur zu überspannen und künstlich festzuhalten, was in der Ferne zu schwinden drohte. Er wünschte nicht, seine Rolle abzugeben. Das äußere Auftreten sollte entschädigen. Und bald in Berlin, bald in Paris und bald in den üppig pulsierenden Kurorten des Südens tauchte er auf, immer im jagenden Bestreben, durch das Ausstreuen seines Reichtums die Blicke von den sichtbar werdenden Mängeln seiner Person abzulenken. So war es nicht schwer für ihn, eine Schar von Mitläufern und Mitläuferinnen zu gewinnen, die ihn in seiner Meinung bestärkten, die Jugend hielte mit der Geste der Jugend, ihrer Leichtlebigkeit und der immer offenen Hand kräftig Schritt. Man schätzte ihn auf den Pariser Boulevards und in Montecarlo, in Ostende und in Baden-Baden. In Hamburg schätzte man ihn weniger.

Wenn er ein paar Monate in Hamburg verbrachte, hatte das Geschäft wenig genug von ihm. Lediglich das Gewinnkonto interessierte ihn. Und eines Tages begann er, Summen auf sein Privatkonto überschreiben zu lassen, die die Unternehmungskraft der Reederei stark beeinträchtigen mußten.

Eine flackernde Nervosität kam über ihn, als er sich selbst das Mißverhältnis eingestehen mußte. Ein paar hitzige Spekulationen an der Börse sollten es wieder gutmachen und machten es schlimmer.

Nun trug er seine rastlos suchende Laune im Hause herum.

Was ihm nie aufgefallen war, jetzt fiel es ihm auf: die regelmäßigen Besuche Twerstens, die seltene Freundschaft, die zwischen Twersten und Frau Ingeborg bestand, das Einvernehmen in Blick und Gebärde. Vor dem großen Werftbesitzer fürchtete er sich lächerlich zu machen, wenn er mit kahlem Schädel und schlaff gewordenen Zügen den eifersüchtigen Gatten spielen wollte. Sie waren wohl alle drei nicht mehr in den Jahren, solche Posse unterhaltsam zu finden. Auch schien es ihm durchaus unweltmännisch, und das gab den Ausschlag. Aber insgeheim stachelte es ihn doch, ein schärferes Auge auf seine nächste Umgebung zu haben, und je weniger er selbst es allmählich vermochte, seine billigen Siege, die nichts als teures Geld kosteten, zu erringen, um so bohrender wurde der Haß auf die gesicherte Ruhe dieser beiden. Wenn er in das Zimmer seiner Frau trat und sie allein fand, gewährte es ihm bald ein erlesenes Vergnügen, sie mit boshaften Bemerkungen über Twerstens Art und Benehmen aus ihrer Sicherheit herauszulocken. Aber seine Versuche mißlangen.

Wieder war er seit zwei Tagen von der Reise zurück. Bis zum Abend hatte er auf dem Kontor gesessen, zur Verwunderung seiner Angestellten. Nun ging er zu Hause blaß und erregt in seinem Zimmer umher. Der Diener hatte Order, Herrn Twersten, falls er kommen sollte, zuerst zu ihm zu führen und nicht zur gnädigen Frau. Twersten kam.

Er unterdrückte das leise Staunen in seinen Augen und nahm ruhig am Tische Platz.

»Sie wünschten mich allein zu sprechen, Bramberg. Da bin ich.«

»Tja, Twersten – und Sie entschuldigen wohl, daß ich Ihre Gewohnheit gestört habe.«

»Sie haben mich durchaus nicht gestört. Geht es der Hausfrau gut?«

»Davon werden Sie sich ja später persönlich überzeugen können. Nehmen Sie eine Zigarre? Ich möchte nämlich von Geschäften mit Ihnen sprechen.«

»Von Geschäften?« fragte Twersten verwundert. »Weshalb kommen Sie dann nicht zu mir aufs Kontor? Nun, Sie werden Ihre Gründe haben. Da Sie aber die Besprechung sogar in Ihr Privathaus verlegen, so darf ich wohl annehmen, daß es sich um ein großes und wichtiges Geschäft für uns beide handelt.«

»Kurz und gut, ich brauche Geld, Twersten.«

Twersten legte sich in seinen Stuhl zurück. Jede Miene in seinem Gesicht straffte sich. Sein Blick ließ Bramberg nicht mehr los.

»Sie brauchen Geld?«

»Das sagte ich schon. Und ich füge hinzu: Sofort.«

»Weshalb erzählen Sie mir das, Bramberg?«

»Weshalb? Nein, das nenne ich eine komische Frage. Doch wahrhaftig nicht, um Sie angenehm zu unterhalten?«

»Dann – werden Sie mir wohl noch mehr erzählen müssen. Ich bin ganz Ohr.«

»Zum Teufel auch. Sagen Sie mir lieber, ob Sie mir aus der Klemme helfen wollen?« In Twerstens Gesicht regte sich nichts. Nur in seinen Augen blitzte es eine Sekunde auf.

»Sie haben da einen sonderbaren Ton, Ihre Gesuche vorzubringen, Bramberg.«

»Ton? Gesuche? Verstehe ich nicht. Ich sollte meinen, eine Hand wäscht die andere.«

»Nun ist an mir die Reihe, Sie nicht zu verstehen.«

»Wahrhaftig nicht? Na, lassen wir's. Wollen Sie mir beispringen oder nicht?«

»Vorläufig,« sagte Twersten ruhig, »will ich nicht. Ich bin wohl nicht Ihr Bankier.«

»Nein,« erwiderte Bramberg mit einem hämischen Lachen, »mein Bankier sind Sie nicht.«

»Darf ich fragen, was Ihr Lachen dabei zu tun hat? Ich kann in meiner Antwort nicht das geringste Lächerliche finden.«

»Entschuldigen Sie nur,« meinte Bramberg leichthin und wich dem Blick seines Gastes aus.

»Schön. Ich entschuldige. Und wenn ich vorhin sagte: Vorläufig will ich nicht, so heißt das wohl unter Geschäftsleuten, daß ich zunächst Einblick in die gesamte Lage und, unter Umständen, Sicherheiten haben muß.«

Bramberg stützte das Kinn auf die Hand. Herausfordernd blickte er sein Gegenüber an.

»Einblick? Sicherheit? Ja, habe ich Sie vielleicht schon um ›Einblick‹ und ›Sicherheit‹ gebeten, wenn Sie zu mir kamen?«

Auf Twerstens Stirn schwoll langsam eine blaue Ader. Die Nasenflügel öffneten sich und schlossen sich.

»Sie gefallen sich darin, in Rätseln zu sprechen, Bramberg. Wann haben Sie mich je als Bittsteller in Ihrem Hause gesehen?«

»Als Bittsteller? Beileibe nicht! Sie haben ja wohl, was man so sagt, eine Herrenhand.«

»Herr – Bramberg?«

Die beiden Worte dehnten sich aus, und es war ein gefahrdrohendes Grollen hinter ihnen. Und wieder wich Bramberg zurück.

»Was regt Sie denn so auf, Twersten? Ich wünschte, ich hätte auch so eine Herrenhand. Das wäre wahrhaftig eine angenehme Zugabe. Aber wenn Sie wollen, halten wir uns strikte ans Geschäft.«

»Beeilen Sie sich ein wenig. Ich habe noch andere Dinge im Kopf.«

»Gott, meine Frau wird von dem bißchen Warten nicht gleich sterben. Und Sie sind auch nicht mehr in den Brausejahren.«

Jäh hatte sich Twersten erhoben. Straff und steif stand er vor dem Hausherrn, und seine Handknöchel trafen mit einer Wucht die Tischplatte, daß Bramberg zusammenfuhr.

»Nun also? Was wollen Sie von mir? Endlich heraus mit der Sprache!« In seinen Augen funkelte der Grimm. Der Grimm, nicht das Recht zu haben, hier reinen Tisch zu machen. Und seine Stimme war scharf und schneidend.

»Man könnte sich wirklich vor Ihnen fürchten, Twersten. Herrgott, können Sie denn keinen Scherz mehr vertragen? Ich wollte doch damit nur andeuten, daß bei dem innigen Freundschaftsbund zwischen Ihnen und meiner Frau ich als der verlierende Teil doch wenigstens den Anspruch auf eine etwas liebenswürdigere Behandlung erheben dürfte.« Twersten hatte die Gewalt über sich zurückgefunden. Das war kein ebenbürtiger Gegner. Das war eine Kautschukfigur. Und das da war kein Hamburger Kaufmann. Es war nur der Sohn eines Hamburger Kaufmanns. Diese Menschenklasse verachtete er nur.

»Ich möchte Ihre Andeutung auch nicht anders verstanden haben, Bramberg. Obwohl Sie nur Ansprüche auf das zu erheben haben, was Sie im gleichen Werte bieten. Ich nehme an, Ihre geschäftlichen Angelegenheiten – und um nichts anderes handelt es sich hier – haben Sie ein wenig direktionslos gemacht. Und deshalb will ich Ihnen noch weiter zuhören.«

Er ließ sich auf seinem Stuhl nieder und hielt es nicht für nötig, den anderen noch im Auge zu behalten.

»Ich brauche dreihunderttausend Mark sofort,« sagte Bramberg geschäftsmäßig. »Mein Privatvermögen gibt nichts mehr her. Das Leben war zuweilen etwas kostspielig, und Börsenverluste taten das übrige. Sie glauben ja gar nicht, wie schnell ein, zwei Millionen durch die Finger laufen, wenn einem das Laufenlassen mehr Spaß macht als das Wiedereinholen. Dies Geld also brauche ich auf der Stelle. Was später etwa noch zur Sanierung des Geschäftes nötig wäre –«

»Also auch das?«

»Gott, das ist doch nicht viel mehr als Formsache. Der Schiffspark allein repräsentiert ein Riesenvermögen.«

»Für Sie doch nur, wenn er unter den Hammer käme.«

»Oho! Das ist und bleibt werbendes Kapital.«

»In Ihrer Hand? Was werben Sie denn damit? Ein sicheres Pfand mag es sein, das gebe ich zu. Aber auch dann nur, wenn Sie nicht allein mehr das *Verfügungsrecht haben. Sie brauchen nämlich nur so weiter zu wirtschaften, wie Sie es seit einiger Zeit begonnen haben, und Ihr ganzes schwimmendes Material sinkt auf das Niveau des toten Kapitals. Fühlen Sie denn eigentlich nicht, Bramberg, welche ungeheure Verantwortung Sie der Firma gegenüber, wie Sie sie von Ihrem Vater übernommen haben, mit Ihrer jetzigen Behandlungsweise auf sich laden? Ich bestreite Ihnen vom kaufmännischen Moralstandpunkt aus ganz einfach das Recht, lediglich à conto Ihres Vergnügens zu disponieren. Eine so alte und bedeutende Firma hat ihre Pflichten wie ein Gemeinwesen.«

»Wenn Sie sich,« meinte Bramberg ironisch, »so gewaltig zum Pfleger und Verteidiger der Tradition des Hauses Bramberg und Co. auswerfen, so werden Sie wohl auch mit den Mitteln nicht zurückhalten, um den Glanz dieser Tradition zu erhalten. Denn schöne Worte helfen hier wirklich nicht.«

Twersten überlegte. Die Gedanken arbeiteten ihm zu fieberhaft im Kopfe. Er mußte sie erst im Banne unerbittlicher Logik haben.

»Ich setze also voraus,« begann er langsam, »daß Ihre Angaben ziffernmäßig stimmen und Sie sie durch Ihre Bücher belegen werden.«

»Ich müßte ein Narr sein, Twersten, wenn ich mich vor Ihnen mit zu niedrigen Angaben genieren wollte.«

»Und wie hoch beziffern Sie die Kapitaleinlage, die nicht für Sie, sondern für die Firma erwünscht wäre?«

»Mit einer halben Million würde es getan sein. Damit setze ich den Bankkredit wieder auf eine normale Stufe.« »Zusammen achtmalhunderttausend Mark,« sagte Twersten kalt.

»Das ist doch wohl nur ein Pappenstiel für meine Reederei.«

»Wenn sie in anderen Händen wäre, ganz gewiß. Sie aber werden in Jahresfrist genau wieder an derselben Stelle angelangt sein, auf der Sie heute stehen. Und dann wäre es – da Sie kein Privatvermögen mehr besitzen, wie Sie mir soeben sagten – auch für Ihre Reederei kein Pappenstiel mehr.«

»Bitte, machen Sie doch lieber Vorschläge,« erwiderte Bramberg ärgerlich.

»Ich habe es mir überlegt,« sagte Twersten und hob den Kopf. »Sie leben mit Ihrer Frau in Gütertrennung. Ist es so?«

»Gewiß. Aber zunächst ist das nur eine Bagatelle, was meine Frau besitzt, und zudem: was tut das zur Sache?«

»Sie nehmen Ihre Frau als Teilhaberin in Ihre Firma auf.«

»Gott, Twersten, Sie müssen mich direkt für verrückt halten, denn die umgekehrte Annahme verbietet mir die Gastfreundschaft. Hörten Sie denn nicht, daß meine Frau so gut wie nichts besitzt? Soll ich sie etwa am Verlust beteiligen? Oder wohinaus zielen Sie?«

Ein eigenartiges Lächeln glitt um Twerstens festgeschlossenen Mund.

»Nun?« drängte Bramberg. »Wollen Sie mich nicht einweihen? Ich habe doch immerhin einiges Interesse daran.«

»Sie haben,« sagte Twersten, und blickte über ihn hinweg, »zu Anfang unserer Unterhaltung so schön von dem Freundschaftsbund zwischen mir und Ihrer Frau gesprochen, und Ihr ganzer Ton war während der Dauer der Verhandlung so sehr darauf gestimmt, daß ich Sie in Ihrer Annahme über den Wert dieses Freundschaftsbundes nicht enttäuschen darf. Sie nehmen also Ihre Frau als Teilhabern auf. Mit einer Kapitalseinlage von achthunderttausend Mark in bar. Aus meinem Vermögen, jawohl. Ihr vertraue ich es an. Ihnen nicht. Doch das kann Ihnen ja gleich sein.«

Theodor Bramberg war einen Augenblick fassungslos. Dann lachte er kurz und wegwerfend.

»Ich denke nicht daran.«

»Sie denken sehr wohl daran. Denn es ist Ihre einzige Rettung.«

»Wenn es mir um einen Teilhaber ginge, brauchte ich weder Sie noch Ihren Freundschaftsbund zu bemühen. Allein auf meinen Schiffspark gestützt, würde ich mit spielender Leichtigkeit jeden anderen –«

»Erlauben Sie, daß ich Sie unterbreche. Hierin bin ich wohl Fachmann. Es sind über sechs Jahre her, daß Sie sich entschlossen, Ihren Schiffspark aufzufrischen und den Neubau der ›Ingeborg‹ und den Umbau des ›Theodor Bramberg‹ in Auftrag gaben. Als wir vor genau fünf Jahren die Schiffe an Spanien verkauften, verwandten Sie den Gewinn für eigene Zwecke und unterließen die Neubestellungen. Ihren Schiffspark in Ehren! Aber Schiffe haben auch nur eine Jugend, und sie ist beschränkter als bei den Menschen. Und Ihr Schiffspark hat längst neues Blut nötig, soll er konkurrenzfähig bleiben. Nein, darauf bauen Sie gefälligst nicht. Mit einem Schiff läßt

sich kein Raubbau treiben wie mit einem Acker. Da wirken doch ganz andere Faktoren mit.«

Brambergs graue Gesichtsfarbe rötete ein ohnmächtiger Zorn.

»Nun? Und weiter? Was folgern Sie daraus?«

»Der Teilhaber, den Sie suchen würden, würde nichts Nächstliegendes zu tun haben, als sich wegen einer Schätzung an einen Fachmann zu wenden, an eine Werft. Wenn Sie mich ausschalten, bleiben noch eine ganze Reihe übrig, die nicht blinder sind, als ich. Das ist die einzige logische Folgerung, und ich wundere mich, daß Sie als Hamburger Geschäftsmann sie nicht selber gezogen haben.«

»So – ah – so!« stammelte Bramberg bestürzt.

»Den Vorschlag, den ich Ihnen machte, halte ich noch aufrecht,« sagte Twersten nach einer Pause.

Theodor Bramberg ging, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab. In dieser Beleuchtung hatte er seine Situation noch nicht angeschaut. Das hatte ihn getroffen. Einige Male machte er Miene, zu sprechen. Er konnte es nicht über sich bringen.

Twersten erhob sich. »Überlegen Sie es sich bis morgen. Ich gebe Ihnen sogar eine Woche Frist, wenn die Sache keine Eile hat.«

»Sie hat aber Eile!« stieß Bramberg hervor.

»Ja dann – –«

Bramberg blieb vor ihm stehen. »Hören Sie, Twersten, wenn ich Ihren Vorschlag in der Tat in Erwägung ziehe – auf das Vergnügen, meine Frau im Kontor neben mir arbeiten zu sehen, darf ich doch wohl verzichten? Ich kenne ihre Eigentümlichkeiten. Das wäre nämlich meine Bedingung.« »Durch den Eintritt Ihrer Frau in die Firma würde Ihnen lediglich das Recht genommen, ohne ihre Einwilligung über das Geschäftskapital zu verfügen. Im übrigen geht der Ehrgeiz von Frau Ingeborg Bramberg wohl etwas weiter, als sich auf einen Kontorschemel zu setzen.«

»So – so! Nun, das müssen Sie ja wissen. Ich bin nicht ihr Freund und Vertrauter. Ich habe mich wohlweislich für ihre höheren Ansprüche bedankt, um mir mein bißchen Jugend zu retten. Nein, ich bin es wahrhaftig nicht. Und dann werden Sie wohl auch schon des Einverständnisses meiner Frau sicher sein?«

Twersten überhörte den Unterton.

»Da Sie mich vorhin erst einweihten, fehlte mir wohl die Gelegenheit. Auch Pflege ich mit Ihrer Frau nicht über Ihre Verhältnisse zu sprechen.«

»Natürlich nicht, natürlich nicht. Die eigenen sind ja interessanter.«

»Wollen Sie Ihre Frau, bitte, rufen lassen, Bramberg? Wir kämen dadurch am schnellsten zum Ziel.«

Bramberg drückte auf den Klingelknopf. Dem eintretenden Diener gab er Auftrag, Frau Bramberg zu sagen: die Herren würden sich freuen, sie bei sich zu sehen. Frau Ingeborg kam.

Ohne weiteres trat Bramberg auf sie zu.

»Es ist eine geschäftliche Angelegenheit, die wir erörtert haben und bei der du den Ausschlag zu geben hast. Ich brauche einen Teilhaber mit Kapital. Vorläufig mit achthunderttausend Mark. Eventuell später mit einer größeren Summe für Schiffsneubauten. Aber darauf kommt es jetzt nicht an. Twersten drängt darauf, daß ich dich als Teilnehmerin aufnehme, mit seinem Gelde, das er dir anvertrauen will, nicht mir. Ich muß sagen, das ist beinahe eine fürstliche Dotation.«

Er lachte nervös und sah seine Frau gespannt an.

»Karl Twersten,« entgegnete sie ruhig – und ihr Gesicht war erblaßt – »macht mit mir keine Ausnahme. Soviel mir erinnerlich, hast du ihm ja auch eine beinahe fürstliche Dotation zu verdanken, als er dir vor Jahren das Kubageschäft aufzwang.«

»Zu gütig. Zu gütig. Ich bin heute anderer Ansicht. Also du nimmst an?«

»Ich weigere mich nicht eine Sekunde,« sagte sie, als spräche sie etwas Selbstverständliches aus.

Starr blickte er sie an. Und starr blickte er Twersten an. Beide hielten sie ruhig stand. Seine Zähne rieben sich aufeinander, seine Hände umklammerten eine Stuhllehne. Dann lachte er auf. »Zu dumm, sich aufzuregen. Wir sind eben unsere eigenen Wege gegangen. Gottlob, ich bin im Leben nicht zu kurz gekommen und will mich hier wirklich nicht als Heiliger aufspielen.«

»Paßt es Ihnen morgen nach der Börse?« fragte Twersten. »Ich komme zu Ihnen aufs Kontor.«

»Nach Schluß der Kontorzeit wäre es mir lieber. Ich möchte nun auch, daß sich die Dinge in aller Stille abspielen.«

Frau Ingeborg reichte dem Freunde die Hand. »Sie werden heute nicht bleiben wollen. Auf morgen denn.«

»Ja, auf morgen.« Und er verabschiedete sich mit kühler Verbeugung von Bramberg, der kurz nickte.

Als er vor die Tür trat, empfing ihn ein weicher, warmer Spätsommerabend. Es zitterte etwas in der Luft, das er nicht recht ergründen konnte, und das doch an seiner Seele zog und sie für sich beanspruchte. Sonst so sehr Herr seiner Stimmungen, gab er ihnen heute nach, und dieses stille Untersinken in ungewisse Empfindungen, die irgend etwas versprechen, ohne zu erklären, war ihm wie eine wohlige Erholung.

Draußen am Heiderand, nahe Kuxhaven und der See, hatte er sich vor wenigen Jahren ein kleines Landhaus gekauft und im Stalle einen Einspänner untergestellt. Der Verwalter war gleichzeitig der Kutscher. Oft war er mit Ingeborg hinausgefahren, oft auch allein, wenn Pflichten die Freundin zurückhielten, und er nicht allein in der Stadt sein mochte. Und immer war das Land voll schlichter, tiefer Poesie, und wenn die Bienen um die Heideblüten wie trunken summten, und die Falter von Blume zu Blume taumelten, die stolzen Admirale, das prunkende Pfauenauge und der Schwarm der lustigen Füchse, dann fiel von ihm ab, was er aus der Stadt mitgebracht hatte, und er gab sich in glücklicher Selbstvergessenheit den Wundern der Natur hin.

Danach verlangte er heute. Er erreichte den Zug nach Kuxhaven, bestellte telegraphisch das Gefährt an die Bahn und kam in später Nacht an. Morgen wollte er vor der Sonne aufstehen und hinausfahren in die Heide und das Erwachen genießen von Himmel, Erde und Meer.

»Wäre es doch erst Morgen,« dachte er auf seinem Lager, »nun will der Schlaf nicht kommen.«

Und er mühte sich, alle Gedanken von sich fernzuhalten, und sie kamen immer wieder, und sie gaben ungefragt Rechenschaft.

»Du mußtest so handeln, wie du es getan hast. Was ist Theodor Bramberg im Vergleich zu dem alten Hause Bramberg und Co.? Ein Stück Hamburger Kaufmannsgeschichte und ein Vaterssohn, der sie mutwillig und verständnislos zerklittert. Da gibt es keine Wahl. Fort mit der tauben Nessel. Schonung wäre Schwäche. Da sind ungeschriebene Pflichten dem festgefügten Ansehen unserer Vaterstadt gegenüber.«

»Und wenn nicht Ingeborg Bramberg gewesen wäre –? Auch dann –?«

»Auch dann! Nur wäre das Eingreifen rücksichtsloser gewesen. Das ist nicht wie in anderen Städten. Ein Schlag, der die Firma Bramberg und Co. trifft, trifft die Hamburger Flagge. Und an der Schelde liegt Antwerpen auf der Lauer.«

Er sagte es sich immer wieder, und mitten hinein tauchte der Gedanke an Brambergs durchschimmernde Bemerkungen, die unvermögender Haß dem ausgebooteten Lebensgenießer eingegeben hatte.

»Ein Ausgebooteter. Still doch! Ihr Fluch hat keine Zündkraft, und man rechtet nicht mit ihnen, weil sie selber mit sich rechten, wenn sie sich zum Fluch aufraffen.« Und Twerstens Gedanken gingen über ihn weg wie über den Staub der Straße.

Es dämmerte erst, als er das Gefährt bestieg und hinausfuhr in die noch schlummernde Heide. Aus der Ferne sang das Meer herüber. Seltsam sehnsüchtige Melodien, die die eigene Sehnsucht weckten und sie verlocken wollten. Im Knieholz knackte es. Ein Fuchs schlich hindurch, und die Vögel strichen schwerfällig auf einen anderen Zweig. Nun zitterte es wie ein lang anhaltender Atemzug über den Himmel. Ein Horchen ringsumher. Groß und keusch ging die Sonne auf. Die Natur wandte ihr die Augen zu und sprach ihr Morgengebet. Und in das Amen hinein jubelten die Tausende von Vogelstimmen, rauschten die Büsche, sang mit kräftigerem Atem das Meer. Die Heide leuchtete auf, rot und warm geschlafen, und wo breite Striche urbar gemacht waren, wogte das Korn im Frühwind.

Im Schritt ging das Pferd. Hier gab es nur ein Weilen und kein Jagen. Und weit auf sprang Karl Twerstens Herz und nahm all die Grüße auf, die ihm geboten wurden, und hätte wieder grüßen mögen.

Das Pferd sprang zur Seite. Der Kutscher griff zu, und Twersten beugte sich vor. Dort vor ihnen erhob sich ein Mann aus dem Korn, rieb sich die Augen und lachte in die Sonne. »Heidi! Heidi! Heidi!« Winkte seinem Nachtlager zu und sprang auf den Weg.

Mit ausgesuchter Höflichkeit ließ er den Wagen passieren, zog den Hut und grüßte tief und kavaliermäßig.

»Wünsche einen fröhlichen Tag, mein Herr.«

»Danke,« sagte Twersten und wandte sich nach dem lustigen Vagabunden um.

Der stand noch und salutierte, machte kehrt, und marschierte mit geschultertem Stock ab in die Morgensonne hinein. Hell pfiff er sich zum Schreiten den Takt. Nun fiel er plötzlich in Fechterstellung aus und tat mit dem Ziegenhainer gewaltige Lufthiebe, schulterte das Gewehr, marschierte weiter und warf den Stock in den anderen Arm, der nur als Stumpf im losen Ärmel hing.

»Ich hab' mein' Sach' auf nichts gestellt, juchhe!
Und mein gehört die ganze Welt, juchhe!
Zu Ende geht nun Saus und Schmaus.
Nur trinkt mir alle Reigen aus; Die letzte muß heraus!«

Er wandte sich um und schwenkte in weitem Bogen den Hut. Als grüßte er Grund und Boden und hunderttausend Getreue. Die Sonne schüttete ihr Gold über ihn. Er der Herr der Welt!

Twersten hatte halten lassen. Jetzt gab er Befehl, umzuwenden und im Trab die Straße zurückzufahren. Diesen glückseligen Bruder Straubinger wollte er sich genauer ansehen. Irgend einer Mutter Kind war der doch auch! Er hatte an den eigenen Sohn gedacht.

Als sie dem Manne näher kamen, tupfte er dem Kutscher auf den Rücken. Der Wagen hielt.

»Schon so vergnügt am frühen Morgen?« fragte er freundlich.

»Weiß Gott, Herr Twersten, wenn ich eine Stunde früher aufgestanden wäre, könnte ich's schon eine Stunde länger sein. Das muß nachgeholt werden.«

»Woher kennen Sie mich denn?«

»Aus der edlen Zunft.«

»Na, hören Sie mal, ich bin doch gerade kein –«

»Sagen Sie nur ruhig: Stromer. Der Mensch soll aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Nein, mein Herr, Sie sind Schiffbauer, wie ich.«

Twersten musterte ihn aufmerksamer. Und nun gewahrte er die alten Schlägernarben im Gesichte des Landfahrers.

»Sie sind doch nicht etwa –?« sagte er plötzlich, als wäre ein verwehtes Bild vor ihm aufgetaucht.

»Aber selbstverständlich! Gerade der bin ich!«

»Fritz Vanheil?«

»Zu dienen, Herr Twersten. Fritz Vanheil.«

Twersten musterte ihn noch immer, kopfschüttelnd. »Was machen Sie denn auf der Landstraße?« »Ich lauf' nach Hamburg.«

»Wollen Sie mitfahren?«

»Besser stolz zu Wagen, als demütig zu Fuß.«

»Na, dann steigen Sie ein. Ich fahre erst zu meinem Landhaus, um zu frühstücken. Da können Sie mithalten und mir dabei erzählen, woher Sie kommen und was Sie getrieben haben. Wenn ich denke, mein alter Freund Vanheil hätte Sie hier überrascht!«

»Er hätte gesagt: »Fritz, Fritz, dies ist die größte Freude meines Lebens!'«

»Treiben Sie keine Narrenspossen, junger Mann.«

»Wenn Sie mich beleidigen wollen, entziehe ich Ihnen auf der Stelle meine Gesellschaft und lasse Sie solo fahren.«

Twersten lachte. »Na, nun bleiben Sie nur schon sitzen. Wir werden uns schon miteinander vertragen.«

»Sagen Sie mir das bitte beim Frühstück.«

Sie stiegen vor dem Landhaus ab und gingen ins Speisezimmer. Fritz Vanheil hielt den Kalabreser fest unterm Arm.

»Sie fürchten wohl, er könnte Ihnen gestohlen werden?«

»Das ist noch so eine alte Angewohnheit aus meiner letztjährigen Gesellschaft. Es waren merkwürdige Gentlemen darunter.«

»Sie haben sich doch nichts zuschulden kommen lassen?«

»Nee – nur kein Geld hatte ich.«

Twersten setzte sich und wies seinem Gast einen Stuhl an. Auf dem Tische stand Tee, Brot und Butter und kaltes Fleisch. »Greifen Sie zu, Herr Vanheil. Erzählen können Sie später.«

»Das ist eine vernünftige Marschroute,« lobte Fritz Vanheil und ließ eine Scheibe Rostbeef auf seinen Teller wandern. Und er hielt sich strikt an den Befehl und sprach nicht eher wieder, als bis auf der Tafel aufgeräumt war.

»Nun erklären Sie mir zuerst, wie Sie in das Kornfeld kamen,« begann Twersten das Gespräch. »Alles übrige dürfte sich wohl harmonisch angliedern.«

»Zunächst,« belichtete Fritz Vanheil, »blieb der Steamer vor Kuxhaven liegen, weil er für die Elbe zu großen Tiefgang hatte. So kam ich an Land. Und als ich vaterländischen Boden unter den Füßen spürte, beschloß ich, ihn ausgiebig zu benutzen, und marschierte ›auf Hamburg‹. Im Kornfeld hatte ich dann einen wundervollen Traum.«

»Das können Sie mir später erzählen. Sie kommen von Amerika? Allzu gut scheint es Ihnen dort nicht ergangen zu sein?«

»Ich möchte Ihnen nicht direkt widersprechen, Herr Twersten. Auch sind gut und schlecht zuletzt ja nur Begriffe. Und es steht, glaube ich, schon in der Bibel: ›Was nützete es dir, so du die ganze Welt gewönnest und nähmest doch Schaden an deiner Seele?‹«

Twersten schmunzelte. »Und bringen Sie außer dem Reichtum Ihrer Seele auch sonst noch etwas mit?«

Fritz Vanheil sah ihn verwundert an. »Meinen Sie denn wirklich, ich wäre sonst schon wiedergekommen? Noch ganz andere Reichtümer habe ich in mir aufgespeichert. Fünf Jahre lang habe ich mich auf allen Werften der Union herumgetrieben, und das letzte halbe Jahr in England. Im Hamburger Hafen habe ich das Sehen gelernt, und auf der Hochschule in Hannover: das Sehen verwerten! Mein Wort darauf: beides habe ich drüben gründlich besorgt, und den Rahm von der Milch bringe ich gutverwahrt mit.«

Und er klopfte sich lachend an die Stirn.

Twersten war ganz bei der Sache. Das interessierte ihn. Und gespannt blickte er in das intelligente Gesicht des anderen.

»Und dennoch keine Seide gesponnen drüben? Wie kam das?«

»Dadurch kam's,« entgegnete Fritz Vanheil und zeigte unverzagt seinen Armstumpfen vor. »Einem Einarmigen trauten sie nichts Rechtes zu, die Schafsköpfe, als ob ich mein Gehirn im Handgelenk spazieren trüge! Zeichnen, ja, das ging mit der rechten Hand. Aber dabei gewann ich keinen Überblick, und so gab ich es bald wieder auf und schmuggelte mich in die Betriebe und tat die geringsten Dienste. Diese Blindekühe! Nicht eine Planke wurde gestreckt, nicht ein Bolzen vernietet, ich sah es. Nicht eine Maschine wurde montiert und eingebaut, oder ich rieb mit dem Scheuerlappen dran herum und studierte unterdessen nach Herzenslust ihre Konstruktion. Wenn ich die Spezialität einer Werft weg hatte, ging ich zur anderen. Und so fort, in dulci jubilo!«

»Bravo,« sagte Twersten und schaute ihn mit ehrlicher Bewunderung an. »Wo verloren Sie denn den Arm?«

»Es ist nur der linke Unterarm,« meinte Fritz Vanheil. »Ich kann mit dem Stumpfen noch ganz gut stützen und festhalten. Er ist sogar viel kräftiger als in seinen guten Tagen geworden. Der Rest liegt in der Bai von Santiago.«

Twersten horchte auf. Das war ein Wort, das ihm ins Ohr stach. »Wo – sagten Sie?«

»In der Bai von Santiago de Cuba. Während der Schlacht kam eine Granate, sagte Guten Tag und Adieu zugleich, und weg war der Arm.«

Twersten legte ihm die Hand auf den Stumpfen. »Wollen Sie jetzt mal etwas ernsthafter erzählen? Bitte, tun Sie es mir zuliebe. Was hatten Sie in der Schlacht zu suchen und auf einem spanischen Schiff?«

Fritz Vanheil blickte an ihm vorüber. Sein Gesicht war purpurrot, wie das eines verlegenen Schulknaben.

»Bitte,« fuhr Twersten fort, »erfinden Sie kein Märchen. Ich weiß, daß Sie auf der ›Ingeborg‹ heimlich nach Kuba gefahren sind. Aber man riskiert doch nicht sein Leben in einer von vornherein verlorenen Schlacht.«

Da wandte der Jüngere ihm offen den Blick zu. »Es war eine Jugendeselei, ein richtiger verschwärmter Studentenstreich. Frau Twersten wollte mich als Helden sehen und drängte mich dazu, auf der ›Viscaya‹ Dienst bei der Maschine zu nehmen. In Wirklichkeit wollte sie wohl nur meine ewige Anhimmelei los werden. Wahrhaftig, Sie dürfen Ihrer Frau das nicht verdenken.«

»Ich habe keine Frau mehr.«

»Frau Angèle – ist tot?«

»Nein.«

Da verstand Fritz Vanheil, und die Scham kam aufs neue über ihn.

»Hätte ich doch dieses Frühstück ausgeschlagen.« dachte er.

»Sie brauchen sich nicht zu schämen, Fritz,« sagte Twersten ernst. »Denn ich weiß so sicher, als ob ich Zeuge gewesen wäre, daß Sie nichts dazu konnten.«

»Soll ich Ihnen jetzt meine weiteren Schicksale erzählen, Herr Twersten?«

Da mußte Twersten lächeln. »Lassen wir es nur für heute. Ich bin ganz im Bild.«

Er zog die Uhr. »Warten Sie hier auf mich. Dort sind Zigarren. In einer Viertelstunde bin ich wieder bei Ihnen.«

Er trat unter die Haustür und tat ein paar Schritte ins Freie. »Sie hätte ihn in den Tod geschickt, nur weil er ihr lästig wurde, nur weil sie ihn nicht im Wege haben wollte, als – das Neue kam.

Mit einem Arm läuft er durch die Welt. Der Dank seiner Dame. Und ist mit seinem großen Wissen und Können ein Landstreicher geworden.

Ihretwegen. Sie hat auch ihn auf dem Gewissen. Wie sie Robert auf dem Gewissen hat.

Das darf ich nicht auf mir sitzen lassen. Damals noch – war sie meine Frau. – Ich muß gut machen. Was würde Martin Vanheil sagen!« – –

Die Morgensonne glitzerte in der Luft und auf der Heide und machte sein Herz warm. »Was dieser Junge für einen jauchzenden Lebenswillen hat! Ich meine, ich habe den Morgen noch nie so schön gesehen. Etwas von seinem Blut möchte ich schon haben. Nein. Es paßte nicht zu mir. Aber an seiner Frische mich freuen! Ich will ihn bei mir behalten. Er kann zu mir auf die Werft kommen.«

Er kehrte ins Haus zurück und suchte im Zimmer den Gast aus dichten Rauchwolken heraus. Und während er sich ebenfalls eine Zigarre anzündete, sagte er wie nebenbei: »Übrigens können Sie in diesem Aufzug Mutter und Schwestern nicht ins Haus kommen. Die träumen ja von nichts anderem, als von dem Augenblick, da ihr Fritz als gemachter Mann über die Schwelle tritt und sie alle Sorgen, die sie um ihn ausgestanden haben, vergessen läßt.«

»Donnerwetter,« meinte Vanheil und nahm die Zigarre aus dem Mund. – »Von dieser Seite habe ich meinen Einmarsch noch gar nicht betrachtet.«

Und er wurde sichtlich betrübt.

»Wie wäre es, wenn ich Ihnen einen neuen Anzug herausschickte und gleichzeitig einen Kontrakt als Ingenieur auf K. R. Twerstens Werft? Damit ließe sich vielleicht schon etwas Staat machen bei Mutter und Schwestern.«

Fritz Vanheil legte still die Zigarre in den Aschenteller. Und erhob sich und ging zu Twersten hinüber.

»Ich bin ein wenig verbummelt. Aber das ist nur äußerlich, ich gebe Ihnen mein Wort darauf, nur in den Hinterwäldlermanieren. Verzeihen Sie also, daß ich Ihnen nicht um den Hals falle, aber die Hand möchte ich Ihnen gerne drücken. So, Herr Twersten. Versprechungen gebe ich keine ab. Ich bitte Sie! In meiner Situation verspräche man das Blaue vom Himmel. Aber Sie sollen auch keine Versprechungen zu fordern brauchen.«

»Also willkommen bei mir, Fritz.« Und Twersten schüttelte ihm kräftig die Hand.

»Und nun möchte ich Ihnen zum Dank noch etwas Erfreuliches melden. Bob ist wieder im Land.«

Twersten faßte eine Tischplatte. »Robert – –?«

»Als ich in Southampton eine Schiffsgelegenheit suchte, sah ich ihn. Gesprochen habe ich ihn noch nicht, denn ich hätte Zwischendeck fahren müssen, und er war schon an Bord; erster Kajüte. Jeder hat die Berechtigung auf seine Kreise, dachte ich, und schwamm mit dem Steamer, der am nächsten Tage ging.«

»Robert ...« wiederholte Karl Twersten.

»Er war ein braver Kamerad,« fuhr Fritz Vanheil fort. »Ganz ausgewechselt, seit wir von der brennenden ›Viscaya‹ zusammen kopfüber in die Tiefe mußten, als ging es in den Wurstkessel. Und gepflegt hat er mich wie eine Mutter und geteilt mit mir wie ein Bruder.«

Twersten sah ihn fassungslos an. »Robert – war auch – auf der ›Viscaya‹?«

»Teufel,« sagte Fritz Vanheil, »da hab' ich mich verplappert. Ich sollte doch über die Geschichte nicht sprechen. Nun ja, er hatte eine Kleinigkeit mit dem ersten Offizier auszurichten und ging ihm nicht von der Ferse, bis der Spanier eine amerikanische Kugel in der Brust hatte und somit die Sache von selber erledigt war. Der Robert hat Hamburgisch Blut, Herr Twersten, darauf können Sie sich verlassen.«

»So – so – so ...« Das war alles, was Twersten antwortete, als er nach seinem Hute griff. Vanheil begleitete ihn bis zur Tür, und er lachte plötzlich in sich hinein.

»Ich hatte im Kornfeld geträumt, ganz Hamburg wäre auf den Beinen und schlüge sich die Köpfe darüber blutig, welche Deputation mich festlich am Weichbild in Empfang nehmen und als den ihren reklamieren sollte. Gerade hatten die Schauerleute durch ihre robusten Kräfte die Überhand. Gott im Himmel, dachte ich, es ist doch wenigstens Hafenarbeit. Da erwache ich. Und vor mir steht das Gefährt des Herrn Karl Twersten, Chef der Firma K. R. Twersten, und ich steige ein.

Herr Twersten – ich bin der Ihrige!«


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