Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

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VI

Über Nacht hatte sich der Frost verstärkt. Ein schneidender Wind pfiff über den Hafen und fegte in die Gassen und Straßen Hamburgs hinein bis in das Herz der erwachenden Stadt. Die Kaufleute und Handlungsgehilfen, die der Beruf zu den Kontoren trieb, trabten mit hochgestellten Rockkragen, dicke Schals bis an den Mund hinaufgewickelt und die Hände krampfhaft in den Seitentaschen, ohne aufzublicken ihrem Ziele zu, und keiner hatte Sinn für die lächerlichen Figuren der sorgsam verpackten Mitmenschen. Wen nicht unaufschiebbare Geschäfte aus dem Hause trieben, der blieb daheim und wärmte sich die Hände am Kamin. Und als der Beginn der Kontorzeit vorüber war, lag die große reiche Stadt merkwürdig verödet. Der Wind, der vom Hafen kam, hatte das Wort allein.

In der Stadt. Nicht am Hafen.

An den Anlegeplätzen der Hafenfährdampfer, in den Wärmehallen und Kaffeehallen summte es wie von Bienenschwärmen, die, vom Fluge abgekommen, den Stock nicht zu erreichen wissen. Hier sammelten sich die schwarzen Scharen der Schauerleute und Kohlentrimmer, der Werftarbeiter und Handwerksleute, und sie liefen den Kai entlang, schauten hinüber zu ihren Arbeitsplätzen, gestikulierten und schrien sich an und kehrten fröstelnd zu den wärmenden Hallen zurück, um sich nach kurzer Pause aufs neue zu zeigen.

Im Hafen war das Eis. Geräuschlos war es aus dem Wasser heraufgestiegen, wurde vom Strome gedrängt und schob sich nun gemächlich in breiten, flachen Schollen übereinander, buck zusammen und erfüllte die weiten Becken mit einer grüngrauen Decke, deren tausend Würfel und Flicken sich beständig drehten und wanden. Wo der Wind freiere Bahn hatte, starrten undurchdringliche Eisflächen und hielten die breitbauchigen Schuten und Ewer mit umklammernden Armen.

Seit Stunden drängten sich die Leute und verlangten nach ihren Arbeitsstätten. Die grünen Fährdampfer, die mutig den Betrieb aufgenommen hatten, vermochten nur schrittweise vorzudringen und kehrten nur in endlosen Zwischenräumen zurück, um wieder ein paar Hundert der Tausende an Bord zu nehmen. Und allmählich wurden die Leute stumpf und teilnahmlos.

Der blondbärtige Direktor der Hafenfahrtgesellschaft war seit der sechsten Morgenstunde am Platz und regelte persönlich die Beförderung. Jeder Zoll ein Hamburger, verlor er nicht eine Minute die Kaltblütigkeit, welche die schwierige Lage erforderte, und den trockenen Humor, der die Massen meisterte.

»Täuw, täuw! Pett di man ni op'n Slips, Jung. Versupen is akkurat wie Erfrieren. Loswerfen! Abfahren!«

Man schimpfte, aber man lachte auch schon und zog sich zurück.

»Verdammi no mol, wat is dat for'n Geschäft,« murrte ein Alter, »ick hew keen Geld for'n Snaps.« »Kumm man mit,« ermunterte ihn ein Arbeitsgenosse, »ick traktier düttmol.«

»Du bis 'n fixen Kerl, Thedje.«

»Allens in Ornung, Klas.«

Es wurde zehn Uhr, bevor die Fahrstraße so weit aufgebrochen war, daß der Betrieb stärker einsetzen konnte. Immer wieder drängten die Schollen nach. Aber jetzt galt es, für eine Stunde wenigstens den errungenen Vorteil mit Anspannung aller Kräfte auszunutzen. Ein Fährdampfer nach dem anderen bahnte sich den Weg, unbekümmert, ob die Schollen krachend gegen die Planken splitterten. Die Kais mußten von den Menschenmassen entleert werden. Einige Trupps gerieten schon in gehobene Grogstimmung. Eine Stunde darauf war das Riesenwerk getan. Der Direktor der Hafenfahrtgesellschaft lachte befriedigt in seinen blonden Bart, in dem die Eiszäpfchen klingelten, erteilte weitere Verhaltungsmaßregeln und suchte sein Bureau auf. –

Twerstens Barkasse hatte nur auf Umwegen die Werft erreichen können. Die Beamten langten nur vereinzelt an, und von den Arbeitern waren erst ein paar Hundert zugegen. In Begleitung Feldermanns durchschritt Twersten die Arbeitsplätze. Wo die Arbeit am dringendsten war, dorthin wurden die Leute dirigiert.

Stillstand durfte nicht sein. Gerade jetzt nicht, wo in wenigen Tagen das Weihnachtsfest eine unerfreuliche Lücke riß.

»Die Hauptsache, daß die ›Ingeborg‹ fertig montiert wird und daß der ›Theodor Bramberg‹ bald heraus kann. Wir müssen Luft schaffen. Der spanische Kreuzer soll nicht der einzige bleiben.« »Verwünschtes Wetter, Herr Twersten.«

»So recht ein Wetter, um die Arme zu regen, damit dumme Gedanken nicht einfrieren können.«

Der Oberingenieur verstand nicht ganz, was der Chef meinte. Er bezog die Worte aufs allgemeine und nickte zustimmend.

Twersten kehrte in sein Privatkontor zurück. Während er die Post vornahm, fiel ihm die Überweisung der fünfzigtausend Mark an den Onkel seiner Frau in Santiago ein. Das ging von seinem Privatkonto. Er tauchte langsam die Feder ein und schrieb die Anweisung an die Bank.

Finster blickte er auf die Zahlen und Buchstabenreihe. »Weggeschmissen. Einfach in den Dreck geschmissen. Wieviel Segen hatte das bringen können!«

Er drückte die Hand vor die Augen, um die Zerrbilder nicht zu sehen, die ihm aus dem weißen Blatt entgegengrinsten.

»Gespielt hat sie wieder ... welch eine Entwürdigung darin liegt, sich mit vollem Bewußtsein dem Zufall unterordnen, ob die Karte so oder so schlägt, die Kugel so oder so rollt ... Herrgott, wenn noch um den Einsatz gerauft würde, mit Fäusten und Ellbogen! Meinetwegen! Das ließe sich noch hören. Da käme es noch auf den Mann an. Aber mit gebundenen Händen zusehen, ob das Glück zu einem schlüpft oder Reißaus nimmt, zusehen, wie eine kindische Gewalt Vermögen auseinander streut, die mit Blut und Schweiß gekittet schienen, Laufbahnen vernichtet und Charakteranlagen zerstört – weiß der Himmel, nichts Elenderes und Erbärmlicheres existiert doch auf der Welt und nichts Menschenunwürdigeres. Und nun gar eine Frau–––-nein, meine Frau!« Er grub die Zähne in die Lippen, um der Bilder und Gedanken Herr zu werden. Und mit einer plötzlichen Willensanstrengung wurde er ihrer Herr.

»Gut. Das Geld ist verloren. Das macht mit dem früheren nun einen erklecklichen Posten. Aber es muß wieder hereingebracht werden. Man kann einem Baum, der im Wachstum begriffen ist, doch nicht den Saft abzapfen. Und der Baum ist die Werft.«

Nun hatte er sich wieder in der Hand. Seine Privatangelegenheiten waren ausgeschaltet. Nichts, was nicht mit den Forderungen des Werktages zu tun hatte, durchquerte ihm mehr den Sinn. Tief über seine Papiere gebeugt, saß er und prüfte die Kalkulationen und stellte neue langzeilige Berechnungen an.

Der Oberingenieur meldete, daß die Leute vollständig zur Stelle seien. Einige zwar etwas angetrunken.

»Die Meister sollen sie in die Kur nehmen. Je schwerer der Hammer, desto kürzer der Rausch.«

»Jawohl, Herr Twersten.«

Und er fuhr in seinen Berechnungen fort und vergaß all das Kleinliche. –

Gerade hatte er den Prokuristen und seinen Sohn Robert zu einer Besprechung herbeirufen lassen, als die Dampfsirenen der Werft die Mittagsstunde ausheulten. An der Tür des Privatkontors klopfte es, und der Oberingenieur erschien mit verdrießlichem Gesicht.

»Nun, Feldermann, was Wichtiges?«

»Die Leute haben eine Deputation gewählt, die Sie sprechen möchte, Herr Twersten.«

»Mich? Ich habe jetzt keine Zeit. Sie sollen sich an ihre Betriebsmeister wenden, wenn sie Beschwerden haben.« »Die Betriebsmeister mußten ihnen abschlägigen Bescheid geben. Es ist wegen des verlorenen Morgens.«

»Na, dann lassen Sie die Leute mal herein. Einen Augenblick, meine Herren, wir arbeiten gleich weiter.«

Der Oberingenieur führte die drei Männer herauf. Minutenlang scharrten sie mit den Füßen auf der Strohmatte vor der Tür. Dann schoben sie sich hintereinander vor, und der letzte machte die Tür zu. Es war ein Holzarbeiter, ein Kesselschmied und der Schürmeister Matthes.

Karl Twersten unterschrieb ruhig ein paar Briefe, die ihm der Prokurist vorgelegt hatte. »Nun?« fragte er dann und sah kurz auf. »Macht los. Wir haben schon eine Menge Zeit verloren.«

Die Männer räusperten sich, drehten ihre Mützen und hoben den Kopf.

»Guten Morgen, Herr Twersten,« sagten sie gleichzeitig und machten gespannte Gesichter.

»Na, deshalb kommt ihr doch nicht, um mir guten Morgen zu wünschen?«

»Es war ein sehr schwerer Morgen, Herr Twersten,« sagte der Kesselschmied. »Bannig viel Eis im Hafen un keine Spedition. Dazu können wir doch nich, Herr Twersten.«

»Es hat euch doch kein Mensch Vorwürfe gemacht, Mann.«

»Vorwürfe nich, aber Abzüge. Die Meister sagen, wir kriegen nur die geleistete Arbeit bezahlt, Herr Twersten.«

»Das ist doch wohl selbstverständlich, oder kriege ich etwas anderes bezahlt?«

»Tja, das mag schon seine Richtigkeit haben, aber wir waren doch rechtzeitig am Kai und konnten man bloß nich herüber. Und ob wir die Stunden da abgesessen oder hier abgearbeitet haben, das bleibt sich doch eins. Wir haben sie doch hergeben müssen.«

»Ihr seid auf Akkordarbeit angestellt, nicht wahr?«

»Tja, das sind wir wohl. Aber ob Akkordarbeit oder nich Akkordarbeit, es muß doch allens seine Richtigkeit haben.«

»Eben der Richtigkeit wegen, Schmied.« Twersten setzte sich aufrecht in seinen Stuhl. »Und Richtigkeit, das ist doch wohl so viel wie Gerechtigkeit. Ich erleide an der verlorenen Arbeitszeit genau so große Verluste, wie ihr alle zusammen. Also hat jeder zu leiden, ihr und ich.«

»Wenn wir aber doch nich herüberkommen können,« beharrte der Schmied hartnäckig.

»Sollte ich etwa lieber still legen? Nun, was dann? Ihr arbeitet im Akkord. Dann hättet ihr gar nichts. Obwohl der Tag verpfuscht ist, lasse ich arbeiten. Wollt ihr den ganzen Verdienst erreichen – Arbeit ist genug vorhanden, sorgt, daß ihr sie schafft. Wollt ihr Überstunden machen – ich habe nichts dagegen einzuwenden. So, und nun sind wir wohl wieder im Einverständnis.«

»Tja, Herr Twersten, das wollen wir gewiß. Un die Überstunden kämen uns zu Weihnachten ganz gelegen. Aber wer bezahlt uns denn nur den Morgen in der Kaffeehalle?«

»Haben Sie getrunken, Schmied?«

»Getrunken gerade nich. Aber bei die bannige Kälte – un das haben wir noch drauf bezahlen müssen.«

Twersten erhob sich und stellte sich vor die Deputation.

»Sagt mal,« begann er und musterte sie scharf, »ihr seid doch wohl alle Soldat gewesen. Matrosen. Um so besser. Dann werdet ihr also wohl wissen, was Disziplin bedeutet. Und das wißt ihr alten Kerls so gut wie ich, daß auf einer Werft Disziplin zu herrschen hat wie an Bord. Denn hier treffen geschäftliche und politische Angelegenheiten zusammen. Also ich brauchte nur euren Forderungen nachzugeben, und ich öffnete der Disziplinlosigkeit alle Luken. Weshalb? Nun, von euch dreien sprech' ich nicht. Ihr habt Ehre im Leib, und ich kenn' euch lang genug. Aber es könnte tagtäglich Hunderten von Drückebergern einfallen, sich mit Wind und Wetter zu entschuldigen, wenn sie ein paar Stunden später zur Werft kommen möchten. Es brauchte nur heute bekannt zu werden: das zieht; wir kriegen's doch bezahlt! Und ihr Fleißigen und Anständigen, ihr wäret die Dummen. Und auf der Werft? Pfeif' drauf, was? Ob da das Schiff laut Kontrakt auf Tag und Stunde fertig wird. Nein, Leute, ich brauche euch nichts mehr zu sagen. Ihr seid keine grünen Jungens und wißt: Disziplin muß sein. Ob's weh tut oder nicht. Muß sein!«

»Stimmt!« sagte der Schmied und setzte mit einem Ruck seine Mütze auf.

»Also ihr holt's aus den Überstunden wieder heraus. Das ist abgemacht.«

»Abgemacht, Herr Twersten. Un entschuldigen Sie man bloß die Störung.«

Draußen verhallten ihre Schritte. Sie marschierten zur Speisehalle, um den Kameraden dort die Beschlüsse mitzuteilen. Dann kamen langsamere Schritte zurück und die Treppe herauf. Es klopfte.

»Der Schürmeister Matthes ist nochmal da,« meldete der Bureaudiener. »Ich habe dem, was ich gesagt habe, nichts mehr hinzuzufügen,« rief Twersten ärgerlich. Aber da stand der alte hagere Knabe schon in der Tür. »Hören Sie mal, Matthes, ich verstehe überhaupt gar nicht, wie Sie zu der Deputation kommen? Sie stehen doch im festen Wochenlohn. Was haben Sie sich denn an die anderen heranzuwimmeln, wie?«

»Ich war doch schon auf halbem Weg, Herr Twersten, als die anderen mitkamen.«

»Was wollten Sie denn? Auch Lohnerhöhung?«

»Jawohl, Herr Twersten, wenn Sie die Freundlichkeit haben wollten.«

»Sie haben doch, wenn ich mich recht entsinne, erst vor einem halben Jahr, als Ihre Frau starb, Lohnerhöhung erhalten. Weil die Frau einen Verdienst gehabt hatte. Sie trug wohl Zeitungen aus?«

»Jawohl, Herr Twersten.«

»Und was haben Sie jetzt für neue Gründe?«

»Es ist ein Kind angekommen, Herr Twersten.«

»Ein – Kind? Mann, besinnen Sie sich. Ihre Frau ist doch seit einem halben Jahre tot!«

»Meine Tochter hat es gekriegt, Herr Twersten.«

»Verheiratet?«

»Verlobt, Herr Twersten.«

»Und der Vater?«

»Auf See gegangen. Unbekannt, wohin.«

»Aha.« Sonst sagte Twersten nichts. Er kannte die Seemannsliebe aus mehr als diesem einen Falle, und er hatte längst gelernt, sich der Empfindungswelt der Hafenbevölkerung anzupassen. »Ja, Matthes,« begann er nach kurzem Nachdenken, »das ist nun schlimm für Sie, daß gerade heute die Deputation mit ihrer Forderung kam. Da kann ich keine Ausnahme machen und eine Bevorzugung vornehmen. Vor dem ersten Januar geht's nicht. Lassen Sie sich bis dahin einen Vorschuß auszahlen. Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Herr Twersten, und schönsten Dank auch.« –

Draußen heulte die Dampfsirene auf. In Kolonnen marschierten die Leute zu ihren Arbeitsplätzen. Und alles auf der Werft ging seinen alten geordneten Gang.

Im Privatkontor war die Konferenz beendigt. Nur Robert Twersten war unschlüssig zurückgeblieben.

»Nun, Robert, hast du noch etwas auf dem Herzen? Dann nur heraus damit.«

»Papa,« sagte Robert und kam näher, »verzeihe, wenn ich mich in Dinge mische, die mich nichts angehen –«

»Wenn sie die Werft betreffen, gehen sie auch dich an.«

»Ja, sie gehen wohl die Werft an. Papa, ich habe vorhin geglaubt, du scherzest, als du den Arbeitern ihre Bitte abschlugst. Wegen ein paar tausend Mark! So hartherzig kannst du doch im Ernst nicht sein.«

Twersten legte die Feder hin. »Es freut mich, mein Junge, daß du nicht schlankweg an Hartherzigkeit und Knauserei bei mir glaubst. Nur merke dir eins: In Geschäftsdingen gilt kein Scherzen. Das wäre eine sehr übel angewandte Art, sich populär zu machen. Sie würden dir sehr bald auf der Nase herumtanzen, und gleiche Brüder, gleiche Kappen mit dir spielen, deine Pfleglinge. Popularität im besten Sinne des Wortes kannst du nur erreichen, wenn du eisern deinen Willen verfolgst und durch deine Erfolge die Leute merken läßt: es ist auch zu eurem Besten! – Aber unbedingt: Grenzlinie wahren! Nur keine falsche Sentimentalität im Wirtschaftsleben! In Deutschland stirbt kein Arbeiter Hungers, wohl aber machen zuweilen große Betriebe den Salto mortale. Das ergibt so mancherlei Lehren ...«

»Aber die Firma kann doch die paar tausend Mark tragen, Papa.«

»Die Firma kann keinen Pfennig tragen, für den es keine ausgleichende Buchung gibt. Aber damit es dich beruhigt und dein Glaube an meine Hartherzigkeit und andere Untugenden keinen weiteren Boden gewinnt: es war schon heute in der Frühe, als ich das Eistreiben sah und die armen Kerls, die nicht herüber konnten, bei mir beschlossene Sache, den Leuten die verlorene Zeit als Weihnachtsgeschenk von meinem Privatkonto aus vergüten zu lassen. Nun kannst du wohl in Frieden ziehen.«

»Papa – dann erlaß auch dem Matthes den Vorschuß!«

»Bist du toll, Junge? Der alte Flibustier hat ja schon seine Lohnaufbesserung durchgedrückt.«

»Seine Gründe waren doch auch triftig genug, Papa.«

»Was weißt du davon, Robert? Ich setze damit ja geradezu eine Prämie für das uneheliche Kinderkriegen aus. Und für die Drückeberger von Vätern. Das ist keine reinliche Sache, Robert, und keine unverschuldete Not. Der Alte lachte ja über das ganze Gesicht, als das Kind ihm die Zulage eingebracht hatte.«

»Weil er aus der Not war. Bitte, erlaß ihm den Vorschuß, Papa.«

»Sag mal, mein Junge,« und Twersten lächelte in sich hinein, »wohin gehst du heute abend? Ins Thaliatheater, so, so. Allein? Mit deinem Freund Fritz Vanheil. Du hättest also zwei Logenplätze zu bezahlen. Macht zwanzig Mark. Wie wär' es, wenn du auf das Vergnügen verzichtetest und das Geld Matthes in die Hand drücktest? Würde dir das ein ebenso großes Vergnügen machen? Dann tu es. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, denn es ist deine Privatangelegenheit. Nur kein Firmengeld.«

Als der Sohn gegangen war, schüttelte Twersten den Kopf. »Das liegt jetzt in der Luft, diese Gefühlsseligkeit. Unsere Söhne haben eine so glänzende Erziehung genossen, daß sie nicht mehr wissen, wie Geld – verdient wird.«

Robert Twersten ging über die Werft und warf einen Blick in die Schiffbauhalle. Die grellen Feuer der Glühöfen blendeten seine Augen, das Rasseln der Ketten, das Knirschen der Eisenblöcke nahm ihm das Gehör. Dann gewahrte er den Schürmeister, den langen Bratspieß in den Gorillaarmen. Jetzt zog ein Entzücken über des Alten knochiges Gesicht, und die Lippen schnalzten. Ohne Widerstand zu finden, war der Eisenstab in den weichen Eisenblock gedrungen. Das Gericht war gar.

Schnell trat Robert Twersten aus ihn zu und drückte dem erstaunten Mann ein Zwanzigmarkstück in die Hand.

»Wofür, Herr Twersten?«

»Für Ihren kleinen Enkel. Kaufen Sie dem Jungen Spielsachen dafür.«

»Et is man bloß en lüttje Deern ...«

»Na, schadet auch nichts. Geht's Ihrer Tochter wenigstens gut?«

»Nur fünf Tag hat se gelegen. Da is noch Muck in de Knochen, nich wahr, Herr Twersten?« »Ich komm' heute abend mal vorbei. Wo wohnen Sie denn, Matthes?«

»In der Niedernstraße, Herr Twersten. Von der Straße aus durch den zweiten Gang in den Wohnhof rechter Hand. Nee, wissen Sie, das lassen Sie man lieber nach, dat 's nix für feine Leute.«

Ein neuer, glühweißer Eisenblock wurde aus dem Ofen gehoben und in schlankem Bogen durch die Luft gewunden. Des Alten Gliedmaßen strafften sich. Seine Augen funkelten dem neuen Gericht entgegen. Er hatte jetzt keine Zeit mehr für Privatunterhaltungen.

»Obacht,« zischte er heiser, und sein Stab bohrte sich liebevoll in das Metall, das feurige Spritzer und beißenden Dampf verstreute.

Robert Twersten wehrte mit der Hand die Funken ab, die ihn umtanzten, und suchte den Ausgang. Das war ja ein Martyrium, hier seine Tage zu verbringen. Diesen Leuten mußte eine Aufmunterung werden. Und nun beschloß er gerade, den Alten und seine Familie in der Niedernstraße durch seinen Besuch zu erfreuen. –

Im Laufe des Nachmittags klingelte das Telephon in Twerstens Privatkontor. Er nahm es auf und rief hinein.

»Hallo – hier K. R. Twerstens Werft. Jawohl, Karl Twersten selbst. Und nun höre ich es schon an der Stimme: Ingeborg Bramberg.«

Er nannte den Namen mit tiefem, vollem Klang.

Sie fragte bei ihm an, ob das Eis im Hafen eine Betriebsstörung hervorgerufen habe. »Ich hatte heute morgen so viel mit Weihnachtspackereien zu tun, daß ich nicht einen Augenblick an die frische Luft gekommen bin,« entschuldigte sie sich. »Vorhin erst höre ich von Theodor Bramberg, daß die Reederei kaum laden kann, und er sich deshalb einen freien Tag gemacht habe. Sonst hätte ich schon früher angerufen. Ist es denn so schlimm?«

»Nicht ganz so schlimm, Frau Ingeborg. Sie sehen ja, daß ich mir keinen freien Tag gemacht habe.«

»Aber achten Sie auch ein wenig auf Ihre Gesundheit?«

»Es gibt keinen besseren Prüfstein für die Gesundheit als dies klirrende Wetter. Wie wär's?«

»Was? Sagen Sie es schnell!«

»Daß Sie sich auch dieser Prüfung unterziehen. Meine eiserne Barkasse geht glatt durch das Eistreiben hindurch.«

»Eine Fahrt durch das Eis?« Und er vernahm, wie ihre Stimme vor freudiger Erregung zitterte.

»Ja, eine Fahrt durch das Eis. Als wären wir Alleinbeherrscher des Hafens. Wollen Sie?«

»Und ob ich will! Wo nehmen Sie mich an Bord?«

»Am Baumwall. Können Sie in einer Stunde dort sein? Schön. Ich freue mich.«

»Doch nicht so wie ich. ... Auf Wiedersehen – –«

Er hing den Apparat an. Seine Brust tat einen ganz tiefen Atemzug. Den Kopf aufgestützt, sah er mit einem verlorenen Lächeln vor sich hin. Und wieder atmete seine Brust ganz tief und wohlig –. Dann brachte er seine Arbeit zum Abschluß.

Als er um fünf Uhr am Baumwall landete, erblickte er schon von weitem trotz des Dämmerlichtes ihre hohe Gestalt in Winterrock und Pelzjackett. Ohne zu sprechen, bot er ihr die Hand und half ihr herüber. Und sofort ging die Barkasse wieder unter Dampf. Und Twersten führte seinen Gast in die kleine Deckkajüte, in der ein Kanonenöfchen glühte und das Glas des Auslugfensters mit seiner Wärme beschlug. Ganz still und heimlich war es in dem schmalen Raum.

»Deine liebe Gestalt habe ich sofort erkannt,« sagte Twersten, »aber der dichte Schleier nimmt mir das Schönste.«

Sie hob die Arme und wand ihn los. Und sie ließ die Arme sinken, daß ihre Hände auf seinen Schultern ruhten und der Schleier seinen Nacken umfing. So standen sie und lasen stumm in ihren Augen, und die Lippen bewegten sich wie von einem frohen Wort, und einer küßte das frohe Wort still von den Lippen des anderen.

»Guten Tag, Ingeborg.«

»Guten Tag, Karl.«

»Wenn du nicht bei mir bist, fehlst du mir, und wenn du bei mir bist, ist mir, als hättest du mir nie gefehlt. Alles ist ausgeglichen.«

»Und du fehlst mir nie und nirgendwo. Ich schließe nur die Augen ...«

»Nein, öffne sie. Ich muß mich darin finden. Irgendwo muß der Mensch seine Heimat wissen.«

Sie zog ihn hastig an sich. »Du hast sie nicht nur in meinen Augen.« Und sie ließ ihn frei.

»Komm,« sagte er, »jetzt beschenke ich dich mit einem Bilderbuch, wie es nur die treuesten Kinder Hamburgs zu Weihnachten bekommen.«

»Ja,« sagte sie »feiern wir Weihnachten.« – –

Als sie aus der Kajüte traten, schwiegen sie beide. Der Hafen war zur Märchenwelt geworden. Zu einer einsam schimmernden Märchenwelt aus fernen Eisregionen. Westwärts flammte der Himmel blutrot und warf purpurne Teppichfetzen über das schillernde Eis. Und je weiter und länger sie fuhren, desto seltsamer wandelten sich die Farben, zogen breite, violette Bordüren in das Rot, spannen smaragdgrüne Fäden ein und tiefblaue Muster von der Leuchtkraft des Ultramarins, und mischten sich jäh, um als ein heißes Gelb den Horizont zu überziehen, als hätte plötzlich der Himmel Ägyptens mit dem Himmel des Nordens getauscht.

Und hinter dem eissplitternden Boot lag die Dämmerung, und sie schämte sich ihrer grauen Dürftigkeit und schmückte sich mit einem weiten Kranz kleiner, bunter, zitternder Lichter. Aus den Schuppen an den Kais blinkte das Licht, vom Bug und Heck der Schiffe im Strom, von den Dukdalben und den schwimmenden Palisaden des Zollgebiets. Und mächtig strömte es herüber von den Straßenzeilen und stand als heller, weißer Schein noch fern über der Stadt.

Am alten ehrwürdigen Sandtorhafen glitt die Barkasse vorüber, und der große Zeitball auf dem Turme des Staatsspeichers schien der Mond, der sich nicht von den Bildern zu trennen vermochte. Und des Lebens Armseligkeit und des Lebens goldener Reichtum taten sich auf, und der Blick huschte in die Passagierhallen heimatloser, heimatverlangender Auswanderer, Ghettos gleich vom pulsenden Leben geschieden, damit nicht der Hauch eines Niedergebrochenen die Stadt gefährde, und in die Früchtespeicher am Kirchenpauerkai, über die strotzende Fülle duftender Orangen, lachender Zitronen, von sorgsam geschürten Wärmespendern in der Illusion der Heimatluft gehalten. Donnernd brauste ein Eisenbahnzug über die kühn geschwungene Brücke, die die Norderelbe überspannt, winkte noch einmal mit den Laternen und schwand im Dunkel.

»Nichts ruht, alles drängt vorwärts,« sagte Twersten mit leuchtenden Augen.

»Und wir feiern Weihnachten,« flüsterte sie und schmiegte sich an ihn. »Heute schon und ganz allein.«

»Und Himmel und Erde, Feuer und Wasser beschenken uns.«

Ein gewaltiger Fangarm streckte sich nach ihnen aus. Der Riesenkran des Höfts.

»Tausend Zentner kannst du heben,« lachte Twersten, »aber unsere Seligkeit hebst du nicht!«

»Nein!« rief Ingeborg, »die hebst du nicht!«

Die Eisschollen stemmten sich fester gegen den Bug des Schiffes, aber die Barkasse mahlte sich hinein. An dem ragenden Mastenwald, der sich verwirrend gabelte und zweigte, erkannten sie, daß sie im Segelschiffhafen fuhren. Ein ausspringender Luftstrom ließ sie den Frost verspüren.

»Frierst du auch nicht, Ingeborg?«

»Das ist ganz gleich. So schön ist es hier. So wunder – wunderbar schön!«

Er nahm ihre Hände, die eiskalt waren.

»Nein,« sagte er, »so geht das nicht. Du lehnst dich gegen mich und steckst beide Hände in diese große Überziehertasche.«

Und sie gehorchte und lehnte sich fester gegen ihn und vergrub ihre Hände in seinem Mantel.

»Du liebe Frau,« sagte er leise. »Still! Oder ich habe die Hände zu etwas besserem nötig, als sie in Ruhe zu halten.«

»Du liebe Frau– – –«

»Ich möchte sie dir um den Hals legen, um diesen starken, stolzen, arbeitsamen Kopf –«

»Du liebe Frau!«

»Nein,« sagte sie, »ich friere nicht mehr. Das geht wirklich nicht. Ich muß dir auch etwas Liebes antun.«

»Ich spüre dich. Ist das nicht Liebes genug?« Und er legte den Arm um sie.

Sie sahen nicht mehr nach dem wechselvollen Hafenbild. In dem Hafen, in dem sie waren, gab es keinen Wechsel, aber den besten Untergrund Hamburgs. Und sie horchten: ist das mein Herzschlag – ist das sein Herzschlag? Und dann fanden sie es bald: es ist unser Herzschlag.

Sie waren in die Kajüte eingetreten und hielten die Hände über den pausbackigen Ofen. Die Wandlampe warf einen lachenden Schein über sie und ließ die Eiskristalle wie Diamanten glitzern, die sie mit hereingetragen hatten.

»Nun siehst du aus wie die Märchenkönigin, die zu Weihnachten vom Ende der Welt, vom geheimnisvollen Nordkap kommt.«

»Und du wie der heilige Nikolas, der in der Adventszeit zu uns Kindern kam und die schönsten Märchen wußte.«

»Sind wir heute nicht wie die Kinder? Herrgott, ist es schön, dies Gefühl einmal wieder zu haben! So jung zu sein!«

»Komm,« bat sie und zog ihn zu sich auf die Rundbank, »erzähle ein Märchen.« Er wischte mit der Gardine das feucht beschlagene Fenster blank.

Und sie blickten hinaus, über die Ufer hinweg zu dem hell schimmernden Stadtbild mit den ragenden Kirchtürmen.

»Das ist die Nikolaikirche, die war dem heiligen Nikolaus geweiht. Vor Jahrhunderten trug sie eine Krone aus purem Golde. Da hatten die Hamburger auf dem Meere ihren Erbfeind, Klaus Störtebeker, niedergerannt, und als sie den Mast seines Schiffes fällten, war er hohl und mit geraubtem Gold ausgegossen. Aus diesem Golde schuf man die Krone und weihte sie dem heiligen Nikolaus, weil der Klaus, der Störtebeker, ja nun nichts mehr seinem Schutzpatron weihen konnte, denn der wilde Held wurde schmählich geköpft. Sankt Nikolai aber entbrannte in Liebe zu seiner Nachbarin Sankt Katharinen und trat ihr eines Tages die Krone ab. Da kannst du sie heute noch sehen, auf dem Turme der Katharinenkirche. Und Störtebeker freut sich noch im Grabe, daß er mit seinem Golde selbst die Heiligen durcheinander gebracht hat.«

»Der Störtebeker scheint dir Spaß zu machen. Und er war doch ein Pirat und Hamburgs geschworener Feind.«

Twersten lachte ein leises, glückliches Lachen.

»Spaß? Ja Spaß macht mir alles, was wagende, furchtlose Männlichkeit ist. Und den übrigen Hamburgern nicht minder. Alles, was Mut erfordert und nach dem Erfolge greift. Wie wäre es sonst möglich, daß Klaus Störtebeker, der verwegene Pirat und Meerkönig, daß der Feind der Stadt dennoch der Hamburger Nationalheld wurde, und nicht sein Besieger Simon von Utrecht, der nachmalige Ehrenbürgermeister, von dem man kaum noch mehr als den Namen weiß. Aber zahllose Volkslieder bewahren den Namen des Meerkönigs und seiner Spießgesellen, die dort, auf dem Grasbrook, an den Henker glauben mußten, den sie auf der Stelle nach sich zogen. Höre zu, ich weiß noch eine Strophe:

Der Büttel, der hieß Rosenfeld,
Der trieb so manchen stolzen Held
Zu Tod mit frischem Mute;
Er stund wohl in geschnürten Schuh'n
Bis an die Enkel im Blute!

»Und der jüngste Ratsherr trat heran und fragte den Scharfrichter wohlwollend, ob er sich auch nicht überanstrengt habe bei dem Geschäft. ›Was‹ – schrie der, ›mordswohl ist mir, und ich habe noch Kraft genug, den gesamten Rat dazu zu köpfen.‹ Da mußte er des schlechten Beispiels wegen, das er mit dieser Antwort gegeben hatte, auf der Stelle selbst den Kopf auf den Block legen.«

»Ich hätte nie geglaubt,« sagte Ingeborg Bramberg und streichelte seine Hand, »daß der Chef der Firma K. R. Twersten auch Sagen und Märchen im Kopfe trägt, wie ein anderer Mensch.«

»Du machst mich wieder jung, Ingeborg, und mit dem Jungwerden wachen die alten Erinnerungen auf an den Großvater, der ein Helgoländer war und mir als Knaben die Geschichte unserer Meere erzählte, wenn ich ihn am Feierabend auf der Werft besuchte. Denn Helgoland war einst mit Wisby der stärkste Stützpunkt der nordischen Korsaren.«

»Ich habe dich so gern, Karl, wenn du erzählst.«

»Und ich dich, weil du mich zum Erzählen bringst. Das ist mir seit zwanzig Jahren nicht passiert. Und nun wischest du mit deinen lieben Händen den ganzen Zeitraum aus, und ich verspüre unverbrauchte Kräfte und hole nach.«

»Wir holen nach,« sagte sie, »wir beide.« –

Sie gingen wieder hinaus und sahen backbords die Lichter der Werft erscheinen. Twersten hob den Kopf. Seine Nasenflügel wölbten sich. Er witterte die Luft, die seine Lebenslust war, und zog sie tief ein.

»Sie machen Überstunden. Das glutet und flutet. Weißt du dir ein schöneres Bild im Hafen, Ingeborg?«

»Nein,« erwiderte sie, und stand Schulter an Schulter mit ihm. »Es ist das schönste. Weil es von deinem Geist ganz erfüllt ist.«

»Dort liegt die ›Ingeborg‹ auf dem Wasser. Und dort der ›Theodor Bramberg‹. Das sind fröhliche Hammerschläge.«

»Weshalb treibst du sie so vorwärts? Der Überholungstermin ist doch erst zum Herbst?«

»Weshalb? Man hat es im Gefühl. Es liegt etwas in der Luft, und da sorge ich vor.«

»Spanien und seine Kolonien –?«

»Wie du es triffst. Ja, Spanien und seine Kolonien. Dabei wird es nicht bleiben, und da heißt es: gewappnet sein!«

»Deutschland doch nicht?«

»Nein, aber der Hamburger Kaufmann.«

Er blickte auf die Schiffe und auf die Hellinge, auf deren einem der Kiel des spanischen Kreuzers gestreckt war, bis eine Wendung der Barkasse sie seinem Auge entzogen. Und er fuhr fort, als hätten diese Bilder keine Unterbrechung erzeugt: »Wo irgendwo auf dem Erdball Völker aneinander geraten und es um Kronen und Reiche geht und um Verschiebungen auf der Land- und Seekarte, da ist der Hamburger Kaufmann beteiligt. Überall liegen seine Interessen, in Werten und Kalkulationen. Auf der ganzen Welt ist er daheim wie im Vaterland. Das gibt ihm seine Sonderstellung in Deutschland und legt ihm vor allen anderen die größten Pflichten auf.«

»Man wird ganz stolz, Karl Twersten, wenn man dich sprechen hört.«

»Alle nicht.« – Und wie oft schon, berichtete er von seinem Sohn und den Gegensätzen, die sich täglich bemerkbarer machten. Ein tiefer Mannesschmerz zitterte hindurch, als er von seinem Erben sprach.

»Wenn er das Fremde abgestoßen hat,« versuchte sie ihm zu helfen, »wird er der Sohn seines Vaters sein. Gewähr ihm Zeit dazu.«

Und Karl Twersten sagte wie aus einer seinen Welt heraus: »Ich wollte, du hättest mir einen Sohn geschenkt. Weshalb durfte ich dich nicht finden?«

Ihre Schulter zitterte an der seinen. Ein jäh aufsteigender Tränenstrom drohte sie zu ersticken. Und sie nahm alle ihre Willenskraft zu Hilfe, um ruhig zu scheinen, um ihm ein Lächeln vorzutäuschen.

»Weshalb nicht? Und das fragst du? Weil deine ganze Kraft deinem Werk gehören sollte, dem Aufschwung der Werft in die vorderste Reihe, und weil dir der liebe Gott dann als Lohn für deine Treue statt des Abends einen neuen Morgen schenken wollte. Siehst du, die Einsamkeit hat dich stark gemacht, und mich hat sie auch stark gemacht. Und wenn wir beide nun zusammen sind, begehen wir jedesmal ein Fest. Mitten im Kampf. Ohne Alltäglichkeit. Und einer macht den anderen über alle Mitmenschen hinaus froh und stolz. Immer aufs neue. Das ist es.«

Und dann sprachen sie nicht mehr, bis sie landeten. Aber das Gefühl, von dem Ingeborg Bramberg gesprochen hatte, war in ihnen und blieb: froh und stolz, über die Menschen hinaus. –

Als sie ein Wagen nach Hause führte, quer durch die winterfröstelnde Stadt und weiter hinaus ins lichterstrahlende Uhlenhorster Viertel, sagte Ingeborg Bramberg sinnend: »Einen merkwürdigen Besuch hatte ich heute morgen, und ich vergaß, dir davon zu sprechen. Das junge Mädchen war bei mir, das ich bei dir kennen lernte. Damals, am Tage des Stapellaufs. Marga Vanheil. Weißt du, weshalb ich sie so ins Herz geschlossen habe? Und ich bin doch ein Dutzend Jahre älter als sie. Weil sie dich liebt. Still. Das ist mein Weihnachtsgeschenk, daß du an deine Jugend glaubst. Und nun – obschon es noch ein paar Tage bis zum Feste sind; wir haben es ja gefeiert –: Fröhliche Weihnachten!«


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