Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V

Zu Anfang Dezember zeigte Angèle ihre Heimkehr an. Die Wintersaison lockte sie nach Hamburg zurück.

»Es wird an unserem Verkehr nichts ändern,« sagte Twersten auf einen fragenden Blick Ingeborg Brambergs.

Ein Abend in der Woche gehörte ihnen. Es war ein stillschweigendes Abkommen geworden. Von der Werft aus fuhr Twersten zur Brambergschen Villa, und Ingeborg Bramberg stand am Fenster ihres Zimmers und erwartete ihn. Dann speisten sie miteinander zu Abend und saßen sich bis zur späten Stunde gegenüber. Sie nannten das ihren Feiertag halten.

Selten, daß der Hausherr zugegen war. Zuerst hatten ihn die regelmäßig wiederkehrenden Besuche Twerstens in Verwunderung gesetzt, dann fand er ein paar spöttische Bemerkungen über die neueste Bildungslaune seiner Frau und den würdigen Toggenburger Twersten. Und endlich fühlte er sich bei den endlosen Gesprächen über Handel und Wandel, Weltpolitik und Kaufmannsdiplomatie ebenso gelangweilt wie überflüssig und hielt sich nicht mehr gebunden, dieser gräßlichen Fachsimpeleien wegen sein Klubleben zu unterbrechen. Sehr oft reiste er nach Berlin. Dann blieb er ohnedies vierzehn Tage verschwunden.

»Ich könnte jeden Abend zu dir kommen,« sagte Twersten, »und es würde zu Hause keine Lücke bemerkt werden.«

»Es sind merkwürdig gleichartige Verhältnisse bei euch und bei uns ...« meinte Ingeborg Bramberg sinnend. »Ich möchte wohl wissen, ob diese Menschen einmal und nur eine Stunde spüren, was das Glück ist. Kannst du es mir sagen?«

»Sie leben in der glücklichen Einbildung, den Mittelpunkt eines Kreises zu bilden. Das ist wie bei den Kindern: sie müssen Theater spielen, und wenn man sie bestaunt, glauben sie wirklich, ihre Rolle sei wichtig und unersetzlich. Aber es liegt ihnen nur am Auditorium.«

»Solange das Auditorium applaudiert.«

»Ja, das ist ihre Lebenssorge. Ich habe aber noch keinen Schauspieler und keine Schauspielerin getroffen, die sich nicht auf der Bühne für ewig jung und unwiderstehlich gehalten hätte.«

»Deshalb können sie sich nicht von der Bühne trennen. Sie wissen, nur im Rampenlicht hält die Bedeutung stand, die sie sich zumessen. Ohne die Anreizung von außen her sind sie sich selbst zur Last. Arme Menschen!«

»Wie still es heute wieder bei dir ist. Wenn man in sich hineinhorcht, hört man das Wachsen der Keime, die man tagsüber gepflanzt hat.«

Sie beugte sich vor und strich über sein volles, graues Haar.

»Wie ich dich lieb habe, Karl! Als ich dich zuerst auf der Werft inmitten der Arbeit sah, glaubte ich, das Bild wäre es: du, in der vollen, entfalteten Tätigkeit. So und nicht anders müßtest du sein, um mich so an dich zu fesseln. Und nun weiß ich, daß es noch ein Schöneres gibt. Du in der Ruhe. Du bei mir. Und wir allein. Das ist das schönste Glück: seine ganze Welt in seinen vier Wänden zu wissen und zu fühlen: in diesem scheinbar so stillen Beieinander werden die Gedanken geboren, die morgen Früchte tragen werden.«

»Seit ich weiß,« sagte Twersten, »daß du auf mich siehst, ist mir die Arbeit wie ein Turnier geworden. Das ist ein seltsamer Ausdruck im Munde eines Hamburger Kaufmannes. Aber er umschließt alles. Nichts schmerzt und nichts ist unerreichbar. Da sind zwei Augen, und sie gehören Ingeborg. Verstehst du das?«

An einem anderen Abend sprach er von seinem Sohn.

»Er ist ein eigenartiger Charakter, und sein Blut macht's ihm schwer, gerade emporzuwachsen. Man sollte die Rassen nicht vermischen. Immer hat der Erbe darunter zu leiden. Da spielt dem Jungen immer wieder das spanische Blut von der Mutter her einen Streich. Eben noch strengt er sich an, ganz Hamburger zu sein, ein festes Ziel ins Auge zu fassen und drauf los zu marschieren – da, eine Blutwallung, eine Erregung der Phantasie, und alles quirlt in Kreisen auseinander und um die Stabilität ist es geschehen. Links und rechts, jeder Weg lockt, als säße gerade dort ein wunderbares Geheimnis, dem man unbedingt auf den Grund kommen müsse. Als ob das Leben uns so viel Zeit ließe, zum Ziele zu kommen.«

»Er ist noch so jung.«

»Auch darin spricht das Blut der Mutter mit. Er ist mit seinen zwanzig Jahren gesellschaftlich durchaus gereift. Ganz kavaliermäßig. Und daher ist es schwer, ihn zu ziehen.« »Zeig ihm deine Liebe, Karl.«

»Das möchte ich. Und ich will auch, denn ich habe ihn von ganzem Herzen lieb. Aber erst muß er werden, wie ich es will. Davon kann ich nicht abgehen. Sein Charakter muß nach einer Seite hin Farbe bekennen, und das ist die meine. Ich kenne keinen furchtbareren Gedanken als den: der Besitzer von K. R. Twerstens Werft könne einmal ein Schwächling sein, oder doch ein Mensch, der das eiserne Zupacken, wenn es gilt, einer weichmütigen Regung wegen unterlassen könnte.«

»Vielleicht hat das Leben eine andere Schule für ihn in Bereitschaft.«

»Ich möchte sie ihm ersparen, Ingeborg. Denn die andere Schule könnte nur die sein, daß ich eine Zeitlang die Hand von ihm zöge. Und dann bin ich auf den Zufall angewiesen. Das ist ein Faktor, den ich in meinen Rechnungen nicht kenne. Robert wünscht nicht das Polytechnikum zu besuchen. Weil er sich als fix und fertigen Menschen betrachtet, scheint ihm der Gedanke, noch einmal ein paar Jahre hinter Schulbüchern verbringen zu müssen, unerträglich. Da lehnt sich das unruhige spanische Blut in ihm auf. Er möchte in die Welt, welche die Mutter ihm so verheißungsvoll schildert. Diese armselige Welt.«

»Und es geht nicht ohne das Polytechnikum?«

»Dem Chef dürfen keine Kenntnisse fehlen, die seine Untergebenen besitzen. Denke doch, heute, im Zeitalter der Technik, die jeden Tag neue Erfindungen hervorruft. Er würde vor lauter Wundern stehen. Und für uns heißt es: Sofortige Enträtselung, Prüfung, Indienststellung. Schach der ausländischen Konkurrenz! Ein Blitz und ein Schlag! Und unsere Ingenieure müssen wissen, daß der Herr sie versteht, wenn sie Vortrag halten. Das allein spornt sie zur Entfaltung aller ihrer Kräfte an. Und die muß ich haben.«

Im Twerstenschen Hause in der alten Rabenstraße lief die Aufregung treppauf, treppab. Das Gesinde hatte brennende Wangen und fieberhaft glänzende Augen. Kein Stäubchen ruhte auf den Möbeln, kein Fleckchen haftete an Silbergeschirr und Kristall. In den Kaminen prasselten die Feuer. Das ganze Haus war von Wärme erfüllt.

Und nun standen sie im Flur des Hauses aufgebaut: der Diener, die Köchin, das Stubenmädchen und das Drittmädchen und stießen sich an in erregter Erwartung. Ein Wagen rollte heran. Da hielt Friedrich schon. Der Diener sprang hinzu und riß die Tür auf. Twersten Vater und Sohn stiegen aus. Sie streckten die Hände in den Wagenschlag. Weiße Pelze kamen zum Vorschein, ein elfenbeinfarbiges Gesichtchen mit blutrotem Mund und übermütigen, tiefschwarzen Augen. Angèle Twersten war heimgekommen.

»Gnädige Frau! – O liebe, gnädige Frau –«

Sie stand, von den Dienstboten umdrängt, im lichterhellen, teppichbelegten Flur und ließ sich die Hände küssen. Ihre zierliche, biegsame Figur reckte sich. Ihre Augen funkelten vor Freude. »Seid ihr alle gesund?« fragte sie mit ihrer hellen Kinderstimme, der der fremdländische Akzent eine süße, zitternde Weiche gab. Und sie lachte jeden der Dienstboten an, als gälte jedem das Lächeln allein. »Ja, ja! – Gnädige Frau, darf ich den Pelz –? Den Schal? Wenn gnädige Frau jetzt ins Ankleidezimmer befehlen –?«

Selbst die Köchin lief hinterdrein, um ein paar Handleistungen tun zu dürfen.

»Wie schön sie ist, wie schön –«

»Ach,« rief Angèle, »laßt die Koffer zu. Ich mag die Kleider nicht mehr tragen. Morgen schenke ich sie euch. Anna, du öffnest den Schrank und gibst mir das dickste, dickste, wärmste Hauskleid. Ihr lebt ja hier in Sibirien! Wer zieht mir die Schuhe aus? O, meine armen, kalten Füße.«

Sie knieten vor ihr und zogen ihr die Stiefelchen ab. Und rieben mit ihren großen Händen diese kleinen, zärtlich sich schmiegenden Kinderfüßchen und stammelten dabei vor Freude. Es ging etwas von dieser Frau aus, und es war das rein Weibliche, das nichts anderes sein wollte, als dies Weibliche, womit sie die Menschen um sich her blind verliebt und blind ergeben machte.

»Ach, ihr Mädchen, zieht mich aus. Habt ihr euch gefürchtet ohne mich? Habt ihr euch nach mir geängstigt? Ihr dummen Mädchen, ihr!«

Und sie stammelten als Antwort immer nur die paar Worte: »Gnädige Frau – – Ach Gott, gnädige Frau.«

Eine halbe Stunde wohl ließ sie sich verwöhnen. Dann huschte sie, gefolgt von den Mädchen, durchs ganze Haus. Selbst in die Küche steckte sie den Kopf, um den die schweren schwarzen Lockenringe tanzten. »Brav, Julia. Nicht wahr, ich brauch' mich um nichts zu bekümmern?«

Und die Köchin rieb sich die Hände an der Schürze, die prall auf den Hüften saß, und schüttelte heftig den Kopf und lachte.

Twersten saß im Teezimmer, und Robert saß bei ihm. Sie huschte zu ihnen hinein und saß zwischen ihnen.

»Ihr müßt mich nicht ansehen, ihr beiden. Wie elegant ihr seid. Ordentlich feierlich. Und ich habe nichts mehr anzuziehen.«

»Reizend bist du, Mama.«

»Du großer Mensch. Und mir an Bord so um den Hals zu fallen! Ordentlich schämen mußte ich mich, einen so großen Sohn zu haben.«

»Sie haben mich für deinen Bräutigam gehalten, Mama.«

»Sieh mal, wie er schmeicheln kann, der Kleine. Er ist doch noch ein Kind. Nein, so ein hübscher, großer Mensch!«

»Ach, Mama, du bist ja gar nicht älter als ich.«

»Nicht? Ich glaube es selbst fast. Und nun darfst du mir noch einen Kuß geben.«

Sie hielt ihm den Mund hin, und Robert küßte sie ungestüm.

»Genug, genug ... ihr Deutschen seid Wilde ...«

Sie strich sich die Locken in den Nacken, der schlank und flimmernd aus dem Kleide herausleuchtete, und ihr Blick glitt prüfend über den Hausherrn.

»Nur der Papa macht eine Ausnahme. Gebändigte Kraft. Verhaltene Energie. Selbst sein Gesicht darf nicht anders, als er will. O Gott, es muß schwer sein, sich so zu beherrschen. Sehr schwer, und gar nicht amüsant. Weshalb also erst?« Und nun lachte auch Twersten.

»Wenn Papa lacht,« fuhr sie fort und legte blinzelnd den Kopf auf die Seite, »ist er ein Jüngling. Wie schön sein Haar ist. Und diese aparte, graue Farbe. Das kontrastiert wundervoll zu dem dunkeln Bart. Kein anderes Haar würde dich so kleiden. Gestehe es, daß du es weißt, und daß du sehr, sehr eitel darauf bist.«

»Fühlst du dich wohl bei uns, Angèle?«

»Das müßt ihr mich in drei, vier Monaten fragen. Wenn ich nicht davongelaufen bin, fühle ich mich wohl und ihr habt die Antwort. Klopft jeden Morgen an meine Tür und ruft durchs Schlüsselloch: Angèle, bist du auch noch da?«

»Schön, ich werde jeden Morgen, bevor ich zur Werft fahre, anfragen.«

Sie wehrte erschrocken mit beiden Händen.

»Das nennst du Morgen? Wenn du zur Werft fährst? Das ist ja Nacht, tiefste, dunkelste Nacht? Hältst du mich für einen Nachtwächter, Carlos? Nun will mir diese entsetzliche Werft selbst mein bißchen Nachtruhe rauben!«

»Du brauchst dich nicht zu ängstigen, Angèle. Sie wird dich weder bei Nacht noch bei Tag beunruhigen.«

»O, darauf mußt du mir dein Wort geben, Carlos. Dein Wort als – wie sagt man – als: ehrbarer Hamburger Kaufmann.«

»Das wäre wirklich Kraftvergeudung. Denn die Werft existiert ja gar nicht in diesem Köpfchen. Sie ist ja eine Mythe.«

Nun wurde sie ausgelassen. Die Teestunde war vorüber, und sie lief an den Flügel und spielte spanische Tänze, und ihre Schultern tauchten auf und nieder zu den Klängen des Fandango.

»Das ist Feuer. Das ist Schwung. Wißt ihr so zu tanzen in eurem Hamburg?« »Mama, ich möchte mit dir tanzen!«

»Ja, ja! Komm! Ach – der Bob – –.« Und nun wurde sie müde wie ein Kind. Sie duckte sich zusammen, blinzelte ins Licht und klopfte sich mit den Fingerspitzen an den Mund. »Wenn ihr mich nicht zu Bett gehen laßt – schlafe ich ein.«

»Soll ich dich hinaufbegleiten, Angèle?«

»Nein – die Mädchen. Anna soll mich – zu Bett bringen. Ich will euch – einen Gutenachtkuß geben. Nein – zwei solche Männer!«

Und plötzlich war sie bei ihnen, küßte sie beide aufs Haar und war hinaus. Droben aber, in ihrem Schlafgemach, das sie allein inne hatte, lachte und plauderte sie noch bis Mitternacht mit den Mädchen, die ihr das Haar lösten und banden, sie in ihr langes, weißes Nachtkleid hüllten, in dessen Spitzengewoge sie verschwand, und alle die hundert Handreichungen versahen, die unermüdliche Dienerinnen bei einer schönen, verwöhnten Frau versehen.

»Denkt euch, die Carmelita – im letzten Hafen ist sie auf und davon. Heimweh? Verliebt war sie in einen jungen Franzosen, der das Schiff verließ. Konnte sie ihre Gefühle nicht bis Hamburg aufsparen? Nun war ich ohne Kammerjungfer.«

»I gitt, in einen Franzosen? Das sind doch Don Juans.«

»Und da haben gnädige Frau ganz allein fertig werden müssen? Ach Gott, die arme gnädige Frau!«

»Es war ein Glück, daß wir wenige Tage darauf in Hamburg waren. Ganz abgemagert bin ich von all den Anstrengungen.« »Liegen gnädige Frau so gut? Soll ich noch eine Decke über die Füße legen? Das Kissen etwas höher?«

»Danke, ihr Mädchen. Wie schön das ist – ah! Wie schön –« Und sie schlummerte ein.

Sie standen mit vorgestreckten Köpfen und hielten den Atem an und bestaunten das Menschenwunder in den weißen Kissen, den elfenbeinfarbenen Teint, den granatroten Mund, die langen Wimpern und das schwarze, duftende Haar. Und auf den Fußspitzen schlichen sie in die Mädchenkammer und tuschelten die Nacht hindurch erregt und sagten einander dasselbe wohl zwanzigmal. –

Die Unruhe war in das stille Twerstensche Haus gezogen. Sobald der Hausherr mit seinem Sohn zur Werft gefahren war, trat jäh der Umschwung ein. Dann erwachte Angèle, träumte noch ein wenig mit offenen Augen und klingelte nach ihrer Schokolade. Im Bette nahm sie das erste Frühstück, und es war ein Trällern im ganzen Hause, in der Küche und auf den Treppen. Friedrich und die Pferde hatten heiße Tage in der Winterkälte. Um elf Uhr fuhr Angèle in die Stadt, zu den großen Geschäften am Jungfernstieg und am Neuen Wall. Die Verkäufer unterbrachen ihre Arbeit und eilten herbei. Wo sie stand und ging, war ein Kranz dienstfertiger Menschen um sie herum. Sie befahl nie, sie wünschte nur. Aber diese Wünsche, von einem kleinen, reizenden Lächeln, von einem Blick der dunklen Augen unterstützt, wogen schwerer, als Befehle. Frau Angèle Twersten bedienen und zufriedenstellen zu dürfen, galt als eine Bevorzugung. Nie war sie vergnügter, als wenn sie ihre geheime Macht gewahrte.

Gleich in den ersten Tagen machte sie ihre großen Besuchsrundfahrten. Zunächst bei den Damen, die, wie sie, aus südlicheren Zonen Hamburger Patriziersöhnen als Gattinnen gefolgt waren. Dann auch in den Häusern der Großkaufleute, die sich durch Reichtum und soziale Stellung vor der Masse der Gesellschaft auszeichneten, einen Staat im Staate bildeten. Auch bei Brambergs fuhr sie vor, traf aber nur den Hausherrn daheim, der es sich, weil sie behauptete, mit jeder Minute geizen zu müssen, nicht nehmen ließ, sie im Wagen bis zum nächsten Ziel zu begleiten. Er bat, warten und an ihrer Weiterfahrt teilnehmen zu dürfen, da er nie eine bessere Verwendung seiner Zeit gewußt hätte, aber sie schickte ihn fort und kettete ihn dadurch um so fester.

Und nun ergoß sich der Strom der Besucher in das Twerstensche Haus. Den ganzen Tag stand irgendeine Equipage vor der Einfahrt, saß eine hübsche Frau, saßen die korrektgekleideten Herren des Hamburger Welthandels in den weißen Seidenkissen des Empiresalons und atmeten den feinen, fremden Duft, der durch die Räume wehte. Zur Dinerstunde war Frau Angèle fast immer unterwegs. Jeder bestand darauf, sie einmal als Schmuck an seinem Tische zu wissen, diesen prickelnden Reiz zu fühlen, und ein jeder hielt sich für ihren besten Freund und Vertrauten. Abends zeigte sie sich im Kreise ihrer Bekannten in den Logen der Theater, auf den Balkons der Konzertsäle. Und nach den Kunstgenüssen fand sich stets eine kleine, auserlesene Gesellschaft in den Soupierzimmern der vornehmen Hotels zusammen.

So kam es, daß Karl Twersten oft Tage hindurch seine Frau nicht sah. Sie hatte sich für die Abende Robert ausgebeten, der mit leidenschaftlicher Freude den Kavalierdienst bei seiner Mutter vollzog. Wenige Tage vor Weihnachten, an einem Sonntagmorgen, trafen sich die Gatten im Frühstückszimmer. Twersten hatte sich die Zeitungen hierher bringen lassen und Order erteilt, seine Frau beim Erwachen von seiner Anwesenheit zu verständigen.

Sie kam, taufrisch wie eine Rose, in einem langen weißen Gewand, das ihre Füße umschmeichelte und das sie vorn mit einer graziösen Bewegung eine Hand breit hob.

»Es scheint dir gut zu bekommen, Angèle, dies atemlose Leben.«

»Nicht schelten, Carlos. Auch der Tanz macht atemlos, und doch gibt es nichts Schöneres.«

»Ich schelte ja gar nicht. Und über den Geschmack läßt sich nicht streiten. Wir sind zu – nun sagen wir: zu erwachsen, um uns noch gegenseitig zu erziehen. Jetzt muß jeder seinen Weg kennen.«

»Es ist lieb von dir, Carlos, daß du endlich denkst, wie ich. Aber du hattest einen Wunsch –?«

»Ich –?« – Er schob ihr einen bequemen Fauteuil hin. »O nein. Ich nicht. Aber es ist Weihnachten in Sicht, und da gedenkt man gern der Wünsche anderer. Lies mir also deinen Wunschzettel vor. Du hast ihn doch bei dir?«

Sie lag zurückgelehnt, ließ die Fußspitzen spielen und schaute zur Decke auf. Sie überlegte ... Und nur ein-, zweimal streifte sie ihn mit einem raschen, beobachtenden Blick. Er ließ sie lächelnd gewähren und faltete die Zeitungen zusammen.

»Nun, Angèle? So viele Wünsche – oder etwa – gar keinen?« »Doch!« – Das Spiel der Fußspitzen hörte auf. Nun war es ganz still im Zimmer.

»Das muß ja ein ganz außergewöhnlicher Wunsch sein,« meinte Twersten. »Die Vorbereitungen sind vielversprechend.«

»Willst du ihn mir erfüllen? Bitte, sage ja! Nein, nein, zuerst ja sagen.«

»Sei nicht kindisch, Angèle. Was hast du auf dem Herzen?«

»Ich möchte – mir selbst etwas kaufen.«

»Das ist es? Nun, wie du willst. Es vermindert nur die Freude des Schenkenden. Ich werde dir also einen Scheck über zehntausend Mark ausstellen. Zufrieden?«

»Fünfzigtausend Mark – –.«

»Wie meintest du?« fragte er nach einer beklemmenden Pause.

»Fünfzigtausend. Und weiter nicht fragen, Carlos.«

»Wofür?« Seine Stimme hatte einen harten Klang. »Bei einer solchen Summe darf ich wohl wissen, wofür?«

Ihr Gesicht bekam einen trotzigen Ausdruck. »Verdirbst du mir schon die Freude? Nun, ich – ich habe Perlen gekauft.«

»Die Perlen stammen aus eurem Familienschatz. Weshalb willst du mich belügen, Angèle?«

Sie stampfte mit dem Fuß auf, daß eine Frisur ihres Rockes riß. Mit einem Ruck riß sie sie ganz ab und beugte dabei tief den Kopf. »Ich lüge nicht, und du bist nicht mein Vormund.«

»Darüber sprechen wir ein anderes Mal.«

»Nein, darüber sprechen wir weder ein anderes Mal noch heute.«

»Angèle, du hast Schulden? Frau Angèle Twersten hat in Santiago Schulden hinterlassen?«

»Nun ja,« sagte sie kalt, »damit deine Buchführung wieder stimmt: ich habe Schulden.«

Er trat an den Fauteuil heran und beugte sich über sie, daß ihre Augen ihm nicht mehr ausweichen konnten.

»Du hast – gespielt? Lüge jetzt nicht mehr. Du hast es trotz deines Versprechens wieder getan.«

Sie schloß vor seinem Blick die Augen und gab keine Antwort. Da richtete er sich auf und ging durch das Zimmer bis zum Fenster.

»Ich wundere mich ja auch nur über eins. Daß du über dein Tun gar keine Scham empfindest.«

»Ich hätte ja ebensogut gewinnen können,« sagte sie trotzig und weinerlich.

»Laß das.« Es zuckte wie Verachtung um seinen Mund. »Wem schuldest du?«

»Onkel José hat die Sache für mich geregelt.« Und sie wurde wieder lebhaft. »Es eilt nicht, Carlos.«

»Ich werde Onkel José morgen die Summe überweisen. Geschieht es noch einmal, daß du spielst und dein Wort brichst, laß ich dich unter Kuratel stellen. Und du weißt, ich halte Wort.«

Sie war aufgesprungen. Ihre feinen Nasenflügel bebten. Kampfbereit stand sie ihm gegenüber.

»Ich bin so viel wie du! Und ich bitte das nicht zu vergessen.«

»Du sprichst von deinem Vermögen,« sagte er kalt, »und dein Vermögen habe ich vergrößert.«

»Ah, und was weiter? Ist das nicht selbstverständlich? Wozu bin ich denn verheiratet, wenn mein Mann nicht einmal dafür sorgen sollte. Denn bei Gott, sonst bist du doch mit deiner Werft verheiratet und nicht mit mir.«

Karl Twersten sah sie an. Keine Miene zuckte in seinem Gesicht, und dieser Blick verwirrte sie.

»Wir wollen nicht untersuchen, Angèle, wer von uns beiden mehr mit dem anderen verheiratet ist.«

Sie schüttelte die Hände in der Luft. Ihre Armspangen klirrten.

»Auch das noch! Ich hätte es erwarten sollen. Die alte Mißgunst, an die ich nachgerade gewöhnt bin. Kann ich dafür, daß ich lieber gesehen bin als du? Daß die anderen Herren nicht so fanatische Geschäftsmenschen sind, wie du, und Auge und Sinn für Schönheit und Fröhlichkeit besitzen? Gönnst du mir selbst die unschuldige Freude nicht, mich verehrt zu sehen und den Menschen für ihre Verehrung ein bißchen gut zu sein? Ich könnte dir andere Frauen nennen, bei deren bloßer Namensnennung du blaß wirst vor Verehrung, und tun sie weniger Schlimmes als ich? Nun antworte mir, bitte.«

Karl Twersten ließ nicht den Blick von ihr. Aber ein mitleidiges Lächeln ging um seinen Mund.

»Man muß es dir erst sagen, Angèle, damit du es verstehst. Es ist etwas anderes, ob eine Frau ihr Herz verzettelt, oder ob sie es verschenkt. Das eine sind wertlose Fetzen, das andere ein ganzes ungeteiltes Gut. Vielleicht denkst du einmal darüber nach und richtest dich danach ein. Bevor auch dein Herbst kommt.«

Sie zuckte leicht die Achseln und ließ sich in den Sessel sinken.

»Überlasse das meiner Sorge. Bitte. Ich möchte nur festgestellt sehen, daß die Vermögensverhältnisse mir gestatten, ja mir sogar die gesellschaftliche Verpflichtung auferlegen, als Frau Karl Twerstens so zu leben, wie ich es für angemessen halte. Ich bin kein Dienstbote, sondern gottlob eine gleichberechtigte Frau.«

»Kommen wir zum Schluß,« meinte Twersten steif. »Du weißt scheinbar nicht, was du sagst. Gewiß sollst du als Frau Karl Twerstens nicht klein dastehen. Du sollst so groß sein, wie mein Vermögen. Aber ein Vermögen hat doch wohl nur dann Existenzberechtigung, wenn es arbeitet.«

»Köstlich! Ich brauche doch wohl nicht zu arbeiten?«

»Wer keine Pflichten hat, hat auch keine Rechte. Sollte sie nicht haben.«

»Was heißt das? Deine Werftangelegenheiten interessieren mich nicht, und meine Feierabendteilnahme an deinen Sorgen und Plänen würde nur sehr fragwürdiger Natur sein. Im Gegenteil, ich hätte deine Teilnahme zu erwarten.«

»O,« sagte Twersten, »ich dachte, ihr Frauen fordertet Gleichberechtigung. Ich vergaß. Nur dort, wo sie euch paßt. Nun, lassen wir vorläufig alles beim alten und wünschen wir uns einen Guten Morgen.«

Er ging steif aufgerichtet, mit einem kurzen Kopfnicken. Und sie wußte nicht, ob sie erlöst auflachen oder einem jähen Zorn nachgeben sollte. Dann lachte sie, aber der Zorn zitterte hindurch.

»Ich danke dir, Carlos. Für das erbetene Geld und für die unerbetene Sonntagspredigt.« – –

Sie hörte ihren Sohn draußen nach ihr fragen. »Wo steckst du, Mama?« »Hier, Bob – hier!«

Er kam und küßte sie stürmisch. Und sie hielt seinen Kopf fest in ihren Händen.

»Ei, Mama, noch nicht angezogen?« verwunderte er sich. »Was ist denn das? Friedrich spannt schon ein. Wir wollen doch Korso rings um die Alster fahren.«

»Ich mag nicht mehr,« murmelte sie. »Ich wollte, ich wäre geblieben, wo ich war.«

Und plötzlich drückte sie den Kopf an den Arm des Sohnes und weinte mit der zähen Heftigkeit eines Kindes.

»Mama! Aber so höre mich doch. Mama! Was ist denn nur? Hast du Unangenehmes gehabt? Mit – mit Papa?«

Sie schluchzte wild auf. Und er streichelte sie unaufhörlich.

»So sprich doch, Mama.«

»Was weiß er denn vom Leben,« stieß sie hervor, »dieser Mann? Sind denn seine Maschinen Leben und seine Schiffsrümpfe? Er sagt es, und ich glaube es nicht und lache darüber. Was weiß er denn von Jugend, und daß es nichts Schöneres gibt, als sie festzuhalten und sie immer wieder zu erneuern? Nichts, nichts! Er ist ja selbst nie jung gewesen, nie in seinem Leben. Wie will er sich da anmaßen, uns zu verstehen? Ja, uns! Denn dich, du armer lieber Junge, versteht er ja auch nicht. Nur sich – o, sich! Zu unser aller Bestem! Aber wir wissen selbst, was unser Bestes ist, das fühlen wir in unseren Fingerspitzen, wir, nicht wahr, Bob? Und – ach Gott, nun muß ich schon wieder lachen – wir lassen das Beste in uns nicht unterdrücken, auch von diesem Tyrannen nicht. Wir laufen ihm davon, Bob. Fort aus dieser Nebelstadt. Immer ins Leben und in die Sonne hinein.«

»Nun beruhige dich, Mama. Ich bin ja bei dir.«

»Hast du mich sehr lieb?«

»Unsagbar, Mama.«

Er saß auf der Armlehne des Sessels und hielt sie umschlungen. Er kannte keine schönere Frau als seine Mutter.

»Mit nach Kuba mußt du,« begann sie, und ihre Augen leuchteten auf, als sie die Heimat nannte. »Nein, ich verspreche dir, du sollst nicht noch einmal in die Schulstube. Auf Kuba heiraten die Herren deines Alters bald. Jedenfalls gelten sie jeder Dame als Ritter. Was ist das für ein Dasein dort! Die Luft zittert von der Sonne und das Blut zittert und man spürt es, daß man da ist und nicht beiseite steht, und man hört das Leben rufen und ruft mit hinein. Ach du, sie können Feste feiern, meine lieben, lieben Landsleute. Stolz wie ein Spanier und heiß wie ein Spanier. Und ihre Ritterlichkeit ist ohne Grenzen und ihre Verehrung der Damen die von Pagen, so sehnsüchtig und so ehrerbietig zugleich. Dort würdest du dich finden, mein schlanker, großer Junge, und du würdest ganz große Augen machen, wenn du all die Schönheit auf dich zukommen sähest, als hätte sie nur auf dich gewartet. Ein einziger Tag mit seiner Sonne und eine einzige Nacht mit ihren Geigen und Kastagnetten – und Hamburg läge hinter dir in seinem nebligen lärmenden Hafen versunken und vergessen.«

Die Begeisterung der Mutter sprang auf den Sohn über und entzündete seine Sinne. Ganz deutlich vernahm er, wie das Leben des Südens, das ihm einen Blutstrom mitgegeben hatte, seinen Namen rief. Wie man verlorengegangenen Kindern ruft. Und in dieser Stunde, an die schöne heißblütige Mutter geschmiegt, fühlte er sich zugehörig und spürte nichts von dem schweren Blut des Vaters. Des Vaters, der ja gar nicht wußte, was Jugend war und was sie begehrte. Ein Bild schlich sich ein. Er sah das Wohnzimmer des Vanheilschen Hauses. Der Alte saß verklärten Auges am Klavier. Und die Seinen schlangen einen Reigen und sangen dazu. Schön war es gewesen, aber doch nur philisterhaft schön. Aus der Fülle des Gemüts, aber nicht aus der Fülle aller Sinne.

»Komm, Mama. Nun gerade wollen wir spazieren fahren. Wen's nicht freut, dem zum Leid.«

Sie war schon gewonnen. »In einer Viertelstunde bin ich wieder da!« Und das Kleid raffend, eilte sie, alle ihre Mädchen laut bei Namen rufend, die Treppe hinauf. –

Winterklar war der Tag. Große blitzende Eisschollen trieben im Alsterbecken, und wie weiße Federwolken schwirrten die Möwenschwärme darüber hin. Die Spaziergänger trugen heitere Sonntagsgesichter zur Schau. Die Kutscher der herrschaftlichen Equipagen, die in langem Zuge die Fahrstraße an der Außenalster belebten, bliesen feiertäglich die Backen auf.

Robert Twersten lehnte mit kühlem Gesichtsausdruck, der ihn älter erscheinen ließ und ihn seinem Vater ähnlich machte, neben Frau Angèle im Fond des Wagens. Er fühlte sich als Begleiter der schönen Frau beobachtet, und er begegnete den Blicken mit dem Gleichmut, der von Gewöhnung reden soll. Wenn er grüßte, tat er es mit einem liebenswürdigen Lächeln, das um keine Linie zu weit ging.

Sie hatten viele Bekannte zu begrüßen, die alle den schönen Wintermorgen benutzten, um zu sehen und gesehen zu werden. An einer Straßenkreuzung trafen sie auch das Gefährt Theodor Brambergs, der selbst kutschierte.

»Eine Stunde Oper heute abend? Ja?« rief er hinüber.

Frau Angèle nickte ihm zu.

Vom Fußweg scholl ein Anruf.

»Guten Morgen, Bob. Du kommst doch heute abend? Guten Tag, gnädige Frau!«

»Wer war das, Bob? Hübscher, flotter Mensch.«

Robert Twersten war bei dem lauten Gruß aufgefahren. Er vergaß seine kühle Ruhe und winkte mit beiden Händen.

»Wer das war, Mama? Das war Marga Vanheil und ihr Bruder Fritz. Du weißt doch, Jugendfreunde.«

»Das Mädchen scheint mir eine feine, kluge Natur. Aber der junge Mensch hat Rasse.«

»Er ist der fidelste Student, der je auf deutschen Hochschulen war, Mama. Er zieht nur sein Examen so lange hin, um nicht schon ins Philistertum zu müssen.«

»Das gefällt mir. Was rief er wegen des heutigen Abends?«

»Er schrieb mir gestern, daß er in die Weihnachtsferien gekommen sei und lud mich auf heute abend zu sich ein.«

»Ich denke, du begleitest mich in die Oper?«

»Ich habe den Vanheils gestern schon schriftlich zugesagt. Was befiehlst du, daß ich tun soll, Mama?« »Nun,« meinte Frau Angèle lächelnd, »wir können ja unsere Wünsche miteinander verbinden. Du telephonierst deinem Freunde und deiner Freundin, ich ließe sie als meine Gäste in unsere Loge bitten, und später nehmen wir ein kleines hübsches Mahl bei Pforte ein. Du könntest dann gleich telephonisch ein Zimmer reservieren lassen.« – –

Fritz Vanheil war in strahlendster Laune. Zuerst hatte Theodor Bramberg, den er nicht leiden mochte, ihm in der Loge den Platz hinter dem Stuhle Frau Angèles räumen müssen, und er konnte nach Herzenslust die feine, flimmernde Nackenlinie der »teufelsmäßigen Kubanerin« bewundern, deren duftiges Haar sein vorgeneigtes Gesicht fast streifte, wenn sie sich mit einem leisen Wort, einer diskreten Bewegung seiner still neben ihr sitzenden Schwester Marga zuwandte. Dann aber – und das war für ihn der Hauptschlager der Oper – wurde nach dem zweiten Akte geräuschlos aufgebrochen. Wenige Minuten später hielten die Wagen vor dem Portal des Restaurants Pforte. Ein eleganter, taghell erleuchteter Raum nahm die kleine Gesellschaft auf.

»Sie scheinen mir kein allzu großer Freund der Musik,« fragte Frau Angèle den fröhlichen Studenten, der augenblitzend an ihrer Seite saß. »Und doch ist es eine ganz deutsche Oper.«

»Gewiß liebe ich die Musik,« lachte Fritz Vanheil, »und in jeder Gestalt. Fragen Sie Bob. Aber diese Isolde und ihr Held Tristan seufzen den ganzen Akt hindurch, und wenn die Sache kritisch wird – fällt der Vorhang.«

»Unartiger Mensch. Sie würden natürlich nicht so anbetungswürdig zu seufzen vermögen.« »Wenn die Sache Hand und Fuß hat, gebe ich auch Seufzer in den Kauf. Aber es muß ja nicht sein.«

»Nein, es muß nicht sein,« lachte sie amüsiert.

Theodor Bramberg wünschte sich zur Geltung zu bringen.

»Man muß,« sagte er überlegend, »in Baireuth gewesen sein, um das Tristanmotiv in seiner ganzen erschütternden Tiefe zu verstehen. Erst dort und erst dann erschließen sich dem reifen Menschen die Mysterien, die nur für die Suchenden der Meister enträtselt hat.«

»So, so, so,« meinte der freche Student.

Frau Angèle drückte die Spitze des Fächers auf seine Hand. Ein unwiderstehlicher Lachreiz stieg in ihr auf.

»Weshalb so ernst, gnädige Frau? So viel Anteil an Held Tristans Geschick? Prosit!«

Da konnte sie nicht mehr. Sie legte den Kopf zurück und schmetterte ihr kinderhellstes Lachen heraus.

»Barbar! Greulicher Barbar! Aber Sie haben recht. Zwei lebendige Frauen sitzen hier. Da hat die tote Isolde das Recht verwirkt. Prosit!«

Und sie neigte graziös den Kopf, daß die schweren Lockenringe ihr in die Stirne fielen, und ließ ihr Glas an das seine klingen. Theodor Bramberg war verdutzt. Doch schnell entschlossen und in allen Sätteln gerecht, ergriff er die günstige Gelegenheit zu einem feurigen Trinkspruch auf die Damen.

»Männer Hamburgs,« rief er mit drolligem Pathos, »hier schlägt euch allen die Schicksalsstunde. Entweder hinein in die Mysterien dieser Frauenseelen, oder –«

»– raus,« vollendete kaltblütig der Student.

Theodor Bramberg hielt sich als korrekter Gentleman. »Ich habe sagen wollen: in den Tod,« bemerkte er, leerte sein Glas auf das Wohl der Damen und setzte sich. Der Abend war ihm verdorben. Erst nach geraumer Zeit vermochte er es über sich, sich wieder dem Gespräche zuzuwenden. Aber seine ganze Ergebenheit widmete er ausschließlich Marga Vanheil, die sich der Komplimente ihrer beiden Ritter kaum erwehren konnte. Denn ein geheimer Zwang zog ihren Blick immer wieder auf Frau Angèle. Auf Karl Twerstens in fremdländischer Schönheit erstrahlende Frau. Und inmitten der Fröhlichkeit verspürte sie ein seltsam schmerzendes Gefühl tiefer Trauer ...

Als ob sie etwas gut zu machen hätte, reichte sie plötzlich Robert Twersten, der ihr Wohl getrunken hatte, die Hand. –

Frau Angèle saß wohlig zusammengekauert in ihrem Sessel und ließ sich von dem Wildfang Vanheil das deutsche Studentenleben erklären. Und er schmückte es aus mit der unverwüstlichen alten Romantik. Mensuren blitzten auf. Ständchen erklangen vor schöner Mädchen Tür. Wirte kratzten sich verblüfft den Kopf. Und als Herr der Welt zog der Studio durch die Lande. Verliebt und sorgenlos.

Und nun begann sie selber zu erzählen. Von der fernen Heimatinsel im Karaibischen Meer, von der duftüberströmten Vaterstadt am smaragdenen Hafen. Und von den Menschen dort, die ebenso verliebt wären und sorgenlos wie ein deutscher Student. Sie sprach ganz leise, und es war fast ein Flüstern, daß der Hörer meinte, es gelte ihm allein. Und der weiche, träumende Akzent spann die Sinne ein und ließ das Herz ganz tolle, heiße Schläge tun. Vor Fritz Vanheils Augen, die entzückt die Worte von diesem granatroten Munde tranken, tanzten goldene Lichter. Um ein Lächeln dieses Mundes willen, das fühlte er mit einer namenlosen Wonne, hätte er sich in die Schlünde der Hölle schicken lassen.

Zum Abschied reichte sie ihm die Hand. Theodor Bramberg hatte um die Gunst ersucht, Fräulein Vanheil nach Hause fahren zu dürfen. Da hatte der Bruder der dritte zu sein. Er küßte Frau Angèle die Hand. »Ich verspreche es,« sagte er. –

Im Wagen fragte Robert Twersten Frau Angèle: »Was versprach Fritz Vanheil vorhin?«

»Nach Kuba zu kommen, wenn ich einmal wieder dort sein werde.«

Und sie lachte ganz jung und leise in sich hinein.

Kuba! – – – – –


 << zurück weiter >>