Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

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VIII

Es war, wie Robert Twersten es sich gedacht hatte. Die Fenster der Vanheilschen Wohnung waren erhellt, und als das Dienstmädchen ihm die Haustür geöffnet hatte, vernahm er im Hausflur schon leises Singen und Klingen.

»Uns ist ein Kindlein heut gebor'n,
Von einer Jungfrau auserkor'n,
Dies Kindelein, so zart und fein,
Das soll euer Freud' und Wonne sein.«

»Sind die Kleinen noch nicht zu Bett?« fragte Robert Twersten. »Es ist doch gleich neun Uhr.«

Und das Mädchen erwiderte lachend: »Der Papa ist doch gekommen. Der Herr Oberleutnant.«

Da wollte Robert Twersten umkehren. Aber die Tür zum Wohnzimmer öffnete sich einen Spalt breit, und Marga schaute heraus, winke ihm und legte den Finger an den Mund. Da folgte er auf den Fußspitzen.

Der alte Vanheil saß am Klavier. Den Kopf mit dem grauen Haarkranz dicht über die Tasten gebeugt, suchten die Hände die Melodie des weihnachtlichen Kinderliedchens zusammen. Die beiden Enkel, in dicken, weißen Nachthöschen, standen ihm zur Linken und zur Rechten, hielten sich an seinem Rockärmel und fangen mit ihren dünnen, schwankenden Kinderstimmchen tapfer drauf los, mehr den Tönen als den Worten folgend. Denn für die Worte sorgte Frau Henriette mit ihren Töchtern. Ganz andachtsvoll sang Frau Henriette, und unter dem weißen Scheitel leuchteten die Augen in dem junggebliebenen Gesicht mit denen der Enkelkinder um die Wette.

Der Offizier, in einen dunklen Zivilanzug gekleidet, stand hinter dem Klavier und nickte seinen kleinen Jungens den Takt zu. Und aus einer Zimmerecke heraus, tief in den Sessel gedrückt, lauschte der Buchhalter Rochus mit dem glattrasierten Gesicht und den von vieler Schreibarbeit rotgeränderten Augen.

Ein friedengesichertes, heimeliges Bild war es, das sich Robert Twersten erschloß, und er empfand es wie eine Wohltat. Und nun war das Lied zu Ende, und die Kinder wurden zum Gutenachtsagen herumgereicht und vom Mädchen zu Bett gebracht. Marga aber nahm ihren Jugendfreund bei der Hand und machte ihn mit ihrem Schwager und dem alten Buchhalter bekannt.

»Nur sage mir, Bob, wo hast du unseren Fritz gelassen? Wart ihr denn nicht im Theater?«

Und Robert erwiderte, daß sie ihre Plane geändert und einen Besuch in der Familie eines Werftarbeiters ausgeführt hätten, von der er hätte annehmen müssen, daß sie sich in Verlegenheit befände. Aber er hätte doch wohl nicht den rechten Ton für die Leute getroffen, und so sei Fritz zurückgeblieben, um die Mission zu Ende zu führen.

»Fritz als Missionar?« Und es war des Lachens kein Ende.

»Er wird sie mit einem Grog zu trösten versuchen,« meinte der alte Vanheil vergnügt, »oder mit einem feinen Stück aus seinem reichen Liederschatz. Geben Sie zu, Robert, daß Sie vor solcher praktischen Heilssorge die Flucht ergriffen haben?«

»Nun ja,« gestand Robert, »es sprach mit. Aber mehr doch noch die Begeisterung, mit der die Leute diese Heilslehren aufgriffen.«

»Ja, ja, ja,« sagte der Hausherr und verlor sich in Gedanken, »es gibt viele Bekehrungsarten.« ... Sie saßen im Halbkreis um ihn herum, und er erzählte: »Ich hatte bei Schwenzen, dem Schiffsreeder in Christiania, zu tun. Ganz still war es am Abend. Ich wanderte die Karl-Johannstraße hinauf, die zum Schlosse des Königs führt. In den Anlagen ergingen sich die Menschen. Vor dem Denkmal des Lyrikers Wergeland beobachtete ich einen kleinen Auflauf. Auf dem Sockel stehen vier Frauen und ein paar junge Männer in bürgerlicher Kleidung und singen voll Inbrunst norwegische Lieder. Sieh an, denke ich, so huldigt das norwegische Volk seinem Dichter, und etwas wie Rührung will mich beschleichen. Doch was ist das? Ein Jüngling tritt vor, hebt die Hände und hält ein langes Gebet. Beschwörend geht seine Stimme über die Köpfe der Versammlung, in der sich Matrosen und Arbeiter mit Herren und Damen der Gesellschaft mischen. Nun tritt er seinen Platz einem zweiten Jüngling ab, der sich psalmodierend als Laienprediger kundgibt. Von Saulus von Tarsus predigt er, aus dem zu Damaskus ein Paulus wurde. Und unermüdlich, wohl eine Stunde lang, in endlosen Wiederholungen, denen nur der Tonfall eine andere Färbung gibt, sucht er die Spaziergänger heranzuziehen und sie zu belehren mit der Erleuchtungsgeschichte des Saulus von Tarsus. Die Glocken verkünden die elfte Abendstunde und noch immer schallen Gebete und Choräle durch die Luft.

»Und am nächsten Abend, wie am vorigen. Nur ist eine Musikbande an die Stelle der Sänger getreten, die des Glaubens lebt, daß der Zweck die Mittel heilige. Denn ihre Mittel sind schauerlich. Der Lärm dringt bis in mein Gasthauszimmer und raubt mir den Schlaf. Mein Wirt zuckt die Achseln.

»›Norwegische Freiheit,‹ meint er. ›Es ist die Stadt-Mission. Früher hatten wir die Heilsarmee, aber sie mußte das Feld bald räumen.‹

›Weshalb?‹ fragte ich.

›Weshalb? Nun, die Stadtmission betet – lauter!‹«

Die Zuhörer lächelten und freuten sich an ihres alten Herrn Erzählerfreude. Und Martin Vanheil nickte still vor sich hin und fuhr fort: »Sie beten lauter. ... Da gedachte ich des Wortes: Wenn du beten willst, so gehe in dein Kämmerlein, und mache es nicht wie die Pharisäer, die auf den Gassen beten, damit das Volk sie hört! Wer in Christiania beten will, soll auf den Voksenkollen steigen oder hinausfahren auf die Fjords. Dort ist er seinem Herrgott am nächsten.«

Er schwieg und strich in Gedanken verloren über seine Knie.

»Ist es so schön dort?« fragte Robert Twersten leise. »Ich war als kleiner Junge dort und möchte die Erinnerung auffrischen.«

»So schön ...?« wiederholte Martin Vanheil und seine Züge strahlten. »Kein herrlicheres Wandern, als in der Morgenfrühe durch den einsamen Bergwald dem Gipfel zu. Noch weht Dämmerung zwischen den Stämmen, und durch die lautlose Stille läuft, fern nur, das Echo des eigenen Schritts. Du allein bist das Leben. Wenn du den Schutt hemmst, schweigt der Wald. Wenn du einen Ruf ausstößest, antwortet er dir mit aufjubelnden Stimmen.

Dort oben, irgendwo, zuckt ein Lichtlein auf und schwindet. Wieder und wieder. Nun ist es ein Strahl, der breit in den Wald fällt. Nun eine Flut von Sonne! Die Bäume treten zurück und bilden Spalier. Und ich schreite hindurch und stehe auf der Höhe von Voksenkollen. Einen Atemzug lang muß ich die Augen schließen. Nein, nicht die Sonne blendet. Es ist, als ob aus dem Dornbusch die Stimme riefe, die Moses befahl: ›Zieh die Schuhe aus, denn das Land, das dein Fuß betritt, ist heiliges Land. ...‹ Auf einem Felsvorsprung stehe ich wie auf einem Altar. Und tief unten zu Füßen und weit hinaus, so weit, wie sich der Horizont spannt, ein Stück Gottesnatur, die unberührt die Spuren bewahrte von der Erhabenheit ihres Schöpfers. Unabsehbar, bis an den feinen Rand, der den Ozean ahnen läßt, schlingen sich die klaren Fjords, und auf den stillen Wassern schwimmen die Inseln wie träumende Gedanken. Und in die schützende Bucht gepreßt, lauscht Christiania staunend in den Kranz von Schönheit hinaus. Hier wird das Schweigen die Sprache der Anbetung ...

Wer zählt die Stunden,« fuhr er fort. »Abend ist es geworden, und die Jacht, die fern in den Fjords kreuzt, trägt auch mich. Von den stillen Gestaden, von den kristallenen Wassereinsamkeiten geht ein Hauch aus, der den lauten Schlag des Heizens zur Ruhe zwingt und es dennoch seiner Kraft bewußt werden läßt. Ein Strom von Klarheit zieht in die Seele und entwirrt spielend, was die Gedankenarbeit in tagelangem Mühen nicht vermochte. Und heimlich recken wir uns in den Schultern...

Sehen Sie, Robert,« schloß er, »so schön ist es.«

Robert Twersten saß vornübergebeugt und horchte. Ganz eingesponnen war er von den Bildern, die der alte Kaufmann, den der Vater einen unrettbaren Idealisten nannte, aus dem Schatze der Erinnerungen hervorholte, das Familienheim damit zu schmücken. Die Lärmszenen aus der Niedernstraße waren wie weggeweht aus seinem Ohr. Und er empfand in dem Frieden, der in diesem Raum, unter diesen Menschen herrschte, mehr als den Frieden: Die Sehnsucht, auch hinauszufahren in die Welt, und alle diese Schätze zu heben und heimzubringen.

Da saß der alte Vanheil und streichelte seine Knie. War er nicht reicher als sein Vater daheim, als Karl Twersten, der große Werftbesitzer? Und machte er seine Familie nicht reicher? Oder waren es die Seinen, die ihn reich machten, weil sie seine Schätze als Lebensmünze nahmen?

Roberts Blick streifte heimlich den Kreis. Frau Henriette hatte die Hand auf die Schulter ihres Mannes gelegt, und ihr Auge tauchte lächelnd in das seine. Erikas Kopf lehnte leicht an der Brust des Offiziers. Der alte Buchhalter nickte in einem fort, als müßte er alle die Worte seines Chefs bestätigen. Und Marga hatte die Augen weit geöffnet und schien zu träumen.

»Ach,« sagte Robert Twersten, »reisen können! Reisen, wohin es einen treibt...«

»Das tut der Hafen.« Marga Vanheil träumte nicht. »Das bringen die Schiffe mit sich aus der Ferne und tragen es wieder hinaus. Aber die Schiffe gehen auch nicht, wohin es sie treibt. Sie gehorchen einem Steuer, und das ist gut so, Bob. Denn sonst würde unser hamburgisches Reisefieber in Krankheit und nicht in Gesundheit umschlagen.«

»Na, Schwägerin,« meinte der Offizier lachend, »in Seekrankheit wird's wohl meistenteils umschlagen.«

»Landratte,« spottete der Hausherr gemütlich.

»Nicht so stolz, Schwiegervater! Selbst Kameraden von der Marine haben mir erzählt, daß sie auf jeder großen Reise ihren Tribut zu zahlen haben, wenn auch in angemessener Form. Und du solltest nicht?«

»Einmal,« sagte Martin Vanheil und er schmunzelte, als ob es für ihn ein Vergnügen gewesen wäre. »Einmal.«

»Heraus mit dem Geständnis! Das soll uns Landratten gut tun.«

»Wie ihr wollt, denn ich habe wahrhaftig nichts zu bedauern. Also, in Bergen war's, und ich gehe an Bord des Dampfers und bedenke nicht, daß es ein Vergnügungsdampfer ist und daß der Himmel sich umwölkt und der Wind bereits Späße macht. Die Kabinen sind bis auf die letzte belegt, selbst Rauch- und Speisesalon in Schlafstätten umgewandelt. Nur in der Schiffsspitze ist noch ein Raum. Zweimal vier Betten werden übereinandergetürmt. Freiwillige vor! Menschen, die schon einmal in einer russischen Schaukel geschlafen haben! Ich melde mich. Sieben Tollkühne mit mir. O Gott!«

»Schon?«

»Abwarten. Wie wir es auch mußten. Bis wir nämlich aus den Fjords heraus waren. Nein, wie sich das offene Meer auf uns freute, und eine Riesenwelle gab uns an die andere zur Umarmung weiter, bis die arme Seele sich alles, aber auch rein alles gefallen ließ. ›Die zwei Kronen für das Abendessen.‹ sagte neben mir ein schwedischer Konsul, ›hätte ich füglich sparen können.‹ Sprach' s, und verschwand als letzter in seine Kabine.

Ich halte mich ehrlich wacker. Wißt ihr, mit so einem festgefrorenen Lächeln im Gesicht. Und ich steige die Treppe hinab in den Bauch des Schiffes und taste mich in die Schiffsspitze zu den hängenden Gärten der Semiramis, den acht Extrabetten. Die russische Schaukel ist im Betrieb. Auf ›eins, zwei!‹ sausen wir mit den Köpfen in einen Abgrund; auf ›drei, vier!‹ werden wir an den Beinen gen Himmel geschnellt. Es gibt Menschen, denen dieser auserlesene Scherz wenig Spaß macht. Humorlose Gesellen!

Ich wache auf. Drei Uhr nachts ist es. Draußen tanzen die Wellen Galopp. Haben wir in der Schiffsspitze einen Fanatiker unter uns? Sind wir auf einer Wallfahrt statt auf einer Vergnügungsfahrt? Ein Mensch kniet auf dem Schiffsboden und kasteit sich. Mit den Händen schlägt er gegen die Schiffswand, und der Kopf fährt hinterdrein wie ein Mauerstürmer. Mir graust es, wenn ich sein Antlitz sehe! Nun bewegt er die Lippen. Nun schreit er auf! Wie von Furien gepeitscht, ringt er die Hände vor Schmerzensgewalt. Aus allen Betten starren schreckensbleiche Gesichter auf den wildsingenden Sektierer. Ansteckend ist solch ein Wahn. Hier, dort wird eine Decke zurückgeschlagen. Zitternde Beine suchen den Boden, tragen schwankende Körper zu dem Rufer im Streit. Um mich herum sind die Betten leer. Sieben Stimmen vereinigen sich zu dem fanatischen Gesang über den Wassern. Sieben ...? Abergläubisch zähle ich – sieben? Zu einem Doppelquartett gehören – acht! ... Und es wurde ein Doppelquartett. – –

Aus den Kabinen aber schallt es zweistimmig und vierstimmig, im Rauchsalon übt ein Männergesangverein und im Speisesaal ein gemischter Chor. Der Sturm schüttelt sich vor Lachen, und die Seekühe brüllen vor Entzücken.«

»Genug, genug!« Der ganze Kreis wehrte lachend ab. Und der alte Vanheil lachte vor Behagen mit.

»Ja, das war's. Und wer, glaubt ihr, hat in der Morgenfrühe die wunderbare Einfahrt in den Hafen gesehen? Eine dunkle Sage lief um: Kapitän und Steuermann! – – Das also war das eine Mal!«

Sie wischten sich die Tränen aus den Augen und atmeten auf. Und dann lachten sie noch einmal, ohne neue Veranlassung, nur weil die Fröhlichkeit in diesem Zimmer von einem zum anderen lief.

»Scheußlich, scheußlich,« rief der Offizier. »Das ist ja die Vorschule zum Zukunftsstaat, die reine Gleichmacherei!«

»Ich meine, lieber Schwiegersohn,« erwiderte Vanheil, »da läge dir ein ander Bild näher. Es ist wie in der Schlacht. Da werden alle Zeltgenossen Brüder. Eine Kugel kommt geflogen – Gilt sie mir oder gilt sie dir –?«

»Bitte, dir!« wehrte der Offizier und schauderte.

Frau Henriette reichte ein Glas schwedischen Punsch herum. »Es ist wirklich Zeit, daß wir uns nach den überstandenen Strapazen stärken. Und jetzt wollen wir lieber an die stille Weihnachtszeit denken als an die wilde See. Nicht wahr, Kinder?«

»Die sorgsame Mutter,« nickte Vanheil und schlürfte langsam sein Glas aus. Dann streckte er im Sessel die Glieder.

Marga gewahrte es. Sie erhob sich, holte noch ein Kissen herbei und schob es ihm sacht in den Rücken.

»Mach' es dir ganz bequem, Vater.«

»Danke, Döchting. Ja, ich weiß nicht, ich bin jetzt des Abends immer so faul. Als wenn ich den ganzen Tag – Kisten genagelt und – und – Fässer aufgeladen hätte. Tja. Aber ich schlaf' nicht ein. Das braucht ihr nicht zu denken. Nur so ein paar Minuten den alten Rücken strecken – den Kopf anlegen – den Plappermund halten. – Nun sprecht nur, sprecht. Ich höre zu.«

Aber er hörte nicht zu. Die Augen schlossen sich, und er schlief ganz still in seinem Sessel ein.

Alle erhoben sich leise. Der alte Buchhalter Rochus etwas verlegen, der Offizier verwundert, und Robert Twersten mit einem fragenden Blick auf Marga.

Marga schüttelte den Kopf. »Nicht fortgehen,« sagte sie. »Er würde sehr bestürzt sein, wenn er aufwachte und fände euch nicht mehr vor. Es sind schwere Arbeitswochen. Und da nickt Vater am Abend zuweilen ein wenig ein.«

Martin Vanheil schlief. Seine Züge waren abgespannt, aber sein Atem ging ruhig, wie der eines Kindes. Und die Familie und ihre Gäste teilten sich in zwei Gruppen, damit das Gespräch weniger laut würde, und Frau Henriette ließ sich mit ihrem Schwiegersohn und ihrer Tochter Erika im kleinen Empfangssalon nieder, während Marga mit ihrem jungen Freunde und dem alten Buchhalter das Eßzimmer aufsuchte.

»Er wird jetzt so leicht müde,« flüsterte Marga dem alten Rochus zu, und der Vertraute des Hauses und der Firma nickte sorgenvoll.

Robert Twersten hatte sich mit einem Bilderwerk in die Fensternische gesetzt. Er empfand, daß er jetzt nicht stören dürfe und schlug lautlos Seite auf Seite um. Marga blickte zu ihm hin. Sie freute sich seiner zarten Rücksichtnahme, die so viel Familienzugehörigkeit bewies, und sie dankte sie ihm. Und sie beugte sich über den Tisch zu dem alten Buchhalter hin, und das Flüstern zwischen ihnen ging her und hin.

Einmal warf Robert Twersten einen Blick auf die Freundin. Und er bemerkte, daß auch ihr Gesicht ernst und sorgenvoll war. Das beunruhigte ihn, und er schlug die Seiten des Bilderwerks um, ohne die sauberen Stiche zu betrachten.

Marga hatte auf einem Papierschnitzel gerechnet, und der alte Rochus hatte die Berechnungen korrigiert. Das war mehrere Male geschehen. Dann pinkte eine Uhr.

Marga schob das Blatt Papier in die Tasche und reichte dem Alten die Hand.

»Es ist für Sie spät geworden, Herr Rochus. Sie haben den Schlaf auch nötig.«

»O nein, Fräulein Vanheil. In meinem Alter braucht man so wenig Schlaf.«

»Sie sehen es an meinem Vater. Und der ist zehn Jahre jünger als Sie.«

»Fräulein Vanheil,« sagte der Alte zutraulich, »so dürfen Sie nicht rechnen. Ihr Herr Vater ist der Chef und hat die Sorgen. Und ich habe jeden Monat mein gutes Salär, ob die Zeiten schwere oder leichte sind.«

»Als wenn Sie nicht an allen Sorgen der Firma Martin Vanheil teilnähmen, so, als ob es Ihre eigene Firma wäre!«

»Das tu' ich, Fräulein Vanheil, und es ist gewiß wahr. Aber bei mir ist es doch Liebhaberei, und ich habe keine Familie.«

»Bei Ihnen, Herr Rochus,« sagte Marga warm, »ist es Liebe. Sie brauchen sich wirklich nicht herauszureden.«

Der Alte putzte seine Brillengläser. »Wäre das so verwunderlich bei einem alten Mann, den man seit zwanzig Jahren so gut behandelt? Das müßte doch ein hartgesottener Sünder sein, der in der Luft von Martin Vanheils Haus nicht weich würde.« Er befestigte die Brille hinter den Ohren und sah aus den rotgeränderten Augen mit väterlicher Vertraulichkeit das junge Mädchen an.

»Und nun habe ich in Fräulein Marga eine so ausgezeichnete Schülerin in der Kaufmannschaft erhalten. Das ist doch auch eine Ehre.«

»Schön,« erwiderte Marga, »in diesen Dingen bin und bleibe ich Ihre getreue Schülerin. Aber in häuslichen Angelegenheiten müssen Sie, gerade in Ihrem Stande als Junggeselle, einer Frau gehorchen. Und diese Frau sagt Ihnen jetzt: Onkel Rochus, es schickte sich für Sie, daß Sie längst im Bett lägen. Dem Vater aber werde ich sagen, daß Sie eingeschlafen wären und nicht er. Da wird er Sie morgen gründlich necken. Also Gute Nacht, Herr Rochus, und morgen gehe ich wieder bei Ihnen in die Lehre.«

»Tja, Fräulein Vanheil, wenn das nun mal nicht anders ist, dann muß ich mich wohl leise drücken. Gute Nacht, Herr Twersten. Hat mich sehr gefreut. Gute Nacht, Fräulein Vanheil, und schönen Dank für den angenehmen Abend.«

Sie begleitete ihn hinaus, um ihm in den Überrock zu helfen, und kehrte nach wenigen Minuten zurück.

»Entschuldige, Bob. Aber es war nett von dir, daß du dich nicht gelangweilt hast.«

»Gelangweilt habe ich mich gar nicht. Aber beunruhigt.«

»Nein, Junge, dazu hast du doch am wenigsten Grund. Was beunruhigt dich denn? Erzähl es mir.«

»Ich beunruhigte mich nicht meinetwegen, Marga, sondern deinetwegen.«

»Ach, Bob, wenn es das ist! Dazu liegt wahrhaftig keine Ursache vor. Sieh mich mal an, ob ich nicht gesund bin.«

Und das große Mädchen stellte sich vor ihm auf und warf den Kopf in den Nacken und bog die Schultern zurück.

»Du bist sehr schön, Marga,« sagte Robert Twersten beklommen, und sein Auge streifte scheu und bewundernd ihre Gesundheit.

Sie setzte sich augenblicklich. »Danach habe ich dich nicht gefragt, Bob. Du mußt keine Dummheiten reden.«

»Ich glaube, ich habe in meinem Leben nichts Klügeres gesagt,« beharrte er.

»Bob,« und sie lachte ihn an, »du willst mir doch kein Geständnis machen? Du, mache deine Vorstudien, wo du willst, aber nicht an mir. Ich bin heute schon eine alte Jungfer.«

»Zuweilen,« sagte er, und ein ärgerlicher Zug erschien um seinen Mund, »möchte ich dich geradezu prügeln, weil du so albern mit mir herumspringst. Und zuweilen, siehst du, Marga, dann ist mir wieder so, als hättest du mich doch lieb und verstelltest dich nur.«

»Das ist möglich,« erwiderte sie und sah ihn fest an.

»Weshalb verstellst du dich dann?«

»Das weiß ich selbst nicht. Vielleicht denke ich: Schade, daß er nicht dreißig Jahre älter ist.«

»Um Gottes willen! dann wäre ich ja schon so alt wie mein Vater!«

»Aber auch solch ein Mann!«

»Man kann auch auf anderem Wege solch ein Mann werden.«

»Bitte, Bob,« sagte sie ernst, »werde es, auf den ›Weg‹ soll es mir nicht ankommen.«

Er schwieg und grübelte vor sich hin. Und sie betrachtete ihn und freute sich des energischen Zuges, den sie in seinem Gesicht entdeckte. Das war echt Twerstensche Prägung.

»Du könntest wohl mehr Zutrauen zu mir haben,« begann er endlich.

»Das wollte ich gern. Aber ich habe es ja nie zu dir verloren, Bob.«

»Ich sehe, daß du geheime Sorgen hast. Und ich sah auch, wie du mit eurem Buchhalter flüstertest und rechnetest. Was hast du?«

»Ich lerne die Kaufmannschaft. Und der alte Rochus ist mein Lehrer. Das ist alles.« »Das ist nicht alles. Und wenn du mich ein wenig gern möchtest, würdest du es mir sagen. Ich will ja nicht behaupten, daß ich dir mit meinen Kenntnissen helfen könnte –«

»Nein, das könntest du nicht. Jeder muß für sich lernen. Was dem einen groß und wichtig dünkt, dünkt dem anderen klein und nebensächlich. Und umgekehrt ist es genau so.«

»Nun, dann könntest du es mir sagen, damit ich wenigstens davon lernen könnte.«

Sie setzte sich aufrecht. »Ja, Bob, das wäre ein Grund. Und du hast ein gutes Wort gesprochen. Sieh – da ist heute unter den Frauen und Mädchen ein Drängen, aus den alten, engen Verhältnissen herauszukommen. Viele verstehen das falsch und meinen, es gelte, in glänzendere Verhältnisse hineinzukommen. Ich aber sehe diese Befreiung aus der Enge allein schon in der Betätigung. Da mögen die äußeren Verhältnisse dieselben bleiben oder nicht, wir schaffen sie uns durch unsere Arbeit selber und haben mit der Verantwortung auch unsere eigene Freude daran. Unsere Freude auch an den Sorgen. Denn wenn wir Frauen den Männern gleichberechtigt sein wollen, genügt es nicht, daß wir studieren und uns die Kenntnisse der Männer aneignen und damit großtun. Gleichberechtigung ist ein völliges Teilhaben an allen Lebenserscheinungen. Und an den Sorgen nicht zum mindesten. Nicht laut, weißt du. In der Stille. Als etwas Selbstverständliches, von dem man gar nicht spricht, was man bloß tut.«

»Und das tust du jetzt?« fragte Robert Twersten und sah achtungsvoll zu ihr auf. »So weit bin ich noch nicht, Bob. Aber ich suche hineinzukommen. Und eines Tages werde ich es erreicht haben.«

»Wenn es dir Freude macht –« sagte er langsam. »Freilich.«

Sie blickte ernst in das Licht der Lampe. Und dann wanderte der Blick weiter, zum Wohnzimmer hinüber, in dem der alte Vanheil im Sessel saß und schlief.

»Er ist müde geworden, Bob. Und er ist für uns müde geworden. Eines Tages wird jemand da sein müssen, der ihm die Last abnimmt. Seinetwegen und der gesamten Familie wegen. Aber in erster Linie: seinetwegen. Denn sein Lebensabend muß sein, wie es sein Leben war! Heiter und zufrieden. Wer käme da in Frage? Fritz nicht. Er ist Schiffsingenieur und wird zur Werft gehen. Mutter selbstverständlich nicht. Sie hat für uns alle die Haussorgen. Und Erika ist Offiziersfrau und hat einen jährlichen Zuschuß nötig, ohne den die Ehe nicht hätte geschlossen werden können. Bleibe ich übrig. Und wenn es mir gelingt, mich wie ein Mann in das Geschäft hineinzuarbeiten, um es später einmal für die Familie weiterführen zu können, so bezahle ich das vielleicht mit meiner Jugend, aber ich bezahle damit dem Vater alle seine Guttaten – die Guttaten für uns alle.«

Sie schwiegen beide.

»Hast du das eingesehen, Bob?« fragte sie nach einer Weile.

Er schrak auf. »Eingesehen –? Wie meinst du das? Des Vaters wegen auf alle Wünsche und die eigene Jugend verzichten?« »Ach,« meinte sie lächelnd, »das mit der Jugend war mir nur so als Redensart entschlüpft. Ich glaube bestimmt, das ist nur so eine Einbildung. Es wäre schlimm, wenn man mit fünfzig Jahren und mehr nicht mehr so empfinden könnte, wie mit zwanzig Jahren. Was ist denn an unseren zwanzig Jahren dran? Dummheiten machen wir, was wir später nicht mehr dürfen, das ist wahr, und es ist gewiß oft schade. Aber sonst? Meister sein, ist doch schöner, als Lehrjunge! Ich brauche nur deinen Vater anzusehen, und ich werde ganz ruhig.«

»Ich weiß es nicht,« sagte Robert Twersten und seine Gedanken liefen im Kreis. – –

Währenddessen saßen im kleinen, altmodischen Empfangszimmer Frau Henriette und Erika mit ihrem Gatten und plauderten. Der Offizier erzählte von seinen kriegsakademischen Studien. Er galt bei Kameraden und Vorgesetzten als ein kommender Mann und stand dicht vor der Beförderung zum Hauptmann. Sein eisernes Streben, in das sich ein gut Teil Ehrgeiz mischte, war bekannt. Man liebte ihn nicht, aber man respektierte ihn sehr.

»Ich hoffe,« erklärte er den Damen, »mit einem Jahr Frontdienst als Kompaniechef wird's getan sein. Passiert inzwischen nichts, was meiner Karriere schädlich sein könnte, so habe ich die beste Anwartschaft, sofort in den Generalstab übernommen zu werden. Der General sagte mir das erst vor wenigen Tagen ziemlich unverblümt. Hauptsache: Augen geradeaus!«

»Was glaubst du, wohin wir versetzt werden?« fragte Erika interessiert.

»Wohin? Das ist ja so egal. Kompaniedienst ist Kompaniedienst. Die Stadt macht ihn nicht schöner.« »Nein, so meinte ich das nicht. Ich dachte diesmal an mich und an die Kinder. Das Leben in Berlin und der Verkehr mit all den Spitzen war ja so teuer, daß ich mich mit den Jungens immer wieder ein Vierteljahr unter mütterlichen Schutz stellen mußte, damit unser Budget balancekräftig blieb. Mir wäre eine kleinere Stadt ganz angenehm.«

»Was das betrifft, liebe Erika – diese kleinen Garnisonen haben für später so wenig Stoßkraft. Entweder du findest als Spitze einen Bataillonskommandeur oder einen alten Oberstleutnant vor. Auf jeden Fall wartet jeder von ihnen auf den Zylinder und den Regenschirm. Was tu ich mit solchen Leuten? Als Empfehlung kann ich sie nicht gebrauchen. Dazu gehören doch schon Herren von höherer Stellung und intimerer Fühlung. Die findest du aber in den von dir bevorzugten ostpreußischen Steppendörfern kaum.«

»Wie du übertreibst,« lenkte Erika ein und ihr brünettes Gesicht überzog ein feiner rötlicher Hauch. »Vor den Steppendörfern graut mir ebenso wie dir. Was ich wünsche, ist ja nicht mehr als die Gelegenheit zu einem gemütlichen Familienleben.«

»Gemütlich? Na ja. Das ist ein dehnbarer Begriff. Wenn wir bei der Gemütlichkeit nicht einschlafen wollen, ich meine, wenn wir uns dabei an maßgebenden Stellen in Erinnerung halten wollen, kostet sie auch Geld, und das nicht zu knapp. Mich soll es freuen, wenn wir es ausgeben können. Das ist in diesem Übergangsstadium keine schlechte Kapitalanlage. Was denkst du, Mama?«

»Kinder,« sagte Frau Henriette freundlich, »ich denke, ihr seid Manns genug, um euch eure Zukunft selber einzurichten. Und außerdem seid ihr ja viel klüger als ich.«

»Mama!« lachte Erika zärtlich und umschlang sie.

So saßen sie eine Weile und sprachen nicht mehr. Dann machte sich die Tochter behutsam frei und horchte.

»Was hast du, Kind? Es ist alles still im Haus.«

»Ich möchte einmal nach den Jungens sehen, Mama. Zuweilen faßt mich eine solche Sehnsucht nach den kleinen Bengels, daß ich meine, sie verlangten nach mir. Auch wenn sie schlafen.«

»Das ist mir bei euch nicht anders ergangen. Aber weck sie nicht auf.«

Leichtfüßig schlüpfte Erika hinaus. Kaum, daß eine Diele draußen knackte. Frau Henriette saß ihrem Schwiegersohn schweigend gegenüber. Sie fand sich so schwer in seine Welt.

»Darf ich dich etwas fragen, Mama?«

»Gewiß darfst du das. Was möchtest du denn wissen?«

»Was ist das mit Papa? Er ist nicht mehr so elastisch, wie früher.«

»Aber er hat doch noch so hübsch von seinen Fahrten erzählt. Fandst du das nicht?«

»Ehrlich gestanden: nein. Ich fand eher, er erzählte so viel, um uns vom Fragen abzuhalten.«

Frau Henriette errötete. Aber es war Unwille, der sie zum Erröten brachte.

»Was könnten das für Fragen sein, die wir stellen dürften, und denen Papa aus dem Wege gehen möchte? Das ist mir nicht klar.«

»Nun, Mama, das liegt doch nicht so weit ab. Nach den geschäftlichen Ergebnissen und Aussichten zum Beispiel.« »Mein lieber Sohn,« sagte Frau Henriette, und ihre Haltung wurde steif und ablehnend, »alleiniger Inhaber der Firma Martin Vanheil ist Papa. Weder du, noch ich, noch irgend jemand ist sein Teilhaber. Und keiner von uns, den er nicht selber direkt darum ersucht, hat sich um seine geschäftlichen Dispositionen zu bekümmern. Vergiß, bitte, nicht: du bist in einem alten Hamburger Kaufmannshaus.«

»Gott, liebe Mama, wie feierlich du das gleich nimmst! Das ist noch etwas alte Schule, und ich mache gewiß meine Honneurs. Aber du bist doch eine Frau, die gerade für die täglichen Bedürfnisse des Lebens Verständnis hat, und da meine ich, wenn die Geschäfte von Papa nicht mehr so gut gehen –«

»Sage mir einmal,« unterbrach sie ihn, und sie fühlte, daß sie für ihren Mann sprach und fand den Ton würdiger Überlegenheit, »ist es schon einmal vorgekommen, daß ihr in den fünf Jahren eurer Ehe den Zuschuß, den euch Papa zugesichert hat, auch nur um einen Tag verspätet erhalten habt, oder daß ein Pfennig daran fehlte? Nein? Nun, dann bitte ich dich, nicht eher von Vermutungen zu sprechen, als bis du Gründe dafür vorzubringen hast. Der gute Namen eines Kaufmannes gründet sich auf den Glauben, den man ihm entgegenbringt.«

»Wie du befiehlst, Mama. Ich wollte nur vorbeugen. Wenn einer Grund hat, sich über Papas andauernd gute Geschäftslage zu freuen, so bin ich es doch. Denn – nun erschrick nicht – ich komme schon wieder mit einem Anliegen. Ich muß energisch meine Reitübungen wieder aufnehmen. Das kann ich natürlich nicht auf einem abgetakelten Mietsklepper, dazu gehört der eigene Gaul, der auf die leiseste Andeutung seines Herrn reagiert. Und zum Gaul gehört Zaumzeug und Sattelzeug. Von der Stallmiete gar nicht zu reden. Darf ich auf euch hoffen, Mama?«

Frau Henriette hielt sich wacker. Der Schreck, kaum aufgestiegen, war überwunden. Nur keine neuen Sorgen dem geliebten Manne da drinnen aufladen. Und ihm jede Verlegenheit dem Schwiegersohn gegenüber aus dem Wege räumen. Ohne sich zu besinnen, beschloß sie in derselben Sekunde, sich von ihren Haushaltungsersparnissen zu trennen und den Wunsch zu erfüllen.

»Natürlich darfst du hoffen. Aber es ist eine Bedingung dabei.«

»Sie ist erfüllt, liebe Mama.«

»Die Kinder brauchen es nicht zu wissen. Fritz wird mir so schon zu üppig. Also du erhältst das Geld von mir, und du verlierst kein Wort darüber, weder zu mir noch zu Papa.«

»Mit diesem Dank,« und er küßte ihr die Hand, »gelobe ich Verschwiegenheit.«

Erika kam über den Korridor. Ganz leise öffnete sie die Tür. »Die Jungens schlafen. Aber Papa regt sich. Schnell! Ich benachrichtige Marga.«

Und aus beiden Zimmern schlüpften sie in das Wohnzimmer zurück, und der Offizier saß auf dem Klavierschemel, und Frau Henriette stand mit ihren Töchtern vor dem Klavier, und die Töchter hielten die Mutter umschlungen. Robert Twersten aber saß in seinem Sessel und hielt die Hände um sein Knie gefaltet.

Frau Henriette flüsterte hastig ein Wort. Sie hatte ihr Lächeln wieder. Der Schläfer wandte unruhig den Kopf, blinzelte und schlug die Augen auf.

Und die Frauen sangen so ruhig, als musizierten sie schon den ganzen Abend, ein Weihnachtslied:

»O du fröhliche, O du selige,
Gnadenbringende Weihnachtszeit.
Welt ging verloren, Christ ward geboren,
Freue dich, o freue dich, du Christenheit!«

Martin Vanheil horchte ergriffen. »Wie schön ihr das singt! So sangen wir in meinen Knabenjahren. ›O du fröhliche – o du selige!‹ Ich gerate heute aus einem Traum in den andern. Ich hatte vorhin wohl nicht mehr genau zugehört?«

»Aber ja, Vater! Hat es dir gefallen?«

Der Hausherr erhob sich und strich sich über den grauen Lockenkranz.

»Ich muß doch wohl sehr in Gedanken gewesen sein. Entschuldigen Sie einen alten Geschäftsmann, der nicht aus seiner Haut heraus kann, lieber Robert. Nun, Sie kennen das ja von Ihrem Papa.«

»Es war wieder ein sehr schöner Abend, Herr Vanheil.«

»Das freut mich. Ja – wo ist denn unser Freund Rochus geblieben? Doch nicht schon heimwärts die Schritte gelenkt?«

»Er ist schon alt, Vater,« sagte Marga und lachte leise vor sich hin. »Er war richtig auf seinem Stuhle eingenickt. Und dann ging er ganz schnell, als du es nicht bemerktest.«

»So etwas! Auf dem Stuhl eingenickt. Na warte, mein Rochuslein, morgen!« Und er rieb sich vergnügt die Hände.

Robert Twersten verabschiedete sich.

»Schade,« sagte der alte Vanheil, »daß Sie nicht morgen abend wieder kommen. Morgen abend putze ich den Weihnachtsbaum für die Jungens! Das sollten Sie sehen! Nun, vielleicht finden Sie Weihnachten eine Stunde. Grüßen Sie den Papa.«

»Ich bringe dich hinunter, Bob. Das Mädchen ist schon zu Bett.«

Unten im Hausflur blieben sie stehen und reichten sich die Hände.

»Ich habe darüber nachgedacht, Marga,« sagte Robert Twersten. »Du opferst dich für deine Familie, und ich, ich dachte, du hättest mich lieb.«

»Es ist kein Opfer,« entgegnete sie. »Und wenn ich dich lieb hätte, so wie du es meinst – könnte ich es besser zeigen, als daß ich für das Wiederaufblühen der Firma Martin Vanheil Sorge trüge?«

»Wie soll ich das verstehen, Marga –?«

»Wenn ich dich so lieb hätte, möchte ich, du solltest an dem Tage stolz auf mich sein. Du und die Firma K. R. Twersten. Ich will nicht als Verlustposten in euer Hauptbuch. Gute Nacht, Bob.«

»Gute Nacht,« sagte er zögernd. Und dann ging er. –


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