Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII

Die Deckswache am Fallreep fällte das Gewehr. »Kein Fremder passieren!«

»Wo ist der erste Offizier? Lassen Sie ihn rufen.«

»Kein Fremder passieren!« Die Schildwache blieb bei ihrer Antwort.

Fritz Vanheil drückte dem Freunde die Hand. »Warte hier. Ich lasse dich melden.« Und er nickte ihm mit den Augen einen stummen Abschied zu.

Robert Twersten sah, wie er einem jungen Leutnant rapportierte, der sich gleich darauf grüßend näherte. Er erkannte ihn. Er hatte ihn oft als Gast im Hause seiner Verwandten gesehen.

»Ich bedaure lebhaft, Herr Twersten,« sagte der Leutnant höflich, »aber es ist strengste Order. Es sei denn, daß der erste Offizier selbst –«

»So rufen Sie ihn doch,« drängte Robert Twersten.

Der Leutnant wurde förmlich, grüßte kühl und wandte sich ab. Dort hinten ging der Vorgesetzte. Mochte er entscheiden.

Als dem ersten Offizier der Name Twersten gemeldet war, schritt er eilig über Deck. »Passieren!« rief er der Wache zu.

»Nun, Herr Twersten? Sie sehen mich verwundert. Hat Ihre Frau Mutter eine Botschaft an mich? Sprechen Sie schnell. Soeben stößt das Boot des Kapitäns vom Admiralschiff ab. Ich kann Ihnen nur eine Minute Zeit gewähren.«

»Lassen Sie uns in Ihre Kajüte gehen!«

Der Offizier stutzte. Das war nicht der Ton eines liebenswürdigen Boten. Das war ein Befehl.

»Es ist hier weder Ort noch Stunde für Privatangelegenheiten, Herr Twersten. Ein andermal.«

»Gestatten Sie mir, darüber allein zu bestimmen. Meine Angelegenheit verträgt keinen Aufschub. Gehen Sie augenblicklich voran.«

»Sie wissen,« sagte der Offizier rasch und leise, »daß ich Sie mit Gewalt über Bord bringen lassen kann. Richten Sie sich danach.«

»Ich weiß,« entgegnete Robert Twersten ebenso, »daß Sie es nicht wagen werden, aus Gründen, die Ihnen bekannt sind.«

»Und wenn ich es dennoch täte?«

Robert Twersten trat dicht an ihn heran. Ihre Gesichter, von der Erregung weiß gefärbt, berührten sich fast. Die Stimmen wurden zum heißen Flüstern.

»So würde ich Sie im selben Augenblick vor versammelter Mannschaft insultieren. Wie einen Feigling!«

Gellend strich ein Pfeifensignal über Deck. Hastige Kommandorufe erschallten. Die Mannschaften eilten herbei und traten an. Das Boot des befehlshabenden Kapitäns hatte sich an die ›Viscaya‹ gelegt.

Der erste Offizier zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen. »Ich lasse Sie in meine Kabine führen. Warten Sie dort. Mich ruft der Dienst.« Und Robert Twersten folgte dem Matrosen, der ihn zurechtwies, und wartete mit der Geduld eines Mannes, der die Zeitrechnung ausgeschaltet hat.

Mit ernsten Augen, schwere Furchen im Gesicht, war der Kapitän der ›Viscaya‹ an Bord seines Schiffes gekommen. Er erwiderte den Gruß seiner Offiziere und ließ die Mannschaften abtreten. Dann rief er die Offiziere zu sich.

»Der Admiral ist wieder unschlüssig geworden. Ich war für den Durchbruch im Dunkel der Nacht. Der Admiral fürchtet das Festlaufen der Schiffe in der engen Durchfahrt und ist besorgt, die Scheinwerfer der Amerikaner könnten uns blenden und uns die eigenen Schiffe rammen lassen. Meine Herren, mich hätten diese Möglichkeiten nicht abhalten dürfen. Aber der Admiral will es. Wir haben zu gehorchen.«

Er wandte sich an seinen ersten Offizier.

»Sie behalten einstweilen den Befehl. Sorgen Sie vor allem, daß die ›Viscaya‹ dauernd unter hohem Dampfdruck bleibt, daß jeder Mann an seinem Posten ist. In zwei Stunden wünscht der Admiral die Schiffskommandanten noch einmal bei sich zu sehen, um seine letzten Entschlüsse kundzugeben. Ich habe noch zu arbeiten.« Er grüßte und schritt mit ernsten Augen über Deck.

»Er schreibt sein Testament,« meinte ein junger Schiffsleutnant, und seine Augen irrten von einem Kameraden zum anderen.

»Unsinn!« sagte der erste Offizier schneidend. »Zeigen Sie den Leuten ein zuversichtliches Gesicht! Machen Sie Scherze, daß sie das Lachen lernen! Ich werde doppelte Rationen austeilen lassen, daß die Furcht nicht in den Magen kann. Vorwärts, meine Herren, auf Ihre Posten!« Und er gab die Befehle.

Rastlos tat er seinen Dienst, inspizierte die Maschinen, die Geschütze, die Munitionskammern, ließ die Leute zum Appell antreten und wieder abtreten, überwachte die Austeilung der Rationen an die Mannschaften, und immer wieder machte er die Runde, und sein wilder Eifer steckte die Leute an und ließ ihr Blut verwegener aufwallen. Sein Gesicht blieb wie aus Bronze. Seine Augen aber flackerten zuweilen auf und schienen in der Ferne zu suchen ...

Der Kapitän war wieder an Bord der ›Infanta Maria Teresa‹ gegangen, auf der Admiral Cervera seine Flagge gesetzt hatte. Um Mitternacht erst kehrte er zurück. Der erste Offizier erstattete Meldung.

»Ich danke Ihnen, Herr Kamerad. Es bleibt bei morgen früh. Sobald wir aus der Gasse heraus sind und das offene Meer haben: Volldampf, was der Kessel hergibt! Die größere Schnelligkeit unserer Schiffe soll uns retten. Im Namen Jesu Christi. Amen.«

»Also – Flucht? Keine Schlacht?«

»Es ist strikter Befehl eingetroffen, die Schiffe nach Havanna zu bringen. So wird es Flucht und Schlacht in eins sein.«

Die beiden Männer sahen sich an. Ihre Augen gaben sich die gleiche Antwort.

»Noch weitere Befehle, Herr Kapitän?«

»Ruhen Sie ein paar Stunden aus. Der Morgen wird den ganzen Mann fordern. Gute Nacht.«

Einen Herzschlag lang zögerte der Offizier. »Gute Nacht, Herr Kapitän,« erwiderte er dann. Es ging nicht an, ihn in seinen Gedanken zu stören, die sich mit dem Schicksal von Hunderten braver Männer beschäftigten. Und der Familien daheim. – –

Er suchte seine Kabine auf. Robert Twersten saß auf einem Stuhle, den Kopf wie horchend vorgeneigt, und wartete.

»Entschuldigen Sie,« sagte der Offizier kalt. »Der Dienst ließ mir keine Gelegenheit, nach Ihnen zu sehen.«

»Es tut nichts. Ich habe an Sie gedacht.«

»Morgen in der Frühe brechen wir auf. Ein Boot soll Sie zur Reede bringen. Ich werde dem Kapitän Meldung machen.«

»Ich verweigere Ihnen das Recht, einen Dritten hineinzuziehen. Es sei denn, daß Sie ihn als Ihren Zeugen wünschten.«

»Hören Sie nicht? Morgen in der Frühe brechen wir aus!«

»Wenn Ihre Schiffe fliehen – Sie werden mir nicht entfliehen.«

»Herr, das ist eine Unterstellung, die –! Ah, regen wir uns nicht auf. Sie werden bleiben und mich bewachen. Gut, wie Sie es wünschen. Ich habe mit einem Gestörten zu tun.«

Robert Twersten hob den Kopf. »Soll mich das beleidigen? Sie haben mit einem Sohne zu tun. Still. Sprechen wir nicht weiter darüber.«

Der Offizier stand aufrecht an seinem Tisch. »Was wollen Sie also? Mich töten, sobald wir an Land sind? Ich sage Ihnen noch einmal, fahren Sie heim. Denn Ihr Geschäft wird wohl morgen die See besorgen.«

Und Robert Twersten antwortete aus seinem Stuhl heraus: »Es geht mir darum, es zu sehen.« Über des Spaniers Gesicht flog ein Zucken. Der Blick, der den Jüngeren traf, hatte einen wärmeren Glanz.

»Ich könnte Ihnen sagen,« begann er nach einer Pause, »daß ich bereue. Obwohl das an den Geschehnissen nichts ändern würde.«

»Nein.«

»Aber ich habe nichts zu bereuen. Wenn Sie nicht der Sohn wären, könnte ich es Ihnen erklären. Dem Sohne nicht.«

»Dann ist es gut,« sagte Robert Twersten.

»Man weiß, daß man in den Tod geht, und da kommt – noch einmal – das Leben – – –«

Der Offizier legte seine Mütze auf den Tisch. An das Kabinenfenster schlug gleichmäßig das Hafenwasser. Und in gleichmäßigem Rhythmus scholl von oben her der Schritt der Schildwache. Sonst war kein Klang um sie her.

»Wenn Sie sich hinlegen wollen,« sagte Robert Twersten, »ich werde im Stuhle bleiben.«

Ohne zu erwidern, streckte sich der Offizier angekleidet auf sein Feldbett. Aber die Augen starrten zur Decke. Und dann folgten die Blicke langsam einem Mondstrahl und verfolgten ihn durch das schmale Fenster und blieben irgendwo in der Ferne.

Einer hörte die Atemzüge des anderen. Und die Nacht lief weiter durch die quälende Stille.

Immer nur die Atemzüge, der Schlag des Wassers und der Schritt der Schildwache.

Endlos – – –.

»Wenn ich sterbe –«

Wer sprach da in die Stille hinein? Wann hatte er begonnen? »Wenn ich sterbe, so weiß ich, daß es sein muß. Das Leben mit einer Krönung schließen – was will ich mehr? Meine Heimat war nie viel mehr als die Schiffsplanke, auf der ich stand, von Jugend auf. In einem alten Palast in Barcelona sitzt, was sich meine Familie nennt, und um täglich auf den Korso fahren zu können, hungern sie, und sie kleiden sich daheim schlechter als die Dienstboten, um die guten Kleider für die Ausfahrt sparen zu können. Den Glanz der Welt in den Augen, und die Entbehrung im Körper. Das war auch mein Erbteil. Immer Hunger – immer Hunger... Die See sollte ihn stillen, und die üppigen Küsten verstärkten ihn. Ich war noch ein halber Knabe und vergrub mich im Dienst, um nichts zu sehen und nichts zu hören. Immer Dienst – immer Dienst... Was fragt die Sehnsucht danach! Wenn ich mich todmüde auf mein Lager warf, war sie da und brannte heller als je. Dann schimmerte der alte Palast in Barcelona in längst vergangener Schönheit, und reichgeschmücktes Leben lachte in allen Räumen, auf den Tafeln dufteten Rosen, klirrte das Silbergeschirr, Diener liefen treppauf, treppab, und in den Stätten schnaubten die Rosse. Das Schönste aber, was die Sehnsucht schuf, waren die Frauen – –. Die Frauen mit dem stahlblauen Glanz im Haar, den weißen Stirnen und den granatroten Lippen, mit den leise rauschenden Gewändern, die über schlanke Glieder rieselten; mit den feinen Händen und Füßen. Die Frauen, die nur als Kronen geschaffen sind für die Fürsten des Lebens und die hungernden Knechte übersehen. Die Frauen, die ich begehrte –. Und ich lernte von ihnen, was sie an Wünschen mit sich trugen, was sie aufblicken machte mit wunderverlangenden Augen, was ihre märchenerfüllten Seelen antrieb, verkleidete Prinzen und Helden zu suchen. Da ließ ich meinen Mund schweigen und mein Gesicht starr werden, und nur die Augen reden von unermeßlichen Reichtümern, zu denen eine Frau den Schlüssel haben würde. Und viele haben versucht, die Schatzkammer zu öffnen, in der nichts war als ein gebändigter Taumel, der wie ein Tiger aufsprang, wenn er den Luftzug der Türe spürte. Das war gestern, vor Wochen, vor Jahren. Und immer ohne Einsatz, und deshalb – nichts. Und heute – heute war es eine Kostbarkeit, die den höchsten Preis verlangt. Also muß auch ich meinen Wert haben, da ich ihn zahlen kann. Und die Frau, die ihn schuf, hat mir im Angesicht der Schlacht, die der Tod sein wird, das Glück gebracht, das ich so heißhungrig ersehnte. All den Glanz mein zu nennen, von dem der väterliche Palast nur aus der Vergangenheit sprach. Alles das zu besitzen, was mir die Jugend daheim nur vorgelogen hat. Einer zu sein, der die größte Rechnung zahlen kann, weil er nun zufrieden ist. Und alles sehe ich nun im Schimmer ... Wenn ich sterbe – die Sehnsucht ist erfüllt.« –

Durch die Lukenscheiben stahl sich das erste Tageslicht. Ein Sonntagmorgen dämmerte herauf. Noch immer schritt die Schildwache in gleichmäßigem Rhythmus über Deck. Und der Atem der beiden Männer mischte sich in der engen Kammer, und die Leidenschaften krochen zurück, denn beide fühlten sie, daß ein Dritter zwischen ihnen stand, der einen von ihnen mit glanzlosen Augen suchte.

Und beide hatten sie für ihn ein Lächeln. – –

Eine Glocke schlug an. Der Offizier sprang auf die Füße und schüttelte die Geister der Nacht von sich. Robert Twersten erhob sich und sah ihn an. Die Erinnerung hatte sich mit ihm erhoben.

»Sie haben noch eine Minute die Wahl,« sagte rauh der Offizier.

»Es ist ein Irrtum,« entgegnete Robert Twersten, »und auch Sie haben keine Wahl mehr.«

»Das soll heißen?«

»Sie gehen als Entehrter oder als Mann in die Schlacht. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«

Der Offizier ergriff seine Mütze. »Sie sind Gast des Schiffes. Soweit es überhaupt Schutz gewährt. Auf Wiedersehen.«

Auf Deck tönten die Signalpfeifen. Durch alle Räume des Schiffes pflanzten sie sich fort. Wirres Geräusch, lang anhaltendes Getrappel eiliger Füße, ein Scharren und Klirren, Kommandorufe und wieder Stille. Und endlich, wie eine Erlösung, der dumpfe Arbeitslärm des Tages.

Die Hamburger Schiffe, die als Kohlen- und Proviantschiffe der Flotte folgen sollten, mußten zurückgelassen werden. Sie hatten weder Kohlen noch Proviant laden können. Santiago hatte nichts mehr zu vergeben als seine Neugier. Kopf an Kopf stand die Bevölkerung in Erwartung nervenpeitschender Schauspiele am Hafen.

Von der ›Infanta Maria Teresa‹ stieg ein Signal auf. Der Admiral befahl, ihm zu folgen.

Nun glitt die ›Viscaya‹ in das schäumende Kielwasser. Hinter ihr in kurzen Abständen der ›Cristobal Colon‹ und der ›Almirante Oquendo‹. Zwei neue Torpedobootszerstörer schlossen sich an.

Lautlos fast zog das Geschwader durch den Engpaß, dessen Krümmungen sie vor den Blicken des Feindes deckte. Jedem Mann saß die atemlose Erregung in der Kehle. Bis zur höchsten Dampfspannung waren die Kessel aufgeheizt.

»Volldampf!«

Wie ein Gewittersturm brachen die spanischen Schiffe durch das Ausfalltor, durch das Blockadegeschwader der Amerikaner, nach allen Seiten feuernd, mit allen Kräften die Gewinnung der offenen See erstrebend. Die Amerikaner waren überrascht. Sie hielten Sonntagsmusterung, und ihre Schiffe lagen unter kleinem Feuer. Aber in Blitzesschnelle hatten sie Dampf auf, donnernd gaben ihre Geschütze Antwort, ein wildbrausendes Hurra! – die Jagd begann.

Nur weniger Minuten hatte es bedurft, um alle Ordnung zu zerstören. Schon verlangsamte das spanische Flaggschiff, von zündenden Granaten getroffen, die Fahrt. An ihm vorüber stürmte die ›Viscaya‹. Nun war auch sie überholt. Der ›Cristobal Colon‹ hatte die Spitze, und in Todesangst jagte das Schiff dahin und gelangte außer Schußweite.

Jetzt hatten die Amerikaner volle Fahrt. Immer geringer wurde der Zwischenraum zwischen ihnen und den Fliehenden. Krachend schlugen ihre schweren Geschosse durch die Schiffskörper und fegten die Leiber der Mannschaften zuhauf. Flammen schlugen auf aus der ›Infanta Maria Teresa‹, Flammen aus dem ›Almirante Oquendo‹. Brennende Menschen bemächtigten sich in verzweifeltem Kampfe der Steuer, wendeten und setzten die Schiffe mit letzter Dampfkraft auf den Strand. Die See war besät mit ringenden, blutenden Männern. Totenblaß lehnte der Kapitän der ›Viscaya‹ an der Kommandobrücke. Drei Kugeln hatten ihm Wunden gerissen. Der erste Offizier übernahm den Befehl.

Sein Gesicht war steinern, aber seine Augen glühten vor Lust, als sähen sie den Himmel offen und nicht die Pforten der Hölle.

»Feuer! Gebt Feuer!«

Da prasselte schon ein Hagel von Granaten über das eigene Schiff.

»Feuer! Gebt Feuer!«

Ein paar Geschütze nur donnerten die spanische Antwort. Auf dem Boden wälzten sich die Kanoniere. Dort bäumte sich einer auf den Stümpfen seiner Arme. Dort preßte ein anderer, brüllend wie ein Tier, den zerrissenen Leib zusammen. Dort machte sich ein Dritter, lachend wie ein Wahnsinniger, von der Leiche eines Kameraden frei, der ihm in jähem Sturz mit seiner Waffe den Brustkasten eingestoßen hatte. Steif wie ein Stock stürzte ein Mann mit zerschmettertem Schädel in den Knäuel.

Der Kommandierende hatte keinen Blick dafür. Unbeweglich stand er auf der Brücke und maß die Entfernung, die das amerikanische Linienschiff ›Iowa‹ zur ›Viscaya‹ hielt. Dicht war der Feind auf dem Leib.

»Feuer! Gebt Feuer!«

Ein paarmal blitzte es auf. Und dann flammte es aus sämtlichen Steuerbordgeschützen der ›Iowa‹. Und immer wieder: Blitz und Schlag, Blitz und Schlag, und die Granaten fegten das Deck der ›Viscaya‹ und das Blut der von Panik ergriffenen Menschen strömte weithin über die Planken. Da –! Das hölzerne Deck hatte Feuer gefangen. Qualmend wälzte sich die Flamme heran, erstickte das Geschrei der Verwundeten, trieb die Angst der Zurückweichenden zur Raserei.

Ungerührt stand der Kommandierende. Wie Peitschenhiebe drangen seine Befehle von der Brücke herab auf die Mannschaft ein.

Aber die Leute, durch Feuer und Blut um die Besinnung gebracht, stürmten wie eine heulende Herde über Deck, sprangen zu Dutzenden, wie Fackeln brennend, über Bord, verkrochen sich in den Verschanzungen, weinten, lachten, fluchten und beteten.

Eine Schar stürmte die Treppe zur Kommandobrücke. Der Offizier wandte den Blick. Neben ihm stand Robert Twersten. Lange schon. Und der Spanier lächelte. ...

Dann hob er den Revolver.

»Zurück!« donnerte er die Leute an. »Hunde, Schufte! Was wagt ihr?«

»Beidrehen! Wenden! Auf den Strand laufen lassen!«

Es war das wüste Notgeschrei armer Teufel, die keinen Kleiderfetzen mehr auf dem Leibe trugen.

»Ich bin der Kapitän!«

»Auf ihn!«

Kurz hintereinander knallte der Revolver. Durch den Kopf geschossen, taumelten ein paar der Unglücklichen die Treppe hinab und schlugen hallend auf die Decksplanken.

Eine furchtbare Kanonade erschütterte die Luft. Die amerikanischen Panzer ›Brooklyn‹, ›Oregon‹ und ›Texas‹ hatten die ›Viscaya‹ von beiden Seiten unter Feuer genommen. Der Kommandierende beugte sich über das Sprachrohr. »Volldampf!« donnerte er in den Maschinenraum.

Eine Granatenexplosion riß ihm das Wort vom Munde. Eine einzige blutige Masse war seine Brust, eine unentwirrbare Masse von rauchendem Fleisch und Uniformfetzen. Er brach in die Knie. Der Kopf klappte nach hinten. Die stieren Augen trafen Robert Twersten, der den Stürzenden auffing und den Kopf des Sterbenden in seinem Schoß hielt.

Einen seltsamen Blick tauschten die beiden Männer aus. Einen Blick, der nichts mehr mit den Dingen der Erde gemein hatte. Der Erschauern und Erlösung in eins war.

Der erste Offizier der ›Viscaya‹ war tot. –

Aus dem Achterdeck des Schiffes lohten verheerende Flammenmassen. Das Ruder backbords, trieb die ›Viscaya‹ auf die Küstenklippen zu. Fiebernd vor Erregung drängte die Mannschaft zuhauf, um bei der Strandung mit dem Sprung auf die Klippen das nackte Leben zu retten. Nun brannte die ›Viscaya‹ vorn, mittschiffs und achtern. Und durch den Donner der feindlichen Geschütze stürmte der Schrei des blanken Entsetzens. Das Feuer hatte die Munitionskammern erreicht. Und der Höllenlärm der Explosion verschlang den Donner der Schlacht und das Sterbegelall der Menschen.– –

Die ›Iowa‹ hatte vom Kampfe abgelassen. Und wahrend ihre Schwesterschiffe den letzten spanischen Panzer, den ›Cristobal Colon‹, verfolgten und ihn zwangen, ohne Schwertstreich die Flagge niederzuholen und auf den Strand zu laufen, setzte die ›Iowa‹ ihre Boote aus, die Ertrinkenden zu retten und an Bord zu bringen.

Ein Prellschuß hatte Robert Twersten am Knöchel getroffen. War es noch an Bord gewesen, oder war die Kugel aus der Büchse wütender Insurgenten gekommen, die in hellen Haufen an die Ufer strömten und die in den Wellen Kämpfenden niederknallten, bis rasch gelandete amerikanische Matrosen ihnen das Handwerk legten.

Als er zur Besinnung gelangte, lag er blutend auf dem Achterdeck der ›Iowa‹, und Hunderte nackter, blutender Matrosen um ihn her. Mitten unter ihnen eine Anzahl verstümmelter spanischer Offiziere. Hin und wieder streckte ein Mann die Arme hoch, spreizte krampfhaft die Finger, warf sich auf den Rücken und tat den letzten Seufzer. Und wieder ein anderer rollte sich wie ein Schiffstau zusammen und verröchelte mit gräßlich verzerrtem Munde.

Immer noch fuhren die Boote umher und fischten nach Verwundeten. Viele schwammen, als sie den Feind als Freund bei der Rettungsaktion gewahrten, freiwillig an die ›Iowa‹ heran und ließen sich an den Seilen hochhissen.

Der Kommandant der ›Iowa‹ erteilte hastig einen Befehl. Die amerikanischen Matrosen am Fallreep stellten Ehrenwache. Soeben wurde der schwerverwundete Kapitän der ›Viscaya‹ auf einem Sitzbrett an Bord geschafft.

»Präsentiert das Gewehr!«

Der Spanier erhob sich mühsam und dankte. Mit nassen Augen blickte er über das Deck nach den Seinen hin, schnallte seinen Degen ab und reichte ihn dem Amerikaner. »Ich bin Ihr Gefangener, Herr Kapitän. Ich bitte Sie herzlich, an meine Leute zu denken.«

Der Amerikaner wehrte ab.

»Es gibt für diesen Degen keinen würdigeren Platz als an Ihrer Seite. Gestatten Sie mir, daß ich Ihrer Tapferkeit meine Bewunderung als Mann und Soldat ausspreche. Jungens! Ein dreifach Hurra für den tapferen Kapitän der ›Viscaya‹!«

Die Matrosen der ›Iowa‹ vergaßen alle Disziplin. Minutenlang brausten ihre Hurras über Deck, und die gefangenen Spanier schrieen mit, und die Verwundeten streckten die Hände hoch und winkten ihrem Kapitän.

Wieder enterten Leute an den Seilen auf, um, völlig erschöpft, an Deck zusammenzubrechen. Und plötzlich wandten sich aller Blicke dem Bordrand zu. Ein Mann war am Seil emporgeklettert. Sein Gesicht war vom Rauch geschwärzt, sein Oberkörper blaß und verschrammt. Der linke Unterarm hing zerschmettert nieder.

»Fritz!« schrie Robert Twersten auf.

Der Mann atmete mühsam. Er torkelte ein paar Schritte wie ein Berauschter und gewahrte die Kapitäne. Mit einem Ruck riß er sich zusammen. Die Augen weit geöffnet, die Lippen fest aufeinander gebissen, marschierte er mit militärischem Gruß taktmäßig an den Vorgesetzten vorüber, quer über Deck, und brach in einer Batterie lautlos zusammen.

In sprachlosem Staunen hatten Offiziere und Leute ihm zugesehen. »Helft ihm!« rief jetzt der Kapitän der ›Iowa‹, und ein Dutzend Burschen sprangen hinzu. »Bei Gott – ein forscher Kerl!« – –

Noch einmal sollte Robert Twersten seine Mutter wiedersehen. Santiago hatte kapituliert. Trotz des Widerspruchs der Insurgentenführer war die spanische Beamtenschaft vorläufig von den amerikanischen Siegern in ihren Ämtern bestätigt worden. Hilfsdampfer fuhren in den Hafen ein und brachten Kleider und Lebensmittel. Und es währte nicht lange, daß die Stadt widertönte von tändelndem Gesang und lockenden Mandolinenklängen. Die Bewohner von Santiago mußten Feste feiern, um leben zu können.

Die gefangenen Spanier waren in ihre Heimat befördert oder auf Ehrenwort freigelassen worden. Man übte große Rücksichten in diesem Kriege. Amerika wollte nur als Helfer, nicht als Eroberer erscheinen.

Robert Twersten kam mit etwas steifem Knie aus dem Spital, in dem er seinen Freund gepflegt hatte. Die kernige Natur Fritz Vanheils hatte sich nicht unterkriegen lassen. Der linke Unterarm war amputiert, das Fieber war überwunden und der Humor längst zurückgekehrt.

»Daß du mir nicht nach Hause schreibst, Bob,« hatte der Freund gebeten. »Der alte Herr ist imstande und kauft mir eine Orgel.«

Und er streichelte zärtlich den Gipsverband.

Es wurde Robert Twersten schwer, das Haus seiner Verwandten aufzusuchen. Aber er hielt es für seine Pflicht, für die Gastfreundschaft zu danken und einige Gründe für den Abbruch seines Besuches vorzutragen. Er wollte nicht, daß man ein Zerwürfnis aufspürte, das die Mutter belasten könnte. Er ging ja doch, und sie blieb.

Als ihm die Türe zum Salon des Hauses geöffnet wurde, wollte ihn doch seine kühle Fassung verlassen. Das Zimmer war voller Offiziere. Der erste Blick zeigte ihm, daß es Amerikaner waren. Lustig schwirrte die Unterhaltung durch den Raum, und Frau Angèle saß mitten unter ihnen und lachte ihr silbernstes Lachen. Ihr zartes Kindergesicht strahlte vor Genugtuung. Nie hatte sie einen solch scharmanten Flirt erlebt.

Ihr klingendes Lachen brach ab, als sie in der Tür den Sohn gewahrte. Eine heiße Röte stieg in ihr Gesicht. Dann erhob sie sich schnell.

»Ich bitte um Entschuldigung,« sagte Robert Twersten und verneigte sich kurz vor den Herren. »Ich wollte meine Mutter begrüßen.«

»Bob!– –Bob!«

Nun war sie bei ihm. Und ihre Arme schlangen sich um seinen Hals und zogen seinen Kopf ganz fest an ihre Brust.

Und Robert Twersten dachte: »Sie tut es, um ihrer Verlegenheit Herr zu werden. Ich will ihr beistehen.«

»Ich war im Spital, Mama,« sagte er, »ich mußte Fritz Vanheil pflegen.«

»Und du –? Und du?«

»Es ist nichts. Eine kleine Steifheit des Knies. Fritz hat es ärger getroffen.«

»Du bist verwundet? Das arme Knie! Hast du Schmerzen?«

Sie sprudelte es hervor, und sie beugte sich, um sein Knie zu streicheln, und faßte ihn bei den Schultern und hielt ihn von sich ab und sprach und lachte, unzusammenhängend und schnell, ohne sich zu unterbrechen.

»Hier haben Sie meinen Sohn, meine Herren. Er war mit auf der ›Biscaya‹. O, ich bin stolz auf ihn.« Die Herren umringten ihn, um ihn zu beglückwünschen. Es war ihm alles wie eine Komödie.

»Gnädige Frau, Sie werden das Wiedersehen allein feiern wollen.«

»Erlauben Sie uns, wieder zu kommen, gnädige Frau, damit wir den Feind lieben lernen.«

»O, wären Sie als Gesandter nach Washington gekommen, gnädige Frau, nie hätten wir Krieg geführt.«

Sie reichte allen die Hand. Für jeden hatte sie blitzschnell eine Antwort, und ihr Lachen klingelte fröhlich hinterdrein.

»Gut, gut, kommen Sie wieder! Morgen schon! Ich kann nicht dulden, daß Amerika sich als Sieger fühlt.«

»Ihre ergebenen Knechte, gnädige Frau.« Und sie küßten ihr die Hand.

»Und nun noch unseren Glückwunsch zu dieser Mutter. Sie ist jünger als der Sohn, Herr Twersten. Wie stolz werden Sie sein!«

Robert Twersten verneigte sich. Die Komödie war ja gleich zu Ende. –

Er war allein mit der Mutter. Sie ruhte in ihrem Sessel und spielte mit den Spitzen ihres Kleides.

»Scharmante Leute,« sagte sie.

»Ich bin noch einmal wiedergekommen, um dir zu sagen, daß alles erledigt ist, Mama.«

Ihre Hände gaben das Spiel auf. Leise streckte sich ihr Körper. Dann saß sie regungslos und wartete.

»Du kannst nun wieder ganz ruhig sein, Mama. Er ist tot.«

Kein Laut kam über ihre Lippen.

»Du wirst es natürlich schon erfahren haben. Aber ich dachte, es wäre dir lieb, es von mir zu hören. Und zu hören, daß er einen Heldentod starb. Mitten durch die Brust ging der Granatschuß und riß ihm das Herz in Stücke. Nun ruht er auf dem Meeresboden.«

Er hörte sie heftiger atmen. Ihre Augen waren fest geschlossen.

Und Robert Twersten dachte: »Ich durfte es ihr nicht ersparen. Sie muß den ganzen Schmerz empfinden. Aber nun will ich ihn lindern.« Und er sagte leise und ernst: »Ich habe ihm verziehen, weil ich ihn verstehen gelernt habe. Jetzt, da er tot ist, habe ich ihm verziehen.«

»Und mir?«

»Nein, Mama.«

Er erhob sich. »Es ist nun Zeit, daß ich den Großeltern und Onkel José Adieu sage. Ich muß ins Spital zurück zu Fritz Vanheil, dem sie einen Unterarm amputiert haben. Da er deinetwegen so schwer verwundet wurde, hatte ich geglaubt, du würdest nach ihm fragen. Nun, es ist besser so.«

»Bob,« stieß sie hervor. »Ist das alles, was du mir zu sagen hast?«

»Nein, Mama,« erwiderte er. »Ich habe noch eines vergessen.«

Er sah ihr gerade ins Gesicht, und sein offener Blick tat ihr weh.

»Ich wollte dich fragen, Mama, ob du an – ob du nach Hamburg geschrieben hast.«

»Ja,« sagte sie kurz.

»Du hast – die Scheidung beantragt, Mama?«

»Ja.«

Er tat einen tiefen Atemzug. Als ob ein Alb von ihm gewichen sei. Und über sein Gesicht huschte ein schmerzliches Lächeln.

»Dann darf ich dir – zum Abschied – die Hand geben. Lebe wohl, Mama. Möge dein Leben – immer – ein glückliches sein!«

Sie lag an seiner Brust. Ihr Körper zuckte und schüttelte. Aus ihrer Kehle drang ein Ton, der kein Wort werden wollte.

Er hielt sie ganz fest, und dann wiederholte er: »Lebe wohl, Mama.«

»Bob, Bob! Was willst du tun? Wo willst du hin?«

»Ich werde wohl versuchen müssen, ohne – Papa ein Mann zu werden, der eines Tages nach Hamburg zurückkehren kann. Denn das möchte ich. Und jetzt, sobald Fritz mich entbehren kann, will ich nach Neuyork.«

»Bob – Bob!«

Er fühlte, daß sie nichts mehr zu sagen wußte. Und er beugte sich noch einmal über sie und verließ schnell das Zimmer.

»Morgen,« so ging es ihm durch den Sinn, als er die Korridore durchschritt, die zu den Gemächern seiner Verwandten führten, »morgen werden die amerikanischen Offiziere bei ihr sein, und sie wird unter ihnen sitzen und scherzen und lachen und den Abschiedsschmerz vergessen haben.«

Die Verwandten nahmen seine Erklärungen gläubig auf. Daß er den Freund weiter pflegen wolle, erschien ihnen würdig und ritterlich. Und daß in diesem Lande während der unabsehbaren Wirren keine Gelegenheit zu seiner kaufmännischen Fortentwicklung zu finden sein würde, erkannten sie willig an.

»Aber dies kann nicht dein letzter Besuch sein, bevor der Dampfer geht.«

»Doch. Ich möchte es Mama nicht erschweren.«

Als er über die Korridore zurückschritt, zögerte er vor der Tür der Mutter. Ein leises Weinen drang zu ihm hinaus, ein Weinen, wie es verlassene Kinder weinen, die auf ein Wort warten, um ihr glückliches Lachen wieder zu finden. ...

Da wurde ihm freier und leichter zumute, denn er wußte, daß sie es finden würde. – –

Wenn er in den folgenden Tagen am Bett Fritz Vanheils saß, sprachen sie von der Heimat. Stunden hindurch, ohne zu ermüden.

»Zweierlei möchte ich wohl wissen,« meinte Fritz Vanheil sinnend. »Ob mein alter Herr wieder flott auf den Beinen ist, und – wie der Hamburger Hafen aussieht. Denn sie planen dort neue Anlagen.«

»Und ich möchte wissen,« sagte Robert Twersten, »ob Marga aus den Geschäftssorgen heraus ist und zuweilen eine Stunde findet, um an uns zu denken.«

»Sicher,« erklärte Fritz. »Lehr mich nicht meine Schwester kennen.«

»Sie ist die beste und tapferste von uns allen,« fügte Robert Twersten hinzu. Und Fritz bestätigte die Worte des Freundes durch ein energisches Kopfnicken.

Dieses Gespräch fand fast täglich statt. Hin und wieder gedachten sie auch der anderen Personen, aber immer kehrten sie bald zu ihrem Lieblingsthema zurück.

»Schade, Bob, daß sie zwei Jahre älter ist als du. Die solltest du heiraten. Ein Prachtmädel. Wahrhaftig.«

»Der kleine Altersunterschied würde nichts bedeuten,« erwiderte Robert Twersten und zog die Stirn in Falten. »Aber ob sie mich noch will –«

»Noch will? Weshalb?«

»Ich glaube, sie würde mich nie nehmen, wenn ich mit meinem Vater in Unfrieden bliebe.«

Fritz Vanheil nickte. »Das stimmt. Zu deinem alten Herrn trägt sie eine stille Liebe im Herzen.«

Und Robert Twersten blieb für den Rest des Abends schweigsam und ging seinen Gedanken nach. – –

Dann kam der Tag, an dem die Ärzte Fritz Vanheil erlaubten, das Bett zu verlassen. Er saß im Gärtchen in der Sonne, streichelte zärtlich seinen Armstumpf und horchte auf das Plätschern des Springbrunnens. Irgendwo aus der Ferne kam ein Lied.

»Nun darf ich dich nicht mehr länger aufhalten, Bob. Es drängt dich an die Arbeit. Ich merk' es schon lang.«

»Nicht eher, als bis ich dich beruhigt verlassen kann.«

»Das kannst du. Mein Wort darauf. Und der Doktor wird es dir bestätigen.«

»Und du, Fritz –? Was willst du beginnen?«

»Ach du lieber Gott, darum sorg dich nur ja nicht! Ich denke, ich fahre zunächst mal nach Havanna. Dort werden sie gerade jetzt Ingenieure brauchen. Und wenn keine Ingenieure, dann Arbeiter. Oder – Zeichner. Ich werde schon meine beiden Arme – ach so, es sind ja nur noch anderthalb! – also ich werde schon meine anderthalb Arme regen. Vielleicht komme ich auch mal nach Amerika. Man kann in meinem Beruf nie genug lernen, und die Yankees sollen in der Schiffbautechnik höllisch fixe Kerle sein. Am Schluß meiner Route liegt natürlich Hamburg.« Eine Woche darauf ging ein Dampfer nach Neuyork. Fritz Vanheil durfte bereits ausgehen. Den Arm in der Schlinge, brachte er den Freund auf die Reede.

Es war ihnen beiden schwer zumute.

»Junge,« sagte Fritz Vanheil, »krieg um Gottes willen nicht das heulende Elend! Ich bin imstande und heul' mit.«

Bevor Robert Twersten an Bord ging, drückte er dem erstaunten Freund ein Päckchen in die Hand.

»Halt den Mund, Fritz. Ich borg' es dir bloß.«

Fritz Vanheil hielt die Hand des Freundes mit kräftigem Druck. »Weiß der Deubel,« stieß er hervor, »du bist ein braver Kamerad. Denkst an alles. Gute Reife, Junge. Und auf Wiedersehen in Hamburg.«

Als sich der Dampfer in Bewegung setzte, sahen die Leute im Hafen einen Mann, der, den Arm in der Schlinge, Studentenlieder auf das Wasser hinaussang.

»Der Sang ist verschollen, der Wein ist verraucht...«

Und Strophe auf Strophe.

»Die Straßen durchirr' ich, die Plätze so schnell,
Und ich klopfe von Hause zu Haus.
Bin ein fahrender Schüler, ein wüster Gesell,
Wer schützt mich vor Wetter und Graus?«

Und noch einmal klang es, und er hatte all seinen Frohmut wieder:

»Und sie herzt mich und küßt mich und lachet so hell,
Nie hab' ich die Dirne geschaut!
Bin ein fahrender Schüler, ein wüster Gesell,
Was lacht sie und küßt mich so traut?«

Er tat ein paar gewaltige Lufthiebe mit dem Stock und ging heim.


 << zurück weiter >>