Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

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X

Ein Fieber hatte die Twerstensche Werft ergriffen. Es zuckte durch die Maschinenhalle und die Kesselschmiede, es ergriff die Tischlerei und die Klempnerwerkstätten, und der Herd, von dem es nach allen Seiten ausstrahlte und keine Stelle des Betriebes übersprang, lag seitwärts der Werft, in dem Schanzengraben, in dem die Brambergschen Schiffe zur Ausrüstung verholt waren. Tag und Nacht klapperten die Hämmer, sang und seufzte der Stahl, knirschte die Säge und pfiff der Hobel. Das Heer der Cyklopen machte Musik, und die sehnigen, schweiß- und staubgefärbten Gestalten hatten ihre wilde Freude daran.

Schon war der ›Theodor Bramberg‹ bei der Toilette der Bord- und Kabinenbekleidung, und die bärtigen Kammerfrauen fegten und putzten, klopften und installierten, daß jedes Menschenwort verloren ging. Dicht an der Kaimauer lag die ›Ingeborg‹. Und der Kran auf dem Kai hob rastlos die gewaltigen Maschinenteile ins Schiff und die Hundertzahl der schweren Ausrüstungsstücke, die von unermüdlichen Händen gerichtet und eingebaut wurden, tagein, tagaus. Nur eine Spanne noch, und auch hier würde die Schar der Kammerfrauen und Bekleidungskünstler ihres Amtes walten.

Ein westlicher Wind, der vorzeitig den Frühling versprach, schmeichelte in der Luft. Blank stand die Februar-*

*sonne am Himmel, und die Wasser des Hafens kicherten und schäkerten wie Mägde, wenn der schönste Bursch naht.

Der spanische Schiffsingenieur, der den Bau des Kreuzers beaufsichtigte, blieb kalt und schweigend. Der westliche Wind tat ihm nicht wohl, und die Sonne freute ihn nicht. Zuweilen schritt er von der Helling langsam hinüber nach dem Schanzengraben, warf einen Blick auf die schmucken, starken Schiffe, die so bald schon ihre Fahrt antreten würden, und kehrte langsam zur Helling zurück. Auch heute stand er und beobachtete ernst den Fortschritt der beiden Brambergs, als der Chef der Werft grüßend zu ihm trat. Eine Weile blickten sie beide stumm auf die Schiffe.

»Wenige Wochen noch,« sagte Twersten, »und sie können unter Dampf gehen. Gott sei Dank.«

»Ich wollte,« entgegnete der Schiffsingenieur, »dieses Gott sei Dank könnte aus meinem Munde kommen.«

Twersten streifte sein finsteres Gesicht mit einem Blick. »Haben Sie die letzten Zeitungen gelesen?«

Der Spanier machte eine heftige Bewegung. »Unerhört! Diese Hetze, die die amerikanische Presse betreibt, ist unerhört!«

»Es wäre nicht so schlimm, wenn sich nicht die Börse davon abhängig machte.«

»Spanien ist reich genug. Man kennt ja gar nicht die Reichtümer, die in Spanien aufgesammelt liegen.«

»Was hilft das,« sagte Twersten ernst, »wenn die Mittel fehlen, diese Reichtümer nach hierhin und dorthin zu werfen, oder – sie nur zu schützen.«

»Das ist es,« und der Schiffsingenieur biß sich in die Lippe. »Aber unsere Flotte spricht auch noch mit.« »Das wird sie. Sie haben tapfere Männer. Aber Sie werden Ihre Flotte teilen und wieder teilen müssen, um Ihre Kolonien vor unerwarteten Handstreichen zu schützen. Kuba, Portorico, die Philippinen. Und Ihre Schiffe sind fern von der Heimat, während Amerika die gewaltige Operationsbasis stets dicht im Rücken hat.«

»Sagen Sie es mir nicht. Ich weiß es lange!«

Nur einen Augenblick zögerte Twersten. Dann fuhr er ruhig fort: »Ich erwähne das alles auch nicht, um Ihnen den Mut zu beschneiden, sondern um Sie auf neue Hilfsquellen hinzuweisen.«

Der Schiffsingenieur zuckte die Achsel. »Soeben erst sprachen Sie es selber aus, daß die Börse nach Amerika hin gravitiert. Können Sie mir von der Hamburger Börse Angenehmeres berichten?«

»Nein,« entgegnete Twersten. »Die spanischen Werte fallen rapide. Und Segelorders auf Kuba werden kaum noch angenommen. Geben Sie acht, es wird dort bald am Notwendigsten fehlen. Tritt eine Blockade der kubanischen Häfen ein – ich meine, wenn die Kriegserklärung wirklich erfolgen sollte –«

»Daran ist nicht mehr zu zweifeln. Amerika will sie.«

»Nun, so werden Sie erleben, daß die Magazine auf Kuba leer sind und die Soldaten auf nackten Füßen und in Lumpen fechten.«

Wieder schwiegen sie und blickten hinüber nach den beiden Schiffen.

»Es ist wahr,« sagte endlich der Schiffsingenieur, »was soll ich es Ihnen verhehlen! Was uns not tut, sind Schiffe, Schiffe und wieder Schiffe. Wenige Wochen noch, und kein spanisches Kauffahrteischiff wagt sich mehr in das Gebiet der Antillen. Wir müssen Vorsorge treffen. Ich habe es erst gestern wieder der Regierung geschrieben.«

»Sie meinen – Schiffe chartern, die die Flagge einer anderen Nation deckt. Sie werden niemand für das Wagnis finden.«

»Nun denn – kaufen!«

»Kaufen. Das ließe sich eher hören. Aber mit den Schiffen hätten Sie noch nicht – die Ladung.«

»Ich denke Tag und Nacht darüber nach. Der spanische Kaufmann hat in dieser Krise nicht mehr den Wagemut. Und der ausländische hält sich wohlweislich zurück. Schiffe mit der Ladung, Herr Twersten. Haben sie die Ladung gelöscht, können wir sie als Hilfskreuzer oder als Proviant-, Lazarett- oder Kohlenschiffe im Verband der Flotte gebrauchen.«

»Schiffe wie diese da,« sagte Twersten und wies auf die beiden Dampfer.

Der Spanier sah ihn scharf an. »Sie lesen in meiner Seele, Herr Twersten. Ja, wie diese da. Ich komme nicht umsonst so oft hierher. Bei allen Heiligen, es ist nicht bloße Augenweide, was mich treibt.«

»So telegraphieren Sie Ihrer Regierung, sie solle mir mit ausreichenden Vollmachten versehene Kommissare senden.«

Der Spanier fuhr herum. Seine Augen funkelten.

»Ist das – eine ernstgemeinte Offerte, Herr Twersten?«

»Sie werden, soweit ich es übersehen kann, in ganz Hamburg keine zweite finden.«

Der Spanier atmete tief. »Diese Schiffe da, diese schönen, stolzen Schiffe,« sagte er fast zärtlich. Und er sammelte sich und wurde zum zielbewußten Geschäftsmann. »Es ist keine Zeit zu verlieren. Ich werde telegraphieren. Sie übernehmen die Lieferung der Schiffe und der Ladung, die Ihnen vorgeschrieben wird, und führen den Auftrag auf kürzestem Wege aus. Und Ihre Kapitäne bringen die Schiffe hinüber. Ihre Firma deckt sie. Nur so ist die Sicherheit nach menschlichem Ermessen gewährleistet. Haben Sie noch etwas hinzuzufügen, Herr Twersten?«

»Es ist selbstverständlich,« erwiderte Twersten im geschäftlichen Tone, »daß das ganze Unternehmen unter den Garantien der spanischen Regierung vor sich geht. Das wäre die Grundbedingung. Über alles andere werden wir uns einigen. Ersuchen Sie telegraphisch um eine zunächst prinzipielle Erklärung. Bis zum Abend könnten Sie von Madrid Antwort haben. Es ist erst zehn Uhr früh.«

Der Spanier verabschiedete sich mit einem kurzen Händedruck, und Twersten suchte sein Privatkontor auf.

»Nun gilt es,« sagte er sich, als er an seinem Schreibtisch saß. »Kaltblütigkeit und raschen Verstand. Jetzt spielt schon der Telegraph und engagiert meinen Namen für die Verhandlung. Das ist ein Geschäft, dessen sich Fürsten und Kanzler nicht zu schämen brauchten. Und wenn ich Bramberg zwingen müßte, er soll mit!«

Und mit einem Male stand ihm Ingeborgs Bild vor Augen.

»Er soll mit!« wiederholte er sich, und dann begab er sich an die Tagesarbeit.

Man meldete ihm, daß Herr Martin Vanheil antelephoniert habe, wann Herr Twersten persönlich zu sprechen sei. »Ich werde, wenn ich zur Börse fahre, an seinem Kontor halten lassen. Bestellen Sie das, bitte.«

Und der Morgen ging hin, und er arbeitete weiter, bis der erste Prokurist erschien und ihn an die Zeit mahnte.

»Ach richtig, ich habe Vanheil den Besuch zugesagt. Hoffentlich hält Friedrich schon am Hafentor.«

Der Wagen hielt, als er aus der Barkasse sprang, und sofort fuhr er zu Vanheil.

An ihrem Schreibtischplatz saß Marga dem Vater gegenüber. Wenn sie plötzlich aufblickte, sah sie schwere Sorgenfalten im Gesicht des Vaters, die sofort verschwanden, wenn der Alte den Blick der Tochter verspürte.

Nun legte sie entschlossen die Feder nieder.

»Vater,« sagte sie, »bin ich nicht deine getreue Mitarbeiterin? Habe ich nicht etwas gelernt unter deiner und des alten Rochus Leitung? Mir sind doch keine geschäftlichen Dinge mehr fremd. Also sage mir, was ist?«

»Du bist meine liebe, lüttje Deern,« scherzte der Alte und nickte ihr zu.

Sie schüttelte abwehrend den Kopf.

»Nicht so, Vater, ich bitte dich herzlich. Deine ›liebe Deern‹ will ich bleiben, aber deine ›lüttje Deern‹, sieh, das bin ich längst nicht mehr. Blick mich nicht so erschrocken an. Ich bin Mitarbeiterin der Firma Martin Vanheil. Daran solltest du dich doch gewöhnen, Vater, und gern gewöhnen.«

»Hab' ich dir denn schon gekündigt, Fräulein Buchhalterin?«

»Ich bin Zeit deines Lebens unkündbar hier angestellt. Du meinst immer noch, ich betreibe das hier als Spielerei, um mir die Langeweile totzuschlagen. Aber

ich spiele nicht und langweile mich nicht eine Minute. Und aus der Firma gehe ich nicht wieder heraus. Meine Arbeit hier ist mir heiliger Lebensernst. So, und nun bitte, behandle mich nicht mehr wie eine kleine, hübsche Puppe, sondern als deinen guten Kameraden. Wie du Fritz behandeln würdest, säße er als dein Mitarbeiter hier.«

»Du bist ein mächtig resolutes Frauenzimmer,« sagte der alte Vanheil und blickte sie bewundernd an. »Aber wenn du auch eine noch viel größere Forsche entwickeltest, ich habe ganz gewiß keine schweren Geheimnisse, die ich dir anvertrauen könnte.«

»Du hast Sorgen, Vater.«

»Ah, keine Spur.«

»Ich seh' es dir doch am Gesicht an. Verstell dich doch nicht länger.«

»Dann muß mein Gesicht wohl lügen.«

»Nein, Vater, für mich lügt dein Gesicht nie. Darin lese ich nun schon seit Jahr und Tag.«

»Was? Da kann einem ja höllisch bange werden! Und so was setze ich mir vertrauensselig gegenüber.«

»Nun ist es gut, Vater,« sagte Marga bittend. »Ich weiß, daß dir das Scherzen Freude macht. Und ich freue mich auch darüber. Aber jetzt wollen wir einmal ganz, ganz ernst miteinander sprechen. Wie zwei Kampfgenossen. Oder traust du mir keinen Mut zu?«

»Wie zwei Kampfgenossen –« wiederholte der Alte, und er gab den Worten einen seltsam vibrierenden Klang. »Meine liebe lüttje Deern im Kampf? Da sei Gott vor! Also Deern, mach, daß du deine Briefe fertig kriegst. Es liegt kein Grund zur Trübsal vor. Marga nahm die Feder auf. »Du hast kein Zutrauen zu mir, Vater. Das schmerzt.«

»Kind, Kind, ich bin doch noch kein Mummelgreis? Ich kann doch noch meine Firma führen und meine Familie ernähren? Wer hat kein Zutrauen? Ihr oder ich? So, ja, nun schämst du dich, und soeben sollte ich mich schämen. Gib die Hand her, dumme Deern. Wir haben uns schon längst wieder vertragen. Wie? Haben wir?«

»Ja, Vater,« erwiderte sie, und gegen ihren Willen wurden ihre Augen feucht. »Können wir mit der ›Norge‹ noch fünfzig Faß Branntwein für Schmidt Söhne laden? Für Christiania, Vater?«

»Die trinken dort auch hundert, trotz der Abstinenzbewegung. Ja, nimm an. Herrgott, ist das ein trinkseliges Land! Ich könnte dir erzählen.«

»Da fährt die Twerstensche Equipage vor!« Erregt stand Marga am Fenster und sah Karl Twersten aussteigen. Dann wandte sie den Kopf dem Vater zu. »Hast du etwas – mit Karl Twersten?«

»Ich wollte ihm – ein Geschäft vorschlagen.«

»Du – ihm?«

Es klopfte, und Herr Rochus selbst führte den verehrten Besuch in das Privatkontor seines Chefs.

»Guten Tag, Martin. Nun, du hast etwas auf dem Herzen? Ach – das ist ja meine liebe Freundin Fräulein Marga. Wollen Sie etwa Ihr erstes kaufmännisches Examen ablegen, bei dem ich als Prüfungsbehörde fungieren soll?« Er lachte und schüttelte ihr herzlich die Hand. »Wahrhaftig, im Schreibärmel! Ganz zunftgemäß!«

Martin Vanheil rieb sich etwas verlegen die Hände.

»Mach einen Knix, Marga, und, hm, beurlaube dich.«

Die Herren waren allein. »Nun?« fragte Twersten aus seinem Ledersessel heraus, »was ist's, Martin?«

»O – nur eine vorübergehende Störung. Es ist nicht von Belang.«

»Wieviel, Martin?«

»Zwanzigtausend Mark.«

»Das ist nur viel, wenn dein Bankkonto erschöpft ist. Und es ist erschöpft?«

»Ja,« sagte Martin Vanheil, und senkte errötend den grauen Kopf, »augenblicklich. Willst du mir vielleicht über den Berg helfen, Twersten?«

»Mit den Zwanzigtausend? Das Geld wäre verloren.«

»Wenn das der Fall wäre,« und Vanheil sah den Freund aus klaren Augen an, »würde ich dich nicht darum bitten. Denn dann wäre es glatter Betrug. Traust du mir wirklich Derartiges zu, Twersten?«

»Entschuldige, Martin.« Twersten beugte sich vor und klopfte ihm aufs Knie. »Ich vergaß im Augenblick, daß ich mich bei dir befand. Nein, du ewiger Optimist und Idealist, dir traue ich nur Gutes zu, und vom guten das beste. Aber ich frage dich, wirft dein Geschäft augenblicklich so viel ab, daß du die Summe erübrigen kannst? Es ist doch eine ziemliche Flaue allenthalben in den mittleren und kleineren Betrieben. Nun, nun, es soll mich freuen, wenn du mich eines Besseren belehren kannst.«

»Ich dich belehren?« Vanheil schüttelte mit wehmütigem Humor den Kopf.

»Das wäre ein Spaß, Twersten, der die Börse in Aufregung setzen würde. Nein, aber ich werde, ganz unmerklich, weißt du, den Haushalt einschränken und meine eigenen kostspieligen Liebhabereien.«

»Du hast ja gar keine, Martin.« Twersten blickte sinnend vor sich hin.

»Du bist in deiner Jugend uns anderen gegenüber nie ein Knauser gewesen, und mit mir besonders hast du oft geteilt. Also will ich dir einen guten Rat geben.«

»Einen – Rat?«

»Verfrachte, was du kriegen kannst, nach Kuba. Nimm die Valuta auf dich! Ich schaffe dir die Verbindung, und du sollst das Doppelte herausziehen.«

Entgeistert starrte Vanheil den Freund an.

»Gott soll mich behüten! Alles aufs Spiel zu setzen – auf eine Karte – dazu habe ich nicht die Berechtigung.«

»Du setzest nichts aufs Spiel. Nur den Mut des Zupackens hast du aufzubringen. Dein Geschäft hat eine Aufmunterung nötig. Es ist altfränkisch geworden, Martin.«

Martin Vanheil blickte still vor sich hin. »Ich habe es nicht anders gelernt,« sagte er leise. »Du mußt mir keinen Vorwurf machen.« Und mit einem Male begann er zu erzählen, als gelte es, eine Beichte abzulegen, als wäre sein Herz so übervoll, daß er es endlich, endlich einem Freunde ausschütten müsse, um neuen Raum zu schaffen.

»Wenn sich je ein Mensch über seine Fähigkeiten klar gewesen ist, so bin ich es. Und wenn je einer aus seinen Fähigkeiten nichts hat machen können, so bin ich es auch. Das lag so in meiner Natur. Ich konnte kein Leid sehen, und jedes Lachen wärmte mich. Als Kaufmann erkannte ich dies Manko mit offenen Augen. Wer nicht zugreift, bei dem wird zugegriffen. Aber der Mensch in mir war immer stärker als der Kaufmann, und dieser Mensch, siehst du, der lehrte auch seine Familie das Lachen. Und dieses Lachens wegen mußte ich den Gewinn, den das Geschäft abwarf, herausziehen und immer wieder herausziehen, und an eine Vergrößerung war nicht zu denken. Ich sage das nicht, um mich zu beklagen. Kein Mensch kann glücklicher gewesen sein und ist glücklicher. Ich habe ein Familienleben, wie es inniger und schöner auf der ganzen Welt nicht zu finden sein kann. Ist das nicht ein ungeheurer Erfolg meines Systems? Und wert, ein Menschenleben daran zu riskieren? Es ist es, und wenn ich als Kaufmann noch viel weniger Bedeutung erlangt hätte. Diese strahlenden Augen! Diese Freude, wenn ich mit einem Geschenk komme: einer kleinen Reise oder auch nur einer Landpartie, guten Theater- oder Konzertbilletts, neuen Büchern, alten Stahlstichen, oder einem Stoß Noten. Und du stehst mitten unter den Deinen und weißt, diesen allen bist du jeden Tag, den Gott dir schenkt, der Bringer der Freude und Verscheucher allen Leides. Sie alle glauben an dich wie an den Himmel. Ich kann dir gestehen, es kamen oft schon sorgenvolle Stunden hier unten im Geschäft, aber da oben in der Wohnung habe ich nichts merken lassen, nichts, nichts. Das ging nur mich an, und das durfte nur mich angehen, denn dafür genoß ich ja auch ihr Lachen mit doppelter Empfindung. So ein Genußsüchtiger war ich. Nun, die letzten Jahre waren gute Jahre, waren sogar ausgezeichnete Geschäftsjahre, und das war mein Glück, denn ich hatte bei Erikas Verlobung dem jungen Paar zum standesgemäßen Leben einen jährlichen Zuschuß von viertausend Mark versprochen. Und Fritz rechnete auf der Hochschule auch nicht mit Pfennigen. Dafür waren sie ja auch alle froh und zufrieden. Aber dieses letzte Jahr – Twersten, ich gestehe es dir – das war für mich eine heimliche Hölle. Immer tiefer herunter ging das Frachtgeschäft. Neue Linien. Modernes Kaufmannstum. Ich wehrte mich, was ich konnte. Aber du weißt ja selber, was ich kann. Altfränkisches Geschäft, sagtest du vorhin. Es war mit Ehren gegangen, wie es beim Vater ging. Nun will es plötzlich abstoppen. Das darf nicht sein. Du verstehst mich, der da oben wegen nicht,« und er wies mit einem schamvollen Lächeln nach der Decke. »Des Lachens wegen nicht. Ich muß der Vater bleiben. Bis ich sterbe.«

Karl Twersten sah dem Jugendfreund lange in die Augen. »Gib mir mal deine Hand, Martin. Lieber, alter Kerl. Wahrhaftig, du bist der einzige, an dem ich diese Art schätze. Und nun wollen wir nicht mehr über die Sache sprechen, denn ich sehe: du und dein Geschäft, ihr müßt wohl sein, wie ihr seid.«

Er setzte sich an den Tisch und füllte ein Blatt seines Scheckbuches aus. »Hier, Alter, und nun gib mir eine Quittung. Du brauchst keinen Termin hineinzusetzen. Schreibe: Rückzahlbar sobald es in meinem Vermögen steht. Dann drückt es nicht auf deine Geschäfte.«

»Ich danke dir, Karl.«

Twersten faltete die Quittung in sein Taschenbuch. »Es ist Zeit, daß ich weiterkomme. Halt dich wacker, Martin. Ein Mann wie du kann nicht untergehen, weil er nicht untergehen darf.«

»Ich freue mich,« sagte Vanheil, »daß du dieselbe Meinung hast wie ich.« Und die alte, fröhliche Zuversicht breitete sich wie Sonne über sein Gesicht.

Sie schüttelten sich die Hände und öffneten die Tür zum Kontor. »Fräulein Marga scheint Frühstückspause zu machen. Grüße sie von mir und grüße herzlich deine Frau.«

»Nichts soll vergessen werden, nichts, Twersten. Und nun wünsche ich dir eine gute Börse.«

Karl Twersten nickte ihm zu, reichte dem alten Rochus im Vorübergehen die Hand und suchte seinen Wagen auf.

»Zur Börse, Friedrich.«

Als er einsteigen wollte, hielt er überrascht inne. »Sie hier, Fräulein Marga? Soll ich Sie entführen?«

Sie saß in Mütze und Jackett scheu in einer Ecke des geschlossenen Wagens. Aber ein Willensstarker Zug lag um ihren Mund.

»Wollen Sie mich mitnehmen, Herr Twersten?« fragte sie hastig zurück.

»Wohin?« Und er stieg zu ihr ein.

»Wohin Sie fahren.«

Die Pferde zogen an. »Es kommt Ihnen also nur auf eine Unterredung an, Fräulein Marga. Und wenn ich an Ihren Kontorstuhl und Ihren Schreibärmel denke, muß ich mir wohl sagen, es handelt sich um – Geschäfte?«

»Ja, um Geschäfte.« Sie atmete schneller. »Seien Sie nicht böse, daß ich diesen merkwürdigen Weg wähle. Ich wußte in der Eile keinen anderen.«

Er blickte sie freundlich an. »Fragen Sie, was Sie mich fragen wollten, Fräulein Marga. Ich kenne ja wohl den Grund Ihrer Unruhe.«

Sie wußte nicht, wie beginnen. Und dann fragte sie unvermittelt, und eine brennende Röte stieg ihr ins Gesicht: »Werden Sie das kubanische Geschäft machen, Herr Twersten?«

»Potztausend!« rief Twersten, und rückte sich zusammen. »Gehorcht?«

«Ja, Herr Twersten,« stammelte sie, und ihre Blicke suchten vor Scham den Boden.

Eine Pause verstrich. Twersten ließ keinen Blick von ihr. Und dann sagte er endlich und berührte leise ihre Hand: »Liebes Kind, das war nicht schön, was Sie da getan haben. Oder Sie müßten sehr, sehr stichhaltige Gründe aufbringen können.«

»Ja,« erwiderte sie kaum hörbar, »und trotz der stichhaltigen Gründe schäme ich mich doch.«

»Dann ist es gut, Kind. Lassen Sie hören.«

»Ich habe solche Angst um meinen Vater,« stieß sie hervor. »Alle die Monate schon. Er reibt sich auf, daß es fast über seine Kräfte geht, um mir und uns allen den Rückgang des Geschäftes zu verheimlichen. Und ich sitze doch im Kontor, und habe die Bücher vor mir, und habe meine Augen und meine Ohren. Und – diese tiefe, tiefe Liebe zum Vater. Nur deshalb habe ich gehorcht. Verzeihen Sie mir.«

»Es ist gut, Kind,« wiederholte Twersten. »Sprechen Sie nur ruhig weiter.«

Eine starke Teilnahme war in ihm für dies Mädchen, das sich um seinen Vater sorgte. Wie reich war doch dieser arme Vanheil. Frau und Kinder gehörten ihm! Ungeteilt!

Marga sprach weiter. »Sie haben meinem Vater geholfen, Herr Twersten, und wenn mein Vater einmal sterben sollte, ich werde das nie vergessen. Aber wenn sich das Geschäft nun nicht selbst weiterhilft, war auch Ihre Hilfe umsonst. Wir dürfen nicht auf bessere Zeiten warten. Wir müssen sie selbst schaffen. Oder wir haben nicht das Recht, uns Kaufmann zu nennen.«

Der Feuereifer, in den sich das Mädchen hineinredete, machte Twersten Freude. »Die Vorschläge, die ich Ihrem Vater machte, und die nur für ihn bestimmt waren – nicht wahr, Fräulein Marga, Sie haben nichts gehört.«

»Nein,« versetzte sie, und sah ihn mit ehrlichen Augen an. »Aber – ich möchte doch –«

»Wissen, ob ich das kubanische Geschäft mache. Ich denke, ja. Mehr kann ich Ihnen heute nicht sagen. Aber, wenn ich fragen darf, weshalb interessiert Sie das?«

»Beteiligen Sie mich, Herr Twersten. O, bitte, nicht lachen. Ich weiß ja selbst, daß es lächerlich ist, Ihnen mit so etwas zu kommen. Und für Sie spielen die paar tausend Mark, die ich habe, gar keine Rolle. Ich habe an meinem einundzwanzigsten Geburtstag fünftausend Mark von der Versicherungsgesellschaft ausbezahlt erhalten. Für meine Aussteuer. Vater hatte uns Mädchen eingekauft. Ich habe das Geld auf eigenes Konto auf der Bank, und Vater würde es niemals von mir annehmen. Wollen Sie mich damit beteiligen? Ich bitte Sie so herzlich darum.«

»Sonderbares Mädel. Sie persönlich soll ich beteiligen?«

»Nein, nicht mich persönlich. Die Firma.«

»Wie, sind Sie denn Teilhabern geworden?«

»Nein,« entgegnete sie ernst, »aber Sie sagten doch vorhin selbst, es wäre altfränkisch, unser Geschäft. Und da dachte ich mir –«

»Es zu korrigieren? Fühlen Sie denn die Kraft in sich, die dazu gehört? Sie stellen sich eine schwere Aufgabe.«

Ihr Gesicht hatte einen festen und sicheren Ausdruck. In ihren Augen war der Mut.

»Ich arbeite mich ein,« erwiderte sie ruhig. »Es wird gehen, weil es gehen muß. Und ich habe ja ein ganzes Leben vor mir. Heute mache ich den Anfang, und so bitte ich Sie denn noch einmal: beteiligen Sie mich, Herr Twersten, es muß sein.«

»Gut,« sagte er, »weil du so ein Prachtmädel bist.«

Alles Blut drängte sich ihr ins Gesicht. Und dann haschte sie nach seiner Hand.

»Nein, Sie gutes Töchterchen.« Und er nahm ihren Kopf und küßte sie auf die Stirn. »Und hier steigen Sie aus, damit Sie mir nicht ins Börsengetriebe kommen. Sonst erzählt sich heute abend schon ganz Hamburg: Karl Twersten und Marga Vanheil hätten eine heimliche Liebe zueinander!«

Mit einem Male hatte sie alle ihre fröhliche Frische zurück.

»Sie ist gar nicht heimlich,« und sie stieg schnell aus. »Und nicht wahr, ich darf es?«

»Was?«

»Adieu, Herr Twersten.« Sie winkte ihm zu, und der Wagen verschwand um die Straßenbiegung.

»Solch eine Tochter zu besitzen!« dachte Twersten. Es war ihm warm ums Herz geworden. »Solch eine Tochter! Sie wöge einen Sohn auf und schmückte das Alter aus.« Heute harrte er die ganze Börsenzeit aus. Die beunruhigenden Nachrichten aus Amerika und Spanien beherrschten die Tendenz. Vor allem die Versicherungsgesellschaften hielten sich zurück, sobald die Rede auf die spanischen Antillen kam, und schnellten die Prämiensätze auf eine nicht diskutierbare Höhe. Das Risiko glich den Gewinn vollständig aus. Gelangten die Schiffe an den Bestimmungsort, so fraßen die Versicherungsgebühren den Gewinn. Anderseits aber mußten die Gesellschaften um die eigene Deckung besorgt bleiben.

Die großen Häuser, die in der Hauptsache den Handel nach der Havanna geleitet hatten, litten unter der starken Anhäufung ihrer Lagerbestände und suchten zu eben annehmbaren Preisen zu räumen. Aber die Kauflust war gering, und die Überproduktion allenthalben beträchtlich. Alles das interessierte Twersten sehr, und er näherte sich bald dieser, bald jener Gruppe, unbefangen wie ein Zuhörer und im stillen erwägend und kalkulierend.

Als die Börsenstunden zu Ende gingen, gewahrte er Bramberg, der nach dem Ausgang drängte. Er rief ihn an und trat mit ihm zur Seite.

»Bitte, bleiben Sie heute abend auf dem Kontor. Auch wenn es etwas später wird. Erwarten Sie mich auf jeden Fall. Ich denke, Sie sollen heute abend Ihre Freude an mir erleben.«

Theodor Bramberg kniff zweifelnd ein Auge ein. »Ich bin sehr skeptisch in dieser Beziehung, Twersten. Es gehört schon eine verdammt große Portion Uneigennützigkeit dazu, andere Menschen eine Freude erleben zu lassen. Und an Uneigennützigkeit in Geschäftssachen – na, daran glaube ich nun einmal nicht.« Twersten ging über den Erguß hinweg. »Also, es bleibt dabei. Sie erwarten mich heute abend.«

»Gott, wenn Sie so großen Wert darauf legen! Aber glauben Sie nur nicht, daß ich mir so leicht imponieren lasse. Ich weiß ganz genau, was Geld bedeutet und welchen Kurs es unter Brüdern hat.«

Nach einem einfachen Frühstück fuhr Twersten zur Werft zurück und begab sich sofort auf sein Privatkontor. Nur zuweilen hob er kurz den Kopf, wenn draußen auf dem Gang ein Schritt ertönte, und senkte ihn wieder über die Arbeit. Stunde auf Stunde ging hin. Die Kontorräume hatten sich geleert, auch die Prokuristen hatten sich verabschiedet. Schon war eine telephonische Anfrage Theodor Brambergs gekommen, ob er noch länger warten solle. Ganz still war es in dem weitläufigen Bureauhaus geworden, und nur von der Werft drang unaufhörlich das Geklapper der Hämmer herauf. Karl Twersten hatte sich im Stuhl zurückgelehnt. Lange schon horchte er auf den rastlosen Pulsschlag seiner Werft. Und er dachte, daß dieser Pulsschlag nun auch für Ingeborg sei, und ein warmer Blutstrom flutete durch sein Herz und färbte sein Gesicht mit dem Schein stolzer Genugtuung. Er war nicht allein. – –

Gerade schlug es acht Uhr, als der Bureaudiener den spanischen Schiffsingenieur meldete. Als er eintrat, fand er Twersten tief über die Arbeit gebeugt.

»Soeben ist das Telegramm eingelaufen. Und auf der Stelle eile ich zu Ihnen.«

»Ah, Sie sind's! Sofort stehe ich zu Ihrer Verfügung. Nehmen Sie Platz.«

Er beendete kurz seine Arbeit und schob sie in seine Mappe. »So,« sagte er, »ich bin bereit.« Mit einem Blick hatte er in den Mienen des anderen gelesen, daß seine Vorschläge akzeptiert seien.

»Hier ist das Telegramm,« sagte der Spanier und mühte sich, seiner freudigen Erregung Herr zu werden. »Meine Regierung teilt mir mit, daß sie im Prinzip mit dem sofortigen Ankauf Ihrer Schiffe einverstanden wäre und beauftragt mich, Ihnen die schleunigste Kalkulation der Ladungen aufzugeben in Bekleidungsstücken, Leinen, Woll- und Baumwollwaren, Schuhen und Stiefeln, Sätteln und Lederzeug. Ferner in Betten, Lazarettgegenständen, Konserven, Desinfektionsmitteln. Meine Regierung teilt mir mit, daß die mit dem Abschluß beauftragten Kommissare bereits morgen von Madrid abreisen würden. Ich freue mich, Herr Twersten, daß ich es sein durfte, der seinem Vaterland diesen Dienst erweisen konnte.«

Twersten blieb ruhig. »Und Ihre Regierung telegraphiert noch nichts wegen der Bedingungen?«

»Bedingungen? Für uns sind die Mittel wichtiger als die Bedingungen. Die Kommissare werden das wissen. Man würde sie sonst nicht augenblicklich auf die Reise schicken. In drei Tagen können die Herren hier sein und die Verhandlungen zur Erledigung bringen.«

»Schön,« sagte Twersten, »warten wir ab. Es war ein anstrengender Tag für Sie, und Sie werden der Ruhe bedürfen. Ich darf Sie deshalb nicht länger zurückhalten.« Und er reichte dem Beauftragten mit höflicher Wärme die Hand.

Der Spanier verneigte sich respektvoll. Die sichere Ruhe, mit der dieser Hamburger Schiffsbauer ein Millionengeschäft behandelte, wirkte stark auf ihn ein. »Auf morgen, Herr Twersten,« und er ging. Karl Twersten stand mitten im Zimmer. Der Ausdruck seines Gesichtes verwandelte sich. Ein Triumph blitzte in seinen Augen auf, eine heiße Siegesfreude. Dann nahm er das Telephon und rief hindurch: »Ich bin auf dem Wege zu Ihnen, Bramberg.«

»Ich hätte auch nicht eine Minute langer gewartet, Twersten.«

Und Twersten dachte, als er in den Abend hinausfuhr, nicht an Theodor Bramberg. Er dachte an die Augen Ingeborgs, in denen es aufleuchten würde wie in seinen. Weil es einen Sieg galt, der den Mann anzeigte. –

Wieder saßen sich die beiden Chefs gegenüber. Bramberg verdrießlich, weil er einen Abend verloren hatte. Twersten mit dem unbeugsamen Willen, nicht vom Platze zu weichen, bis er den anderen zur Gefolgschaft gezwungen habe.

»Beide Schiffe können Ende März ladefertig sein, Bramberg. Das ist die erste gute Kunde.«

»Für Sie vielleicht,« versetzte Bramberg ärgerlich. »Aber mich geht das wirklich nichts an. Ich habe die Schiffe erst zum Herbst abzunehmen und verstehe gar nicht, weshalb Sie unter Hochdruck daran arbeiten lassen. Das verteuert doch enorm, aber das ist zuletzt Ihre Sache. Ich jedenfalls, ich habe vorher, bei dieser Flaue, keine Beschäftigung dafür und muß Sie freundlichst bitten, den Zinsverlust allein zu tragen.«

»Wie wäre es, Bramberg, wenn es für jeden von uns – für jeden! – eine glatte Million zu verdienen gälte?«

»Oder zu verlieren, meinen Sie doch wohl?« Twersten sah ihn starr an. Nur ein wenig erhob er seine Summe.

»Ich habe – verdienen gesagt. Das ist doch nicht mißzuverstehen.«

Verdutzt blickte Bramberg in Twerstens kühles Gesicht. Diesem Ton gegenüber fehlte es ihm an der Entgegnung.

»Nun hören Sie gut zu, Bramberg. Sie werden mich nicht für den Narren halten, der ohne die sichersten Garantien seine Haut zu Markte trägt. Und für sentimental, den bedrängten Herren Spaniern gegenüber, halten Sie mich wohl auch nicht. Hier handelt es sich ganz einfach um ein Geschäft, um eines jener überraschenden Geschäfte, das auf den Mann wartet. Sie sagen mir, daß Sie die beiden Steamer nicht dringend benötigen, daß Sie sich mit Ihrem Schiffsmaterial augenblicklich ganz gut zu helfen wissen. Desto besser. Sie werden Ihren Auftrag erneuern. Denn diese Schiffe will ich auf mein Konto übernehmen, und Sie – Sie benutzen einen Teil der wieder disponibel gewordenen Summe, nicht allein die Verfrachtung zu übernehmen, sondern die Gesamtladung auf eigene Rechnung anzukaufen. Kein Mensch braucht zu wissen, zu welchem Zweck. Sie schließen die Lieferungsverträge nach der Warenliste, die noch im Laufe dieser Woche in Ihren Händen sein wird.«

»Sie sprachen von Garantien, Twersten; davon möchte ich zuerst hören.«

»Die Garantien bestehen in der spanischen Regierung, die mit mir unterhandelt. In drei Tagen sind die Kommissare der Regierung bei mir. Vor einer Stunde traf die Depesche ein. Sie werden sich selbst sagen, Bramberg, daß die Bedingungen die sein werden, die ich diktiere.«

Bramberg nickte. »Das alles wäre überwältigend. Aber es geht doch nicht. Der Gewinn ist illusorisch.«

»Bitte. Die Reihe ist an Ihnen. Tragen Sie Ihre Bedenken vor.«

»Das ist leicht geschehen, Twersten, und ich wundere mich, daß Sie nicht selbst damit gerechnet haben. Sie waren doch heute erst auf der Börse. Nun also. Selbst wenn die spanische Regierung eigenhändig bestellen und bar bezahlen würde – ich kriege für die Ladungen keine Versicherungen oder nur zu Sätzen, die mich in der Hauptsache für die Versicherungsgesellschaften arbeiten lassen. Und dafür danke ich. Das ist mir die Aufregung nicht wert. Und darauf kamen Sie nicht, Twersten?«

Twersten lächelte. Eine heimliche Geringschätzung lag in diesem Lächeln, das Bramberg übersah.

»Ich sprach davon, daß ein jeder von uns beiden – verdienen solle. Glauben Sie, ich hätte Lust, auch nur mit einem Dritten zu teilen?«

»Nun? Nun? Und wer übernimmt die Versicherung?«

»Wir selber, Bramberg.«

»Wir –?«

»Damit Sie keine Angst haben, biete ich mich für die ganze Dauer des Geschäftes, für dies Geschäft, als Mitreeder an. Nur unter uns. Wir machen einen stillen Vertrag. Und ich werde sorgen, verlassen Sie sich auf mich, daß den Herren Kommissaren gegenüber diese Versicherungsfrage nicht die schlechteste Rolle spielen wird. So, Bramberg, und nun wissen Sie alles.« Seine Augen waren weit geöffnet und lachten kühn und herausfordernd ins Zimmer.

Bramberg atmete hörbar.

»Donnerwetter,« stieß er hervor, »jetzt wirbelt auch mir der Kopf. Sie sind ein furchtbarer Fechter, Twersten. Gnade Gott dem, der Ihnen vor die Klinge läuft.«

»Es handelt sich hier ja auch nicht um Kieselsteine, Bramberg.«

»Nein, um Millionen.« Und es glimmerte in seinen Augen.

Twersten wartete geduldig. Dann sagte er ruhig: »Sie müssen das letzte Wort sprechen.«

Bramberg fuhr sich erregt mit der Hand durch das dünne Haar.

»Morgen, Twersten. Mir wirbelt der Kopf.«

»Das sagten Sie mir schon. Aber Ihr Kopf hat jetzt Besseres zu tun. Es muß heute sein, denn morgen reisen die Kommissare von Madrid ab.«

Bramberg sprang auf.

»Ich kann jetzt nicht. Ich sitze seit Nachmittag hier und warte auf Sie. Ganz schlapp ist mir geworden. Lassen Sie mich erst in Gemütsruhe einen Bissen essen und ein Glas Wein trinken. Fahren Sie mit mir nach Hause, und nach Tisch, ich verspreche es Ihnen, sollen Sie meinen definitiven Entschluß haben.«

»Sie können sich denken, Bramberg, daß ich Ihnen jetzt nicht mehr von der Seite gehe.« –

In der Uhlenhorster Villa empfing Frau Ingeborg die Herren mit fröhlichen Augen.

»Das hätte ich mir nicht träumen lassen, daß ich so spät noch so angenehme Gesellschaft erhielte. Sie kommen direkt vom Kontor? Bitte, treten Sie schnell näher. Der gedeckte Tisch steht bereit.«

Twersten rührte nicht viel von den Speisen an. Aber das erste Glas Wein trank er in langem, durstigem Zug.

»Sie können vor meiner Frau ruhig sprechen,« sagte Bramberg, während er unter den Gerichten wählte. »Wenn sie als Frau wohl auch kaum die Tragweite des Geschäftes übersieht, so wird sie doch die Kühnheit des Unternehmens unterhalten.«

»Die Kühnheit Herrn Twerstens?« fragte sie zurück, und ihre Augen suchten des Freundes Augen.

In großen, scharfen Zügen entwarf ihr Twersten die Situation. Er sprach nur zu ihr, und jedes Wort griff sie in seiner Bedeutung auf und baute es auf das andere. Ihr Geist entflammte sich an dem seinen. Sie fühlte sich erhoben, gleichgestellt und mitgerissen.

»Das ist in Wahrheit die Disponierung eines kaufmännischen Strategen,« sagte sie tief aufatmend. »Kein Glied fehlt in der Kette.«

»Also auch du gibst dich gefangen?« fragte Bramberg. »Und du rätst mir wirklich, zuzugreifen?«

»Da ist kein Rat mehr vonnöten,« antwortete sie nur.

»Nun denn,« Theodor Bramberg warf die Serviette hin, »coûte que coûte, ich schlage ein.«

Die Herren reichten sich die Hand. Und es trat eine lange Stille ein.

Dann meinte Bramberg lachend: »Das müssen Sie mir noch sagen, Twersten. Weshalb haben Sie die ganze Sache nicht stillschweigend allein gemacht? Weshalb lassen Sie mich mitverdienen?« Sie hatten sich erhoben und standen beisammen.

»Weil,« antwortete Twersten, »ich mir nun mal in den Kopf gesetzt habe, Ihnen ein fürstliches Geschenk zu machen.«

»Komisch. Und ich habe Ihnen doch nichts geschenkt.«

»Nein,« sagte Twersten, und es war ein eigener Klang in seiner Stimme, »Sie nicht.« –

Ingeborg Bramberg wandte den Kopf nach ihm hin. Sie war blaß. Aber ihre Augen dankten dem Manne, der nicht gelernt hatte, ein Schuldner zu sein. – –

[leer/]


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