Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

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XIV

Kein Mensch sah es Karl Twersten an, daß in so vielen langen Sommernächten kein Schlaf auf seine Augen gefallen war. Wenn es keine Arbeit mehr aufzufinden gab auf der Werft, wenn am Abend die Arbeitsplätze menschenleer und lautlos lagen, ging er als letzter den Weg zum Anlegesteg, fuhr schweigend hinüber nach der Stadt und schweigend nach Hause.

Dann saß er am offenen Fenster seines Zimmers, während die Dienstboten längst die Ruhe gesucht hatten, und horchte in die Nacht hinaus, die angefüllt war mit flüsternden Stimmen, und horchte stundenlang mit weitgeöffneten Augen.

Aber die Stimme, die er hören wollte, war nicht darunter.

Ein-, zweimal die Nacht erhob er sich und ging hinüber in das Zimmer seines Sohnes. Und auch hier setzte er sich ans Fenster und blickte hinaus in die Sommernacht, aber die Blicke kehrten immer wieder zurück und streiften durch den leeren Raum.

Seine Gedanken waren bei seinem Sohne.

»Als er geboren wurde und hilflos in seinem Korbbettchen lag, hab' ich mehr Stolz empfunden als Liebe.

»Als er zum ersten Male auf schwankenden Beinchen stand und sich von der Hand der Wärterin riß und auf mich zustolperte, als er mich zum ersten Male mit dem Vaternamen rief, habe ich nur noch Liebe empfunden, überwältigende Liebe, die alles einzusetzen bereit war und immer nur einen neuen Anfang sah und kein Ende. Junge, wie hab' ich dich lieb gehabt! Es war Liebe, Liebe, immer wieder Liebe, daß ich dich härter anfaßte, weil ich dich größer und stärker machen wollte, und das liebste wäre mir gewesen, wenn ich eines Tages wie ein Zwerg neben dir gestanden hätte.

»Aber du spürtest aus allem stets nur die Härte und sahst das Lächeln nicht, das ich so oft hinter dir herschickte; weil sie, die deine Mutter war, dich unter ihren Küssen nur ihr eigenes Lachen sehen ließ und dadurch verdoppelt die Strenge des Vaters.

»Die deine Mutter war – –.«

Und er stand auf und ging in sein Zimmer zurück und nahm den alten Platz wieder ein. Der Sommerhimmel war voll von Sternen, und aus den Gärten, die sich an die Alster schmiegten, strich eine Fülle von Düften schwer und langsam durch die Luft.

»Die meine Frau war – –.«

Aber das schmerzte nicht. Nur eine Bitterkeit war in den Worten, von erinnerungsarmer Jugend, von vorübergegangener Mannesfreude. Und die späte Sehnsucht quoll auf in seiner Brust und redete zu ihm von seiner unverbrauchten Liebeskraft, und daß die Sonne, wenn sie sinkt, aufflammt in Farben und tiefen Gluten, wie sie kein Morgenrot kennt.

»Daß du fern bist, Ingeborg. Ich könnte dich rufen, und du würdest mich in der lauten und in der leisen Ferne hören. Aber es ist notwendig, daß du dich erholst und mit frischen Farben wiederkommst.«

Und es vergingen Tage, denen keine Nächte folgen wollten, weil die Gedanken weiterarbeiteten und das Ausruhen vergessen hatten.

Kein Mensch sah es Karl Twersten an, wenn am frühen Morgen seine Barkasse an der Werft landete und er elastischen Schrittes über die Höfe nach dem Kontorhaus ging. Wie er am Abend der letzte war, so war er am Morgen der erste. Das Personal kam auf die Minute. Immer war der Chef schon zugegen und saß emsig schreibend und Berechnungen aufstellend in seinem Privatkontor.

»Feldermann, heute ist ein großer Tag. Da haben wir ihn! Lesen Sie und freuen Sie sich mit mir! Der erste Auftrag für die deutsche Flotte.«

In seinen Augen leuchtete es auf. Alles Dunkle und Abweisende war daraus verschwunden. Nur die stolze Befriedigung stand darin, wieder eine Etappe zurückgelegt zu haben, wieder vor der Bewältigung neuer Aufgaben zu stehen. Vor der Bewältigung!

Das las der Oberingenieur richtig. Dazu bedurfte er des amtlichen Schreibens nicht.

»Nun sind wir auf dem Weg,« sagte er. »Jetzt haben wir Kurs genommen.«

»Feldermann, nun habe auch ich wieder einmal meinen Sonntag.«

»Sie haben ihn immer, Herr Twersten, wenn Sie in der Arbeit sind.«

»Und wissen Sie, weshalb, Feldermann? Weil uns die Arbeit unseres Wertes bewußt werden läßt. Wir leben nicht umsonst! Das sind Sonntagsgedanken.« »Sie werden dem deutschen Panzer zugute kommen.« Und des Ingenieurs Augen leuchteten wie die seines Chefs.

»Wolle Gott,« erwiderte Twersten, »daß er nur der erste auf unseren Hellingen ist. Nicht allein der Werft wegen, sondern der Stärkung des deutschen Nationalbewußtseins halber. Je mehr Schiffe unsere Flagge zeigen, hier, dort, überall, um so größer unser Ansehen unter den Völkern und der Respekt vor unserem langen und starken Arme. Damit die eigentümliche Befähigung des Deutschen, die sich bei keiner anderen Nation wiederfindet und von der Bismarck schon sarkastisch sprach, ›die eigentümliche Befähigung, aus der eigenen Haut nicht nur heraus, sondern in die eines Ausländers hinein zu fahren und vollständig Pole, Franzose oder Amerikaner, kurz und gut etwas der Art zu werden‹, endlich jede Existenzberechtigung verliert.«

»Da kenne ich auch einen Ausspruch Bismarcks, Herr Twersten, der noch aus den fünfziger Jahren stammt.«

»Sagen Sie ihn. Das ist nahrhafte Kost.«

»Es muß uns Söhnen Teuts erst einmal sehr schlecht gehen, ehe wir Courage haben. Solange wir noch etwas zu verlieren haben, fürchten wir uns. Sind wir ausgezogen und durchgeprügelt, so ist jeder ein Löwe!«

»Wir könnten,« meinte Twersten, »dem Alten im Sachsenwalde keine größere Freude machen, als wenn wir ihm einmal diesen einen Ausspruch korrigieren könnten. Auf der Wacht sein, wenn es uns gut geht! Nur der Emporsteigende hat Feinde, und diese Feindschaft ist allemal die Quittung der Bedeutung.«

Er nickte ernst vor sich hin.

»Der Alte im Sachsenwalde. ... Wie lange noch wird er die Stimme des nationalen Gewissens sein. ... Es sind schlechte Nachrichten da aus Friedrichsruh. Ich fürchte, Deutschland wird bald unter eine große Zeit einen Strich ziehen müssen. – Und dieser große, rastlose Arbeiter war mir zeitlebens Vorbild und Freund.« – –

Am nächsten Tage inspizierte Twersten alle Einrichtungen der Werft. Die neuen Vorkehrungen, die getroffen werden mußten, sollten den höchsten Anforderungen standhalten. Er betrachtete den eisten Staatsauftrag als die Belastungsprobe aller früheren Leistungen.

Vor dem Neubau des spanischen Kreuzers hielt er an. »Ich freue mich, Herr Schiffsingenieur, daß dieser Kreuzer helfen wird, den Grundstock einer neuen spanischen Flotte zu bilden. Ich wollte, Sie bauten hundert Schiffe und alle Welt machte es Ihnen nach. Nichts gibt es, was die Kriegsgefahr so verringert, als wenn auf Jahrzehnte hinaus unermeßliche Werte auf dem Spiele stehen.«

»Ein kostspieliger Friede,« entgegnete der Spanier mürrisch.

»Nichts als Eigenversicherung. Wir würden sonst gegebenenfalls höhere Prozente zu zahlen haben.«

»Es wird ein schönes Schiff, Herr Twersten,« lenkte der Spanier ab. »Ein Jammer, daß die beiden Dampfer, die wir damals nach Santiago sandten, nun als gute Prise in amerikanischen Häfen liegen.«

»Wenn sie nur der Menschheit nützen. Das ist immer noch besser, als daß sie jetzt zerschossen auf dem Grunde des Meeres liegen.«

Er dachte an den Stapellauf der ›Ingeborg‹, als er weiter schritt. Und nun war es nur noch eine Gedankensekunde bis zu Ingeborg Bramberg. »Nun kommt sie bald heim von ihrer Erholungsreise,« sagte er sich. »Jeder Tag kann es sein. Wieviel Freude gibt es doch noch auf der Welt!«

Auf seinem Schreibtisch fand er eine Depesche. Er wußte sofort, daß es keine Geschäftsdepesche war.

»Treffe heute Hamburg ein. Bitte Abend mir schenken.«

Er las die Depesche ein paarmal hintereinander, legte sie hin, langte von neuem nach ihr und las sie wieder. Und jedesmal wurden es mehr Worte, und zuletzt war es ein langer, langer Brief.

Und er hörte sich selber lachen, leise und glücklich. –

Am Nachmittage traf Frau Ingeborg Bramberg auf dem Hamburger Bahnhof ein. Sie staunte, als sie Marga Vanheil gewahrte. »Sind Sie wirklich meinetwegen hier?« Und sie nahm mit herzlicher Danksagung die Rosen, die Marga ihr entgegenhielt. »Aber Mädchen, wie konnten Sie denn wissen, daß ich kam?«

»Ich hatte Sehnsucht nach Ihnen,« gestand die junge Freundin ein, »und vor einer Stunde faßte ich Mut und telephonierte Herrn Twersten an, ob er wohl wisse, wann Sie wieder kämen. Da hörte ich: Heute. Nun, in einer Speditionsfirma gibt es Kursbücher.«

Ingeborg Bramberg umarmte sie. »Ihr liebes Gesicht zuerst zu sehen, ist ein glückbringendes Omen. Wollen Sie mich nach Hause begleiten? Dann ist mein Zimmer gleich warm und lebendig.«

»Ist Herr Bramberg nicht in Hamburg?«

»Herr Bramberg macht in Schottland bei Freunden Jagden mit.« »Nein, wie Sie aussehen! Gebräunt und kühn, und solch ein frischer Duft geht von Ihnen aus, wie von der See.«

»Kommen Sie, Schmeichelkatze.«

»Wahrhaftig, nein. Wenn ich es nicht schon wäre, müßte ich mich auf dem Fleck in Sie verlieben.«

Arm in Arm schritten sie durch die Bahnhofshalle dem wartenden Wagen zu. Und eine fühlte das Blut im Arme der anderen pulsen.

»Sie blonde Schönheit,« sagte Frau Ingeborg. »Ihre Jugend kann es sich erlauben, verschwenderisch zu sein.«

Sie saßen Seite an Seite in dem offenen Landauer und fuhren die Straße nach Uhlenhorst.

»Erstens,« erwiderte Marga Vanheil, »bin ich keine Schönheit, sondern nur ein gerade gewachsenes Mädchen. Zweitens bin ich durchaus nicht mehr so jung, und drittens: furchtbar sparsam.«

»Mit dem Herzen?«

»Natürlich. Denn das ist das einzige Vermögen, mit dem ich frei wirtschaften kann.«

»Wenn Sie nicht gerade kaufmännische Nebengeschäfte mit der Firma K.R. Twersten machen.«

»Hat er es Ihnen gesagt?«

»Wer – er?«

»Nun, vorläufig gibt es doch nur den einen. Bob steckt noch im Werdeprozeß.«

»Ja, er hat es mir gesagt. Hat sich das Geschäft mit ihm gelohnt?«

»Könnten Sie ihm nicht sagen, er möchte irgendwo in der Welt einen neuen Krieg anzetteln und wieder Schiffe hinschicken? Diesmal würde die Firma Martin Vanheil die Verladung übernehmen.« »Das will ich gewiß gerne tun. Aber ich glaube, er hatte jetzt etwas Ruhe nötig. Meinen Sie nicht?«

Marga Vanheil suchte Frau Ingeborgs Hand und hielt sie fest. Das war ihre Antwort. Und der Wagen fuhr die Alster entlang durch den sommerstillen Tag und hielt vor dem Portal der Brambergschen Besitzung.

»Ich will mich umkleiden,« sagte Frau Ingeborg, »aber Sie dürfen zugegen sein.«

Ganz still saß das große Mädchen auf einem Polster im Ankleideraum. Es war ihr so feierlich zumute, wie nie. Mit andächtigen Augen sah sie Frau Ingeborgs Schönheit, die stolzen, weißen Schultern, den von der Seeluft gebräunten Hals, den schlanken, schmiegsamen Arm. Sie spürte plötzlich Tränen und ein unerklärliches Sehnsuchtsgefühl, das in die Ferne langte und nicht aus noch ein wußte. Und durch ihren Mädchenkörper lief es heimlich wie ein warmer Strom, der Erwartung und Bangen war, und doch voll unfaßbaren Glückes.

»Närrchen,« sagte Frau Ingeborg, beugte sich schnell über sie und küßte sie auf die andächtig lauschenden Augen.

Und nun hielt Marga Vanheil die Augen geschlossen, bis Frau Ingeborg angekleidet war. Aber das merkwürdig anschwellende Glücksgefühl blieb in ihr.

Im Wohnzimmer Frau Ingeborgs nahmen sie den Tee. Das ganze Hauswesen hatte pünktlich mit dem Eintreffen der Frau des Hauses eingesetzt, als hätte es nicht einen Tag in sommerlicher Ferienruhe gelegen. Geräuschlos und flink arbeitete das Dienstpersonal. Es war alles wie sonst.

»So oft Sie nun schon bei mir waren,« scherzte Frau Ingeborg, »jedesmal hatten Sie eine Neuigkeit, die Sie loszuwerden brannten. Also flugs, schütten Sie Ihr Herz aus.«

»Wie können Sie das sagen! Ich komme nur Ihretwegen, ganz allein Ihretwegen, und nicht etwa, weil Robert Twersten – –«

»Aha!«

»Gott, ja,« seufzte das Mädchen, »daß er endlich wieder einmal geschrieben hat, ist nicht aus der Welt zu schaffen. Und er schreibt in der Hauptsache über meinen Bruder Fritz. Da hatte dieser Schlingel, nur um seine schiffbautechnischen Kenntnisse zu erweitern, eine Maschinistenanstellung in der spanischen Flotte angenommen und sich in der Seeschlacht von Santiago gründlich den Arm verstaucht. Was sagen Sie zu solchen Streichen? Ich hatte einmal einen jungen Dachshund, der mußte auch überall dabei sein, oder er wurde krank vor Aufregung. Es gibt doch wirklich Männer, die etwas sehr lange meinem jungen Dachshund Konkurrenz machen.«

»Kommen Sie nun bald auf Robert Twersten zu sprechen?«

»Weshalb nicht, Frau Ingeborg, wenn Sie es wünschen und das Thema so interessant finden?«

»Nein,« sagte Ingeborg Bramberg, zog die Stirne zusammen, überlegte und schüttelte den Kopf, »es gibt kein interessanteres.«

Und sie lachten herzlich miteinander.

»Also, weil Sie durchaus nichts anderes zu hören wünschen,« stellte Marga Vanheil fest. Und sie begann und erzählte in einem Atemzug.

»Das schrieb Robert, und daß Fritz heldenmütig die Maschine bedient hätte und später, als das Schiff sank, mit großer Auszeichnung an Bord des amerikanischen Kriegsschiffes empfangen worden sei. Der verletzte Arm habe ihm nicht eine Minute seinen glücklichen Humor rauben können, und nun würde er wohl allem Anschein nach noch längere Zeit im Ausland bleiben, was Fritz uns aber in wenigen Tagen selber und ausführlicher schreiben werde. Bis hierher habe ich Bobs Brief meinem Vater vorgelesen, der ganz selig über die Fortschritte seines Jungen war, von dessen großer Zukunft er jetzt täglich mit uns spricht. Er hat wieder einen bösen Anfall gehabt, der Vater, und kommt aus seinem Lehnstuhl nicht mehr heraus. Da sitzen wir jede freie Zeit bei ihm und horchen ihm gläubig zu, wenn er seinen Liebling Fritz bis zum Minister, oder, was ihn noch viel mehr dünkt, zum großen Hamburger Werftbesitzer avancieren läßt. Und Bob schrieb weiter, daß er selbst Kuba verlassen wolle, sobald Fritz seine Gesellschaft nicht mehr brauche, und daß er nach Neuyork gehen würde.«

»Nach Neuyork? Weshalb kommt er denn nicht zurück?«

»Sie wissen doch, Frau Ingeborg, daß er – mit seinem Vater – zerfallen ist.«

»Und Sie konnten ihm nicht schreiben, daß er es trotzdem wagen sollte, freimütig sich seinem Vater zu stellen? Wenn er Kuba jetzt schon verläßt, um aufs Geratewohl nach Neuyork zu gehen, so ist das doch ein Zeichen, daß sein jugendlicher Überschwang bereits die erste Enttäuschung erfahren haben muß. Denn in Santiago lebt doch seine Mutter, die er blind vergöttert.«

Die Erregung, mit der sie sprach, teilte sich dem Mädchen mit. »Sie dürfen mich nicht tadeln, Frau Ingeborg, denn was Herr Twersten nicht erreichte, das durfte ich mir nicht zutrauen. Und ich wollte es auch nicht! Ich wollte nicht, daß Bob mir eines Tages sagen könnte, ich habe ihm den Weg verlegt. Jeder tüchtige Mensch muß seinen eigenen Weg gehen und sich seine Erfahrungen selber sammeln. Karl Twersten hat die seinen. Weshalb soll Robert Twersten sich seine Lebensweisheit schenken lassen?«

»Sie sind sehr stolz für Ihren Freund Bob, Marga.«

»Für meinen Freund Bob...«

»Oder« – Ingeborg Bramberg nahm die Hand des Mädchens in die ihre – »ist er Ihnen jetzt mehr?«

»Ja,« sagte sie herzhaft, »jetzt ist er mir mehr. Ich hätte selbst nicht gedacht, daß das so schnell kommen würde. Aber man muß wohl erst einmal gründlich Angst um einen Menschen kriegen, bevor man weiß, daß man ihn gründlich lieb hat.«

»Und das ist jetzt bei Ihnen der Fall, Sie – heimliche Braut?«

»Heimliche Braut – –«, wiederholte sie mit einem versonnenen Lächeln. »So heimlich, daß es wohl kaum je ans Tageslicht kommen wird.«

»Jetzt verstehe ich Sie nicht, Marga. Weiß er es denn nicht?«

»O doch,« und sie nickte vor sich hin. »Er hat es mir ja schon gesagt, wie ich es noch gar nicht zu hören wünschte.«

»Nun –?«

»Nun? Ja, ich meine, es wäre wohl zu schön, einmal den Namen Twersten zu tragen. Aber er war ja noch ein halber Junge und kannte nicht viele Mädchen außer mir. Und an mich war er von klein an gewöhnt. Da dachte ich mir denn, bis zu dem Tage, an dem er dahinter kommt, daß es nur Gewöhnung war, und er sich entwöhnt und die Erfüllung aller seiner Wünsche in einer anderen findet, bis zu dem Tage ist es gut, daß seine Gedanken ein festes Heimatziel haben, damit er nicht steuerlos herumtreibt.«

»Mädchen,« murmelte Frau Ingeborg und schlang beide Arme um sie.

Marga Vanheil hielt ganz still in der Umarmung.

»Sehen Sie,« sagte sie nach einer Weile, »so wohl, wie ich mich jetzt bei Ihnen fühle, so wohl sollte sich Bob in Gedanken an mich fühlen, wenn er sich in der Fremde einsam vorkommt und mit seinen Gedanken irgendwohin flüchten muß, um wieder Boden unter den Füßen zu spüren. Es hilft ja so viel, wenn man auch nur einen einzigen Menschen weiß, der an einen glaubt. Und dieser Mensch will ich für Bob sein.«

»Mädchen, Mädchen, wie verstehst du schon das Innerste der Liebe – –«

»Ich habe noch gar nichts davon verstanden,« fuhr Marga fort. »Erst seitdem ich mich um ihn ängstige. Nicht, weil ich Furcht wegen seines Emporkommens habe. Da sehe ich mir nur Karl Twersten an und sage mir: es ist sein Sohn! Nein, ich ängstige mich – aber nun werden Sie lachen – ob es ihm auch an nichts fehlen wird, ob er nicht Mangel leiden muß, ob er an seinen Körper denkt und ordentlich essen und trinken wird, Gott, und wegen tausend solcher Sachen, die eigentlich furchtbar lächerlich sind.«

»Ich lache gar nicht,« sagte Frau Ingeborg Bramberg ernst, »denn ich habe mich immer danach gesehnt, mich auch einmal so ängstigen zu dürfen.«

Und beide spannen sie ihre Gedanken weiter...

»Es muß wohl bei den Männern Sache des Temperaments sein,« meinte Marga Vanheil. »Was den einen niederschlägt, gibt dem anderen erst den tollsten Lebensmut. Mein Bruder Fritz zum Beispiel. Ja, dem könnte es noch so schlecht gehen, er würde dazu pfeifen und singen. Der könnte in die böseste Gesellschaft geraten, und er würde sich am anderen Tage vergnügt den Rock ausschütteln, und die Sache wäre abgetan. Und wenn er die schlimmste Enttäuschung erlebte, er würde aus seiner Erstarrung aufwachen und staunend um sich sehen und sagen: Kinder, lacht doch! Soeben hat die Sonne auch gelacht.– – Andere hingegen – denen verhärtet es das Gemüt oder kapselt es ihnen ein, daß sie vor der Zeit still werden und sich vor sich selber schämen, wenn sie einmal lachen müssen. Wenn wir aber einen Menschen so recht von Herzen lieb haben, möchten wir sein Gemüt ganz frei und fröhlich wissen, weil wir uns dann einbilden können, wir hätten teil daran und das unsere dazu beigetragen.«

»Liebes, liebes Mädchen,« sagte Frau Ingeborg Bramberg ergriffen, »und das ist nun auch deine Angst?«

Marga Vanheil blickte sie mit klaren Augen an.

»Es muß etwas geschehen sein, was ihn furchtbar erschüttert hat. Zwischen seinem letzten und seinem vorletzten Brief gibt es keine Verbindung mehr. Zwei ganz verschiedene Menschen haben diese Briefe geschrieben. Ein ausgelassener und ein peinlich korrekter, der ein Menschenalter älter ist. Ich muß wissen, was diese unvermittelte Änderung veranlaßt hat, um alles, was mich sonst in Verwirrung setzen könnte, ruhigen Blutes darauf zurückzuführen und das eine vom anderen zu subtrahieren. Was bleibt, macht keine Furcht mehr.«

Sie erhob sich.

»Wollen Sie mir dazu verhelfen, Frau Bramberg? Wollen Sie Herrn Twersten fragen, wenn er heute abend kommt, um Sie zu begrüßen? Es ist doch sein Sohn, um den ich mich sorge. Nicht wahr, Sie tun es?«

»Ja, Marga, ich hätte es auch ohne diese Bitte getan. Um ihm die Hälfte der Last abzunehmen.« – –

Und Ingeborg Bramberg saß allein und wartete auf den Schritt, den sie von ferne schon erkannte.

Jetzt hob sie den Kopf. Ihre Züge spannten sich. Eine mädchenhafte Röte glitt über ihre Wangen. Dann zwang sie ihre Erregung nieder und nahm ruhig die Meldung des Dieners entgegen.

»Ich lasse Herrn Twersten bitten.«

Ein paar Schritte tat sie ihm entgegen. Hinter Karl Twersten schloß sich die Tür. Und beide streckten sie die Hände aus. – –

»Da bin ich wieder.«

»Da bist du wieder.«

»Jetzt gehe ich nicht wieder fort. Wie konnte ich dich nur so lange allein lassen. Ich faß es gar nicht mehr!«

»Weil du meinen Wunsch erfülltest. Und nun halte ich die Wirkung in beiden Händen. Wie ein ganz junges Mädchen stehst du vor mir.«

»Das macht nur die Freude, wieder bei dir zu sein,« murmelte sie. »Diese unermeßliche Freude – –!« Er legte den Arm um sie und hielt sie fest. Und sie fühlten sich beide stark und sicher.

Alles, was sie in ihren Sinnen getragen hatten während der Trennungszeit, sagten sie sich, und selbst das Unwesentliche wurde ihnen zur Bedeutung, weil es in ihrem Munde einen Klang gewann, der die Liebe zum anderen hindurchzittern ließ; nur mit dem Schwersten hielt Karl Twersten noch zurück.

»Heute morgen,« sagte er, »bevor ich dein Telegramm erhielt, wußte ich schon, daß der Tag ein Sonntag für mich würde. Er führte sich ein mit einem Auftrag für die deutsche Flotte, dem ersten Auftrag für das Deutsche Reich.«

»O du – daß das heute kommen mußte!«

Nichts vermochte sie sonst zu sagen. Aber sie preßte seine Hände mit aller Kraft und sah ihm mit freudefeuchtem Blick in die Augen.

»Du brauchst dich nur zu nahen, Ingeborg, und das Glück läuft dir als Quartiermacher vorauf.«

»Diesen Tag müssen wir festlich begehen. Wollen wir auf der Elbe fahren oder über die Werft gehen oder – nein, du sollst es bestimmen.«

»Festlich begehen –?« Er sann nach. »Ich wüßte wohl etwas, aber es ist kein Fest, sondern eine Feier. Es wird uns feierlich zumute werden, wenn wir es tun. Aber wir werden es im Leben nicht wieder vergessen.«

»Dann wollen wir es tun, Karl. Denn eine große Erinnerung ist immer wie eine Weihe.«

»Ich möchte – mit dir zusammen – hinaus in den Sachsenwald fahren, Ingeborg.«

»Zu Bismarck?« sagte sie, und ihre Augen leuchteten auf.

»Er stirbt.« Und das Licht in ihren Augen erlosch.

»Das Sterben eines solchen Mannes erleben,« sagte sie dann leise, »ist mehr als hundert Geburten erleben. Hier erst sind wir der Unsterblichkeit nahe.«

Er sah sie lange an. Wie sie ihn immer wieder verstand! –

Vom Berliner Bahnhof aus bedurfte es nur einer halbstündigen Eisenbahnfahrt. Tiefer Abend war hereingebrochen, als sie Friedrichsruh erreichten. Hinter dunklen Mauern lag das Schloß. Nicht sichtbar den Blicken, aber erreichbar den Herzen der vielen, die, des heiligen Ernstes der Stunde voll, schweigend die Parkmauer umstanden. Dort lag der Riese, der für die strömende Fülle seiner Kräfte nichts Höheres auf Erden gekannt hatte, als der Eckart seines Volkes zu werden. Dort lag der Riese, der unberührt durch Liebe und Haß hindurchgeschritten war zu seinem Ziel, das das Ziel seines Volkes war. Umjubelt auf den Höhen, die sein Fuß betrat, wohin er sich wandte. Ehrfurchtgebietend in der Verlassenheit des Lebensabends, die so gewaltig war wie sein strahlender Tag. Immer der Größte unter den Großen. Im lauten Kampf der Welt und in der Weltabgeschiedenheit seines Sachsenwaldes, aus dem seine Stimme mahnend und warnend klang, wenn der Gang der Geschichte hastig am Kreuzweg den Weiser zu überrennen dachte. Da lag der Riese, mit seinem Gott allein.

Schwer atmend stand Twersten am Portal. Er fühlte Ingeborgs Hand in der seinen.

Ein Diener kam aus der Pforte und lief eilig und verstört zum Bahnhof. Hundert gemurmelte Fragen hinter ihm drein. »Es geht zu Ende.,.«

»Herrgott, es geht zu Ende.«

»Es ist nicht möglich! Ein Bismarck darf nicht sterben!«

»Seid stille.... Stört ihn nicht.« – –

Und die Schatten der Nacht sanken tiefer herab auf die schauernden Bäume des Sachsenwaldes.

Wieder lief ein Diener den Weg. Heißes Flüstern neben ihm, hinter ihm, um ihn her.

Der Mann schüttelte nur den Kopf. Als er sprechen wollte, war es nur ein Schluchzen. Da winkte er: »Noch nicht – –«

Und die Menschen falteten die Hände und sprachen nicht mehr. –

Lautlos bog Twersten in einen Waldpfad ein. Ingeborg ging leise neben ihm und sah ihn fragend an.

»Ich muß sein Fenster sehen. Dann bin ich ihm noch näher. Es gibt eine Stelle, die es gestattet.«

Und sie gingen den Weg die Bille entlang, durch einen Dom dunkel geisternder Buchen und Fichten, und fanden den Platz in der tiefen Nacht. Hell leuchteten aus der Ferne die Fenster des Schlosses und wiesen dem Tode den Weg. Der dort sterbend lag, hatte sich nie versteckt.

Ganz einsam standen die beiden Menschen und schauten hinüber. Eine Erschütterung ging durch Twerstens Körper, und die Ergriffenheit lag lastend auf seinem Gesicht.

Ingeborg gewahrte es, trotz der Dunkelheit.

»Still,« sagte sie, »er stirbt nicht. Da sein Werk weiterlebt, lebt er mit ihm. Denn er ist sein Werk.«

»Und wenn – sein Werk – in die Hände von Pfuschern gerät?« »Dann ist es ja ein ganz anderes. Sein Werk streicht kein Mensch mehr aus.«

Er nickte langsam vor sich hin, und der Atem ging ihm leichter.

»Dich bedrückt etwas, Karl. Ich fordere wie immer meine Hälfte.«

Er blickte starr auf die Fenster des Schlosses. Was mochte in dem Manne dort, dem der Tod ehrfürchtig die Grußhand hinstreckte, vorgehen, wenn er an sein Erbe dachte. – –

»Ich denke an meinen Jungen, Ingeborg.«

Im Nachtwind seufzten die Bäume auf, und ein Tierschrei kam aus weiter Ferne.

»Dein Junge, Karl, wird gestärkt an Leib und Seele heimkommen. Traust du deiner Art so wenig?«

»Er ist nicht meine Art allein. Ja, wenn er auch der deine wäre!«

»Karl,« entgegnete sie leise. »Er ist es durch dich geworden. Ich nehme ihn feierlich an. Und meine Wünsche sollen bei ihm sein und ihm helfen, daß er wird wie du.«

»Wie ich? Ich weiß fast nicht, ob es gut und glücklich ist. Die mir am nächsten stehen sollten durch Familienbande, haben mich verlassen, weil meine Nähe sie am Glücklichwerden zu hindern schien.«

»Robert wird wiederkommen, und – –«

»Nein, die andere nicht.«

Das Wort kam ruhig und fest. Und der Wald nahm es auf und gab es im Echo der Nacht wie eine Bestätigung zurück.

»Ich werde dich nie verlassen, Karl.«

»Ich halte deine Seele mit beiden Händen.« »Das brauchst du nicht. Sie bliebe, und wenn du sie fortschicken wolltest. Denn nun gehört sie einmal zu dir.«

Er reckte sich jäh auf. »Hörtest du nichts?« Und sie horchten mit angehaltenem Atem.

»Was war das für ein Ton –? Wie ein Sprung im Glas –. Noch immer –. Als ging es durch die ganze Welt. Ingeborg!«

Schulter an Schulter standen sie und starrten nach dem blinkenden Fenster des Schlosses. Noch einmal zuckte das Licht wie ein funkelnder Blitz durch die Nacht. Dann war es abgeblendet.

Die Läden schlossen sich in kreischenden Angeln. Und alles lag von der Finsternis aufgesogen.

Bismarck war entschlafen. – – –

Noch immer horchte Twersten angespannt in die Nacht. Als müsse jetzt ein Unfaßbares, ein Überwältigendes kommen und sich mit wilder Wucht auf die Erde werfen. Nur ein Rauschen lief wie ein Weinen durch die Wipfel. Dann zog der Mond auf und beleuchtete die Landschaft, die dalag, wie sie immer dagelegen hatte.

Ein Mensch war weniger!

Bismarck hieß er, Bismarck! Und hatte die Welt mit seinem Namen erfüllt, daß in Jahrhunderten noch die Heldensage von ihm erklingen würde als Fest- und Jubellied der Deutschen!

Ein Mensch war weniger.

Bismarck! Bismarck!

Und mußte sterben, wie alle Menschen starben. – –

Die Kirchenuhr eines nahen Dorfes schlug die elfte Stunde. Und die Uhr ging weiter. »Komm,« sagte Twersten still, »nun wollen wir gehen. Die Alltäglichkeit kehrt zurück.«

Und sie gingen, und nach einer Weile besprachen sie, daß sie weitergehen wollten durch den Wald, um nicht jetzt schon mit den Menschen zusammentreffen zu müssen, die von der Station aus die Heimfahrt antraten.

»Ich kenne jeden Pfad im Sachsenwald. Schon als Junge lief ich an freien Tagen hier hinaus. Und als Mann bin ich oft genug hindurchgeschritten, wenn ich von Friedrichsruh kam.«

»Ich möchte die ganze Nacht mit dir wandern, Karl.«

»Über Rheinbeck sind es zwei Stunden bis Bergedorf. Dort erreichen wir den letzten Nachtzug.«

Das Mondlicht lag weiß auf den Wegen und zeigte die Richtung. Dicht stand der hohe Wald zu beiden Seiten. Ein glitzernder Bach ringelte sich neben ihnen den Pfad entlang. Und die Nacht, die fröstelnd begonnen hatte, wurde wärmer und schöner und wurde eine deutsche Sommernacht.

Sie gingen ganz allein in dem weiten Wald.

Und plötzlich sagte Twersten, ohne im Schreiten einzuhalten: »Ich habe einen Brief von Angèle bekommen.«

»Heute –?«

»Nein, schon vor zehn Tagen. Ich hätte es dir mitgeteilt, aber ich wollte nicht, daß dir die Erholungskur gestört würde.«

»Was sagst du da?«

»Deine Ruhe war mir wichtiger. O, still du! Jetzt, wo du frisch und frank wieder an meiner Seite gehst, sage ich es dir. Angèle schrieb mir von Santiago. Am selben Tage, an dem draußen vor der Bai die Schlacht tobte. Sie ersuchte mich, die Scheidung zu beantragen.«

Mit einem Griff hielt er die Wankende und stützte sie.

»Habe ich dich erschreckt, Ingeborg? Und Tränen? Fließende Tränen? Ich hätte es dir noch nicht sagen sollen.«

»Zehn Tage,« erwiderte sie. »Zehn Tage habe ich mich an der See gefreut, während du das mit dir herumtrugst.«

»Dann war es gut so, Ingeborg. Und du hast die Nachricht früh genug.«

»Komm,« sagte sie gefaßt. Und blieb wieder stehen, schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihre kalte Wange fest an sein Gesicht. »Komm,« sagte sie dann nochmals.

Und er sprach ruhig weiter. »Wie hätte ich an diese Wendung gedacht! Deshalb überraschte sie auch mich, und ich glaubte, nicht richtig zu lesen. Aber sie schickte mir gleich eine Vollmacht mit für den Rechtsanwalt. Da war kein Zweifel mehr möglich. Ich habe alle Schritte bereits eingeleitet.«

Sie wollte nach der Begründung fragen, aber sie tat es nicht. Was er ihr mitteilte, mußte ihr genügen, weil es – eine andere betraf.

Und sie gingen weiter auf den mondbeschienenen Waldwegen, und das leise Raunen der Wipfel ging mit.

»Angèle schrieb mir,« fuhr er fort, als hätte er ihre Gedanken erraten, »ich solle den Scheidungsantrag mit böswilligem Verlassen und ihrer bestimmten Weigerung, zurückzukehren, begründen. Das hat mich wundergenommen. Denn allein ist sie nicht zu ihrem Entschluß gekommen. Es ist da eine geheimnisvolle Macht im Spiel, die ich in der Stille segnen möchte.«

»Soll ich sie dir nennen?«

»Woher könntest du das wissen, Ingeborg! Und ich will keine verspätete Neugierde zeigen und mich mit der Tatsache bescheiden.«

»Und wenn es für dich wichtig wäre, Karl? Wenn dir ein Gewinn dadurch würde?«

»Was hast du?« sagte Twersten. Und auch er fühlte sein Herz plötzlich heftiger schlagen. »Du glaubst doch nicht etwa, daß –«

»Ja, daß es Robert war, der sie zu dem Entschluß drängte.«

Twersten nahm den Hut ab. »Das wäre schrecklich,« murmelte er und strich das Haar aus der Stirn. »Und du sprachst von einem Gewinn.«

»Robert wird heute schon Kuba verlassen haben.«

Sie standen vor einer Waldwiese, die im Mondlicht wie ein grünsilberner Weiher glänzte. Doch als sie den Fuß hineinsetzten, hatte das nächtliche Bild seine Geheimnisse verloren. »Beantworte mir zwei Fragen, Ingeborg,« sagte Karl Twersten.

»Du wirst sie dir selbst beantworten. Aber frage nur.«

»Wie erfuhrst du Roberts Abreise? Und in welchen Zusammenhang bringst du sie mit – Angèles Entschluß?«

Ein stilles Lächeln glitt um Ingeborg Brambergs Mund. Sie erzählte von Marga Vanheil und ihrer besorgten Liebe. Sie erzählte von Roberts Briefen und dem Unterscheidungsvermögen des Mädchens, das einen jähen Wendepunkt im Leben des Freundes herausgelesen hatte. Und sie zog die Schlußfolgerung, wie sie nur Frauen zu ziehen verstehen.

»Plötzlich ist ihm die Binde von den Augen gefallen. Durch Geschehnisse, die ihn bis ins Innerste trafen, hat er Wert und Unwert erkennen gelernt, ist die Gestalt des Vaters vor seinen Augen hochgewachsen. Der Entschluß, aus Kuba zu fliehen, fällt mit seiner Mutter Brief an dich zusammen. Das Twerstensche Blut ist aufgewallt und hat reine Bahn geschaffen. Als du die Frau verlorst, Karl, hattest du den Sohn zurückgewonnen.«

Twersten schwieg lange. Aber ein Wogen war in ihm, das ihm bis in die Kehle stieg.

»Jeden Abend,« sagte er zögernd, »bin ich in Roberts Zimmer gegangen. Denn ich meinte, ich müßte dem Abwesenden vieles erklären. Ich habe mich also nicht getäuscht. Wir haben in Verbindung gestanden. Das ist wie ein unsichtbares Band zwischen Vater und Sohn.«

»Bist du noch bange um dein Erbe?«

»Heute will mir scheinen, als gälte es mehr, daß ich den Sohn wieder habe, und käme er erst nach Jahren. Ich will ihm Zeit lassen. Das Erbe? Vor einer Stunde hat der größte Deutsche die Augen geschlossen, ohne zu wissen, was aus seinem Erbe wird. Aber seine Zeit hat er erfüllt.«

Sie wandten sich um und blickten den Weg zurück, dorthin, wo sie Friedrichsruh wußten.

»Er ist nicht tot. Er lebt immerdar als ein Schöpfer. Das ist das Größte.«

»Mögen die, die nach ihm sind, Sorge tragen, daß man das gleiche einst von ihnen sagen kann.«

»Und ich sage das nämliche von allen, die nach Karl Twersten sein werden.« »Liebe Frau, du willst mir wohltun, und du hast es erreicht.« –

Und es war ihnen, als müßten sie dem großen Toten einen Dank zusenden, daß er ihnen mit seinem Sterben noch diese Stunde geschaffen hatte.

Durch das stille Rheinbeck gingen sie die Straße nach Bergedorf, der einst freien Stadt. In den Häusern war noch Licht. Schon war die Kunde von Bismarcks Tod hierhergeeilt und hatte die Menschen aufgerüttelt, daß sie vor seinem Namen den Schlaf vergaßen.

Aufrecht und ein helles Licht in den Augen, schritten Twersten und Ingeborg Bramberg durch das Städtchen. Aus dem dunklen Sachsenwalde trugen sie das Licht heim in ihre Welt.

»Das war in Wahrheit ein Feiertag,« sagte Ingeborg Bramberg, als sie den Wagen verließen, der vor ihrem Hause hielt.

Und Twersten entgegnete nur: »Ich danke dir.« – –


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