Rudolf Herzog
Hanseaten
Rudolf Herzog

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XI

Die spanischen Kommissare waren eingetroffen. In Geheimhaltung ihrer Mission besuchten sie die Werft von K.R. Twersten unter dem naheliegenden Vorwand, die Fortschritte des im Bau befindlichen Kreuzers zu besichtigen. Mehrere Tage schon befanden sich die fremden Gäste auf der Werft, und unter Führung Twerstens hatten sie wie interessierte Besucher die sämtlichen Anlagen, vor allem aber die neuesten Bauten, die ›Ingeborg‹ und den ›Theodor Bramberg‹ sorgfältig in Augenschein genommen.

Im Privatkontor Twerstens fanden morgens und abends langwierige Konferenzen statt, zu denen der Großreeder Bramberg als Mitbeteiligter hinzugezogen wurde. Die von Twersten gestellten Preise waren endlich bewilligt worden, die Ladungen auf Grund der von Bramberg vorgelegten Warenproben festgesetzt worden. Nun entspann sich der Kampf wegen der Zahlungs- und Versicherungsbedingungen. Mit dem ganzen Stolz ihrer Nationalität verfochten die Spanier den Standpunkt, daß die Güterladungen erst beim Übergang in ihre Hände, beim Eintreffen in einem noch zu bestimmenden kubanischen Hafen, honoriert werden könnten, während sie die Dampfer selbst als abgenommen betrachten wollten, sobald sie in See stächen. Eine derartige Unterscheidung und Spaltung der Geschäfte gab Twersten nicht zu. Er verlangte das ganze Geschäft als ein einheitliches aufgefaßt zu wissen.

»Das eine ist für Sie so wichtig wie das andere. Die Schiffe tun Ihnen not. Aber Sie haben auf der Insel eine Hungersnot, wie sie noch bei keinem der früheren Aufstände geherrscht hat, und Ihren Soldaten fehlt es am Notwendigsten, um ausrücken zu können. Es ist also Ihr Interesse wie das meine und das Herrn Brambergs, wenn die Verhandlungen so schnell wie möglich und ohne Klauseln zum Abschluß gebracht werden. Wer weiß, wie lange man überhaupt noch unsere Schiffe passieren läßt? Es wird nur an unserer Flagge und der Umsicht unserer Kapitäne liegen.«

Den Spaniern aber widerstrebte es, sich auf Gnade und Ungnade den Bedingungen von Privatfirmen zu unterwerfen, und sie blieben hartnäckig und bestanden auf die Erfüllung ihrer Vorschläge.

Es war nicht so leicht, wie Bramberg es sich schon anzusehen gewöhnt hatte, das Unternehmen scharf in dem Rahmen zur Ausführung zu bringen, den Twersten als unüberschreitbar vorgezeichnet hatte. Und der Reeder saß mit mißmutigem Gesicht in den Konferenzen und fürchtete ständig, übervorteilt zu werden.

»Lassen Sie doch diese unstatthaften Befürchtungen,« versetzte ihm Twersten auf eine unverblümte Äußerung hin. »Die Angelegenheit ruht in meiner Hand. Und meine Hand ist nicht so leicht zu heben.«

Noch zwei Tage lang blieben die Verhandlungen an diesem Punkte stehen. Da trat ein Ereignis ein, das den Twerstenschen Forderungen Geltung verschaffte. Spanien und Amerika täuschten sich Höflichkeiten vor, um ihre wahren Absichten zu verschleiern. Im Januar war das amerikanische Panzerschiff ›Maine‹ als Gast im Hafen von Havanna erschienen, und das spanische Panzerschiff ›Viscaya‹ war auf der Reise nach New York, um den Besuch zu erwidern. Da brachte der Telegraph die alarmierende Nachricht, daß am Abend des 15. Februar die ›Maine‹ im Hafen von Havanna durch eine Explosion vernichtet worden sei und zweihundertsechzig amerikanische Seeleute und Soldaten mit in den Tod gerissen hätte. Ein Wutschrei Amerikas war die Antwort, und ohne Besinnen beschuldigte die amerikanische Presse offenkundig die spanische Regierung, den Frevel ins Werk gesetzt zu haben. »Remember the Maine!« brauste es durch die Union. Es war die Stimme des Krieges.

Die spanischen Kommissare kamen die nächsten Tage nicht zur Werft hinaus. Dann erschienen sie und ließen sich die Kontrakte zur Unterschrift vorlegen. Kaum ein Wort wurde noch gewechselt. Twersten war Herr der Situation.

»Die Hälfte der Summe zahlbar bei der Verfrachtung, die Hälfte zahlbar bei der Ausreise der Schiffe,« diktierte er. Und die Kontrakte wurden ausgewechselt. Die Unterhändler reisten ab. –

Twersten wich kaum noch von der Werft. Oft nahm er die Mahlzeiten im Privatkontor ein. Er fuhr nicht mehr hinaus zum Brambergschen Kontor. Jetzt fuhr Bramberg zu ihm und unterbreitete ihm seine Kaufdispositionen. Die großen Einkäufe, die Bramberg auf eigene Rechnung vollzog, machten Aussehen an der Börse. Aber das Geheimnis wurde gut gewahrt, und die Käufe 16 waren vollzogen, bevor eine erhebliche Preissteigerung aufkommen konnte.

Vor Ende März noch meldete Oberingenieur Feldermann, daß die Schiffe ladefertig feien. Sie wurden an die Brambergschen Speicher verholt, und das Ladegeschäft begann. Ein chiffriertes Telegramm aus Madrid nannte Santiago de Cuba als Bestimmungshafen.

Da traf ein Brief Angèles ein, daß sie am Fieber erkrankt sei und sich nach dem Sohne sehne. Der Brief war aus einem so heftigen Impuls heraus geschrieben, daß Twersten sofort zurückkabelte und nach dem Stande ihres Befindens fragte. Die Kabelantwort lautete nicht günstig. Der Ruf der Erkrankten nach dem Sohne wurde wiederholt.

Auch Robert hatte einen Brief seiner Mutter erhalten, in dem er dringend aufgefordert wurde, mit der nächsten Schiffsgelegenheit zu ihr zu eilen und sie zu trösten. Er hatte den Brief seinem Vater übergeben und um Urlaub gebeten.

»Deine Ausbildungszeit ist beendet,« sagte Twersten, »und du bist inzwischen mündig geworden. Aber du weißt auch, daß ich die Forderung nach deiner technischen Ausbildung im Interesse der Werft aufrechterhalten muß. Der Verlust des kurzen Sommersemesters würde nicht allzu schwer wiegen. Willst du pünktlich zurück sein, so will ich mich mit dir über die Reise freuen und den besten Weg erwägen.«

Tags darauf besprach er sich mit Bramberg.

»Was meinen Sie, wenn wir meinen Sohn Robert als unseren geschäftlichen Beauftragten mit hinausschickten? Es scheint mir nicht unwichtig, daß eine Repräsentationsperson an Bord ist, falls Zwischenfälle eintreten sollten. Wir haben unseren Abnehmern gegenüber zwar keine weiteren Verbindlichkeiten, aber gewisse moralische Verpflichtungen. Denn sie verlassen sich auf unsere Flagge, und nach dem Kontrakt fungieren wir bis zur Ankunft der Schiffe in Santiago als Eigentümer.«

Bramberg war ohne weiteres einverstanden. Die Ausweispapiere für Robert Twersten wurden hergestellt.

Am Sonnabend abend sollten die ›Ingeborg‹ und ›Theodor Bramberg‹ den Hamburger Hafen verlassen. Den beiden erfahrensten Kapitänen der Brambergschen Reederei war die Führung anvertraut worden. Sie hatten Befehl, die Segelorders erst nach dem Passieren von Kuxhaven auf hoher See zu öffnen. Beiden waren hohe Prämien zugesichert worden.

Die beiden Twersten, Vater und Sohn, saßen sich gegenüber. Lange betrachtete Twersten den Sohn. Er fühlte, wie lieb er ihn hatte.

»Du wirst nun bald deine Mutter wiedersehen, Robert, und du wirst dich sehr darauf freuen.«

»Ja, Papa, unsagbar.«

»Sorge, daß sie sich schont. Sie mutet sich im Überschwang gern ein wenig zu viel zu. Das tut auf die Dauer nicht gut.«

»Ach, Papa – bei Mamas elastischer Natur –.«

»Man muß seine Grenzen kennen, Robert.«

Einen Augenblick dachte er daran, mit dem Sohn über die Mutter weiterzuleben, ihm einen Einblick in den Verlauf ihrer Ehe zu gewähren und ihm die Ursachen ihrer Stellung zueinander klarzulegen. Es konnte lehrreich für den Sohn sein. Aber es konnte auch als eine Beeinflussung ausgelegt werden. Denn – er war auch ihr Sohn. Er mußte selbst das Rechte finden.

»Blick dich gut um in der Welt, Robert, es gibt für dich viel zu lernen. Gerade die verwickelten kriegerischen Verhältnisse eröffnen dem Zuschauer oft die überraschendsten Perspektiven. In der Stunde der Gefahr lassen die Menschen die konventionelle Maske fallen und geben sich, wie sie sind. Und diese Studien nützen uns bei der Beurteilung von Menschen dann fürs ganze Leben.«

»Ich bin dir sehr dankbar, Papa.«

Karl Twersten strich sich über die Stirn. »Es wird mir nicht leicht, dich gerade jetzt und gerade dorthin reisen zu lassen. Aber zunächst bist du Hamburger und hast dich an die Gefahr zu gewöhnen, und außerdem hat deine Mutter einen Schutz nötig. Ich denke, du wirst mir Ehre machen.«

Robert Twersten schwieg. Seine Gedanken waren schon weit voraus, bei der angebeteten Mutter, im festefrohen Santiago.

»Sieh,« fuhr Twersten fort, »es ist nicht damit getan, als Sohn eines reichen Mannes, als Erbe einer großen Firma auf die Welt zu kommen. Jeder hat sich so einzurichten und in Wirksamkeit zu treten, als finge er erst von vorne an. Sonst überdauert ein Werk selten die zweite Generation. Die Jungens, Robert, die blasiert herumlaufen, von Kunst schwätzen, ohne zu können, und von Lebenswerten ohne eigenes Lebensmark, die von den Champagnerpfropfen die Kellerei abzuriechen vermögen, ohne den Wein selbst vertragen zu können, sie sind, und trügen sie die ältesten Hamburger Namen, nicht Hamburger. Und morgen hat sie ein stärkeres Geschlecht, ein Geschlecht, das Hamburg ist, in den Staub getreten. Sang- und klanglos. Das bedenke. Und bedenke auch, daß, wenn wir auch nur ein kleines Staatswesen sind, wir für Deutschland die Vorhut zu bilden haben, die auf immer neuen Bahnen in die Welt marschiert und die Türen für das nachrückende Gros der Armee öffnet.«

Er erhob sich und Robert mit ihm.

»Na, mein Junge, du wirst dich wohl bei deinen Freunden Vanheil verabschieden wollen?«

Er legte ihm die Hände auf die Schulter und blickte ihm tief in die Augen.

»Wir wollen Abschied nehmen. Heute abend, auf dem Dampfer, darf keine Weichheit mehr aufkommen. Des guten Beispiels wegen. Na, also, Junge, und nun geh und komm wieder als – mein Sohn.«

Er zog ihn an sich, strich ihm über das dunkellockige Haar und küßte ihn.

»Bring deiner Mutter meine Grüße. Lebe wohl, Robert.«

»Lebe wohl, Papa.«

Noch einmal ging Twersten Sohn über die Werft und hörte die Hämmer klingen und hörte das Eisen knirschen und sah die Funken stieben und den alten Schürmeister Matthes verliebt den Spieß in der Weißglut drehen. Und sein Blick flog über die Hellinge und die Docks und über das raunende Hafengewässer und die Menschenmassen, die hier und dort und überall bei der Arbeit waren. Und er kehrte über die Werft zurück und fuhr mit der Barkasse hinüber nach der Stadt, und keiner wußte, daß er Abschied genommen hatte. Er kam nach Hause und ging in sein Zimmer. Doch es war nichts mehr für ihn zu tun. Die Koffer waren bereits abgeholt und die Schränke verschlossen. Er ging in die Zimmer seiner Mutter, die stumm und verhangen dalagen, und fand auch hier nichts, das mit lebendiger Stimme zu ihm sprach. Und er öffnete das Arbeitszimmer seines Vaters, in dem er bis in die Nacht still mit dem Vater gesessen hatte, als die Mutter in die Heimat zurückgekehrt war. Und plötzlich war ihm, als sprächen die Wände und Decken, als wäre die Luft voll lebendigen Hauchs, und er mußte sich losreißen, um sich nicht in eine Ecke zu setzen und einem jäh aufwallenden Schmerz zu unterliegen.

»Komm wieder als mein Sohn,« hatte ihm der Vater gewünscht.

In diesem Augenblick nahm er sich vor, dem Namen des Vaters keine Schande zu machen.

Er nickte dem Zimmer zu und ging weiter durch das ganze Haus. Und endlich nahm er Abschied von den Dienstboten, denen gesagt worden war, daß er eine Auslandreise antreten werde.

Auf der Straße wandte er sich noch einmal um und sah das Haus still und verlassen liegen. Und als hätte er Angst, daß es ihn zurückrufen könne, ging er schnell die Straße entlang, suchte den nächsten Droschkenhalteplatz und fuhr zum Millerntor. –

Der alte Vanheil kränkelte. Ein leichter Schlagfluß hatte ihn vor wenigen Wochen betroffen, und er konnte nicht aus der Wohnung in die Kontorräume hinab. Tagsüber saß er im Wohnzimmer, bequem in den Lehnstuhl verpackt, und Marga und der alte Rochus kamen zu ihm hinauf, um ihm über die Geschäfte Vortrag zu halten und seine Willensmeinungen einzuholen.

Schneller, als die Seinen erwartet hatten, hatte er sich in seine mißliche Lage geschickt und ihre Sonnenseiten herauszufinden gewußt. Er ließ sich die guten Nachrichten, die vom Kontor zu ihm hinaufgetragen wurden, munden und genoß die Muße, die ihm so selten geworden war, mit innerem Behagen. Die Enkel spielten zu seinen Füßen, Frau Henriette sang ihm ein Liedchen am Klavier, oder Erika las ihm die Zeitung vor, da seine Augen gelitten hatten und ihm vom Arzt bis auf weiteres jede Lektüre untersagt worden war.

Behäbig in den Lehnstuhl geschmiegt, ruhte er aus mit einem kinderfröhlichen Gesicht.

Aus der Zeitung beschäftigten ihn die Nachrichten aus Kuba am meisten. Er konnte nicht genug davon hören, und wenn neue Meldungen einen Tag lang ausblieben, ließ er sich die Nachrichten vom Tage vorher noch einmal vorlesen. Und er rieb sich vergnügt die Hände, wenn er vernahm, wie sich die Verhältnisse drüben zuspitzten und Handel und Wandel daniederläge.

»Mann,« sagte dann Frau Henriette kopfschüttelnd, »wenn ich dich nicht schon an die dreißig Jahre als den friedfertigsten Menschen kennte, müßte ich wirklich glauben, ich hätte einen Nero geheiratet. Ganz blutdürstig bist du ja plötzlich geworden, und sonst wirst du schon blaß, wenn du nur von solchen Sachen hörst.«

»Hohe Politik, Frau Henriette,« pflegte er zu sagen, »hohe kaufmännische Politik, weißt du? Man zieht seine Schlüsse, und was ein richtiger Kaufmann ist, der hört den Wind von Westen wehen. Verstehst du? Von Westen?« »Nein, das verstehe ich nun aber wirklich nicht.«

»Tut nichts, Frau Henriette. Ich habe ihn gehört, als ihn andere nicht hören wollten. Und ich bin nur der kleine Vanheil im großen Hamburg.«

Und seine Augen lachten dazu, als sei er der große Vanheil.

Gerade wurde Robert Twersten gemeldet. Die Kinder stürzten ihm entgegen, um die Taschen des Onkels auf Geschenke zu untersuchen, und führten ihn im Triumph herein.

»Nun, Robert, wollen Sie auch mal nach dem alten Invaliden Ausschau halten? Das ist brav. Setzen Sie sich zu mir und erzählen Sie mir, wie es dem Papa geht. Das ist ein Freund, ja – das ist ein Freund.«

»Ich komme, um Ihnen Lebewohl zu sagen, Herr Vanheil, und ich freue mich, daß ich Sie wohl und guter Dinge treffe.«

»Lebewohl –? Davon weiß ich ja nichts. Weiß es denn Marga?«

»Es weiß keiner darum,« erwiderte Robert Twersten. »Mein Vater und ich beschlossen die Reise erst vor kurzem. Es kam alles so schnell und ich hatte so sehr viel mit den Vorbereitungen zu tun, daß mir die Tage nur so durch die Finger liefen.«

»Soll es denn weit gehen, Robert?« Der Alte fing Feuer. »Hinauf nach Skandinavien oder hinunter nach dem Süden? Geben Sie acht, ich kann Ihnen Ratschläge geben. Nennen Sie nur irgendeinen Namen.«

»Ich will amerikanische Städte bereisen,« berichtete Robert Twersten und errötete über seine ausweichende Antwort. »Amerikanische Städte –?« erwiderte Vanheil, und es war ein Ton des Bedauerns in seiner Stimme. »Freilich, da fehlen mir die Kenntnisse. Das tut mir aber leid, Robert, daß ich in Gedanken nicht mit Ihnen reisen kann. Also eine Vergnügungsreise?«

Robert Twersten bejahte. »Meine Ausbildungszeit auf der Werft ist um. Da gestattete es mein Vater.«

»Hm,« machte Martin Vanheil, »also nach Amerika. Tja – da werden Sie augenblicklich nette Verhältnisse vorfinden. Gehen Sie nur nicht zu tief nach dem Süden. Da ist der Deubel los.«

»Es wird nicht so ängstlich sein, Herr Vanheil.«

»Was? Nicht so ängstlich? Da spricht die Jugend. Hier, da, in den Zeitungen, da sprechen erfahrene Männer. Haben Sie mal was von der Explosion der ›Maine‹ gehört? Schade, sonst hätte ich Sie Ihnen geschildert, als ob ich dabei gewesen wäre. Seit der Zeit ist der wilde Rummel im Gang. Die Monroe-Doktrin ist obenauf. Amerika den Amerikanern! Kuba gehört dazu, und wenn es nicht dazu gehörte, so liegt es ihnen doch vor der Nase und beherrscht den Handelsweg zu ihren südlichen Häfen. Ich sage Ihnen, Robert, die ganze Masse des amerikanischen Volkes ist vom Kriegsenthusiasmus wie von der Tarantel gestochen, und wenn sie jetzt noch auf dem Kongreß schöne Redensarten machen von der Erlösung der Völker und der Überbringung einer freien Konstitution für das freie Kuba – lehrt mich die Amerikaner kennen. Kaufleute sind sie, und die gesalzene Rechnung haben sie heute schon in der Tasche.«

»Sie begeistern sich ja sehr für die Amerikaner, Herr Vanheil.« »Ich begeistere mich nur, weil ich der Versuchung widerstand, schlechte Geschäfte mit Kuba zu machen.«

Er brach ab. Und der Zug der Verlegenheit, der über des Alten Gesicht zog und es knabenhaft rötete, rührte Robert Twersten.

»Was haben Sie, Herr Vanheil?« fragte er freundlich.

»Ich bin ein alter Dummkopf,« murrte der Alte. »Entschuldigen Sie nur, Robert. Ihre Frau Mama ist Kubanerin und steht durch ihre Familie im spanischen Lager. Ich hatte das vergessen. Natürlich begeistere ich mich jetzt nicht mehr für Amerika.«

Robert Twersten lachte ihn an. »Unsere Privatbeziehungen haben doch nichts mit unseren Geschäften zu tun. Nein, Sie dürfen sich beruhigen, Herr Vanheil. An solche Empfindlichkeit bin ich nicht gewöhnt worden.«

Aber Vanheil ging auf das Thema nicht wieder ein.

»Tja, Robert, aus Kindern werden Leute. Da merkt man, daß man alt wird. Nun haben auch Sie schon Ihre Ausbildungszeit hinter sich und gehen in die Welt, und der Fritz hat wirklich und wahrhaftig doch noch sein Ingenieurexamen gemacht, und er wird uns über kurz oder lang auch wieder davonschwimmen. Das ist der Lauf der Welt.«

»Was? Fritz ist hier? Und sein Examen hat er?«

»Kinder, Kinder!« rief Martin Vanheil mit seiner mächtigsten Stimme. »Er weiß nichts! Er weiß nicht, daß Fritz sein Examen bestanden hat! Daß er es mit Auszeichnung bestanden hat! Nichts weiß er, gar nichts! Und er weiß nicht mal, daß Fritz sich schon seit einer Woche im Hamburger Hafen herumtreibt!« Und bei jedem Satze schlug er schallend auf die Lehne seines Sessels. »Da gratuliere ich von Herzen,« sagte Robert Twersten erfreut.

»Und es geht zu Herzen, Robert, verlassen Sie sich darauf. Nun ist mir erst ganz wohl.«

Und er kroch vor Behagen ganz tief in seinen Sessel hinein. Frau und Tochter wechselten einen strahlenden Blick. Die Enkel spielten zu seinen Füßen. Das Gemach war voll Friede.

Plötzlich horchte der alte Vanheil auf und winkte den anderen zu. »Sie kommen. Das ist die Stimme unseres Fritz. Und die andere – ja, die gehört Kapitän Jessen.«

Die Tür ging auf, und die Erwarteten standen im Zimmer.

»Hier bring' ich euch den großen Seeräuber,« rief Fritz und schwenkte seinen Hut. »Gerade faßte ich ihn, als er, das Enterbeil schwingend, zur Plünderung in den Hafen einlief. Sämtliche Jungfrauen St. Paulis standen palmenschwingend am Bollwerk.«

»Schlepp ihn vor den hohen Rat, Fritz. Wir wollen ihm die Beichte verhören.«

»Guten Tag, Herr Vanheil. Wenn der Junge in Hamburg ist, ist man seines Lebens nicht sicher. Ich sage Ihnen, knapp konnte ich noch die Huldigungen entgegennehmen, da hat mich schon der Junge bei der Büx. Und wie Sie mich so sehen, da bin ich.«

Er begrüßte die Damen mit weltmännischer Verbeugung und drückte ihnen, so zart er es vermochte, die Hand. Robert Twerstens Finger aber spürten den entstandenen Überschuß.

»Sett di dal,« forderte Vanheil ihn auf und wies auf einen Stuhl. »Fürs Kontor sind Sie doch wohl erst Montag zu gebrauchen.«

»Ich habe schon im Vorbeigehen Fräulein Marga meinen Kratzfuß gemacht und ihr die Ladebriefe übergeben. Eine bannig fixe Deern, Vanheil. Wächst uns mächtig über die Schulter.«

»Hab nix dagegen, Jessen. Sitz hier oben ganz mollig.«

»Darüber brauch' ich mich nicht zu wundern. In einer so ehrenwerten wie angenehmen Gesellschaft. Ließ ich mir auch schon gefallen.«

Er saß auf dem Stuhl, die Hände in die Seiten gestemmt, und blickte sich schmunzelnd um.

»Und der ›Valdemar Atterdag‹, Jessen? Immer vorneweg, wie sein Kapitän?«

»Mobil, wie sich das gehört, Herr Vanheil. Wenn er nach Hamburg kommt, schnaubt er schon in Kuxhafen vor lauter Lumpenfreude.«

Robert Twersten hatte den Freund beiseite gezogen. »Fritz,« sagte er, »wie mir das Spaß macht, daß du Wort gehalten hast. Ich beglückwünsche dich aufrichtig. Nun bist du ein freier Mann.«

»Schwindle nicht, Robert. Ich besitze jetzt einen Zylinder, der einem sämtliche Illusionen raubt.«

»Was wirst du zunächst beginnen, Fritz?«

»Irgend eine Reise machen, wenn ich ein billiges Schiff finde. Am liebsten rund um die Welt.«

»Ich bin hier, um euch Adieu zu sagen, Fritz. Heute abend neun Uhr fahre ich aus. Nach Amerika.«

Fritz Vanheil sah ihn fragend an. »Du fährst –? Urplötzlich? Nach Amerika? Du, das ist ein dehnbarer Begriff.« »Es ist ein kleines Geheimnis dabei, das mir nicht gehört,« gestand Robert Twersten. »Ich war froh, daß dein Vater mich nicht genauer befragte.«

Fritz Vanheil ließ den prüfenden Blick nicht von ihm. »Deine Geheimnisse haben im Vanheilschen Hause nichts zu befürchten. Wir sind keine Plaudertaschen und wissen genau, was bei einem weitergegebenen Wort an Geschäften auf dem Spiel stehen könnte.« Er lachte. »Sag mir doch mal den Steamer, mit dem du fährst? Na, bemühe dich nicht. Es fährt nämlich heute abend überhaupt keiner nach New York.«

»Es braucht ja nicht New York zu sein.«

»Meine ich auch. Amerika besteht aus Nord-, Zentral- und Südamerika. Du, um von was anderem zu sprechen: Weißt du, daß heute abend die ›Ingeborg‹ und der ›Theodor Bramberg‹ in See gehen?«

»Woher – weißt du das?« fragte Robert Twersten erstaunt.

»Nicht vom Luftballon aus. Ganz gewiß nicht. Einfach mit dem Boot bin ich herangesegelt. Um vier Uhr wurden die Luken geschlossen. Die Kessel sind geheizt. Famose Schiffe übrigens. Machen der Werft K.R. Twersten alle Ehre, Junge. Auch im Ausland.«

»Ja, die Elbe herauf werden sie wohl nicht fahren.«

»Denke dir, das sagte ich mir auch. Nach Dresden gehen Äppelkähne. Und da werden denn die beiden Brambergs – na, was meinst du?«

»Wie soll ich das wissen?«

»Ich denke, du fährst mit, Robert?«

»Ich –?«

»Es sind die einzigen Schiffe im Hafen, die heute abend unter Dampf gehen. Wenn du also nicht mit einem Motorboot nach Amerika willst, wirst du schon einen der beiden Brambergs benutzen müssen. Ist das wirklich so rätselhaft, Robert?«

»Schweig still, ich bitte dich.«

»Marga und mir könntest du es sagen. Mein heiliges Ehrenwort, Robert, daß es kein Mensch von uns eher erfährt als von dir. Aber ich habe solch eine Unruhe im Blut. Wie eine Wandersehnsucht. Und ich denke immer, auch dir geht es so. Und nun fährst du – zu deiner Mama. Zu Frau Angèle. Wohin könnte es dich sonst wohl treiben?«

Und die Wandersehnsucht war in seiner Stimme und ein heißes Wünschen in seinen Augen.

»Ich vertraue dir,« sagte Robert Twersten, »und ich vertraue auch Marga. Und ich freue mich nun, daß du es erraten hast. Du hast mir dein Wort gegeben, Fritz. Also ja, ich reise auf der ›Ingeborg‹ nach Santiago. Soll ich Mama von dir grüßen?«

Fritz Vanheil preßte des Freundes Hand. Eine starke Aufregung arbeitete in ihm. »Daß ich das jetzt erst erfahre!« stieß er hervor. »Natürlich sollst du sie grüßen, und ich würde eher meinen Kopf vergessen als mein Versprechen. Donnerwetter, wie mich das aufregt! Wo steckt denn nur Marga? Es ist doch sechs Uhr vorbei und Feierabend. Warte, ich werde sie dir rufen.«

Er tat ein paar Schritte und kam noch einmal zurück.

»Ich will doch lieber gleich von dir Abschied nehmen. Ich bin kein Freund von langwierigem Händedrücken. Wir wollen sagen ›auf Wiedersehen‹, Robert. Halte dich munter, alter Junge. Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder. Adios!« »Ja,« meinte er, und trat an den Tisch zu den anderen, »da muß ich nun nochmal in den Hafen. Ich muß doch dabei sein, wenn Robert Twersten in die Neue Welt abdampft! Hier geht's ja auch ohne mich. Amüsiert euch.« Und er schüttelte allen die Hände.

Nach wenigen Minuten kam Marga. Der alte Rochus trabte hinter ihr drein.

»Guten Abend, Robert. Fritz sagt mir, du bist hier, um Abschied zu nehmen? Wieviel Zeit hast du denn noch für mich erübrigt?«

»Eine Stunde noch, Marga.«

»Warte, die soll uns allein gehören. Ich werde nur Vater noch Bericht erstatten.«

Martin Vanheil hatte schon den Prokuristen herangewinkt. »An den Tisch, Rochus. Ich muß Ihnen den Monatslohn wieder abjagen. Sie sollen dies Haus nicht verlassen, es sei denn um fünfzig Pfennig ärmer! Kapitän, einen Männerskat, was?«

»Soll mir bei den schlechten Zeiten sehr angenehm sein, Herr Vanheil.«

»Oho, schlechte Zeiten! Da sollen Sie einmal Marga hören! Nun, Döchting,« und er gab die Karten aus: »fünf, Skat, nochmal fünf. Wat is mi dat mi di, mien Deern?«

Marga trat hinter seinen Stuhl, und während sie sprach, blickte sie über seine Schulter hinweg den alten Rochus fest an. Und der alte Freund saß ganz still und geduckt und ließ die Kartenblätter durch die Finger rascheln.

»Der Wochenabschluß ist wieder einmal bedeutend besser, als wir erwartet hatten. Und für die nächste Zeit stehen mit aller Bestimmtheit gleich günstige zu erwarten. Du darfst also mit Ruhe heute abend sogar eine Mark verlieren.«

Über Martin Vanheils Gesicht zuckte die Freude. »Mein altes, braves Geschäft! Trotz ›altfränkisch‹! Ja, ja, es geht auch so. Was? So ein altes, braves Geschäft...«

Und er lachte glücklich in sich hinein und spielte den ersten Trumpf aus, der ihm gestochen wurde.

Frau Henriette und Erika begaben sich in die Küche, und das Kindermädchen holte die strampelnden Enkel ab.

Marga winkte dem Freunde zu. »Komm, wir wollen uns ins Nebenzimmer setzen.«

Sie saßen sich gegenüber und sahen sich schweigend an. Und dann sagte Robert Twersten, um die Stille zu verscheuchen: »Es freut mich, daß die Geschäfte so gut bei euch gehen.«

»Sie gehen nicht besser als sonst.«

»Aber ich hörte doch selbst – ja – du sagtest doch vorhin deinem Vater – –«

»Daß die Geschäfte glänzend gingen? Natürlich sagte ich das. Hast du denn nicht bemerkt, wie das den kranken Mann freute? Glaubst du denn, er würde sonst auch nur eine Minute Ruhe hier oben haben? Und er muß sie haben, und ich sorge dafür. Das ist alles.«

»Marga –« fragte Robert Twersten, »ist das nicht sehr viel gewagt?«

Marga Vanheil gab den staunenden Blick zurück. »Es handelt sich doch um meinen Vater, Bob!«

»Und wenn er nun wieder gesund wird und wieder ins Kontor hinunter darf? Dann merkt er es doch sofort?«

»Dann merkt er es? Dann wollen wir uns freuen, daß er wieder gesund ist! Alles andere ist Nebensache. Im übrigen –« und ihr blasses Gesicht belebte sich, »ich habe dafür gesorgt, daß die Kasse einen günstigeren Bestand ausweisen wird.«

»Du bist – auf eigene Hand – Geschäfte eingegangen?«

»Ja, Bob. Und sie werden glücken. Denn der Kompagnon, den ich dabei neben mir habe, ist erstklassig.«

»Was für seltsame Menschen ihr seid,« sagte Robert Twersten nach einer Weile. »Ich komme mir ganz klein neben dir vor.«

»Ach,« erwiderte sie lebhaft und setzte sich gerade auf, »das ist ja dummes Zeug. Der zukünftige Chef von K.R. Twersten tritt seine erste Weltreise an. Das ist eine andere Sache. Und eine bedeutungsvollere, weiß Gott. Nun sollst du mir aber auch dein Programm entwickeln, Bob.«

»Ich habe deinen Eltern mitgeteilt, daß ich nach Amerika reise.«

»Und du gehst nicht hin?«

»Doch, ja, aber – Marga, zwischen uns soll nie ein Geheimnis sein. Fritz hat es erraten. Und du sollst es wissen. Dir allein wollte ich es sagen, und du wirst es für dich bewahren, weil es vorläufig noch meinem Vater gehört. Ich fahre mit der ›Ingeborg‹ und dem ›Theodor Bramberg‹ nach Santiago de Cuba.«

Marga Vanheil beugte sich vor. »Du –?« fragte sie. »Du bringst die Schiffe hin?«

»Weil ich zu meiner Mutter reise, Marga.«

Sie faßte seine Hände und hielt sie in den ihren. »Dein Vater muß ein großes Vertrauen in dich setzen. Herrgott, Bob, wie muß dir zumute sein!« 17 »Ich würde mich noch mehr freuen, Mama wiederzusehen, Marga, wenn ich dich nicht so lange entbehren müßte.«

»Ach was,« und das große, blonde Mädchen lachte ihn fröhlich an, »wer spricht jetzt davon? Ich spreche von deinem Vater. Bob, daß du die Probe bestehst und als fertiger Mann wiederkommst!«

»Als Mann, oder überhaupt nicht!«

»Recht so, Bob!«

»Es scheint dir nichts daran zu liegen, wenn ich ganz wegbliebe.«

»Nur wenn du nicht als Mann wiederkämst, wie dein Vater es wünscht!«

»Ich will nur wissen, was duwünschest.«

»Den Mann, Bob!« und ihre Augen blitzten.

Er warf mit einer Bewegung, wie sie Karl Twersten hatte, den Kopf zurück. »Hast du mich lieb, Marga?«

»Viel zu lieb für deine einundzwanzig Jahre. Genügt dir das?«

»Nein. Das genügt mir nicht. Denn so spricht man mit Kindern. Ich will wissen, was ich zu erwarten habe, wenn ich wiederkomme.«

»Komm erst wieder. Dann bin ich eine alte Jungfer. Das geht furchtbar schnell mit mir. Und du dankst Gott und deiner Freundin Marga, daß du heute ohne eine Antwort weggekommen bist.«

»Weich mir nicht aus. Ich geh' nicht von der Stelle, bis ich eine Antwort von dir habe.«

»Gut. Hier hast du sie. Ich bin dreiundzwanzig Jahre und habe für eine Familie und eine Firma zu sorgen.«

»Wenn du meine Frau bist, übernehme ich das alles. Und jetzt poche nicht immer auf den lächerlichen Altersunterschied. Ich habe dich lieb und will dich.«

»Du willst mich. Das ist ein starkes Wort.«

Nun war auch sie blaß und erregt wie er. Aber sie hatte eine Freude an ihm.

»Geh jetzt, Bob. Es ist Zeit, daß du aufs Schiff kommst. Es gibt augenblicklich nichts Wichtigeres als das.«

»Es gibt noch viel Wichtigeres,« murmelte er, schlang den Arm um ihren Hals und ließ seine Lippen nicht von den ihren.

Erst saß sie ganz still vor Überraschung. Dann hob sie den Arm. Aber sie stieß ihn nicht weg. Mit einer ganz weichen Bewegung legte auch sie den Arm um seinen Hals.

»Lieber, dummer Junge...« brachte sie hervor. »Komm wieder... Aber bis dahin sollst du frei sein. Ich will auf dich warten, ja, wenn du es nun einmal nicht anders willst. Aber du sollst frei sein. Wer ein Mann werden will, wie dein Vater ist, Bob –«

»Nein! Ein Mann wie ich werden will! Und wenn es Jahre dauert.«

»Also werde ein eigener. Das ist dasselbe. Jeder echte Mann ist es. Aber wir küssen uns wahrhaftig wie die Kinder.«

»Sind wir auch, du Liebe, du!« rief er übermütig. Wie gut ihn der Wagemut kleidete!

»Zum letzten Male Kinder – –« Sie sagte es für sich. Und sie betastete sein Gesicht und sein Haar mit einer ganz frauenhaften Bewegung, küßte ihn noch einmal leise und schickte ihn hinaus, Abschied nehmen.

»Mein Gott,« dachte sie, als sie im Nebenzimmer seine Stimme laut und jugendfröhlich ertönen hörte, »wie er vorhin Karl Twersten glich – –«

Bis zur Haustür ging sie neben ihm her, als müßte es so sein, und dort reichte sie ihm beide Hände.

»Lebe wohl, Bob. Nun habe ich dir nichts mehr zu sagen als – lebe wohl!«

Er zog ihre Hände an seine Lippen. Seine Wangen glühten.

»Lebe wohl, Marga.«

Und nun schüttelten sie sich kräftig die Hände und nickten sich zu. Und sie stand noch in der Haustür, als er sich an der Straßenecke nach ihr umwandte und hoch seinen Hut schwenkte. Dann eilte er im Geschwindschritt zum nahen Hafen hinab und fuhr mit einer Jolle zu Brambergs Ladekai. Dort traf er seinen Vater und Herrn und Frau Bramberg.

»Pünktlich auf die Minute,« sagte Twersten, »das lob' ich mir.« Er faßte ihn zutraulich unter den Arm und ging im Gespräch mit ihm auf und ab.

»Instruktionen brauche ich dir keine mehr zu geben. Wir haben ja alles bis ins kleinste durchgesprochen. Und von guten Lehren, fünf Minuten vor der Abfahrt, halte ich nicht viel. Du führst den Namen Twersten hinaus wie ein Schiff, das zum ersten Male an fremder Küste seine Flagge zeigt. Und was es mit einer Flagge auf sich hat, das weißt du selber als Hamburger Kind.«

Sie gingen an Bord der ›Ingeborg‹. Der Kapitän trat grüßend heran.

»Alles klar.«

»Dann lassen Sie in Gottes Namen den Anker heraufholen.«

Robert Twersten verabschiedete sich von Herrn Bramberg, der ihm ein Witzwort zum Geleit gab, das verloren ging, und küßte Frau Bramberg die Hand. Sie hielt seine Hand fest und zog ihn hastig an sich. Ganz wunderlich wurde ihm zu Sinn in der kurzen, schnellen Umarmung der sonst so kühlen Frau. Und ihre Augen hatten feucht geschimmert – –. Was war das nur?

Aber es war keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Der Anker schwebte hoch. Das Signal pfiff: Alles von Deck!

Karl Twersten umarmte den Sohn, wie Ingeborg Bramberg es getan hatte. »Viel Glück, mein Junge!« –

Der Mond kam früh herauf und Robert Twersten stand noch immer am Heck und sah die Türme Hamburgs schwinden und als letzten Gruß die Lichter seiner Vaterstadt. In dunklen Farben tauchten die hohen bewaldeten Ufer der Unterelbe auf, die weißen Schlösser Hamburger Handelsfürsten geisterten aus märchenstillen Parkumrahmungen, von steiler Klippe winkte das alte Fischerdorf Blankenese...

Kräftiger kam die Luft vom Meere her. Hinter Brunshausen ließ ein aufkommender Dampfer warnend die Dampfsirenen tönen. Jetzt passierte er die ›Ingeborg‹ und den im Kielwasser fahrenden ›Theodor Bramberg‹. Ein schimmernder Palast, in Licht gebadet, von Tausenden froherregten, heimatverlangenden Menschen bevölkert, glitt vorüber und schwand fern im Dunkel.

Die Nacht stieg höher und sank. Der erste Morgenwind wachte auf. Da lag Cuxhaven, und die alte Liebe träumte in die offene See hinaus von Abschiednehmen und Wiederkehr! Die offene See! Vorn am Bug stand Robert Twersten und sah um sich her das weite Meer, die weiten, rätselhaften Fernen....

Und eine Stimme hinter ihm sprach: »Gott grüße dich. Kein andrer Gruß paßt so zu jeder Zeit.«

Er fuhr herum. Entgeistert. Vor Staunen sprachlos. Und starrte in Fritz Vanheils lachendes Gesicht.

»Ein blinder Passagier, Robert, bittet um eine milde Gabe.«

»Du hier – Fritz?«

»Bist du gewaltig böse? Sei's nicht mehr, Robert. Wenden lassen geht nicht, und über Bord werfen wäre gemein. Also nimm meine Gesellschaft in Gnaden an. Ich hab's deiner Mutter versprochen, zu kommen.«

»Fritz,« sagte Robert Twersten und er glaubte noch immer zu träumen, »das ist unverantwortlich.«

»Laß mich noch dies eine Semester Student sein. Student des Lebens, wenn du so willst. Aber nun runzle nicht mehr die Stirn und nimm mich dem Kapitän gegenüber unter deine schützenden Fittiche. Sag ihm, ich wäre dein Sekretär, dein Kammerdiener meinetwegen, und fluche greulich, daß die Kabine für mich nicht in Ordnung ist. Ich will dir die Überfahrt zeitlebens danken.«

Noch immer betrachtete Robert Twersten kopfschüttelnd den Freund.

»Mir bleibt wahrhaftig nichts anders übrig, Fritz. Aber ich denke an deine Eltern und an Marga –«

»Morgen früh, beim Erwachen, haben sie meinen Abschiedsgruß. Dumme Streiche sind sie an mir gewöhnt. Gönne ihnen noch diesen letzten. Denke an meinen armen Vater, wie er lachen wird. Herrgott – ist das nicht der Kapitän?«

Robert Twersten begab sich zum Kapitän der ›Ingeborg‹ und setzte ihm in kurzen Worten die Anwesenheit des unerwarteten Passagiers auseinander. Dem Vertreter des Eigentümers hatte der an Disziplin gewöhnte Seemann nichts zu bemerken.

»All right?« fragte Fritz Vanheil den Zurückkehrenden.

Robert nickte. Aber bevor er sprechen konnte, schwang sich schon Fritz Vanheils jugendselige Stimme hoch in die Lüfte hinaus und den Wellen, den Fernen entgegen:

»Ein Kuß von rosigen Lippen,
Und ich fürchte nicht Sturm und nicht Klippen.
Brause, du See! Sturmwind, weh'!
Wenn ich mein Liebchen nur wiederseh'!«

Da hielt auch Robert Twerstens Jugend nicht länger zurück. Und den Kehrreim sang er mit. Und der eine legte dem anderen den Arm um die Schulter, und so blickten sie der aufgehenden Sonne ins Gesicht.


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