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Tausend und eine Nacht. Band XV
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Der Blinde und der Krüppel.

Es waren einmal ein Blinder und Krüppel, die der Besitzer eines Gartens in seinen Garten führte, indem er ihnen verbot, etwas in ihm zu verderben oder beschädigen. Als nun die Früchte reif wurden, sagte der Krüppel zum Blinden: »Weh dir, ich sehe, daß die Früchte reif sind, und habe Verlangen nach ihnen; jedoch kann ich mich nicht zu ihnen aufrichten und von ihnen essen. Steh du daher auf, da du gesunde Beine hast, und hol' uns etwas zum Essen.« Der Blinde erwiderte ihm: »Wehe dir, ich dachte gar nicht an 147 die Früchte, bis du mir nun von ihnen sprichst; doch kann ich nicht dazu gelangen, da ich nicht sehen kann; was also ist zu thun?« Während sie aber noch miteinander sprachen, kam der Aufseher des Gartens, der ein kluger Mann war, zu ihnen, und der Krüppel sprach zu ihm: »Wehe dir, Aufseher, wir haben auf einige dieser Früchte Appetit bekommen, wie du aber siehst, bin ich ein Krüppel und mein Gefährte da ist blind und kann nichts sehen. Was sollen wir da thun?« Da erwiderte der Aufseher: »Weh euch, habt ihr vergessen, daß euch der Herr des Gartens verpflichtete, nichts zu thun, was dem Garten Schaden zufügen könnte? So beherzigt das Verbot und thut es nicht.« Sie entgegneten ihm jedoch: »Wir müssen unbedingt unsern Anteil von diesen Früchten zu essen bekommen; sag' uns daher, wie wir es anstellen sollen.« Wie nun der Aufseher sah, daß sie von ihrem Vorhaben nicht abzubringen waren, sprach er zu ihnen: »Es läßt sich in der Weise bewerkstelligen, daß sich der Blinde erhebt, dich, den Krüppel, auf die Schultern nimmt und dich zu dem Baum trägt, dessen Früchte dir gefallen, damit du dir die Früchte, die du erreichen kannst, pflückst.« Da erhob sich der Blinde und lud den Krüppel auf, worauf der Krüppel ihn zu einem Baum leitete, von dem er dann nach Herzenslust pflückte. In dieser Weise verfuhren sie, bis sie alle Bäume im Garten ruiniert hatten, als mit einem Male der Herr des Gartens erschien und zu ihnen sprach: »Wehe euch, was habt ihr gethan? Habe ich euch nicht verboten diesen Garten zu beschädigen?« Sie versetzten: »Du weißt, daß wir nicht imstande sind irgend etwas zu thun, da einer von uns ein Krüppel ist, unfähig sich aufzurichten, und der andere nichts vor sich sehen kann. Was ist daher unsere Schuld?« Da sagte der Herr des Gartens: »Ihr glaubt wohl, ich wüßte nicht, wie ihr es angestellt habt mir den Garten zu verderben? Mir scheint es, daß du, o Blinder, aufgestanden bist und den Krüppel auf deinen Rücken geladen hast, worauf dieser dir den Weg zeigte, und du ihn zu den Bäumen 148 trugst.« Hierauf nahm er beide, züchtigte sie schwer und verstieß sie aus dem Garten.

Der Blinde nun im Gleichnis ist der Leib, der nicht ohne die Seele sehen kann, und der Krüppel ist die Seele, die sich ohne den Leib nicht zu bewegen vermag; der Garten stellt die Werke dar, für welche der Mensch seinen Lohn empfängt, und der Aufseher ist der Verstand, der das Gute heißt und das Böse verbietet. So sind Leib und Seele Teilhaber an Lohn und Strafe.«

Schimâs erwiderte: »Du hast recht gesprochen, und ich nehme deine Worte an. Nun aber sag' mir, welche Gelehrten hältst du für am meisten rühmenswert?« – »Wer in der Kenntnis von Gott gelehrt ist, und wem sein Wissen nützt.« –»Und wer ist dies?« – »Wer dem Gefallen seines Herrn nachstrebt und seinen Zorn meidet.« – »Und wer ist der Trefflichste?« – »Wer von Gott am meisten weiß.« – »Wer ist der Auserwählteste von ihnen?« – »Wer gemäß seinem Wissen am beständigsten handelt.« – »Nun sag' mir, wer von ihnen das lauterste Herz hat.« – »Wer sich am sorgsamsten für den Tod vorbereitet, Gott am meisten preist und am wenigsten erhofft; denn der, welcher in seine Seele des Todes Zufälle führt, gleicht einem, der in einen lichten Spiegel schaut: er erkennet die Wahrheit, und der Spiegel nimmt zu an Klarheit und Glanz.« – »Welche Schätze sind die besten?« – »Die Schätze des Himmels.« – »Welcher himmlische Schatz ist der beste?« – »Gottes Verherrlichung und Preis.« – »Welcher Schatz auf Erden ist der beste?« – »Gutes thun.« –

Neunhundertundelfte Nacht.

»Du hast recht geantwortet, und ich nehme deine Worte an; nun aber gieb mir Auskunft über drei verschiedene Dinge, über Wissen, Urteil und Verstand, und über das, was sie vereinigt.« – »Wissen kommt aus Lernen, Urteil aus Erfahrung, Verstand aus Nachdenken, und in der Vernunft 149 stehen sie fest gegründet und vereinigt. Wer diese drei Eigenschaften in sich vereint, ist vollkommen, und wer hierzu noch Gottesfurcht fügt, hat das Rechte getroffen.« – »Du hast recht gesprochen, und ich nehme es an; nun aber sag' mir, kann dem Wissenden, Weisen, dem mit rechtem Urteil begabten, dem Mann von leuchtender Intelligenz und von trefflichem, klarem Verstand, Lust und Brunst diese obenerwähnten Qualitäten trüben?« – »Wenn diese zwei Leidenschaften in einen Mann eindringen, so trüben sie sein Wissen, seine Einsicht, sein Urteil und seinen Verstand, und er gleicht dem Raubadler, der aus Besorgnis gefangen zu werden in seiner Überschläue hoch im Himmelsraum schweben blieb, als er mit einem Male einen Vogelsteller ein Netz aufstellen sah. Als der Vogelsteller damit fertig geworden war, legte er ein Stück Fleisch hinein, worauf beim Anblick des Stückes Fleisch des Adlers Lust und Begierde rege ward, so daß er das Netz und das üble Schicksal aller Vögel, die ins Netz fielen, vergaß und, aus dem Himmelsraum hernieder auf das Fleisch schießend, sich im Netz verstrickte. Als nun der Vogelsteller kam und den Adler im Nest sah, verwunderte er sich höchlichst und sprach: »Ich stellte mein Netz auf, um Tauben und dergleichen schwache Vögel zu fangen, und wie fällt nun dieser Adler hinein?« Und es heißt, daß wenn Lust und Begierde einen vernünftigen Menschen zu etwas antreiben, so erwägt er in seiner Vernunft den Ausgang der Sache und enthält sich derselben, indem er mit seiner Vernunft seine Lust und Begierde bändigt. Und hierbei geziemt es ihm, seine Vernunft zu einem geschickten Reitersmann zu machen, der, wenn er ein schlaffes Pferd besteigt, ihm ein scharfes Gebiß einlegt und dieses anzieht, so daß es sich aufrecht erhält und ihn trägt, wohin er will. Was aber den Thor anlangt, so hat er weder Wissen noch Urteil, weshalb ihm die Dinge alle dunkel sind; Lust und Begierde herrschen über ihn, so daß er nur nach ihnen handelt, und er gehört zu den Verlorenen, und ist unter den Menschen keiner in üblerer 150 Lage als er.« – Schimâs versetzte: »Du hast recht gesprochen, und nehme ich dies von dir an; nun aber sag' mir, wann Wissen nützlich ist und wann Vernunft den Schaden der Lust und Begierde abwehrt?« – »Wenn ihr Besitzer sie im Streben für das Jenseits anwendet, denn Vernunft und Wissen sind alle beide nützlich; es geziemt sich jedoch ihrem Besitzer sie im Streben nach irdischem Wohlergehen nur in dem Maße anzuwenden, als er zum Erwerb seines Unterhalts bedarf und um das Übel der Welt von sich abzuwehren; und soll er sie im übrigen verwenden in der Arbeit fürs Jenseits.« – »Nun sag' mir, was verdient am meisten, daß der Mensch danach strebt und sein Herz daran hängt.« – »Die guten Werke.« – »Wenn ein Mann dies thut, so bringt es ihn von dem Erwerb seines Lebensunterhalts ab; wie soll er also hierin verfahren, wo er doch sein täglich Brot notwendig gebraucht.« – »Siehe, sein Tag hat vierundzwanzig Stunden; den einen Teil davon soll er für den Erwerb seines täglichen Brotes, den andern für das Gebet und Ruhe und den Rest im Streben nach Wissen verwenden; denn ein vernunftbegabter Mensch ohne Wissen gleicht einem dürren Land, das keinen Platz zum Ackern, Setzen von Bäumen und Säen von Gras hat. Wird es nicht zum Ackern und Pflanzen zurecht gemacht, so bringt es keine Früchte; wird es aber bestellt und bepflanzt, so trägt es schöne Frucht. Ebenso ist es mit dem Menschen ohne Wissen. Er hat nicht eher Nutzen, als bis ihm Kenntnisse eingepflanzt werden; sind ihm diese aber eingepflanzt, so trägt er Frucht.« – »Wie steht's mit Wissen ohne Vernunft?« – »Es steht damit wie mit dem Wissen eines Stückes Vieh, das die Stunden kennt, in denen es gefüttert und getränkt wird und erwacht, aber sonst keine Vernunft hat.« – »Du hast mir hierauf eine kurze Antwort erteilt, jedoch nehme ich sie an; sag' mir nun, wie ich mich vor dem Sultan hüten soll.« – »Du sollst ihn dir nicht beikommen lassen.« – »Und wie stelle ich dies an, wo er mein Herr ist und die Zügel meiner Sache in seiner Hand hat?« – 151 »Seine Herrschaft über dich liegt in den Pflichten, die du ihm schuldest; giebst du ihm, was du ihm schuldest, so hat er keine Macht mehr über dich.« – »Was ist eines Wesirs Pflicht gegen einen König?« – »Guter Rat und Eifer im Verborgenen und öffentlich; ferner rechtes Urteil, Bewahrung seiner Geheimnisse, und daß er ihm nichts von dem verbirgt, was er zu erfahren einen Anspruch hat; schließlich Mangel an Nachlässigkeit in den Angelegenheiten, mit deren Besorgung er ihn betraut hat, das Streben nach seinem Wohlgefallen in jeder Weise und das Vermeiden seines Zornes.« – »Nun sag' mir, wie der Wesir es mir dem König halten soll.« – »Wenn du des Königs Wesir bist und sicher vor ihm sein willst, so sollst du über Erwarten auf ihn hören und zu ihm sprechen; du sollst dein Anliegen an ihn nach Maßgabe deines Wertes bei ihm stellen, und auf der Hut sein dich zu einem Wert zu erheben, dessen er dich nicht für würdig erachtet; denn dieses würde deinerseits Unverschämtheit gegen ihn sein. Wenn du dich durch seine Milde bethören lässest und dich zu einem Rang erhöhst, dessen er dich nicht für würdig erachtet, so gleichst du dem Jäger, welcher das Wild ihrer Felle wegen jagte und ihr Fleisch fortwarf. Der Löwe aber pflegte zu jenem Ort zu kommen und von dem Aas zu fressen, bis er nach häufigen Besuchen daselbst mir dem Jäger vertraut und befreundet wurde, so daß ihm dieser Fleisch zuwarf und den Rücken streichelte, während der Löwe mit seinem Schweif wedelte. Wie nun der Jäger die Zahmheit, Vertraulichkeit und Unterwürfigkeit des Löwen sah, sprach er bei sich: »Dieser Löwe demütigt sich vor mir, ich bin sein Herr, und ich sehe nicht ein, warum ich mich nicht auf ihn setzen und ihm wie den andern Tieren die Haut abziehen sollte.« Hierauf faßte sich der Jäger ein Herz und sprang dem Löwen kecklich auf den Rücken. Als aber der Löwe sah, was der Jäger that, ergrimmte er gewaltiglich und, seine Tatze erhebend, versetzte er dem Jäger einen Streich, daß seine Krallen ihm in die Eingeweide drangen. Dann warf er ihn unter seine Füße 152 und zerriß ihn. Hieraus ersiehst du, daß es dem Wesir geziemt sich gegen seinen König in Gemäßheit seiner Stellung zu benehmen und sich nicht wegen seiner höhern Einsicht zu überheben, so daß der König auf ihn eifersüchtig wird.« –

Neunhundertundzwölfte Nacht.

»Nun sag' mir, womit sich der Wesir vor dem König angenehm machen soll.« – »Durch Erfüllung des Amtes, das ihm der König verliehen hat, in gutem Rat, treffendem Urteil und Ausführung seiner Befehle.« – »Was du von der Pflicht des Wesirs dem König gegenüber erwähnt hast, daß er seinen Zorn zu vermeiden, seine Wünsche zu erfüllen und seine Aufträge zu erledigen hat, so ist dies für ihn ein notwendiges Erfordernis. Sag' mir jedoch, wie der Wesir sich zu helfen hat, wenn der König nur an Ungerechtigkeit, Tyrannei und Gewaltthat sein Gefallen findet? Wie soll sich der Wesir helfen, wenn er mit solch einem grausamen König zu schaffen hat? Will er ihn von seiner Lust und Begier und seiner Meinung abbringen, so ist er dazu nicht imstande, und wenn er ihm in seiner Lust folgt und seinen Rat gut heißt, so ladet er sich die Verantwortlichkeit hierfür auf und ist ein Feind der Unterthanen. Was sagst du hierzu?« – »Was du, o Wesir, von der Verantwortlichkeit und Schuld sprichst, so trägt er dieselbe nur, wenn er dem König in seiner Sünde folgt; es geziemt sich dem Wesir jedoch, wenn ihn der König in dergleichen Sachen um Rat frägt, ihm den Weg der Gerechtigkeit und Billigkeit zu zeigen, ihn vor Härte und Gewaltthätigkeit zu warnen und ihn im rechten Wandel seinen Unterthanen gegenüber zu unterweisen, indem er ihn mit der Belohnung hierfür lockt und ihn durch die künftige Strafe abzuschrecken sucht. Wenn der König sich seinen Worten zuneigt, so hat er seinen Wunsch erreicht, wenn nicht, so bleibt ihm kein anderer Weg als daß er sich gütlich von ihm trennt, da durch die Trennung dann beide Ruhe haben.« – »Nun sag' mir, welches die Pflichten des Königs gegen seine 153 Unterthanen und die der Unterthanen gegen den König sind.« – »Was er ihnen befiehlt, haben sie mit lauterer Absicht zu thun und sollen ihm gehorchen, in dem, was sein, Gottes und seines Gesandten Wohlgefallen ist. Der König aber hat ihr Gut zu schirmen und ihre Frauen zu schützen, wie es ihre Pflicht ist ihm aufs Wort zu gehorchen, ihr Leben für ihn zu opfern, ihm das ihm von Rechts wegen gebührende zu geben und ihn laut für seine Gerechtigkeit und Huld zu rühmen.« – »Du hast mir klargelegt, wonach ich dich hinsichtlich der Pflichten des Königs und der Unterthanen fragte; nun aber sag' mir, ob die Unterthanen noch sonst etwas von dem König, außer dem von dir gesagten, zu beanspruchen haben.« – »Jawohl; die Verpflichtungen des Königs den Unterthanen gegenüber sind strenger als die der Unterthanen dem König gegenüber, da die Vernachlässigung seiner Pflichten den Unterthanen gegenüber schädlicher wirkt als umgekehrt; denn des Königs Untergang und das Ende seiner Herrschaft und seines Glückes wird nur durch die Vernachlässigung seiner Pflichten den Unterthanen gegenüber veranlaßt. Wer also mit dem Königtum bestallt ist, der hat für drei Dinge zu sorgen: für die Förderung des Glaubens, der Unterthanen und der Regierung; durch die Sorge für diese drei Dinge wird sein Reich bestehen.« – »Was hat der König für das Wohl seiner Unterthanen zu thun?« – »Er hat ihnen zu geben, was ihnen zukommt, ihre Sitten und Gebräuche aufrecht zu erhalten, Gelehrte und Weise anzustellen, sie zu unterrichten, ihnen untereinander Recht zu verschaffen, ihr Blut zu verschonen, ihre Lasten zu erleichtern und ihre Heere stark zu machen.« – »Nun sag' mir, welche Verpflichtung der König dem Wesir gegenüber hat.« – »Der König hat gegen keinen Menschen eine größere Verpflichtung als gegen den Wesir, und zwar aus drei Gründen: zum ersten, wegen dessen, was ihm von dem König widerfährt, wenn er einen falschen Rat erteilt, und wegen des allgemeinen Nutzens für König und Unterthanen, wenn sein Rat trefflich ist; zweitens, daß 154 die Leute schauen, in welchen Ehren der Wesir bei dem König steht, damit die Unterthanen mit dem Aug' der Hochachtung, Verehrung und Unterwürfigkeit zu ihm emporsehen; und drittens, daß der Wesir, wenn er dies von dem König und seinen Unterthanen sieht, das, was ihnen zuwider ist, von ihnen abwehrt und erfüllt, was sie lieben.« – »Ich habe alle deine Worte von den Eigenschaften des Königs, des Wesirs und der Unterthanen gehört und nehme sie von dir an; jetzt aber sag' mir, was nötig ist, um die Zunge vor Lüge, Thorheit, Verleumdung und Übertreibung zu hüten.« – »Der Mensch soll nur Gutes und Liebes reden, er soll nicht über Sachen sprechen, die ihn nichts angehen, er soll Ohrenbläserei und Zwischenträgerei von Worten, die eines andern Feind gesprochen hat, unterlassen, er soll weder Freund noch Feind beim Sultan zu schädigen suchen und sich an niemand kehren, sei es von dem er Gutes hofft oder Böses fürchtet, als allein an Gott, den Erhabenen; denn er allein ist's, der in Wahrheit schadet und nützt. Er soll auch keinen tadeln und Thorheit reden, auf daß er sich nicht die Verantwortlichkeit dafür und Schuld vor Gott und Haß vor den Menschen zuzieht; denn, wisse, das Wort ist wie ein Pfeil, einmal losgelassen, kann ihn niemand wieder zurückrufen. Ferner hüte er sich sein Geheimnis einem mitzuteilen, der es weiter trägt, damit er hierdurch nicht Schaden leidet, nach seinem Vertrauen auf die Geheimhaltung desselben; und noch mehr soll er sich hüten sein Geheimnis vor seinem Freund als seinem Feind zu verbergen.« – »Nun sag' mir, wie man sich gegen seine Familie und Anverwandten zu verhalten hat.« – »Ein Mensch hat keine Ruhe ohne ein schönes Betragen; er soll seiner Familie geben was ihr gebührt und seinen Brüdern, was ihnen geziemt.« – »Was geziemt sich ihm denn seiner Familie gegenüber?« – »Seinen Eltern gegenüber Unterwürfigkeit, bescheidene Rede, Sanftmütigkeit, Ehre und Respekt; seinen Brüdern gegenüber guter Rat, eine offene Börse, Hilfe in ihren Angelegenheiten, Freude mit ihrer Freude und 155 Übersehen ihrer Irrtümer; wenn sie dieses von einem sehen, so vergelten sie es ihm mit ihrem besten Rat und opfern sich für ihn auf. Wenn du also deinen Bruder für vertrauenswert ansiehst, so liebe ihn in höchstem Maße und hilf ihm in allen seinen Angelegenheiten« –

Neunhundertunddreizehnte Nacht.

»Es giebt, wie ich sehe, zwei Arten Brüder; zuverlässige Freunde und Bekanntschaften; den zuverlässigen Freunden gegenüber geziemt allerdings, was du angabst; nun aber frage ich dich nach den andern Brüdern, den Bekanntschaften.« – »Was die Bekanntschaften anlangt, so erlangst du durch sie Vergnügen, gute Sitten, gefällige Rede und angenehmen Umgang; so bereite du ihnen auch Vergnügen in verschwenderischer Weise, wie sie es mit dir thun, und verkehr' mit ihnen mit heiterem Gesicht und freundlichen Worten, wie sie es auch mit dir thun; auf diese Weise wird dein Leben angenehm sein, und sie werden auf deine Worte hören.« Schimâs versetzte: »Alles dies wissen wir; nun aber sag' uns, wie es mit dem Lebensunterhalt steht, den der Schöpfer für seine Geschöpfe bestimmt hat. Ist jedem Menschen und jedem Tier sein Lebensunterhalt bis zu seinem Ende bestimmt, und, so dies der Fall ist, was veranlaßt den, der seinem Unterhalt nachgeht, sich hierin Drangsalen auszusetzen, wo er doch weiß, daß ihm sein täglich Brot bestimmt ist, und er es gewinnen muß, auch wenn er sich keinen Fährlichkeiten unterzieht; und daß, wenn es ihm nicht bestimmt ist, er es auch nicht gewinnen kann, so sehr er sich auch darum bemüht? Soll er darum sein Mühen im Vertrauen auf seinen Herrn aufgeben und seinem Leib und seiner Seele Ruhe geben?« Der Jüngling versetzte: »Wohl sehen wir, daß jedem Wesen sein täglich Brot bestimmt und sein Termin besiegelt ist; jedoch giebt es für jeden Lebensunterhalt Mittel und Wege. Wer da sucht, der würde wohl Ruhe finden, wenn er das Suchen aufgiebt, wiewohl man nicht umhin kann, seinem täglichen 156 Brot nachzustreben. Überdies ist der Suchende in zwiefacher Lage; entweder er findet das Gesuchte oder es wird ihm verwehrt; und die Ruhe des Findenden hat ebenfalls ihre zwei Seiten, indem er einerseits sein Brot erlangt und anderseits für sein Suchen ein rühmenswertes Ende erzielt; dem aber, dem es verwehrt wird, bietet das Suchen dreierlei Annehmlichkeiten, die erstens in seiner Bereitschaft zum Suchen seines täglichen Brotes liegen, anderseits darin, daß er den Menschen nicht zur Last liegt, und drittens, daß er sich dem Tadel entzieht.« – »Nun sag' mir, wie man seinem täglichen Brot nachgehen soll.« – »Der Mensch soll für erlaubt halten, was Gott erlaubt hat, und für verwehrt, was Gott, der Mächtige und Herrliche, verwehrt hat.«

Nachdem sie bis zu diesem Punkt gelangt waren, fand die Prüfung ein Ende, und Schimâs und alle die anwesenden Ulemā erhoben sich und warfen sich vor dem Jüngling nieder, indem sie ihn rühmten und priesen, während ihn sein Vater an seine Brust zog und, ihn auf dem Thron des Königreiches sitzen lassend, sprach: »Gelobt sei Gott, der mir einen Sohn schenkte, meiner Augen Trost in meinem Leben zu sein!« Alsdann aber sprach der Jüngling zu Schimâs und den anwesenden Ulemā: »O Weiser und Meister in Thesen geistigen Gehalts, wiewohl Gott mir nur ein Geringes an Wissen erschlossen hat, so verstehe ich doch deine Absicht darin, daß du von mit annahmst, was ich als Antwort auf deine Fragen vorbrachte, sei es, daß ich das Rechte traf oder verfehlte; und vielleicht verziehst du meine Irrtümer. Nun aber möchte ich dich nach einer Sache fragen, die meine Einsicht übersteigt, für die meine Intelligenz nicht ausreicht, und die meine Zunge nicht zu beschreiben vermag, da sie mir dunkel ist wie lichtes Wasser in einem schwarzen Gefäß. Ich wünschte daher, daß du sie mir erklärst, so daß mir nichts davon in Zukunft unklar bleibt, wie es mit zuvor unklar war; denn, so wie Gott das Leben aus Wasser erschuf und Stärke gab aus Nahrung und des Kranken Heilung in des Arztes 157 Behandlung legte, so hat er auch des Unwissenden Heilung gelegt in des Weisen Wissen. Horch daher auf mein Wort.« Schimâs versetzte: »O du so licht an Verstand und Meister in einsichtsvollen Fragen, dessen Überlegenheit alle Ulemā bezeugen um deiner schönen Analysierung und Disponierung der Dinge willen und wegen deiner trefflichen Antworten auf alle die gestellten Fragen, du weißt, daß du nichts von mir fragen kannst, das deine Einsicht nicht trefflicher deuten und dein Wort nicht richtiger erklären kann, da Gott dir an Wissen gab, was er keinem Menschen verlieh. Jedoch sag' an, wonach du mich fragen willst.« Der Jüngling erwiderte: »Sag' mir, woraus der Schöpfer – verherrlicht sei seine Allmacht! – die Schöpfung erschuf, da doch zuvor nichts existierte, und da in dieser Welt nichts gesehen wird, das nicht aus etwas erschaffen ward, und wo der Schöpfer, der Gesegnete und Erhabene, wohl allmächtig ist, die Dinge aus Nichts zu erschaffen, und doch bei seiner vollkommenen Allmacht und Größe in seinem Willen beschloß, daß alles aus etwas erschaffen würde.« Der Wesir Schimâs entgegnete: »Was diejenigen anlangt, die Gefäße aus Töpfererde anfertigen, und ebenso die andern Handwerker, so vermögen diese nur ein Ding aus einem andern zu erschaffen, dieweil sie selber nur Geschöpfe sind. Was aber den Schöpfer anlangt, der die Welt so wunderbar kunstvoll erschuf, so mußt du, wenn du des Gesegneten und Erhabenen Allmacht zur Erschaffung der Dinge begreifen willst, deine Gedanken ausdehnen über die verschiedenen Species des Erschaffenen. Alsdann wirst du sicherlich Zeichen und Merkmale für seine vollendete Allmacht finden, daß er Macht besitzt, die Dinge aus dem Nichts zu erschaffen; ja, aus dem absoluten Nichts läßt er sie Existenz annehmen, da die Substanzen, das heißt die Materie der Dinge, ein absolutes Nichts sind. Ich will dir dies erklären, daß du nicht im Zweifel darüber bist, und es wird dir dies aus dem Wunder von Tag und Nacht klar werden, die einander in der Art folgen, daß, wenn der Tag gewichen und 158 die Nacht gekommen ist, der Tag vor uns verborgen ist und wir nichts von seinem Verbleib wissen. Ebenso, wenn die Nacht mit ihrem Dunkel und ihrer Einsamkeit gewichen ist, und der Tag kommt, wissen wir nichts vom Verbleib der Nacht. Ebenso, wenn die Sonne über uns aufgeht, wissen wir nicht, wo sie ihr Licht zusammenfaltet, und wenn sie untergeht, wissen wir nicht ihres Unterganges Stätte. Und die Beispiele hierfür aus den Werken des Schöpfers – gepriesen sei sein Name und seine Allmacht verherrlicht! – sind zahlreich und die Gedanken der Scharfsinnigsten verwirrend.« Der Prinz versetzte: »O Weiser, du hast mich über die Allmacht des Schöpfers in unwiderleglicher Weise informiert, nun aber sag' mir, in welcher Weise er seine Schöpfung in Existenz rief.« Schimâs versetzte: »Die Schöpfung ward durch sein Wort erschaffen, welches vor der Zeit existierte, und durch das er alle Dinge erschuf.« Der Jüngling entgegnete: »Gott – verherrlicht sei sein Name und seine Allmacht hoch gerühmt! – wollte demnach die Existenz der Schöpfung vor ihrer Existenz?« Schimâs versetzte: »Und mit seinem Willen erschuf er sie durch sein Wort, und, so er nicht gesprochen und das Schöpfungswort geäußert hätte, wäre die Schöpfung nicht in Existenz getreten.

Neunhundertundvierzehnte Nacht.

Und wisse, o mein Söhnlein, kein Mensch wird dir anders antworten als ich, es sei denn, daß er die Worte, wie sie uns in den heiligen Verordnungen überliefert sind, verkehrt, und ihren wahren Sinn verändert, wie es jene thun, die da sagen, daß dem Wort eine Kraft zu Grunde liegt; vor solchem Glauben nehme ich meine Zuflucht zu Gott. Wenn wir sagen, daß Gott, der Mächtige und Herrliche, die Schöpfung durch sein Wort erschaffen hat, so bedeutet dies vielmehr, daß er, der Erhabene, nach seinem Wesen und seinen Attributen ein Einiger ist, und nicht, daß das Wort Gottes Allmacht besitzt; im Gegenteil, die Allmacht ist ein 159 Attribut Gottes, wie auch die Rede und dergleichen Attribute der Vollkommenheit Attribute Gottes sind, – erhöht sei seine Glorie und gepriesen seine Majestät! – Er kann deshalb weder ohne sein Wort noch sein Wort ohne ihn beschrieben werden, denn durch sein Wort erschuf Gott – verherrlicht sei sein Ruhm! – alle seine Geschöpfe, und ohne sein Wort erschuf er nichts. Nur durch sein Wort, die Wahrheit, erschuf er die Dinge, und durch die Wahrheit sind wir erschaffen.« Der Prinz versetzte: »Ich verstehe, was du in betreff des Schöpfers und von der Majestät seines Wortes gesagt hast, und ich nehme es mit Verständnis an; jedoch hörte ich dich sagen, daß er die Schöpfung durch sein Wort, die Wahrheit, erschuf. Nun aber ist die Wahrheit der Gegensatz von der Lüge; woher kam es also, daß sich die Lüge wider die Wahrheit erhob, und wie vermochte sie sich wider die Wahrheit zu erheben, daß sie ihr ähnlich und den Menschen dunkel ward, so daß sie zwischen beiden unterscheiden müssen? Und liebt der Schöpfer, der Mächtige und Herrliche, die Lüge, oder haßt er sie? Wenn du sagst, daß er die Wahrheit liebt und durch sie die Schöpfung erschuf, und daß er die Lüge haßt, wie kam es denn, daß das, was der Schöpfer haßt, in das, was er liebt, nämlich in die Wahrheit, eindrang?« Schimâs erwiderte: »Siehe, als Gott den Menschen durch die Wahrheit erschaffen hatte, hatte der Mensch keine Reue nötig, bis die Lüge in die Wahrheit eindrang, durch die er erschaffen wurde, vermittelst der Fähigkeit, die er in den Menschen gelegt hatte, welche der Willen ist und die Neigung, Gewinnsucht geheißen. Als nun die Lüge in dieser Weise in die Wahrheit eindrang, vermischte sich die Wahrheit mit der Lüge, um des Willens des Menschen willen und seiner Fähigkeit und der Gewinnsucht, welches die spontane Seite des Menschen ist zugleich mit der Schwäche der menschlichen Natur. Deshalb schuf denn auch Gott für ihn die Reue, um die Lüge von ihm zu treiben und ihn in der Wahrheit fest zu gründen. Und ebenso erschuf er für ihn die 160 Strafe, falls er in der Lüge weiter verharrte.« Der Jüngling entgegnete hierauf: »Nun gieb mit die Ursache an, welche die Lüge veranlaßte, sich wider die Wahrheit zu erheben, so daß sie sich mit ihr vermischte, und wie die Strafe für den Menschen nötig ward, daß er der Reue bedurfte.« Schimâs versetzte: »Als Gott den Menschen durch die Wahrheit erschuf, machte er, daß er ihn liebte und deshalb weder der Strafe noch der Reue bedurfte; und er verblieb so, bis Gott die Seele in ihn fügte, welche zur menschlichen Vollkommenheit gehört, trotz der ihr von Natur eigentümlichen Neigung zur Lust. Hieraus erwuchs das Aufkommen der Lüge und ihr Eindringen in die Wahrheit, durch die der Mensch erschaffen ward, und in der Liebe zu der er sein Gepräge erhielt. Und als nun der Mensch zu diesem Äußersten kam, neigte er sich von der Wahrheit ab in Ungehorsam, und, wer sich von der Wahrheit abneigt, der gerät in die Lüge.« Der Jüngling erwiderte: »So drang die Lüge also in die Wahrheit allein durch Ungehorsam und Widersetzlichkeit?« Schimâs versetzte: »So ist's; und es geschah so, weil Gott den Menschen liebt; und in dem Übermaß seiner Liebe zum Menschen, erschuf er ihn so, daß er seiner bedarf, und zwar, weil er selber die Wahrheit ist. Oft zwar weicht der Mensch hiervon ab, dieweil sich seine Seele zur Lust neigt und sich zum Widerspruch kehrt, so daß er durch den Ungehorsam gegen seinen Herrn in die Lüge gerät und Strafe verdient; indem er aber die Lüge durch Reue von sich weist und zur Liebe zur Wahrheit zurückkehrt, verdient er sich künftigen Lohn.« – »Nun gieb mir über den Ursprung der Widersetzlichkeit Auskunft, wo alle Menschen ihren Ursprung insgesamt auf Adam zurückführen; da Gott ihn nämlich durch die Wahrheit erschuf, wie kam es da, daß er den Ungehorsam an sich zog, und daß dann sein Ungehorsam mit der Reue verbunden ward, nachdem die Seele in ihn gefügt worden war, auf daß sein Ausgang Lohn oder Strafe würde? Denn wir sehen, daß die einen in der Widersetzlichkeit beharren, indem 161 sie sich dem zuneigen, was er nicht liebt, und in dieser Weise dem ursprünglichen Zweck ihrer Erschaffung zuwiderhandeln, der die Liebe zur Wahrheit ist, und sich dadurch den Zorn ihres Herrn zuziehen, während die andern im Wohlgefallen ihres Schöpfers und im Gehorsam zu ihm beharren und sich Barmherzigkeit und Lohn verdienen. Was ist die Ursache dieses zwischen ihnen herrschenden Gegensatzes?« – Schimâs erwiderte: »Der Anbeginn der Einkehr dieses Ungehorsams in die Geschöpfe ward verursacht durch Iblîs, welcher das vornehmste Geschöpf von den Engeln, Menschen und Dschinn war, die Gott – verherrlicht sei sein Name! – erschaffen hatte, und von Natur war er zur Liebe erschaffen, ohne daß er etwas anderes kannte. Dieweil er aber hierin einzig war, kehrten Stolz und Dünkel und Hoffahrt und Hochmut in ihn ein und wendeten ihn ab vom Glauben und vom Gehorsam gegen den Befehl seines Schöpfers, weshalb Gott ihn zum untersten aller seiner Geschöpfe machte und ihn aus der Liebe ausschloß und zu seinem Heim den Ungehorsam gegen Ihn machte. Als er nun sah, daß Gott – verherrlicht sei sein Name! – den Ungehorsam nicht liebte und Adam in seiner Wahrheit, seiner Liebe und seinem Gehorsam gegenüber seinem Schöpfer sah, drang Neid in ihn ein, und er wendete eine List an, Adam von der Wahrheit abzubringen, auf daß er sein Genosse sei in der Lüge. Und so zog sich Adam Strafe zu, dadurch daß er sich zum Ungehorsam, den ihm sein Feind schön ausputzte, hinneigte, und daß er seinem Gelüst unterthan und, als sich die Lüge erhob, dem Befehl seines Herrn ungehorsam ward. Und als nun der Schöpfer – verherrlicht sei sein Lob und geheiligt sein Namen! – die Schwäche des Menschen erkannte und die Schnelligkeit sah, mit der er sich zu seinem Feind neigte und die Wahrheit verließ, bestimmte er für ihn in seiner Barmherzigkeit die Reue, daß er sich vermittelst derselben aus dem Schlund seiner Hinneigung zum Ungehorsam aufrichtete und, gewappnet mit der Reue, seinen Feind Iblîs samt seinen Heerscharen 162 niederzwänge und zur Wahrheit, in der er erschaffen, zurückkehrte. Als aber Iblîs sah, daß Gott – verherrlicht sei sein Lob und gepriesen seine Namen! – ihm eine ferne Grenze gesteckt hatte, eilte er zum Menschen ihn zu befehden und fing ihn in einer List, um ihn aus der Huld seines Herrn zu vertreiben und ihn zum Genossen zu machen in dem Zorn, den er und seine Heerscharen sich zugezogen hatten; und deshalb gab Gott – verherrlicht sei sein Lob! – dem Menschen die Fähigkeit der Reue und befahl ihm an der Wahrheit festzuhalten und in ihr zu beharren, ihm zugleich Ungehorsam und Widersetzlichkeit verbietend und ihm offenbarend, daß er auf Erden einen Feind habe, der ihn befehde und weder Tag noch Nacht von ihm ablasse. So hat der Mensch ein Anrecht auf künftigen Lohn, wenn er an der Wahrheit festhält, in der Liebe zu der seine Natur erschaffen wurde; Strafe aber gebührt ihm, wenn ihn seine Triebe überwältigen und ihn den Lüsten zuneigen.«

Neunhundertundfünfzehnte Nacht.

Hierauf sagte der Prinz zu Schimâs: »Nun sag' mir, durch welche Kraft ist das Geschöpf imstande, seinem Schöpfer zuwider zu handeln, wo doch seine Größe ohne Maß ist, wie du es beschriebst, und wo ihn nichts bezwingen und nichts dem Bereich seines Willens entgehen kann? Glaubst du nicht, daß er nicht imstande ist, seine Geschöpfe von diesem Ungehorsam abzuwenden und sie ewig an der Liebe festhalten zu lassen?« Schimâs versetzte: »Siehe Gott, der Erhabene – verherrlicht sei sein Name! – ist gerecht, billig und gütig zum Volk seiner Liebe; er zeigte ihnen den Weg zum Guten und schenkte ihnen die Fähigkeit und die Macht das Gute, das sie wollen, zu thun. Wenn sie nun dem zuwider handeln, so verfallen sie dem Untergang und Ungehorsam.« – Der Jüngling entgegnete: »Wenn der Schöpfer es war, der ihnen die Fähigkeit schenkte, und wenn sie dadurch imstande sind zu thun, was sie wollen, weshalb tritt er dann nicht 163 zwischen sie und dem Unrecht, daß sie zu thun vorhaben, daß er sie zur Wahrheit zurückführt?« Schimâs versetzte: »Dies geschieht in seiner großen Barmherzigkeit und seiner bewundernswerten Weisheit; denn, so wie er sich zuvor wider Iblîs erzürnte und sich nicht seiner erbarmte, so erbarmte er sich des Menschen vermittelst der Reue und zeigte ihm sein Wohlgefallen nach seinem Zorn.« Der Prinz entgegnete: »Er ist in der That die Wahrheit selber, da er jedem nach seinem Thun lohnt, und es giebt keinen Schöpfer außer Gott, der über alle Dinge Macht hat. Hat nun aber Gott erschaffen, was er liebt und nicht liebt, oder erschuf er allein, was er liebt und nichts weiter?« Schimâs erwiderte: »Er hat alle Dinge erschaffen, hat aber nur Wohlgefallen an dem, was er liebt.« Nun sagte der Jüngling: »Wie steht's mit jenen zwei Dingen, von denen das eine Gott wohlgefällig ist und Lohn für den einbringt, der es thut, während das andere Gott erzürnt und dem, der es thut, Strafe einbringt?« Schimâs versetzte: »Erkläre mir diese beiden Dinge und lehre mich sie begreifen, daß ich mich in betreff ihrer des nähern auslasse.« Der Jüngling entgegnete: »Sie sind das Gute und Böse, beide eingefügt in Leib und Seele.« Da sprach Schimâs: »O Weiser, ich ersehe, du weißt, daß das Gute und Böse zu den Werken gehören, welche Leib und Seele begehen. Das Gute von den beiden ist gut genannt, weil es Gottes Wohlgefallen einbringt, und das Böse heißt böse, weil es Gottes Zorn verursacht. Und es geziemt dir Gott zu kennen und ihn durch Gutesthun zufrieden zu stellen, da er uns dies geboten hat und uns untersagt hat das Böse zu thun.« Der Jüngling erwiderte: »Ich sehe, daß diese beiden Dinge, ich meine das Gute und Böse, allein von den fünf Sinnen ausgeübt werden, wie sie im Leib des Menschen bekannt sind und die Gesamtheit der Empfindung repräsentieren, aus welcher Rede, Gehör, Gesicht, Geruch und Gefühl hervorgehen. Ich möchte nun von dir erfahren ob diese fünf Sinne zusammen fürs Gute oder Böse erschaffen sind?« 164 Schimâs versetzte: »Begreife, o Mensch, die Erklärung dessen, wonach du gefragt hast, ist ein evidenter Beweis; nimm ihn daher auf in dein Gedächtnis und trink' ihn ein mit deinem Herzen. Der Schöpfer, der Erhabene und Gesegnete, hat den Menschen durch die Wahrheit erschaffen und hat die Liebe zu ihr ihm eingeprägt, und aus ihr geht kein Geschöpf hervor, es sei denn durch die höchste Allmacht, deren Spur in jedem Ereignis eingedrückt ist. Er, der Gesegnete und Erhabene, thut nichts anderes als daß er in Gerechtigkeit, Billigkeit und Güte richtet, und er schuf den Menschen, daß er ihn lieben sollte, und setzte in ihn die Seele mit der von Natur eingepflanzten Neigung zur Lust; dann aber verlieh er ihm auch die Fähigkeit und gab ihm diese fünf Sinne als Mittel zur Gewinnung des Paradieses oder Höllenpfuhls.« »Und wie dies?« fragte der Jüngling. Schimâs antwortete: »Dieweil er die Zunge für die Sprache erschuf, die Hände zum Arbeiten, die Füße zum Gehen, die Augen zum Sehen und die Ohren zum Hören. Jedem dieser fünf Sinne gab er eine Fähigkeit und reizte sie zur Thätigkeit und Bewegung an, indem er jedem von ihnen befahl nur das ihm wohlgefällige zu thun. Was ihm aber in der Rede wohlgefällt, ist die Wahrheit, und die Unterlassung ihres Gegenteils, welches die Lüge ist; was ihm am Gesicht wohlgefällt, ist das Hinwenden des Blickes zu dem, was Gott liebt, und die Unterlassung des Gegenteils, welches das Hinwenden zu dem, was Gott haßt, ist, wie das Hinschauen zu Lüsten. Was ihm am Gehör gefällt, ist das Hören allein auf die Wahrheit, wie die Ermahnung und die Schrift Gottes, und das Unterlassen des Gegenteils, welches ist das Hören auf das, was Gottes Zorn herbeiführt. Was ihm an den Händen wohlgefällt, ist, daß sie nicht festhalten, was er ihnen anvertraut hat, sondern es zum Zwecke seines Wohlgefallens ausgeben, und daß sie das Gegenteil davon unterlassen, welches ist Geiz oder Verwendung des ihnen anvertrauten Gutes in Ungehorsam. Was ihm endlich an den Füßen wohlgefällt, ist, daß sie sich 165 beeifern dem Guten nachzugehen, als da ist Belehrung, und das Gegenteil zu unterlassen, welches ist Befolgung eines andern Weges als Gottes Weg. Was dann die andern Lüste anlangt, die der Mensch ins Werk setzt, so werden sie auf Geheiß der Seele vom Leib betrieben. Die Lüste aber, die vom Leib ausgehen, sind zweifacher Art: Die Lust zum Zeugen und die Lust des Bauches. Was Gott an der Lust zum Zeugen wohlgefällt, ist, daß sie in gesetzlicher Weise vor sich geht, und sie verfällt seinem Zorn, wenn sie auf verbotene Weise betrieben wird. Was dann die Lust des Bauches, wie Essen und Trinken, anlangt, so hat Gott nur Wohlgefallen daran, daß jeder nur das nimmt, was Gott ihm gewährt hat, sei es wenig oder viel, und daß er Gott lobt und ihm dankt; und was ihn daran ärgert, ist, daß der Mensch sich nimmt, was ihm nicht zukommt. Alle andern Ansichten hierüber sind falsch, und du weißt, daß Gott alle Dinge erschaffen und allein am Guten Wohlgefallen hat, wie er denn auch allen Gliedern des Leibes befohlen hat, allein das zu thun, was er ihnen zur Pflicht gemacht hat, da er der Allwissende, Allweise ist.« – »Nun sag' mir, hat Gott – verherrlicht sei seine Allmacht! – im voraus gewußt, daß Adam von dem Baume, den er ihm verboten hatte, essen würde, so daß es ihm erging, wie es ihm erging, und daß er dadurch aus dem Gehorsam in den Ungehorsam fallen würde?« Schimâs erwiderte: »Ja, o Weiser! Gott, der Erhabene, wußte dies im voraus, bevor er Adam erschaffen hatte; und Erklärung und Beweis hierfür ist, daß er ihn zuvor warnte, von ihm zu essen, und daß er ihn wissen ließ, daß er, falls er vom Baume äße, sündigen würde. Und dies geschah aus Gerechtigkeit und Billigkeit, daß Adam vor seinem Herrn keinen Entschuldigungsgrund hätte. Als er dann in den Abgrund fiel und sündigte, und als Schande und Tadel schwer auf ihm lasteten, ging dieses auf seine Nachkommenschaft über; und deshalb schickte Gott, der Erhabene, die Propheten und Gesandten aus und gab ihnen Schriften, und sie lehrten uns 166 die göttlichen Gesetze und erklärten uns die Ermahnungen und Gebote, die in ihnen stehen, und legten sie uns aus und setzten uns den Heilsweg auseinander und unterwiesen uns in dem, was wir thun und unterlassen sollten. Wir aber sind Herren über unsern Willen, und, wer innerhalb dieser Grenzen handelt, der erreicht sein Ziel und gewinnt; wer aber diese Grenzen überschreitet und diesen Vorschriften zuwider handelt, der ist ungehorsam und erleidet Schaden in beiden Welten. Dies ist der Weg des Guten und Bösen; und du weißt, daß Gott über alle Dinge Macht hat, und daß er uns die Triebe nur in seinem Wohlgefallen und Willen anerschaffen und uns geboten hat, sie in erlaubter Weise zu bethätigen, daß sie uns zum Guten dieneten; bethätigen wir sie aber in verbotener Weise, so dienen sie uns zum Bösen. Was uns daher an Gutem betrifft, ist von Gott, dem Erhabenen, und, was uns an Bösem widerfährt, ist von uns selber, der Sippe seiner Geschöpfe, nicht vom Schöpfer. Gepriesen sei Gott dafür mit höchstem Preis!«

Neunhundertundsechzehnte Nacht.

Der Prinz erwiderte: »Was du mit in Bezug auf Gott, den Erhabenen, und seine Geschöpfe vorgebracht hast, habe ich verstanden; nun aber gieb mit über das Auskunft, was meinen Verstand verwirrt und mit höchstem Staunen erfüllt; mich nimmt es nämlich Wunder, wie sorglos die Menschen in betreff des Jenseits sind, und wie unbekümmert sie in ihrer Weltliebe um dasselbe sind, wo sie doch wissen, daß sie die Welt verlassen und aus ihr in jungen Jahren fortziehen müssen.« Schimâs versetzte: »Jawohl; und was du vom Wechsel und der Treulosigkeit des Irdischen an seinen Bewohnern siehst, beweist, daß das Glück für den Glücklichen nicht ewig währt, ebensowenig wie das Unglück für den Unglücklichen; denn keiner hinieden ist sicher vor dem Wechsel des Irdischen, und selbst, wenn einer Macht über dasselbe hätte und Freude an ihm hätte, so muß doch sein Zustand 167 sich ändern und sein Abscheiden zum Jenseits ihn ereilen. Deshalb kann der Mensch auf die Welt nicht bauen und den Flittertand, der ihm ward, nicht ausnützen; und, sintemalen wir dies wissen, wissen wir auch, daß sich diejenigen Menschen in der übelsten Lage befinden, die sich durch die Welt täuschen lassen und das Jenseits vergessen; denn das Glück, das ihnen hienieden zu teil ward, wiegt nicht die Furcht, die Drangsal und die Schrecken auf, die ihrer nach ihrem Hinscheiden vom Diesseits harren. Und wir wissen, daß, wenn der Mensch wüßte, was seiner nach seinem Tode und der Trennung von den Wonnen und dem Glück, das er hinieden genießt, harrt, würde er die Welt und, was in ihr ist, von sich stoßen; und wir sind davon überzeugt, daß das Jenseits besser und nützlicher für uns ist.«

Da sagte der Jüngling: »O Weiser, das Dunkel, das in meinem Herzen war, ward durch deine strahlende Leuchte ausgetilgt; du weisest mich auf den rechten Weg, den ich zu ziehen habe in der Befolgung der Wahrheit, und du gabst mir eine Lampe, durch die ich sehend ward.« Und nun erhob sich einer der anwesenden Weisen und sprach: »Wenn des Lenzes Zeit naht, dann muß der Hase sowohl wie der Elefant seine Weide suchen; und in der That vernahm ich von euch Fragen und Antworten, wie ich zuvor weder erschaute noch hörte; nun aber höret hiervon auf, und lasset mich euch nach etwas fragen. Sagt an, welches das beste Geschenk der Welt ist.« Der Jüngling erwiderte: »Gesundheit des Leibes, rechtmäßig Brot und ein rechtschaffener Sohn.« – »Nun sag' mir, was ist das Größere und was das Geringere?« – »Das Größere ist das, dem sich ein Geringeres fügt, und das Geringere das, was sich einem Größeren fügt.« – »Nun sag' mir, in welchen vier Sachen sind alle Geschöpfe gleich?« – »Im Essen und Trinken, in der Süße des Schlafs, in der Brunst nach dem Weib und in dem Todeskampf.« – »Welche drei Dinge sind es, deren Häßlichkeit niemand aus dem Wege räumen kann?« – »Die Dummheit, die 168 Gemeinheit der Natur und die Lüge.« – »Welche Lüge ist die beste, wiewohl jede Lüge gemein ist?« – »Diejenige Lüge, welche den, der sie ausspricht, vor Schaden bewahrt, und ihm Nutzen einbringt.« – »Welche Wahrheit ist gemein, wiewohl jede Wahrheit schön ist?« – »Des Menschen Hochmut auf das, was er besitzt, und sein Dünkel darauf.« – »Und was ist des Gemeinen Gemeinstes?« – »Dünkel auf das, was der Mensch nicht besitzt.« – »Welcher Mensch ist der Dümmste?« – »Wer sich nur um das sorgt, was er in seinen Bauch stopft.«

Nun aber sprach Schimâs: »O König, du bist unser König, jedoch wünschen wir, daß du das Königtum nach deinem Tode deinem Sohn übermachst, während wir deine Sklaven und Unterthanen sein wollen.« Infolgedessen ermahnte der König die anwesenden Gelehrten und das sonstige Volk das, was sie von ihm gehört hätten, im Gedächtnis zu behalten und es zu thun. Ferner befahl er ihnen, den Befehlen seines Sohnes Gehorsam zu leisten, indem er ihn zum Thronfolger machte, um Chalife zu sein in seines Vaters Reich, und vereidigte alles Volk seines Königreiches, die Ulemā sowohl wie die Kämpen und Scheiche und Kinder, daraufhin, daß sie sich ihm weder widersetzten noch seinem Befehle ungehorsam wären.

Als dann der Prinz das siebzehnte Lebensjahr erreicht hatte, erkrankte der König schwer, daß er dem Tode nahe kam, und, da er gewiß war, daß der Tod bei ihm eingekehrt war, sprach er zu seinen Hausgenossen: »Dies ist des Todes Krankheit, die über mich gekommen ist; rufet daher meine Sippe und meinen Sohn und versammelt bei mir die Großen meines Königreiches, daß sich ein jeder bei mir einfindet.« Da gingen sie hinaus und kündeten es den Nahen an, während sie die Botschaft den Fernen zukommen ließen, bis sich alle versammelt hatten und vor den König traten, worauf sie zu ihm sprachen: »Wie steht's mit dir, o König, und was denkst du über diese deine Krankheit?« Der König versetzte: 169 »Siehe, in meiner Krankheit ist das Verhängnis genaht, und der Pfeil hat ausgerichtet, was Gott, der Erhabene, wider mich beschlossen hat; dies ist der letzte meiner irdischen Tage und der erste meiner Tage im Jenseits.« Hierauf sprach er zu seinem Sohn: »Tritt heran zu mir.« Da trat der Jüngling bitterlich weinend an ihn heran, daß er das Bett fast mit seinen Thränen genäßt hätte, während des Königs Augen ebenfalls in Thränen standen und alle Anwesenden weinten. Alsdann sprach der König zu seinem Sohn: »Weine nicht, mein Sohn, denn nicht bin ich der erste, dem dieses Versiegelte widerfährt, dieweil es das Los aller Geschöpfe Gottes ist. Fürchte Gott und thue Gutes, daß es dir vorangeht zu jener Stätte, die aller Geschöpfe Ziel ist. Gehorche nicht der Lust, sondern laß deine Seele eifrig Gottes Namen preisen, so du aufstehst und sitzest, und so du wachst und schläfst. Und mache die Wahrheit zum Merkzeichen für deine Augen; das ist meiner Worte letztes zu dir, und der Frieden sei auf dir!«

Neunhundertundsiebzehnte Nacht.

Als der König Dschalīâd seinem Sohne diese Ermahnung ans Herz gelegt und ihm das Reich nach seinem Hinscheiden übermacht hatte, sprach der Jüngling zu seinem Vater: »Du weißt, mein Väterchen, daß ich niemals im Gehorsam zu dir nachließ, daß ich deine Ermahnungen zu Herzen nahm, daß ich deine Befehle ausführte und allein dein Wohlgefallen suchte, da du mir der Väter bester warst. Wie sollte ich da nach deinem Tode abweichen von dem, was dir wohlgefällig ist? Und nun, nachdem du mich gut erzogen hast, gehst du fort von mir, und ich bin nicht imstande, dich wieder zu mir zurückzuholen; wenn ich jedoch deine Ermahnungen beherzige, werde ich glücklich durch sie sein, und es wird mir sehr wohl ergehen.« Der König, der in den letzten Todeszuckungen lag, sprach hierauf noch die Worte: »Mein Söhnlein, halt' fest an zehn Geboten, daß sie dir von Gott hinieden und im Jenseits Nutzen eintragen. Es sind folgende: Wenn du zornig 170 bist, so unterdrücke deinen Zorn; wenn du im Unglück bist, so sei standhaft; wenn du sprichst, so rede die Wahrheit; wenn du ein Versprechen giebst, so halt' es; wenn du richtest, so sei gerecht; wenn du Macht hast, vergieb; sei großmütig gegen deine Beamten; verzeih' deinen Feinden; überhäufe deinen Feind mit deiner Huld, und füg' ihm keinen Schaden zu. Und an zehn andern Geboten halt' ebenfalls fest, damit dir Gott deinen Unterthanen gegenüber nützt; es sind folgende: »Wenn du teilst, sei gerecht; wenn du strafst, sei nicht grausam; wenn du eine Verpflichtung eingehst, so halt' sie; nimm guten Rat an; enthalte dich des Streits; halt' die Unterthanen zur Erfüllung der göttlichen Gesetze und der löblichen Gebräuche an; sei ein gerechter Richter unter den Leuten, daß dich Groß und Klein liebt, und der Hochmütige und Missethäter fürchtet.« Hierauf sprach er zu den anwesenden Ulemā und den Emiren, welche bei der Einsetzung seines Sohnes als Nachfolger in der Regierung zugegen gewesen waren: »Hütet euch dem Befehle eures Königs zuwider zu handeln und nicht auf euern Fürsten zu hören, denn darin liegt der Untergang eures Landes, die Trennung eurer Einheit, der Schaden für euern Leib, der Verlust eures Gutes, und die Schadenfreude eurer Feinde. Ihr wisset doch, was ihr mit gelobt habt, und soll auch euer Gelöbnis diesem Jüngling gegenüber gelten, und der Eidschwur, der uns verband, soll euch auch mit ihm verbinden. Ihr habt deshalb auf seine Befehle zu hören und ihnen zu gehorchen, denn darin liegt das Gedeihen eurer Lage. So stehet fest zu ihm in dem, worin ihr zu mir fest standet, auf daß eure Sache sich wohl verhält und eure Lage gedeiht; und siehe, da ist euer Herr und eures Glückes Sachwalter; und der Frieden sei auf euch!« – Alsdann überkam ihn der Todeskampf so stark, daß seine Zunge gezäumt ward; und, seinen Sohn an sich pressend, küßte er ihn und dankte Gott, worauf er seinen letzten Atemzug that und seinen Geist aufgab. Alle seine Unterthanen und Bewohner seines Reiches beweinten ihn, worauf sie ihn 171 ins Leichentuch einwickelten und ihn mit Ehren, Prunk und Pomp bestatteten. Dann kehrten sie wieder mit dem Jüngling zurück, dem sie den Königsornat anlegten, das Diadem seines Vaters aufs Haupt setzten und den Siegelring an den Finger steckten, worauf sie ihn auf den Thron des Reiches setzten; und der Jüngling wandelte unter ihnen den Wandel seines Vaters voll Weisheit, Gerechtigkeit und Güte. Nach kurzer Zeit jedoch erhob sich die Welt wider ihn und verstrickte ihn in ihre Lüste, so daß er ihrer Wonnen Beute ward und, nach ihrem Flittertand langend, das Vermächtnis, das ihm sein Vater ans Herz gelegt hatte, außer acht ließ und den Gehorsam gegen ihn und das Volk seines Königreiches verwarf und einen Weg wandelte, in dem sein Verderben lag. Die Liebe zu den Weibern nahm überhand in ihm und, sobald er nur von einem schönen Weib hörte, ließ er es holen und vermählte sich mit ihr, so daß er eine größere Anzahl von Weibern zusammenbrachte, als sie Salomo, der Sohn Davids, der König der Kinder Israel, besessen hatte. Er pflegte sich mit einer Anzahl derselben abzuschließen und einen vollen Monat mit ihnen zuzubringen, ohne sie zu verlassen oder sich um sein Reich und seine Regierung zu bekümmern oder in die Sache seiner Unterthanen Einsicht zu nehmen, die sich wegen Vergewaltigung beklagten; und wenn sie an ihn schrieben, so gab er ihnen keine Antwort. Als sie dies von ihm sahen und gewahrten, wie er es unterließ, in ihre Angelegenheiten Einsicht zu nehmen, und wie er die Angelegenheiten des Reichs und seiner Unterthanen vernachlässigte, waren sie überzeugt, daß das Unglück binnen kurzem über sie hereinbrechen würde. Da sie dies schwer bedrückte, versammelten sie sich, indem sie zu einander Klage führten, und einer sprach zum andern: »Lasset uns zu seinem Großwesir Schimâs gehen, daß wir ihm unsere Sache vortragen und ihm kund thun, wie die Sachen durch diesen König stehen, damit er ihm Rat erteilt. Wenn nicht, so bricht binnen kurzem das Unheil über uns herein; denn diesen König hat 172 die Welt mit ihren Freuden verwirrt und mit ihren Stricken verführt.« Alsdann erhoben sie sich und begaben sich zu Schimâs, zu dem sie sprachen: »O du Wissender und Weiser, siehe die Welt hat diesen König mit ihren Freuden verwirrt und mit ihren Stricken gefangen, so daß er sich zum Eiteln gekehrt hat und an dem Ruin des Königreiches arbeitet; mit dem Ruin des Königreiches wird aber auch das Gemeinwesen ruiniert, und wir geraten ins Verderben. Dies kommt aber daher, daß wir ihn Tage und Monate lang nicht zu sehen bekommen, und daß er keinen Befehl zu uns weder für den Wesir noch jemand anders ergehen läßt. Es ist daher unmöglich ihm irgend ein Anliegen vorzutragen, und er befaßt sich weder mit der Rechtsprechung noch kümmert er sich in seiner Sorglosigkeit um die Lage irgend eines seiner Unterthanen. Wir sind deshalb zu dir gekommen, um dir den wahren Sachverhalt mitzuteilen, da du der erste und vollkommenste unter uns bist; und es geziemt sich nicht, daß ein Land, in dem du wohnst, von Prüfung heimgesucht wird, da du von allen am meisten Macht besitzest diesen König zu bessern. Begieb dich daher zu ihm und sprich mit ihm, vielleicht nimmt er deine Worte an und wendet sich wieder zu Gott.« Da erhob sich Schimâs und begab sich zum ersten besten Pagen, zu dem er sagte: »Guter Knabe, ich bitte dich, für mich bei dem König um Audienz nachzusuchen, da ich eine Sache habe, um deretwillen ich sein Angesicht sehen möchte, daß ich sie ihm vortrage und seine Antwort vernehme.« Der Page versetzte jedoch: »Bei Gott, mein Herr, seit einem Monat hat er niemand vorgelassen, selbst nicht einmal mich, so daß ich diese ganze Zeit über sein Angesicht nicht sah; ich will dich jedoch zu jemand führen, der um Einlaß für dich bitten soll. Halt' dich an den und den Diener, der ihm zu Häupten steht und ihm aus der Küche das Mahl bringt; wenn derselbe zur Küche geht, um das Mahl zu holen, so sprich zu ihm über das, was dir am Herzen liegt; er wird dann für dich thun, was du begehrst.« Da begab sich Schimâs zur Küchenthür 173 und saß dort kurze Zeit, bis der Diener ankam und in die Küche treten wollte, worauf Schimâs ihn anredete und zu ihm sprach: »Mein Söhnlein, ich möchte zum König, um ihm etwas mitzuteilen, das ihn angeht. Sei daher so gütig und sprich für mich zu ihm, wenn er sein Frühmahl eingenommen hat und bei guter Stimmung ist, und erbitte mir Audienz, daß ich mit ihm über das rede, was ihn angeht.« Der Diener erwiderte: »Ich höre und gehorche.« Als er dann das Mahl vor den König aufgetragen, und der König gegessen hatte und bei guter Laune war, sprach er zu ihm: »Siehe Schimâs steht an der Thür und bittet um Einlaß zu dir, da er dir Sachen mitzuteilen hat, die dich besonders angehen.« Da erschrak der König und befahl dem Diener, von Unruhe erfaßt, Schimâs hereinzuführen.

Neunhundertundachtzehnte Nacht.

Als Schimâs bei dem König eintrat, warf er sich vor Gott nieder und wünschte dem König Segen, indem er ihm die Hand küßte. Der König aber fragte ihn: »Was hat dich betroffen, Schimâs, daß du Einlaß zu mit begehrst?« Schimâs versetzte: »Seit langer Zeit habe ich nicht das Antlitz meines Herrn des Königs geschaut, und ich sehnte mich sehr nach dir. Nun aber schaue ich dein Angesicht und ich bin zu dir gekommen ein Wort zu dir zu sprechen, o König, der du mit allem Wohlergehen gestärkt bist.« Der König erwiderte: »Sprich, was dir beliebt.« Da sagte Schimâs: »Wisse, o König, daß Gott, der Erhabene, dir bei deiner Jugend an Wissen und Weisheit verlieh, was er keinem König vor dir gewährte, und um das Maß seiner Güte vollzumachen, schenkte er dir das Reich. Gott aber liebt es nicht, daß du dich durch deinen Ungehorsam von dem, was er dir verlieh, abwendest, und deshalb darfst du ihn nicht mit deinen Schätzen befehden, sondern es geziemt dir, seine Ermahnungen zu Herzen zu nehmen und seinen Befehlen zu gehorchen. Sah ich dich doch in wenig Tagen deinen Vater und seine Ermahnungen 174 vergessen, sein Vermächtnis verwerfen, seine Worte und Ratschläge in den Wind schlagen und dich nicht an seine Gerechtigkeit und Regierungsweise halten, indem du weder der Güte, die Gott dir erwies, gedachtest noch sie mit Danksagung vergaltest.« Da fragte der König: »Wieso, und was ist der Grund hiervon?« Schimâs versetzte: »Der Grund hiervon ist, daß du die Geschäfte deines Königreiches und die Angelegenheiten deiner Unterthanen, mit denen Gott dich betraute, vernachlässigst, und daß du dich deinem Fleisch überlässest, das dir die armseligen Lüste der Welt angenehm macht. Es heißt jedoch, daß das Wohl des Reiches, des Glaubens und der Unterthanen dem König am Herzen zu liegen hat; und deshalb geht mein Rat dahin, o König, daß du deinen Ausgang wohl ins Auge fassest, denn so wirst du den offenkundigen Weg finden, in dem das Heil ist, und wirst dich nicht zu der armseligen vergänglichen Lust wenden, die zum Schlund des Verderbens führt, daß es dir nicht wie dem Fischer mit den Fischen ergeht.« Da fragte ihn der König: »Wie war das?« Und Schimâs versetzte:

 


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