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Tausend und eine Nacht. Band XV
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Der gerechte und der ungerechte König.

Es waren einmal zwei Könige, ein gerechter und ein ungerechter; und das Land des ungerechten Königs war reich an Bäumen, Früchten und Pflanzenwuchs, jedoch ließ er keinen Kaufmann in sein Land, ohne daß er ihm sein Geld und Gut genommen hätte, während die Kaufleute dies willig ertrugen, da das Land ihnen zum Lebensunterhalt reichen Ertrag gab. Was nun den gerechten König anlangt, so schickte er einen Mann aus dem Volke seines Landes mit einer großen Geldsumme zum Land des ungerechten Königs aus und befahl ihm dort für das Geld Juwelen einzukaufen. Als der Mann in jenes Land gelangte und dem König hinterbracht wurde, daß ein Kaufmann mit einer großen Geldsumme in sein Land gekommen wäre, um Juwelen dafür zu kaufen, ließ er ihn vor sich führen und fragte ihn: »Wer bist du, woher kommst du, wer hat dich hierher gebracht, und was ist dein Begehr?« Der Mann erwiderte ihm: »Ich bin aus dem und dem Land, und der König jenes Landes gab mir Geld und befahl mir ihm aus diesem Land Juwelen einzukaufen. Seinem Befehl gehorsam, bin ich nun hierhergekommen.« Da sprach der König: »Wehe dir, weißt du nicht, wie ich mit dem Volk meines Landes verfahre, daß ich ihnen täglich ihr Geld nehme? Wie kommst du daher in mein Land und weilst schon so und soviele Tage in ihm?« Der Kaufmann versetzte: »Das Geld ist nicht mein Eigentum, sondern nur ein meiner Hand anvertrautes Gut, das ich seinem Besitzer wiederzubringen habe.« Der König versetzte 145 jedoch: »Ich will dich nicht in meinem Lande deinen Unterhalt verdienen lassen, es sei denn daß du dich mit deinem ganzen Gelde loskaufst; andernfalls sollst du sterben.«

Neunhundertundzehnte Nacht.

Da sprach der Mann bei sich: »Nun bin ich zwischen zwei Könige geraten, und ich weiß, daß sich die Tyrannei dieses Königs auf alle erstreckt, die sich in seinem Lande aufhalten. Stelle ich ihn nicht zufrieden, so ist es zweifellos um mein Leben und um das Geld geschehen, ohne daß ich meinen Auftrag ausrichte; gebe ich ihm aber das Geld, so kostet es mich zweifellos bei dem andern König, dem Besitzer des Geldes, das Leben. Mir bleibt kein anderer Ausweg, als daß ich diesem König einen kleinen Teil des Geldes gebe, um ihn damit zufrieden zu stellen und dem Verlust des ganzen Geldes und meines Lebens zu entgehen, und daß ich von dem Überfluß dieses Landes lebe, bis ich die gewünschten Juwelen gekauft habe. Nachdem ich ihn so zufrieden gestellt und meinen Anteil von seinem Lande genommen habe, will ich zu dem Eigentümer des Geldes mit dem von ihm Verlangten heimkehren, im Vertraten auf seine Gerechtigkeit und Nachsicht und ohne Besorgnis, von ihm für die Geldsumme, die dieser König nehmen wird, bestraft zu werden, zumal, wenn es nur eine geringe Summe ist.« Hierauf wünschte der Kaufmann dem König Segen und sprach zu ihm: »O König, ich will mich und dieses Geld durch eine geringe Summe auslösen, für die Zeit, seit der ich dein Land betrat, bis daß ich es wieder verlasse.« Der König nahm dies an und gewährte ihm eine Frist von einem Jahr, in welcher der Mann für sein ganzes Geld Juwelen einkaufte, worauf er zu seinem Herrn heimkehrte.

Nun ist der gerechte König das Gleichnisbild für das Jenseits, und die Juwelen im Land des tyrannischen Königs symbolisieren die schönen Thaten und guten Werke; der Kaufmann, dem das Geld anvertraut ist, stellt den Menschen dar, 146 der dem Irdischen nachgeht, und das Geld ist das Gleichnisbild für das menschliche Leben. Wenn du dies ins Auge fassest, so erkennst du, daß es dem, welcher seinem Unterhalt in der Welt nachgeht, geziemt keinen Tag verstreichen zu lassen, ohne auch nach dem Jenseits zu trachten, so daß er sowohl der Welt genügt mit dem, was er von der Fülle der Welt gewinnt, als auch dem Jenseits mit dem, was er im Streben nach ihm von seinem Leben aufwendet.«

»Nun sag' mir, ob Seele und Leib in gleicher Weise Lohn und Strafe empfahen oder ob nur der Träger der Lüste und der Begeher der Sünde der Strafe verfällt.« – Die Hinneigung zu Lüsten und Sünden mag Belohnung nach sich ziehen, wenn sich die Seele von ihr freimacht und sie bereut jedoch steht die Sache in der Hand dessen, der da thut, was er will, und Gegensätzlichkeit unterscheidet die Dinge. So ist der Unterhalt für den Leib notwendig, doch giebt es keinen Leib ohne Seele, und die Reinheit der Seele besteht in der Lauterkeit des Strebens nach Irdischem und in der Hinkehr zu dem, was im Jenseits nützt. So gleichen beide, Leib und Seele, zwei Pferden in Wettlauf, zwei Milchbrüdern oder zwei Geschäftsteilhabern. Nach der Absicht unterscheidet man die Handlungen, und demgemäß sind Leib und Seele Teilhaber in den Handlungen und in der Belohnung und Strafe, und hierin gleichen sie dem Blinden und dem Krüppel.

 


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