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Tausend und eine Nacht. Band XV
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Der ungerechte König und der Pilgerprinz.

»Wisse, o König, im Maghrib lebte einst ein König, ein grausamer und gewaltthätiger Tyrann, der sich nicht um den Schutz seiner Unterthanen und der Fremden, die sein Land betraten, bekümmerte; vielmehr nahmen seine Beamten jedem, der in sein Land kam, vier Fünftel seines Geldes fort und ließen ihm nur ein Fünftel. Nun aber verhängte es Gott so, daß er einen beglückten von Gott geförderten Sohn hatte; als dieser die Vergänglichkeit der irdischen Dinge sah, verließ er die Welt in seiner Jugend, und zog, sie und alles, was darinnen ist, hinter sich lassend, als fahrender Gottesdiener durch die Steppen und Wüsten und von Stadt zu Stadt. Da traf es sich, daß er eines Tages auch in jene Stadt kam, und, sobald er vor die Wächter trat, ergriffen sie ihn und durchsuchten ihn, ohne daß sie etwas anderes bei ihm fanden, als zwei Kleidungsstücke, das eine neu und das andere alt. Da zogen sie ihm das neue aus und ließen ihm das alte, nachdem sie ihn in demütigender und erniedrigender Weise behandelt hatten. Der Prinz hob infolgedessen an sich zu beklagen und sprach: »Weh euch, ihr Tyrannen! Ich bin ein fahrender Fakir, und was soll euch dieses Kleidungsstück nützen? Wenn ihr es mir nicht wiedergebt, so gehe ich zum König und verklage euch bei ihm.« Die Wächter entgegneten ihm jedoch: »Wir thun dies nach des Königs Geheiß; thu' daher, was du nicht umhin kannst zu thun.« Infolgedessen begab 129 er sich zum Palast des Königs; als er ihn aber betreten wollte, hinderten ihn die Kämmerlinge daran, so daß er bei sich sprach: »Es bleibt mir nichts andres übrig als aufzupassen, bis er herauskommt, und ihm dann meine Lage und, was mich betroffen hat, zu klagen.« Während er nun auf den König wartete, hörte er mit einem Male einen von den Truppen den König ankündigen, worauf er Schritt für Schritt näher kam, bis er vor dem Thor stand. Als dann, ehe er sich's noch versah, der König herauskam, trat er ihm in den Weg und teilte ihm, nachdem er ihm Sieg gewünscht hatte, mit, wie ihn die Wächter behandelt hatten, ihm seine Lage klagend. Außerdem teilte er ihm mit, daß er ein Mann vom Volke Gottes sei, welcher der Welt entsagt hätte und ausgefahren sei, Gottes, des Erhabenen, Wohlgefallen zu suchen; er pilgere durch die Welt von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf, und jeder, zu dem er käme, behandele ihn so gut er es nur vermöchte. »Als ich aber,« so fuhr er fort, »in diese Stadt kam, in der Hoffnung von ihren Bewohnern ebenso wie andere fahrende Fromme aufgenommen zu werden, trat mir dein Gefolge in den Weg, zog mir eins meiner Kleider aus und prügelte mich grausam. Nimm daher Einsicht in meinen Fall, faß mich bei der Hand und gieb mir mein Kleid wieder; ich will dann keine einzige Stunde mehr in dieser Stadt verweilen.« Der tyrannische König erwiderte ihm und sprach: »Wer gab dir den Rat diese Stadt zu betreten, wo du nicht weißt, was ihr König thut?« Der Prinz versetzte: »Gieb mir erst mein Kleid wieder und dann thu' mit mir, was du willst.« Als der tyrannische König von dem fahrenden Frommen diese Worte vernahm, ward er übler Laune und sprach: »Du Thor, wir nahmen dir dein Kleid, daß du dich demütigtest; nun aber, wo solche Worte von dir vor mir gefallen sind, will ich dir dein Leben nehmen.« Alsdann befahl er ihn ins Gefängnis zu werfen. Wie er nun im Kerker saß, bereute er seine Antwort und machte sich Vorwürfe, ihm nicht das Kleid gelassen und sein Leben gerettet 130 zu haben. Um Mitternacht aber erhob er sich und betete ein langes Gebet, indem er sprach: »O Gott, du bist der gerechte Richter, der meine Lage kennt und dem meine Sache mit diesem grausamen König nicht verborgen ist. Ich, dein vergewaltigter Knecht, bitte dich in dem Übermaß deiner Barmherzigkeit, mich aus der Hand dieses tyrannischen Königs zu befreien und deine Rache auf ihn niederzusenden; denn du kennst sehr wohl eines jeden Tyrannen Tyrannei. Wenn du daher weißt, daß er mich vergewaltigt hat, sende deine Rache noch in dieser Nacht auf ihn hernieder und schicke deine Strafe über ihn; denn dein Walten ist gerecht, und du bist eines jeden Bekümmerten Helfer, o du, dem die Macht und Herrlichkeit ist bis zum Ende der Tage!« Als der Kerkermeister das Gebet dieses Unglücklichen vernahm, erbebte er an allen Gliedern, und mit einem Male flammte ein Feuer im Palast des Königs auf und verzehrte alles, was sich darin befand, bis auf die Thür des Kerkers; und kein einziger entrann außer dem Kerkermeister und dem fahrenden Frommen, die beide zusammen fortzogen, bis sie zu einer andern Stadt gelangten, während die Stadt des grausamen Königs wegen seiner Tyrannei gänzlich niederbrannte.

Was uns aber anlangt, o glückseliger König, so lassen wir keinen Abend und keinen Morgen verstreichen, ohne dich zu segnen und Gott, dem Erhabenen, für seine Huld, in der er dich uns schenkte, zu danken, dieweil wir in Sicherheit leben durch deine Gerechtigkeit und deinen schönen Wandel. Groß war unser Kummer darüber, daß dir ein Sohn fehlte, dein Reich zu erben, da wir besorgten, es könne nach dir ein König, anders als du geartet, über uns herrschen. Jetzt aber hat uns Gott in seiner Güte begnadet und unsere Sorge gehoben, indem er uns durch die Geburt dieses gesegneten Knaben mir Freude erfüllte. Und wir beten zu Gott, dem Erhabenen, ihn zu einem rechtschaffenen Nachfolger zu machen und ihm Ruhm, dauerndes Heil und bleibendes Gute zu verleihen.« 131

Alsdann erhob sich der fünfte Wesir und sprach: »Gesegnet sei der große Gott, –

Neunhundertundsechste Nacht.

der Geber aller guten Gaben und köstlichen Geschenke! Des Ferneren aber sind wir gewiß, daß Gott den begnadet, der ihm dankt und seinen Glauben getreulich wahrt. Und du, o glückseliger König, bist gepriesen wegen dieser rühmlichen Tugenden, und wegen deiner Gerechtigkeit und Billigkeit gegen deine Unterthanen in dem, was Gott, dem Erhabenen, beliebt. Deswegen hat Gott deine Macht erhöht und deine Tage beglückt und hat dir diese schöne Gabe geschenkt, dieses glückselige Kind, nachdem bereits alle Hoffnung aufgegeben war, uns zu dauernder Freude und unaufhörlicher Fröhlichkeit; denn zuvor standen wir in großer Sorge und übermäßiger Kümmernis, darum daß du keinen Sohn hattest, und waren voll trüber Gedanken, wenn wir deiner Gerechtigkeit und Milde gegen uns gedachten, in der Furcht, Gott könnte dir den Tod verhängen, ohne daß dir ein Nachfolger geworden wäre und Erbe deines Reiches nach dir, so daß wir dann in unserm Rat uneins geworden wären und uns gespalten hätten, und es uns schließlich wie den Raben ergangen wäre.«

Da fragte der König: »Wie ist die Geschichte der Raben?« Und der Wesir antwortete und sprach:

 


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