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Tausend und eine Nacht. Band XV
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Alī Nûr ed-Dîn und Marjam die Gürtelmaid.

Ferner erzählt man, daß in alten Zeiten und in längst entschwundenen Tagen in den ägyptischen Landen ein Kaufmann, Namens Tâdsch ed-Dîn, lebte, der zu den Großen unter den Kaufleuten und zu den Edelsten gehörte, jedoch von der Reisesucht nach allen Ländern ergriffen war und durch die Steppen und Wüsten und über Ebenen und Steingefilde und zu den Eilanden im Meer reiste um Dirheme und Dinare zu verdienen. Dieser Kaufmann besaß Negersklaven und Mamluken, Eunuchen und Sklavinnen und hatte seit langem Gefahren und Drangsale auf seinen Reisen bestanden, daß Säuglinge davon hätten graue Haare bekommen können. Er war der reichste Kaufmann seiner Zeit, begabt mir feinster Rede, und besaß Pferde und Maultiere, baktrische und andre Kamele, Säcke groß und klein, Waren und Güter und Stoffe ohne gleichen, wie Musselinstoffe von Emesa, Kleider von Baalbek, Brokate, Kleider von Merw, indische Stoffe, Knöpfe von Bagdad, Burnusse aus dem Maghreb, türkische Mamluken, Abyssinische Eunuchen, griechische Sklavinnen und ägyptische Pagen; und die Emballage seiner Lasten bestand wegen seines Reichtums aus Seide. Außerdem war er von wunderbarer Anmut und schritt stolz und gefällig einher, wie einer, der ihn beschrieb, sagt:

»Ein Kaufmann kam zum Besuch zu uns,
Und mein Herz ward von seinen Blicken verstört.
Da fragte er mich: Was bist du so verstört?
Ich sprach. Dein Auge, o Kaufmann, ist schuld daran.«

Dieser Kaufmann hatte einen Sohn, Namens Alī Nûr ed-Dîn, der dem vollen Mond in der vierzehnten Nacht glich und von wunderbarer Schönheit und Anmut und gefälligem 6 Wuchs und Ebenmaß war. Eines Tages saß dieser Jüngling nach seiner Gewohnheit im Laden seines Vaters, um zu verkaufen und kaufen, zu nehmen und zu geben, während die jungen Kaufleute ihn im Kreise umgaben, unter denen er wie der Mond unter den Sternen erglänzte, mit weißen Schläfen, rosigen Wangen, zartem Flaum und einem Leib wie Alabaster, wie einer, der ihn beschreibt, sagt:

»Das Mal, das auf seinen Wangen thront,
Gleicht einem Ambrakügelchen auf alabasternem Teller;
Und seine Blicke sind gleich Schwertern und rufen
»Allah Akbar«Allāh Akbar ist der Schlachtruf der Moslems. wider alle Rebellen gegen die Liebe.«

Die jungen Kaufleute nun luden ihn ein und sprachen zu ihm: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, wir möchten uns heute mit dir in dem und dem Garten amüsieren.« Nûr ed-Dîn versetzte: »Ich will zuvor meinen Vater fragen, denn ich darf nur mit seiner Erlaubnis ausgehen.« Während sie aber noch miteinander redeten, kam Nûr ed-Dîns Vater an, und Nûr ed-Dîn sprach zu ihm, ihn anblickend: »Mein Vater, die Kaufmannssöhne haben mich eingeladen, mich mit ihnen in dem und dem Garten zu vergnügen; erlaubst du es mir?« Sein Vater versetzte: »Gewiß, mein Sohn.« Hierauf gab er ihm etwas Geld und sagte zu ihm: »Geh mir ihnen.« Da bestiegen die jungen Kaufleute ihre Esel und Maultiere, und Nûr ed-Dîn bestieg ebenfalls sein Maultier und ritt mir ihnen zu einem Garten, in dem sich alles befand, was die Seele begehrt und das Auge erfreut. Er war von hohen Mauern auf festen Fundamenten umgeben und hatte ein gewölbtes Portal groß wie ein Saal mir einem blauen Thor, das den Pforten des Paradieses glich; der Name des Pförtners war Ridwân, und über dem Thor befanden sich hundert Gitter mit Trauben allerlei Farben, roten wie Korallen, schwarzen wie die Nüstern von Sudannegern und weißen wie Taubeneiern. Im Garten aber befanden sich Pfirsiche, 7 Granatäpfel, Birnen, Aprikosen und Äpfel der verschiedensten Arten in Büscheln oder allein stehend;

Achthundertundvierundsechzigste Nacht.

als sie zur Gartenlaube gelangten, sahen sie dort den Pförtner des Gartens Ridwân sitzen, als wäre es Ridwân, der Hüter des Paradieses, während im Garten Früchte von allen Sorten und Vögel aller Art und Farbe waren, wie Ringeltauben, Nachtigallen, Kraniche, Turteltauben und Tauben, die auf den Zweigen girrten und trillerten; und Bäche durchströmten ihn, und die Wasserläufe schimmerten von Blumen und süßen Früchten; die Obstbäume des Gartens trugen reich und waren von jeder Sorte in Paaren vorhanden, unter ihnen Granaten, ähnlich Bällen aus Silberschlacke, ferner Zucker- und Muskatäpfel, die den Beschauer bestricken, Mandel- und Kampferaprikosen und die Aprikosen von Dschilân und Antâbī, gelbe Pflaumen, Kirschen und Trauben, die den Kranken von allen Schmerzen heilen, und Feigen, über ihren Zweigen stehend, rote sowohl wie grüne, den Verstand und die Blicke verwirrend, und Birnen von Sinai, von Aleppo und aus Griechenland, in allerlei Farben, in Büscheln wachsend und allein stehend, –

Achthundertundfünfundsechzigste Nacht.

gelbe sowohl wie grüne, den Beschauer bestrickend; ferner Sultanspfirsiche von gelber und roter Farbe, grüne Mandeln von vorzüglicher Süße, ähnlich dem Palmenmark und ihrem Kern in drei von dem freigebigen König gewirkten Kleidern geborgen, Lotosfrüchte von verschiedener Farbe, in Büscheln und allein stehend, Orangen und Citronen von goldener Farbe, aus der Höhe herabhängend und an den Zweigen baumelnd, als wären es Barren lauteren Goldes, Pampelnüsse, die an den Zweigen hingen, als wären es die Brüste von gazellengleichen Jungfrauen, und den höchsten Wunsch zufriedenstellend, würzige Limonen gleich Hühnereiern, nur 8 daß die reifen Früchte sich mit gelber Farbe schmücken, und ihr Duft den, der sie pflückt, erfrischt. Außerdem befanden sich im Garten allerlei Obstsorten und duftige Kräuter, Pflanzen und Blumen, wie Jasmin, Hartriegel, Pfeffer, Hyazinthen, Rosen allerlei Art, Wegerich, Myrten, kurz duftige Pflanzen allerlei Art, so daß dieser Garten unvergleichlich war und dem Beschauer wie ein Stück vom Paradiese vorkam. Wenn ihn ein Kranker betrat, so kam er wie ein grimmer Löwe heraus, und die Zunge ist nicht imstande ihn um all der Wunder und Merkwürdigkeiten willen, die nur noch im Paradiese zu finden waren, zu beschreiben; und wie sollte es auch anders der Fall gewesen sein, wo sein Thürhüter den Namen Ridwân führte, wiewohl zwischen beider Rang ein großer Unterschied!

Als nun die Kaufmannssöhne in diesem Garten lustwandelt waren und sich vergnügt hatten, setzten sie sich in eine der Hallen, die sich in ihm befanden, und ließen Nûr ed-Dîn mitten in der Halle –

Achthundertundsechsundsechzigste Nacht.

auf einem goldgestickten Ziegenleder Platz nehmen und sich auf ein mit Straußenfedern gepolstertes rundes Kissen aus grauem Pelzwerk lehnen; dann reichten sie ihm einen Fächer aus Straußenfedern, auf dem die beiden Verse standen:

»Ein Fächer, parfümiert mit dem Zephyr,
Und an wonnige Zeiten erinnernd;
Seinen Duft weht er zu allen Stunden
In eines edeln, hochherzigen Jünglings Gesicht.«

Alsdann legten sie ihre Turbane und Oberkleider ab und saßen plaudernd und schwatzend und einer den andern in die Unterhaltung ziehend da, während alle ihre Blicke auf Nûr ed-Dîn gerichtet hatten und seine schöne Gestalt betrachteten. Nachdem sie etwa eine Stunde lang dagesessen hatten, kam ein schwarzer Sklave zu ihnen, der auf seinem Kopf eine Speisenplatte trug mit Schüsseln aus Porzellan und Krystall, 9 da einer der jungen Kaufmannssöhne vor seinem Fortgang in den Garten seine Angehörigen darum ersucht hatte; und die Gerichte bestanden aus allem, was da kreucht und fleucht und schwimmt, als Katāvögel, Wachteln, junge Tauben, Hammel und die leckersten Fische. Als die Platte ihnen vorgesetzt wurde, machten sie sich über dieselbe her und aßen sich satt, worauf sie sich erhoben und sich die Hände mit reinem Wasser und Moschusseife wuschen. Dann trockneten sie sich die Hände mit Handtüchern ab, die mit Seide und Metallfäden gestickt waren; Nûr ed-Dîn aber bekam zum Abtrocknen seiner Hände ein mit rotem Gold gesticktes Tuch. Alsdann wurde der Kaffee gebracht, und jeder von ihnen trank so viel er wollte, worauf sie sich wieder setzten und plauderten. Mit einem Male ging der Gärtner fort und brachte einen Korb voll Rosen, indem er sagte: »Was sagt ihr zu den Blumen, meine Herren?« Einer der jungen Kaufleute versetzte: »Die können nichts schaden, zumal wo es Rosen sind, die man nicht zurückweisen kann.« Der Gärtner versetzte: »Schön, doch es ist Sitte bei uns, daß wir die Rosen nur für ein paar gefällige Worte fortgeben. Wer daher eine Rose haben will, der gebe einige der Gelegenheit angemessene Verse zum besten.« Es waren aber zehn junge Kaufleute anwesend. Und so sagte einer von ihnen: »Schön, gieb mir eine Rose her, und dann will ich ein paar angemessene Verse sprechen.« Da reichte ihm der Gärtner einen Rosenstrauß, worauf er die Verse sprach:

In hohen Ehren halt' ich die Rose,
Dieweil sie nimmer und nimmer verdrießt.
Ihr Heer sind alle die duftigen Blumen,
Und sie ist der Blumen stolzer Emir.
Fehlt sie, so prunken und prahlen sie laut,
Doch kommt sie, so ducken sich alle tief.«

Hierauf reichte er dem zweiten einen Rosenstrauß, der ihn nahm und folgende Verse sprach:

Los, mein Herr, und nimm die Rose,
Deren Duft dich an Moschus erinnert; 10
Einer Maid gleich, die der Geliebte erspäht,
Und die ihr Gesicht mit ihrem Ärmel verdeckt.«

Alsdann reichte er dem dritten einen Rosenstrauß, der ihn nahm und folgende beiden Verse sprach:

»Eine köstliche Rose, deren Anblick das Herz erfreut,
Deren Duft dem würzigsten Nedd gleicht.
Der Zweig umarmt sie mit seinen Blättern vor Wonne,
Wie einen Kuß von einem Mund, der nimmer sich spröde versagt.«

Und so reichte der Gärtner einem nach dem andern einen Rosenstrauß, und alle sprachen ein paar angemessene Verse, bis alle ihre Rosen erhalten hatten, worauf er den Weintisch holte und vor sie einen vergoldeten Präsentierteller setzte, indem er dabei die beiden Verse sprach:

»Die Morgenröte verkündet den Tag, drum schenke den Wein,
Reifes Gewächs, das den Weisen zum Thoren macht;
So klar und so licht erblinkt er, daß ich nicht weiß,
Ob der Wein im Becher ist oder der Becher im Wein.«

Alsdann schenkte der Gärtner ein und trank, worauf der Becher die Runde machte, bis er zu Nûr ed-Dîn, dem Sohn des Kaufmanns Schems ed-Dîn gelangte; dann füllte er den Becher und reichte ihn Nûr ed-Dîn, doch versetzte dieser: »Du weißt, daß ich diese Sache nicht kenne und nie zuvor getrunken habe, da eine große Sünde darin liegt, und der allmächtige Herr es in seinem Buch verboten hat« Der Gärtner erwiderte ihm hierauf: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, wenn du nur um der Sünde willen das Trinken unterlassen willst, so ist Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – freundlich und von großer Güte, barmherzig und vergebend; die größten Sünden verzeiht er, und seine Barmherzigkeit umfaßt alle Dinge. Gottes Barmherzigkeit über jenen Dichter, der da sagt:

»Sei, wie du willst, denn Gott ist gütig,
Und sorg' dich nicht, wenn du auch sündigst.
Nur vor zwei Sünden hüte dich je und je:
Verehre keine Götter neben Gott und thu den Menschen kein Leid. 11

Hierauf sagte einer der jungen Kaufleute: »Bei meinem Leben, mein Herr Nûr ed-Dîn, trink' diesen Becher!« während ein anderer der jungen Leute ihn bei der Ehescheidung beschwor und ein dritter so lange vor ihm stand, bis sich Nûr ed-Dîn schämte und, den Becher dem Gärtner abnehmend, einen Zug that, worauf er den Wein jedoch wieder ausspie, indem er rief: »Das ist bitter.« Der Gärtner versetzte jedoch: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, wäre der Trank nicht bitter, so würde er nicht so großen Nutzen haben. Weißt du denn nicht, daß alles Süße, in medizinischen Dosen genommen, ganz bitter schmeckt? Siehe, dieser Wein hat viele nützliche Eigenschaften, deren eine z. B. ist, daß er die Verdauung befördert, Sorge und Kummer zerstreut, Blähungen beseitigt, das Blut reinigt, die Hautfarbe klärt, den Leib belebt, dem Feigling Mut giebt und den Geschlechtstrieb stärkt. Wollten wir jedoch alle seine Vorzüge erwähnen, so würde ihre Aufzählung lange währen; und sagt doch auch ein Dichter:

»Laßt uns trinken, und Gott mag allen Sündern verzeihn,
Und heilen will ich, am Becher saugend, die Krankheiten all.
Die Sünde darin betrügt mich nicht, und doch sprach Gott:
Der Wein bringt Nutzen den Menschen.«Sure 2, 216.

Hierauf erhob sich der Gärtner, öffnete einen der Schränke, die sich in der Halle befanden, und holte einen Hut raffinierten Zucker hervor, von dem er ein großes Stück abbrach und es für Nûr ed-Dîn in den Becher legte. Dann sagte er: »Mein Herr, wenn du dich scheust den Wein wegen seiner Bitterkeit zu trinken, so trinke ihn jetzt, wo er süß ist.« Infolgedessen nahm Nûr ed-Dîn den Becher und trank ihn aus. Hierauf füllte einer der jungen Kaufleute den Becher und sagte zu Nûr ed-Dîn: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, ich bin dein Sklave.« In gleicher Weise sagte ein dritter zu ihm: »Ich bin dein Diener,« und ein vierter erhob sich und sagte: »Mir zu Gefallen!« während sich ein fünfter erhob und rief: »Um Gott, 12 mein Herr Nûr ed-Dîn, heile mein Herz!« Und so ließen die zehn jungen Leute nicht eher von Nûr ed-Dîn ab, bis ihm jeder von ihnen einen Becher kredenzt hatte. Nûr ed-Dîns Leib aber war unberührt von Wein, da er ihn bisher in seinem ganzen Leben noch nicht getrunken hatte, so daß ihm der Wein zu Kopf stieg, und er so trunken wurde, daß er sich erhob und mit schwerer und lallender Zunge rief: »Gesellschaft, bei Gott, ihr seid hübsch, und eure Worte und der Platz hier sind gleichfalls hübsch, doch fehlt süße Musik; denn Trinken ohne Musik ist seiner Kardinaleigenschaft bar, wie ein Dichter hierüber die beiden Verse gesagt hat:

»Laß ihn kreisen zu Alt und zu Jung
Und nimm ihn aus der Hand des leuchtenden Mondes;
Und trink ihn nicht ohne Sang und Klang,
Denn siehe, wenn Pferde trinken, wird auch gepfiffen.«

Da erhob sich der junge Gärtner und, auf einem der Maultiere der jungen Kaufleute fortreitend, kehrte er nach einer Weile mit einem Kairenser Mädchen zurück, das einem fetten Schafsschwanz glich oder einem Stück reinen Silbers oder einem Dinar auf einem Präsentierteller oder einer Gazelle in der Wüste. Ihr Gesicht beschämte die strahlende Sonne, ihre Augen blickten verführerisch, ihre Brauen waren gleich Bögen geschweift, ihre Wangen schimmerten rosig, ihre Zähne blitzten wie Perlen, ihre Lippen waren zuckersüß, ihre Blicke träumerisch müd, ihre Brüste weiß wie Elfenbein, ihr Leib war schlank und voll Fettfältchen, ihr Gesäß glich zwei gestopften Kissen, und ihre Schenkel sahen aus wie zwei syrische Säulen, wie der Dichter von ihr sagt:

»Heller als der Vollmond erschien sie und mit schwarzgeschminkten Augen,
Einer Gazelle gleich, die junge Löwen erjagt.
Die Nächte ihrer Locken fielen lang über sie herab,
Ein Zelt von Haaren, das keines Zeltpflocks bedarf.
Ihre rosigen Wangen stehen in Feuersflammen,
Genährt von hinschmelzenden Herzen und Lebern
Wenn sie alle die Schönen der Zeit erblickten, sie stellten sich
Auf die Köpfe vor ihr und riefen: der Vorzug ist dein. 13

So glich sie dem Vollmond in der vierzehnten Nacht; und sie trug ein blaues Gewand und einen grünen Schleier über einer weißen Stirn, die die Sinne verwirrte und den Verstand der Verständigen verstörte, –

Achthundertundsiebenundsechzigste Nacht.

so daß sie dem Dichterwort glich:

»Sie kam heran in einem Gewand,
Blau wie Lapislazuli und des Himmels Azur;
Und sie glich mir in ihrem blauen Gewand
Dem Sommersmond in einer Wintersnacht.

Hierauf sagte der junge Gärtner zu ihr: »Wisse, o Herrin der Schönen und lichtester aller Planeten, wir brachten dich nur hierher, daß du diesen hübschen Jüngling, meinen Herrn Nûr ed-Dîn, unterhalten solltest, da er zum erstenmal hierher kam.« Das Mädchen erwiderte hierauf: »Hättest du mir dies doch zuvor gesagt, so hätte ich mitgebracht, was ich bei mir zu Hause habe.« Der Gärtner versetzte: »Meine Herrin, ich will mich aufmachen und es dir holen;« und das Mädchen entgegnete: »Thu' nach deinem Belieben.« Da sagte der Gärtner: »Gieb mir ein Unterpfand;« worauf sie ihm ein Tuch gab. Alsdann machte er sich schnell auf und kehrte nach einer Weile mit einem Beutel aus grünem Atlas und mit goldenen Schlingen wieder. Das Mädchen nahm ihm den Beutel ab und, ihn öffnend, schüttelte sie ihn, worauf zweiunddreißig Stücke Holz herausfielen, die sie nun eins ins andere, das männliche ins weibliche und das weibliche ins männliche zusammensetzte, bis eine geglättete und polierte Laute indischen Fabrikats daraus ward. Dann entblößte sie ihre Handgelenke und beugte sich, indem sie die Laute in ihren Schoß legte, über dieselbe, wie sich eine Mutter über ihr Kind beugt, worauf sie mit ihren Fingerspitzen über die Saiten glitt, daß die Laute tönte und stöhnte und sich nach ihrer alten Heimat sehnte, der Wasser gedenkend, die sie einst getrunken, der Erde, aus der sie einst entsproßt und in der sie aufgewachsen war, 14 und gedenkend auch der Zimmerleute, die sie einst geschnitten, der Polierer, die sie einst poliert, der Kaufleute, die sie ausgeführt und der Schiffe, die sie fortgetragen hatten; und da schrie sie laut und klagte und schluchzte und jammerte, und es war, als wenn sie nach alledem fragte, und also gab ihr die Lage der Dinge in stummer Sprache mit folgenden Versen Antwort:

»Ich war ein Baum, der Nachtigallen Heim,
Und nieder zu ihnen neigt' ich in Liebessehnen das grüne Gezweig.
Sie klagten auf mir, und ich lernt' ihr Klagen,
Und in diesem Klagen wird mein Geheimnis offenkund.
Der Fäller fällte mich schuldlos zu Boden
Und machte eine schlanke Laute aus mir, wie ihr's schaut.
Doch wenn die Finger mich schlagen, so kündet mein Ton,
Daß ich den Streichen erlag in stiller Geduld.
So kommt's, daß bei meinen klagenden Tönen
Die Zechgenossen verstört von Liebe werden und trunken;
Und der Herr wendet mir aller Herzen zu,
Und der höchste Ehrenplatz wird mir zu teil.
Meine Gestalt umarmen alle mit siegender Schönheit Geschmückten,
Gazellen mit träumerischmüdem Blick und schwarzäugige Huris.
Nimmer trenne uns Gott, der Schützer,
Und nimmer lebe der Geliebte, der spröde flieht.«

Nach längerem Schweigen spielte dann das Mädchen eine Anzahl von Weisen auf der Laute, worauf sie wieder in die erste Weise fiel und folgende Verse vortrug:

»Wenn sie sich neigten zum Liebenden und ihn besuchten,
So sänke die Last seiner Sehnsucht zu Boden;
Die Nachtigall im Gezweig würde wetteifern mit ihm
Wie mit einem Liebenden, der fern weilt von der Geliebten Haus.
Auf und erwach'! hell scheint der Mond zur Liebesnacht,
Als bräche mit dem Liebesglück der Morgen an.
Heute geben die Neider auf uns nicht acht,
Und der Laute Saiten laden zu Wonnen ein.
Siehst du nicht vier Dinge vereint zum Spiel,
Myrten, Rosen, Levkojen und strahlende Blüten?
So sind auch heute zum Glück vier Dinge vereint,
Ein Liebender, ein Geliebter, Wein und Dinare.
So ergreif' dein irdisches Glück, denn die Freude vergeht,
Und nichts von allem bleibt als Gerüchte und Geschichten.« 15

Als Nûr ed-Dîn diese Verse von dem Mädchen vernahm, schaute er sie mit verliebtem Auge an, bis er vor Liebe kaum noch an sich halten konnte; und ebenso war es mit ihr, da sie alle die anwesenden jungen Kaufleute betrachtet hatte und unter ihnen Nûr ed-Dîn wie den Mond unter den Sternen hervorleuchten sah; denn er führte nicht nur anmutige Reden, sondern war auch voll Liebreiz und tadellos an Wuchs, Ebenmaß, strahlender Schönheit und Anmut, sanfter als der Zephyr und zarter als der Tasnîm.

Achthundertundachtundsechzigste Nacht.

Nûr ed-Dîn aber, der vor Trunkenheit hin- und herwankte, begann, entzückt über ihre Verse, sie zu rühmen und sprach:

»Eine Lautnerin neigte sich zu uns, als wir vom Wein ein Räuschchen hatten,
Und ihre Saiten sprachen: Gott war's, der uns Stimme verliehen.«

Als Nûr ed-Dîn diese Verse gesprochen hatte, sah ihn das Mädchen mit liebendem Blick an, und ihre Verliebtheit und Sehnsucht wuchs; voll Bewunderung seiner Schönheit und Anmut und seines gefälligen Wuchses und Ebenmaßes, konnte sie nicht mehr an sich halten sondern, zum zweitenmal die Laute in den Schoß legend, trug sie folgende Verse vor:

»Er schilt mich dafür, daß ich ihn anschaue,
Und flieht mich, mein Leben in seinen Händen entführend.
Er treibt mich fort, und er weiß doch, wie es um mein Herz steht,
Als hätte es ihm Gott selber offenbart.
Mitten auf meine Handfläche zeichnete ich sein Bild
Und sprach zu meinem Aug': Weine Thränen darüber.
Denn mein Auge wird seinesgleichen nicht wieder erschauen,
Und mein Herz wird in seiner Nähe mir keine Ruhe lassen.
O mein Herz, ich reiß' dich aus meiner Brust,
Als wärst du einer der Neider, der mich um ihn beneidet.
Ach, wenn ich zu meinem Herzen spreche: Vergiß ihn,
So will sich doch mein Herz keinem andern zuneigen.« 16

Nûr ed-Dîn war über ihre schönen Verse und ihren beredten Ausdruck sowie über ihre süße Sprache und ihre gewandte Zunge entzückt, und sein Verstand flog ihm vor Sehnsucht, Erregung und leidenschaftlicher Liebesglut fort, so daß er es nicht mehr eine Stunde ohne sie aushalten konnte, sondern sich ihr zuneigte und sie an die Brust preßte; und sie neigte sich gleichfalls über ihn und, sich ihm ganz überlassend, küßte sie ihn zwischen die Augen. Er aber küßte sie nun auf den Mund und schnäbelte mit ihr nach Taubenart, worauf sie in gleicher Weise mit ihm verfuhr, daß die Anwesenden toll wurden und aufsprangen. Da schämte sich Nûr ed-Dîn und ließ die Hand von ihr ab, worauf sie wieder zur Laute langte und eine Reihe von Weisen spielte, bis sie wieder in die erste fiel und von neuem süße Verse vortrug, daß Nûr ed-Dîn, entzückt über die Beredsamkeit ihrer Zunge, ihren Liebreiz und ihr bezauberndes Wesen rühmte; als sie aber Nûr ed-Dîns Lob vernahm, erhob sie sich unverzüglich und all ihre Oberkleider und Schmucksachen ablegend, setzte sie sich auf seine Kniee und küßte ihn zwischen die Augen und auf sein Wangenmal, worauf sie ihm alle Sachen, die sie abgelegt hatte, zum Geschenk machte, –

Achthundertundneunundsechzigste Nacht.

indem sie dabei zu ihm sprach: »Wisse, Geliebter meines Herzens, die Gabe entspricht dem Geber.« Da nahm es Nûr ed-Dîn an und, sie auf Mund, Wangen und Augen küssend, gab er es ihr wieder zurück.

Als nun alles dies vorüber war, – denn nichts währt ewig als allein der Lebendige, der Ewige, der Versorger des Pfaus und der Eule, – erhob sich Nûr ed-Dîn von dieser Sitzung und stellte sich auf die Füße, worauf das Mädchen ihn fragte: »Wohin, mein Herr?« Nûr ed-Dîn versetzte: »Ins Haus meines Vaters.« Da beschworen ihn die jungen Kaufleute bei ihnen zu schlafen, er lehnte es jedoch ab und ritt auf seinem Maultier seines Weges, bis er bei seines 17 Vaters Haus anlangte, wo seine Mutter ihn empfing und zu ihm sprach: »Mein Sohn, weshalb bist du bis jetzt fortgeblieben? Bei Gott, du hast mich und deinen Vater durch dein Ausbleiben beunruhigt und unser Herz bekümmerte sich um dich.« Hierauf trat seine Mutter an ihn heran, um ihn auf den Mund zu küssen, wobei sie den Duft des Weines roch. Da sagte sie: »O mein Sohn, wie kommt es, daß du nach Gebet und Frömmigkeit ein Weintrinker geworden bist und abtrünnig von Ihm, dem Schöpfung und Befehl gehören?« Wie sie aber noch miteinander redeten, kam mit einem Male Nûr ed-Dîns Vater an und fragte, als er Nûr ed-Dîn auf dem Bett liegen sah: »Was fehlt Nûr ed-Dîn, daß er zu Bett liegt?« Seine Mutter erwiderte: »Wahrscheinlich thut ihm der Kopf von der Luft im Garten weh.« Da trat sein Vater an ihn heran, um ihn nach seinen Schmerzen zu fragen und ihn zu begrüßen, wobei er ebenfalls den Duft des Weines roch. Da er aber gegen alle, die Wein tranken, einen Abscheu empfand, rief er: »Wehe dir, mein Sohn, bist du so töricht geworden, daß du Wein trinkst?« Als Nûr ed-Dîn seines Vaters Worte vernahm, hob er in seiner Trunkenheit die Hand und schlug ihm ins Gesicht. Nach dem voraus bestimmten Ratschluß aber traf der Schlag das rechte Auge seines Vaters, daß es auf die Backe lief und er ohnmächtig zu Boden sank und eine lange Weile in seiner Ohnmacht verharrte. Nachdem man ihn mit Rosenwasser besprengt hatte, kam er wieder zu sich und wollte nun seinen Sohn durchprügeln; seine Mutter hinderte ihn jedoch daran, worauf er bei der Scheidung schwor, ihm am nächsten Morgen die rechte Hand abzuschneiden. Als sie diese Worte ihres Mannes vernahm, ward ihr die Brust beklommen, und sie fürchtete für ihren Sohn; jedoch ließ sie nicht ab seinem Vater zu schmeicheln und ihm freundlich zuzureden, bis ihn der Schlaf überwältigte. Dann wartete sie noch so lange, bis der Mond aufging, worauf sie zu ihrem Sohn ging, dessen Rausch inzwischen wieder verflogen war, und zu ihm sprach: 18 »O Nûr ed-Dîn, was für eine schändliche That hast du gegen deinen Vater begangen!« Nûr ed-Dîn fragte: »Was hab' ich denn gegen meinen Vater begangen?« Seine Mutter versetzte: »Du hast ihm mit der Hand ins rechte Auge geschlagen, daß es ihm auf die Backe gelaufen ist, und er hat bei der Ehescheidung geschworen, dir am nächsten Morgen die rechte Hand abzuschneiden.« Da bereute Nûr ed-Dîn sein Thun, wo ihm die Reue nichts mehr nützen konnte; seine Mutter aber sagte zu ihm: »Mein Sohn, diese Reue frommt dir jetzt nichts mehr, und es bleibt dir nichts anderes übrig, als daß du dich unverzüglich aufmachst und dein Heil in der Flucht suchst; verlaß das Haus unbemerkt, versteck dich bei einem deiner Freunde und warte, was Gott thun will, denn er kann die Dinge schnell ändern.« Hierauf öffnete seine Mutter eine Geldkiste und holte einen Beutel mit hundert Dinaren hervor, indem sie dabei zu ihm sprach: »Mein Sohn, nimm diese Dinare und bestreite damit deine Bedürfnisse; ist das Geld zu Ende, so schicke jemand zu mir und laß es mich wissen, damit ich dir von neuem Geld schicke, und laß mich auch durch den Boten insgeheim von deinem Ergehen wissen; vielleicht verhängt Gott Trost über dich, daß du wieder heimkehren kannst.« Hierauf nahm sie, aufs bitterlichste weinend, von ihm Abschied, während Nûr ed-Dîn den Beutel mit den Dinaren seiner Mutter abnahm und fortgehen wollte; da gewahrte er einen großen Beutel mit tausend Dinaren, den seine Mutter neben der Kiste hatte stehen lassen, und nahm ihn, worauf er beide Beutel um seinen Leib band und durch die Gassen vor der Morgendämmerung auszog, indem er die Richtung nach Būlâk einschlug; und als der Morgen anbrach, und sich die Geschöpfe erhoben, die Einheit Gottes, des Siegverleihers, zu verkünden, und jeder seinem Geschäft nachging, um sein ihm von Gott verhängtes Los zu gewinnen, hatte Nûr ed-Dîn bereits Būlâk erreicht. Als er nun hier am Nilufer entlang schritt, sah er ein Schiff mit ausgeworfener Landungsplanke, dessen vier Anker am Land 19 befestigt waren, während die Leute vom Land an Bord und von Bord ans Land gingen und die Schiffer dastanden. Als Nûr ed-Dîn diese erblickte fragte er: »Wohin geht eure Fahrt?« Sie erwiderten ihm: »Nach Alexandria.« Da sagte er zu ihnen: »Nehmt mich mit;« und sie versetzten: »Willkommen, willkommen von Herzen, du feiner Gesell.« Infolgedessen machte sich Nûr ed-Dîn unverzüglich nach dem Bazar auf und kaufte sich das Nötige an Wegzehrung, Bettzeug und Decken, worauf er zum Schiff zurückkehrte, das bereits zur Abfahrt bereit war und kurze Zeit, nachdem er an Bord gestiegen war, absegelte und ununterbrochen fuhr, bis es nach der Stadt Rosette gelangte. Hier gewahrte Nûr ed-Dîn ein kleines Boot, das im Begriff war nach Alexandria zu gehen und bestieg es, worauf er über den Sund setzte, bis er zu einer Brücke, die Dschâmībrücke geheißen, gelangte, bei welcher er ausstieg und durch das Lotosthor die Stadt betrat; Gott aber beschützte ihn, so daß ihn niemand von den Thorwächtern sah.

Achthundertundsiebzigste Nacht.

Als er die Stadt Alexandria betreten hatte, sah er, daß es eine mit Mauern wohlverwahrte Stadt war, mit schönen Lustplätzen, eine Wonne für ihre Bewohner und zum Wohnen in ihr einladend; der Winter hatte ihr gerade mit seiner Kälte den Rücken gewandt, und der Lenz war mit seiner Rosenpracht gekommen; die Blumen blühten, die Bäume hatten sich belaubt, die Früchte schimmerten reif, und die Flüsse strömten übervoll; die Stadt selber aber war schön und regelmäßig erbaut, ihre Bewohner waren ein vortrefflich Volk, und alle Leute darinnen waren sicher, wenn die Thore geschlossen waren. Nûr ed-Dîn durchwanderte die Stadt, bis er zum Bazar der Kaufleute gelangte und von hier der Reihe nach zum Bazar der Geldwechsler, der Dörrobsthändler, Fruchthändler und Drogisten kam, verwundert über die Stadt, deren Beschaffenheit ihrem Namen entsprach. Während er 20 aber durch den Bazar der Drogisten wanderte, kam mit einem Male ein hochbetagter Scheich aus seinem Laden auf ihn zu und begrüßte ihn, worauf er ihn bei der Hand faßte und mit ihm zu seiner Wohnung ging. Hierbei gewahrte Nûr ed-Dîn eine hübsche gefegte und gesprengte Gasse, durch welche ein frischer Zephyr wehte, während das Laub der Bäume sie überschattete. In dieser Gasse standen drei Häuser und am gegenüberliegenden Ende derselben ein viertes Haus, dessen Fundament ins Wasser gesenkt war, während seine Mauern zu den Wolken des Himmels ragten. Der Platz vor ihm war gefegt und gesprengt, und der Zephyr wehte den Ankömmlingen Blütendüfte entgegen, als wäre es einer der Gärten Edens. Der Anfang der Gasse war gesprengt und gefegt, das Ende hingegen mit Marmor gepflastert. Der Scheich betrat nun mit Nûr ed-Dîn jenes Haus und setzte ihm etwas zu essen vor, worauf beide zusammen aßen. Als sie dann mit ihrer Mahlzeit fertig geworden waren, sagte der Scheich zu Nûr ed-Dîn: »Wann kamst du von Kairo hierher?« Nûr ed-Dîn versetzte: »Mein Vater, in dieser Nacht.« Nun fragte ihn der Scheich: »Wie heißest du?« Er erwiderte: »Alī Nûr ed-Dîn.« Da sagte der Scheich: »O mein Sohn, Nûr ed-Dîn, dreimal sei ich von meiner Frau geschieden, wenn du mich während deines Aufenthalts in dieser Stadt verlässest; und ich will dir einen Platz zum Wohnen einräumen.« Nûr ed-Dîn versetzte: »O mein Herr Scheich, laß mich näheres von dir hören.« Da sagte der Scheich: »Wisse, mein Sohn, vor einigen Jahren kam ich mit Waren nach Kairo und verkaufte sie daselbst, worauf ich neue Waren einkaufte und noch tausend Dinare bedurfte. Ohne mich zu kennen, wägte sie dein Vater Tâdsch ed-Dîn für mich ab und verlangte nicht einmal einen Schuldschein von mir, sondern wartete, bis ich hierher zurück gekehrt war und ihm das Geld zugleich mit einem Geschenk durch einen meiner Burschen übersandte. Ich sah dich als kleinen Knaben und, so Gott will, der Erhabene, will ich dir etwas von der Güte, die mir 21 dein Vater erwies, vergelten.« Als Nûr ed-Dîn diese Worte vernahm, zeigte er sich erfreut und zog lächelnd den Beutel mit den tausend Dinaren hervor, den er dem Scheich mit den Worten überreichte: »Nimm dies und verwahre es mir bei dir, bis ich mir etwas Waren zum Handeln einkaufe.« Hierauf verweilte Nûr ed-Dîn eine Reihe von Tagen in der Stadt Alexandria, während welcher Zeit er täglich in den Hauptstraßen umherschleuderte und schmauste und zechte und herrlich und in Freuden lebte, bis er die hundert Dinare, die er zu seinen Ausgaben bei sich hatte, verthan hatte. Hierauf begab er sich zum Scheich, dem Drogisten, um sich von ihm etwas von den tausend Dinaren zu seinen Ausgaben einhändigen zu lassen; da er ihn jedoch nicht in seinem Laden antraf, setzte er sich dort hin, um auf seine Rückkehr zu warten, wobei er seine Augen über die Kaufleute gleiten ließ und bald nach rechts und bald nach links schaute. Während er nun so dasaß, kam mit einem Male ein Perser auf einem Maultier auf den Bazar geritten, gefolgt von einem Mädchen, gleich einem Barren lautersten Silbers oder einem BultifischLabrus niloticus in einem Springbrunnen oder einer Gazelle in der Steppe, mit einem Gesicht, das die strahlende Sonne beschämte, mit verführerischen Augen, mit Brüsten wie aus Elfenbein, mit Zähnen wie Perlen, schlanker Taille, Seiten mit Fältchen und Schenkeln wie Schwänze von Fettschafen, kurz sie war vollkommen an Schönheit und Anmut und an Eleganz des Wuchses und Ebenmaß, wie ein Dichter in ihrer Beschreibung sagt:

»Erschaffen scheint sie zu sein ganz nach ihrem Begehr
Im Glanz der Schönheit weder lang noch kurz;
Die Rose errötet beim Anblick ihrer Wangen vor Scham,
Und das Reis prangt in Früchten beim Anblick ihrer Gestalt.
Der Vollmond ist ihr Gesicht, Moschus ist ihr Odem,
Und ein Zweig ist ihre Gestalt; ihresgleichen ist niemand.
Aus Perlenwasser scheint sie gegossen zu sein,
Und aus jedem ihrer schönen Glieder blitzt ein Mond. 22

Der Perser stieg nun von seinem Maultier ab und ließ das Mädchen ebenfalls absteigen, worauf er laut nach dem Mäkler rief, zu dem er, sobald er erschien, sagte: »Nimm dieses Mädchen und biet' es auf dem Bazar zum Verkauf aus.« Da nahm der Mäkler das Mädchen und begab sich mit ihm mitten auf den Bazar, worauf er fortging und nach einer Weile mit einem Stuhl aus Ebenholz mit Einlagen aus weißem Elfenbein wiederkehrte. Indem er den Stuhl auf die Erde stellte, ließ er das Mädchen sich auf ihm niedersetzen und entschleierte ihr Antlitz, das nun wie ein deilamitischer Schild erglänzte oder wie ein funkelndes Gestirn; denn sie glich dem Vollmond in seiner vierzehnten Nacht in ihrer vollendeten strahlenden Anmut, wie der Dichter von ihr sagt:

»Der Vollmond verglich sich thöricht mit der Schönheit ihres Angesichts
Und ward verfinstert und spaltete sich vor Zorn.
Und wollte sich der stolze Bân mit ihrem Wuchse messen,
So sei die Hand, die eine Holzlast trug, verflucht!«Der letzte Vers ist eine Anspielung auf die 111. Sure.

Und wie schön ist auch das Dichterwort:

»Sprich zur Schönen im goldgewirkten Schleier:
Was hast du mit dem mönchischfrommen Gottesdiener gemacht?
Das Licht des Schleiers und deines Angesichts darunter
Haben mit ihrem Glanz die Heerscharen der Finsternis verscheucht.
Und als mein Aug' einen verstohlenen Blick auf die Wange warf,
Da trafen es die Hüter mit einem Stern.«Eine Anspielung auf die Engel, welche mit Meteoren nach den Dschinn werfen.

Hieraus fragte der Mäkler die Kaufleute: »Wieviel bietet ihr für des Tauchers Perle und des Jägers Beute?« Einer der Kaufleute versetzte: »Her mit ihr für hundert Dinare.« Ein anderer sagte: »Zweihundert;« ein dritter bot dreihundert, und so trieben die Kaufleute einander mit ihrem Gebot für das Mädchen, bis sie ihren Preis auf neunhundertundfünfzig Dinare getrieben hatten, wobei das Gebot stehen blieb, in der Erwartung der Einwilligung und Zustimmung. 23

Achthundertundeinundsiebzigste Nacht.

Infolgedessen trat der Mäkler an den Perser, den Herrn des Mädchens, heran und sagte zu ihm: »Das Gebot für das Mädchen ist bis auf neunhundertundfünfzig Dinare gestiegen; willst du sie verkaufen, und sollen wir das Geld für dich in Empfang nehmen?« Der Perser versetzte: »Ist sie damit zufrieden? Ich möchte auf ihre Wünsche Rücksicht nehmen, da sie mich unterwegs, als ich erkrankte, aufs liebevollste pflegte. Ich schwur ihr, sie nur dem zu verkaufen, der ihr gefiele und ihr recht sei, und legte ihren Verkauf in ihre Hand. Frag' sie deshalb, und, falls sie einwilligt, so verkauf' sie dem, den sie will; willigt sie jedoch nicht ein, so verkauf' sie nicht.« Infolgedessen trat der Mäkler an sie heran und sagte zu ihr: »O Herrin der Schönen, wisse, dein Herr hat deinen Verkauf in deine Hand gelegt, und das Gebot für dich ist auf neunhundertundfünfzig Dinare gestiegen; erlaubst du mir demnach dich zu verkaufen? Das Mädchen erwiderte dem Mäkler: »Laß mich vor Abschluß des Geschäfts den Käufer sehen.« Da trat der Mäkler mit ihr an einen der Kaufleute heran, einen alten hinfälligen Scheich, den das Mädchen geraume Zeit betrachtete, worauf sie sich zum Mäkler wendete und zu ihm sprach: »O Mäkler, bist du verrückt oder fehlt deinem Verstand etwas?« Der Mäkler versetzte: »Weshalb, o Herrin der Schönen, sprichst du dieses Wort?« Das Mädchen erwiderte ihm: »Ist es dir etwa von Gott erlaubt ein Mädchen wie mich einem solchen ausgemergelten Scheich zu verkaufen?« Als der alte Kaufmann dieses häßliche Wort von dem Mädchen vernahm, erboste er sich wie noch nie und sagte zum Mäkler: »Du nichtsnutzigster der Mäkler, du hast diese unselige Dirne nur zu uns auf den Bazar gebracht, daß sie mich verspottet und vor den andern Kaufleuten lächerlich macht.« Da nahm sie der Mäkler von ihm fort und sagte zu ihr: »O meine Herrin, laß es nicht am guten Ton fehlen; siehe, dieser Scheich, über den du dich 24 lustig machst, ist der Scheich des Bazars, der Marktaufseher und ein Ratsherr unter den Kaufleuten.« Sie lachte jedoch und sprach die beiden Verse:

»Es geziemt den Regenten unserer Zeit,
Und es ist eine der Regentenpflichten,
Aufzuhängen den Wâlī an seiner Thür
Und mit dem Kantschu den Marktaufseher durchzuprügeln.«

Hierauf sagte sie zum Mäkler: »Bei Gott, mein Herr, ich will diesem Scheich nicht verkauft werden! Verkaufe mich einem andern, denn es könnte sein, daß er mich aus Scham vor mir einem andern verkauft, und ich dann weiter nichts als eine Dienstmagd werde; es schickt sich jedoch nicht für mich, daß ich mich mit niedrigem Dienst beschmutze; und du weißt ja auch, daß mein Verkauf in meine Hand gelegt ist.« Der Mäkler versetzte: »Ich höre und gehorche,« und führte sie zu einem andern der Großkaufleute. Als er mit ihr vor ihm stand, fragte er sie: »Meine Herrin, soll ich dich diesem meinem Herrn Scherîf ed-Dîn für neunhundertundfünfzig Dinare verkaufen?« Da sah ihn das Mädchen an, und als sie gewahrte, daß es ein Scheich mit gefärbtem Bart war, sagte sie zum Mäkler: »Bist du verrückt oder fehlt deinem Verstand etwas, daß du mich diesem hinfälligen Scheich verkaufen willst? Bin ich denn Abfall von Seidenflocken oder Lumpenzunder, daß du mit mir von einem Scheich zum andern die Runde machst, von denen jeder wie eine den Einsturz drohende Mauer ist oder wie ein von einem Stern niedergeschossener Ifrît? Was den ersten anlangt, so gilt von ihm das Dichterwort:

»Ein Mädchen wollt' ich küssen auf ihren Mund,
Doch es rief: Nein, bei dem Schöpfer der Dinge aus dem Nichts!
Nach greisen Haaren trag' ich kein Begehr,
Soll denn im Leben schon mein Mund mit Baumwolle gestopft werden?«

Und wie schön ist auch das Dichterwort:

»Sie sagen, weißes Haar ist ein strahlendes Licht,
Das die Gesichter mit Würde kleidet und Glanz. 25
Doch bis das Alter mir weiß den Scheitel furcht,
Möchte ich's schwarz haben wie die finsterste Nacht.
Ja wenn des Greises Bart dem Buche gliche,
Das er trägt am Tag der Rechenschaft, so wünschte ich, es wäre nicht weiß.«Es ist das Buch gemeint, in welchem eines jeden Handlungen verzeichnet stehn, und das am Auferstehungstage den Menschen überreicht wird. Das Buch der Gerechten ist weiß, der Ungerechten schwarz.

Und wie schön ist auch eines dritten Wort:

»Siehst du nicht, daß ein Gast, ein ungeehrter, auf meinem Haupt eingekehrt ist?
Das Schwert hätte mich nicht so geschmerzt als seine Locken.
Hinfort mit dir, o Weiße, die keine Weiße besitzt,
Fürwahr, in meinem Auge bist du schwärzer als die Nacht!«

Was aber den andern anlangt, so ist er ein verächtlicher Heimlichthuer, der sich den grauen Bart färbt und mit seinem Färben den schändlichsten Lug und Trug begeht: auf ihn paßt das Dichterwort:

»Sie sprach: Ich seh, du färbst dir deinen Bart. Sprach ich:
Verbergen will ich ihn vor dir, mein Ohr und Aug.
Haha! So lachte sie und rief: Wie sonderbar!
Bis auf die Haare selbst bist du voll Lug und Falsch.«

Und wie schön ist auch das andere Dichterwort:

»Der du dein greises Haar dir schwarz gefärbt,
Damit die Jugend dir zum Schein verblieb:
Schau her, mein Los ward einmal schwarz gefärbt,
Und sei verbürgt, die Farbe schwindet nie.«

Als der Scheich, der sich den Bart gefärbt hatte, von dem Mädchen diese Worte vernahm, erboste er sich wie noch nie und fuhr den Mäkler an: »Du nichtsnutzigster Mäkler hast heute nur eine thörichte Dirne zu uns auf den Bazar gebracht, daß sie sich der Reihe nach gegen jeden, der auf dem Bazar ist, unverschämt benimmt, und ihn mit Versen und thörichtem Geschwätz verspottet.« Alsdann kam der 26 Kaufmann aus seinem Laden heraus und schlug dem Mäkler ins Gesicht, worauf dieser mit ihr ergrimmt an seinen Platz zurückkehrte, indem er zu ihr sagte: »Bei Gott, in meinem ganzen Leben sah ich keine schamlosere Dirne als dich! Du hast dich und mich für heute um das tägliche Brot gebracht, und alle Kaufleute sind mir um deinetwillen gram.« Alsdann gewahrten sie auf der Straße einen Kaufmann, Namens Schihâb ed-Dîn, der noch zehn Dinare mehr für sie geboten hatte, worauf der Mäkler das Mädchen um Erlaubnis bat, sie ihm zu verkaufen. Sie versetzte: »Zeig' ihn mir, daß ich ihn mir zuvor ansehe und ihn nach einer Sache frage; hat er dieselbe zu Hause, so will ich ihm verkauft werden, wenn nicht, dann nicht.« Da ließ sie der Mäkler stehen und, an ihn herantretend, sprach er zu ihm: »Mein Herr Schihâb ed-Dîn, wisse, jenes Mädchen dort will dich nach etwas fragen und will dir verkauft werden, wenn du es hast. Nun aber hast du gehört, was sie zu den andern Kaufleuten, deinen Freunden, sagte, –

Achthundertundzweiundsiebzigste Nacht.

und, bei Gott, ich fürchte sie zu dir zu bringen, da sie dich ebenso wie deine Nachbarn behandeln und ich dadurch vor dir in Unehre gelangen könnte; erlaubst du mir es jedoch sie zu bringen, so bringe ich sie dir.« Der Kaufmann versetzte: »Bringe sie nur her,« worauf der Mäkler erwiderte: »Ich höre und gehorche,« und das Mädchen holte. Indem sie ihn nun betrachtete, fragte sie ihn: »Mein Herr Schihâb ed-Dîn, hast du in deinem Hause vielleicht Kissen, die mit Abfällen von Hermelinpelz gestopft sind?« Der Kaufmann entgegnete ihr: »Gewiß, o Herrin der Schönen, ich habe zu Hause zehn solche mit Abfällen von Hermelinpelz gestopfte Kissen, jedoch, um Gott, was willst du mit diesen Kissen thun?« Sie erwiderte: »Ich will warten, bis du schläfst, und sie dir dann auf Mund und Nase packen, daß du stickst.« Hierauf wendete sie sich zum Mäkler und sagte zu 27 ihm: »O du gemeinster der Mäkler, ich glaube du bist verrückt, daß du mich seit einer Stunde zunächst zwei Scheichen vorführst, von denen jeder zwei Fehler hat, und mich dann diesem meinem Herrn Schihâb ed-Dîn präsentierst, der gar drei Fehler hat; zum ersten nämlich ist er zu kurz geraten, zum zweiten ist seine Nase zu groß, und drittens hat er einen langen Bart. Von ihm gilt das Dichterwort:

»Wir hörten weder von einem Menschen noch sahen wir
Unter allen Geschöpfen einen wie diesen:
Sein Bart ist eine Elle lang, seine Nase eine Spanne,
Doch sein Wuchs erreicht nur eines Fingers Länge.«

Ebenso sagt ein anderer Dichter:

»Aus seinem Gesicht erhebt sich der Minâr einer Kathedralmoschee
Wie der kleine Finger auf einem Siegelring.
Wenn die ganze Schöpfung in seine Nase ginge,
So wäre in der Welt von der Schöpfung nichts mehr zu sehn.«

Als der Kaufmann Schihâb ed-Dîn von dem Mädchen diese Worte vernahm, kam er aus seinem Laden heraus und schrie den Mäkler an, ihn bei seinem Kragen packend: »Du gemeinster der Mäkler, wie kannst du es wagen uns ein Mädchen herzubringen, das uns der Reihe nach mit frechen Reden und Versen schmäht und verspottet?« Infolgedessen führte der Mäkler das Mädchen von ihm fort, indem er zu ihr sagte: »Bei Gott, mein Lebenlang sah ich kein ungebildeteres Mädchen als dich, und kein Stern war unseliger für mich als der deinige, da ich heute durch dich um mein Brot komme und nichts durch dich gewann, als daß ich Fausthiebe in den Nacken bekam und am Kragen gepackt wurde.« Hierauf trat der Mäkler mit dem Mädchen vor einen Kaufmann, einen Eigentümer von Sklaven und Dienern, und fragte sie: »Willst du diesem meinem Herrn, dem Kaufmann Alī ed-Dîn, verkauft werden?« Da betrachtete sie ihn und sagte, als sie fand, daß er buckelig war: »Der da ist ja buckelig.« Da nahm sie der Mäkler schnell fort und führte 28 sie zu einem andern Kaufmann, indem er sie fragte: »Soll ich dich diesem hier verkaufen?« Sie schaute ihn an und, da sie fand, daß er triefäugig war, rief sie: »Der da ist ja triefäugig!« Da führte sie der Mäkler zu einem andern Kaufmann und fragte sie: »Willst du diesem hier verkauft werden?« Da sah sie ihn an und sagte, als sie fand, daß er einen langen Bart hatte, zum Mäkler: »Wehe dir, dieser Mann ist ein Widder, dem der Schwanz aus der Kehle gewachsen ist. Wie willst du mich ihm verkaufen, unseligster der Mäkler du! Hast du nicht gehört daß jeder, der einen langen Bart hat, kurz an Verstand ist, und daß die Länge des Bartes mit der Kürze seines Verstandes in Proportion steht? Das ist eine unter den Verständigen bekannte Thatsache, wie denn auch ein Dichter sagt:

»Nimmer erhöhte ein Mann, der einen langen Bart trug,
Durch seines Bartes Länge seinen Respekt;
Vielmehr, wessen Verstand zu kurz geraten ist,
Der läßt sich den Bart lang wachsen.«

Ebenso sagt ein anderer Dichter:

»Ich hab' einen Freund, und der hat einen Bart,
Der wuchs ihm von Gott ganz nutzlos lang.
Er kommt mir vor wie 'ne Wintersnacht,
Lang und duster und bitterlich kalt.«

Da nahm sie der Mäkler und kehrte mit ihr um, so daß sie ihn fragte: »Wohin willst du gehen?« Er versetzte: »Zum Perser; wir haben genug an dem, was uns am heutigen Tage um deinetwillen widerfahren ist; du hast mich und ihn durch deinen Mangel an schicklichem Benehmen um den Verdienst gebracht.« Da schaute sich das Mädchen auf dem Bazar um und wendete sich nach rechts und links und nach hinten und vorn, als ihr Blick nach dem vorausbestimmten Ratschluß auf Nûr ed-Dîn Alī den Kairenser fiel; und sie sah, daß er ein hübscher Jüngling war mit glatten Wangen und von schlanker Gestalt, vierzehn Jahre alt und wunderbar an Schönheit und Anmut, Grazie und Liebreiz, als wäre er der 29 Vollmond in der vierzehnten Nacht, mit weißer Stirn, rosigen Wangen, alabasternem Hals, Zähnen gleich Juwelen und mit einem Seim im Mund süßer als Zucker, wie einer, der ihn beschreibt, sagt:

»Es erschienen zum Wettstreit mit seiner Schönheit und Anmut
Vollmonde und Gazellen, ich aber sprach: Haltet ein!
Langsam, ihr Gazellen, vergleicht euch nicht mit ihm,
Und, o ihr Monde, bemüht euch nicht.«

Und wie schön ist auch das Wort eines anderen Dichters:

»Er ist schlank gewachsen, und sein Haar und seine Schläfen
Geben den Menschen Licht und Finsternis.
Tadelt nicht das Mal auf seiner Wange,
Denn jede Anemone hat ein schwarzes Tüpfelchen.«

Wie nun das Mädchen Nûr ed-Dîn erblickte, war es, als ob ihr der Verstand wiche; ihr Herz verliebte sich Knall und Fall in ihn, und ihre Seele ward gänzlich von Liebe zu ihm erfüllt, –

Achthundertunddreiundsiebzigste Nacht.

so daß sie sich zum Mäkler wendete und zu ihm sagte: »Will nicht jener junge Kaufmann, der dort in dem Gewand aus gestreiftem Tuch unter den andern Kaufleuten sitzt, etwas mehr für mich bieten?« Der Mäkler versetzte: »O Herrin der Schönen, jener Jüngling ist ein Fremdling aus Kairo, wo sein Vater einer der Großen unter den Kaufleuten ist und alle andern Kaufleute und Großen an Ansehen übertrifft. Er ist erst seit kurzem in dieser Stadt und wohnt bei einem der Freunde seines Vaters; doch hat er für dich weder mehr noch weniger geboten.« Als das Mädchen die Worte des Mäklers vernahm, zog sie von ihrem Finger einen Siegelring mit einem kostbaren Hyazinthen ab und sagte zum Mäkler: »Führ' mich zu jenem hübschen Jüngling, und so er mich kauft, sollst du für die Mühe, die du am heutigen Tage mit uns hattest, diesen Siegelring bekommen.« Da ging der Mäkler erfreut mit ihr zu Nûr ed-Dîn, und, als sie vor ihm 30 stand, betrachtete sie ihn und sah, daß er dem Vollmond glich, da er von gefälliger Anmut und schönem Wuchs und Ebenmaß war. Indem sie ihn nun so betrachtete, sagte sie zu ihm: »Um Gott, mein Herr, bin ich nicht hübsch?« Nûr ed-Dîn erwiderte: »O Herrin der Schönen, giebt's wohl in der Welt ein schöneres Mädchen als dich?« Da sagte sie: »Wie kommt's denn, daß du alle die Kaufleute sich um mich überbieten sahst, und daß du schwiegst und weder ein Wort sprachst noch einen einzigen Dinar mehr für mich botest? Es scheint, als ob ich dir nicht gefalle, mein Herr?« Nûr ed-Dîn versetzte: »O meine Herrin, wäre ich daheim, so hätte ich dich mit allem Geld, das meine Hand besitzt, erkauft.« Da sagte sie: »O mein Herr, ich sage nicht zu dir: Kauf' mich wider deinen Willen; würdest du jedoch ein wenig mehr für mich bieten, so würde es mein Herz aufrichten, auch wenn du mich nicht kauftest; nur damit die Kaufleute sagen: Wäre dieses Mädchen nicht hübsch, so hätte jener kairensische Kaufmann nicht ein höheres Gebot gemacht, da sich die Leute von Kairo auf Mädchen auskennen.« Beschämt über des Mädchens Worte und errötend im Gesicht, fragte nun Nûr ed-Dîn den Mäkler: »Wieviel ist für dieses Mädchen geboten?« Der Mäkler erwiderte: »Neunhundertundfünfzig Dinare ohne die Maklergebühren, und was die Abgabe für den Sultan anlangt, so fallen sie ebenfalls dem Käufer zur Last.« Da sagte Nûr ed-Dîn zum Mäkler: »Laß sie mir für tausend Dinare, Maklergebühren und Preis.« Und im selben Augenblick lief das Mädchen dem Mäkler fort und rief: »Ich verkaufe mich diesem hübschen Jüngling für tausend Dinare.« Nûr ed-Dîn schwieg hierzu; einer aber sagte: »Wir verkaufen sie ihm,« während ein anderer meinte: »Er verdient sie,« und ein Dritter rief: »Verflucht und Sohn eines Verfluchten ist, wer überbietet und nicht kauft!« Wiederum ein anderer sagte: »Bei Gott, sie passen beide für einander!« Und ehe sich's noch Nûr ed-Dîn versah, hatte der Mäkler auch schon die Kadis und die Zeugen herbeigeholt, die Kauf und Verkauf 31 kontraktlich perfekt machten, worauf der Mäkler den Schein Nûr ed-Dîn überreichte, indem er zu ihm sagte: »Nimm dein Mädchen in Empfang, und Gott gesegne sie dir, denn sie paßt nur für dich, und du passest nur für sie.« Da schämte sich Nûr ed-Dîn vor den Kaufleuten und, sich auf der Stelle erhebend, wägte er die tausend Dinare, die er dem Drogisten, dem Freund seines Vaters, zur Aufbewahrung gegeben hatte, dar, worauf er das Mädchen in Empfang nahm und mit ihr nach dem Hause ging, das ihm der alte Drogist zur Wohnung angewiesen hatte. Als nun aber das Mädchen das Haus betrat und nichts darin sah als einen zerlumpten Teppich und ein altes Leder, sagte sie zu Nûr ed-Dîn: »Mein Herr, hab' ich denn gar keinen Wert bei dir, und verdiene ich's nicht, daß du mich in dein eigenes Haus bringst, wo du deine Sachen hast? Weshalb bringst du mich denn nicht in deines Vaters Haus?« Nûr ed-Dîn antwortete ihr: »Bei Gott, o Herrin der Schönen, dies ist das Haus, das ich bewohne; es gehört jedoch einem alten Drogisten von den Bewohnern dieser Stadt, der es mir zum Wohnen überlassen hat. Ich sagte dir doch schon, daß ich hier fremd und ein Kairenser Kind bin.« Da entgegnete das Mädchen: »Mein Herr, das kleinste Haus genügt bis zur Rückkehr in deine Heimat; jedoch, um Gott, mein Herr, steh' auf und hol' uns etwas gebratenes Fleisch und Wein und Obst und getrocknete Früchte.« Nûr ed-Dîn versetzte: »Bei Gott, o Herrin der Schönen, ich hatte nicht mehr Geld bei mir als die tausend Dinare, die ich als Kaufpreis für dich darwägte; außer jenen Dinaren besaß ich nichts als einige Dirhem, die ich gestern ausgab.« Nun fragte sie ihn: »Hast du in dieser Stadt keinen Freund, von dem du fünfzig Dirhem leihen und herbringen könntest, damit ich dir sage, was du damit thun sollst?« Nûr ed-Dîn antwortete: »Ich hab' hier keinen andern Freund als den Drogisten;« und sofort machte er sich zu ihm auf und sprach zu ihm: »Der Frieden sei auf dir, mein Oheim!« Der Drogist erwiderte ihm den Salâm und 32 fragte ihn: »Mein Sohn, was hast du heute für die tausend Dinare gekauft?« Nûr ed-Dîn entgegnete: »Ich kaufte mir ein Mädchen dafür.« Da sagte der Drogist: »Mein Sohn, bist du verrückt, daß du für ein einziges Mädchen tausend Dinare ausgiebst? Wenn ich nur wüßte, was das für eine Sorte von Mädchen ist!« Nûr ed-Dîn erwiderte: »Mein Oheim, es ist ein Mädchen von den Kindern der Franken.«

Achthundertundvierundsiebzigste Nacht.

Da sagte der Scheich zu ihm: »Wisse, mein Sohn, die feinsten fränkischen Mädchen kosten bei uns hier hundert Dinare; bei Gott, mein Sohn, man hat dich mit diesem Mädchen angeschwindelt; gefällt sie dir, nun so stille dein Begehr an ihr die Nacht über und geh morgen wieder mit ihr auf den Bazar und verkauf' sie, auch wenn du hundert Dinare an ihr verlieren solltest; denk', du seiest ins Meer gefallen oder unterwegs Räubern in die Hände geraten.« Nûr ed-Dîn entgegnete: »Du hast recht, jedoch weißt du, mein Oheim, daß ich nicht mehr als die tausend Dinare, die ich für das Mädchen ausgab, bei mir hatte; ich habe keinen einzigen Dirhem mehr bei mir und möchte deshalb deine Güte und Freundlichkeit in Anspruch nehmen und mir von dir fünfzig Dirhem bis morgen leihen; ich will das Mädchen dann wieder verkaufen und dir das Geld von ihrem Erlös zurückzahlen.« Der Scheich versetzte: »Du sollst das Geld haben, mein Sohn, auf Kopf und Auge!« Alsdann wägte er ihm fünfzig Dirhem dar, indem er zu ihm sprach: »Mein Sohn, du bist noch ein junger Gesell, und das Mädchen ist hübsch; dein Herz kann sich leichtlich an sie hängen, daß es dir schwer fällt sie zu verkaufen, ohne daß du etwas Geld hast, um deine Bedürfnisse zu bestreiten; bist du dann mit diesen fünfzig Dirhem fertig geworden, so wirst du wieder zu mir kommen, und ich werde dir einmal und noch einmal und zum drittenmal und so weiter bis zum zehntenmal Geld 33 leihen. Kommst du dann aber wieder zu mir, so werde ich dir den von Gott gebotenen Salâm nicht mehr erwidern, und die Freundschaft mit deinem Vater ist aus.« Hierauf überreichte der Scheich ihm die fünfzig Dirhem, und Nûr ed-Dîn nahm sie und brachte sie dem Mädchen, worauf sie zu ihm sagte: »Mein Herr, geh sogleich auf den Bazar und hole uns für zwanzig Dirhem bunte Seide in fünf verschiedenen Farben und für die andern dreißig Dirhem Fleisch, Brot, Obst, Wein und Blumen.« Da begab sich Nûr ed-Dîn auf den Bazar und kaufte alles, was das Mädchen wünschte, worauf er es ihr brachte. Sie erhob sich nun unverzüglich und, die Ärmel über ihre Hände zurückschlagend, kochte sie das Fleisch in der besten Weise und setzte es ihm vor, worauf sie zusammen aßen, bis sie satt waren. Alsdann setzte sie den Wein vor, und beide tranken, und sie schenkte ihm unablässig ein und plauderte mit ihm bis er trunken ward und einschlief. Dann erhob sie sich unverzüglich und holte aus ihrem Bündel einen Säckel aus Tâfīleder hervor, öffnete es und holte zwei Nadeln aus ihm heraus, worauf sie sich setzte und so lange arbeitete, bis sie ihr Werk beendet hatte, und siehe, da war es ein hübscher Gürtel. Nachdem sie ihn gereinigt und geplättet hatte, wickelte sie ihn in eine Hülle und legte ihn unters Kissen. Alsdann entkleidete sie sich und, sich neben Nûr ed-Dîn zur Ruhe legend, knetete sie ihn, bis er erwachte und nun ein Mädchen gleich einem Barren lautern Silbers an seiner Seite fand, weicher als Seide und zarter als der Schwanz eines Fettschafs; sichtbarer als ein Banner und schöner als ein rotes Kamel; fünf Fuß an Wuchs und mit prallen Brüsten, mit Brauen geschweift wie des Pfeiles Bogen und Augen gleich Gazellenaugen; mit Wangen rot wie Noomânsanemonen, mit schlanker Taille voll Fettfältchen, mit einem Nabel, der eine Unze vom Öl des Bân enthielt, und mit Schenkeln gleich Kissen, gestopft mit Straußenfedern. Kurz, es war, als ob der Dichter sie in folgenden Versen gemeint hätte: 34

»Aus ihrem Haar ist die Nacht, aus ihrem Scheitel die Morgenröte,
Aus ihren Wangen die Rose, aus dem Seim ihres Mundes der Wein;
Ihre Erhörung ist das Paradies, ihre Abkehr die Hölle,
Aus ihren Zähnen sind die Perlen und aus ihrem Angesicht der Vollmond.«

Und wie schön sagt ein andrer Dichter:

»Sie erscheint wie der Mond und wiegt sich beim Gehen wie das Reis des Bân,
Ambra atmet sie aus und schaut wie eine Gazelle drein.
Mir ist, als ob sich der Kummer in mein Herz verliebt hätte,
Und zur Stunde ihrer Abkehr sich mit ihm vereinte.
Ihr Angesicht übertrifft den Glanz der Plejaden
Und das Licht ihrer Schläfen den Halbmond.«

Als nun Nûr ed-Dîn das Mädchen neben sich sah, kehrte er sich sofort ihr zu und preßte sie an seine Brust; und dann ward zwischen ihnen eine Liebe geknüpft unlöslich und ohne Trennung.

Achthundertundfünfundsiebzigste Nacht.

So ruhte Nûr ed-Dîn mit seinem Mädchen bis zum Morgen in Wonnen und Freuden, gekleidet in die enggeknöpften Gewänder der Umarmung, sicher vor den Unheilsschlägen der Nacht und des Tages, und ohne Furcht vor Geschwätz und Geträtsch, wie der herrliche Dichter es in den Versen ausdrückt:

»Laß nur die Neider reden und geh' zum Liebchen fein,
Wie könnt' auch wohl ein Neider der Liebe Helfer sein!
Ich schaute dich im Traume an meiner Seite ruhn
Und sog von deinen Lippen vielsüßen kühlen Wein;
Und, was im Traum ich schaute, ist wahr und ohne Trug,
Und trotzend jedem Neider geh' ich zum Stelldichein.
Was schuf der Allerbarmer wohl schön'res als ein Paar
Auf einem Pfühl, umschlungen in seligem Verein,
Wenn Hand und Arm ihr Kissen, auf dem sie feiernd ruhn,
Und ihrer Leiber Hülle der Wonnen lichter Schein?
Wenn sich zwei Herzen fanden, dann frommt kein Reden mehr,
Dann hämmert kaltes Eisen die Welt mit ihrem Schrein.
Der du das Volk der Liebe ob seiner Liebe schiltst,
Kannst du auch Herzen heilen von ihrer Liebespein? 35
Schlägt dir in deinen Tagen ein einzig Herz nur treu,
So ist dein Wunsch gewonnen, so leb' mit ihm allein.«Diese häufiger vorkommenden Verse sind hier nach dem arabischen Text der 312. Nacht wiedergegeben.

Als der Morgen anbrach und es licht ward und tagte, erwachte Nûr ed-Dîn aus dem Schlaf und sah, daß sie Wasser geholt hatte. Infolgedessen vollzogen beide die Ganzwaschung, und Nûr ed-Dîn verrichtete nach derselben das ihm obliegende Gebet zu seinem Herrn, worauf sie ihm ein wenig zu essen und trinken brachte. Nachdem er beides gethan hatte, steckte sie ihre Hand unter das Kissen und holte den Gürtel, den sie in der Nacht gearbeitet hatte, hervor; indem sie ihm denselben überreichte, sagte sie zu ihm: »Mein Herr, nimm diesen Gürtel.« Da fragte er: »Woher hast du ihn?« Sie versetzte: »Mein Herr, ich hab' ihn aus der Seide gearbeitet, die du gestern für die zwanzig Dirhem kauftest. Steh' auf, geh zum persischen Bazar und gieb ihn dem Mäkler, daß er ihn ausbietet; verkauf ihn aber nicht billiger als für zwanzig Dinare gut und ganz.« Da sagte Nûr ed-Dîn zu ihr: »O Herrin der Schönen, kann denn etwas, das zwanzig Dirhem gekostet hat und in einer Nacht gearbeitet ist, für zwanzig Dinare verkauft werden?« Das Mädchen erwiderte: »Mein Herr, du kennst nicht seinen Wert; geh' nur jetzt auf den Bazar und gieb den Gürtel dem Mäkler; wenn der Mäkler ihn ausbietet, wird dir sein Wert schon klar werden.« Da nahm Nûr ed-Dîn den Gürtel dem Mädchen ab und brachte ihn zum Bazar der Perser, wo er ihn dem Mäkler übergab und ihm befahl ihn auszubieten. Alsdann setzte er sich auf die Steinbank eines Ladens, während der Mäkler mit dem Gürtel fortging. Nach einer Weile kehrte er dann wieder zu ihm zurück und sagte zu ihm: »Steh auf, mein Herr, und nimm das Geld für deinen Gürtel in Empfang, der deiner Hand zwanzig Dinare gut und ganz eingebracht hat.« Als Nûr ed-Dîn des Mäklers Worte vernahm, verwunderte er 36 sich höchlichst und schüttelte sich vor Freude; und zwischen Glauben und Zweifel erhob er sich, um die zwanzig Dinare in Empfang zu nehmen. Als er dann das Geld eingestrichen hatte, ging er unverzüglich fort und kaufte für die ganze Summe Seide von allerlei Farbe, damit das Mädchen alles zu Gürteln verarbeitete; hierauf kehrte er heim und übergab ihr die Seide, indem er zu ihr sagte: »Verarbeite alles zu Gürteln und lehre mich's ebenfalls, daß ich mit dir arbeiten kann, denn in meinem ganzen Leben sah ich keine feinere und gewinnreichere Kunst. Bei Gott, sie ist um tausendmal schöner als der Handel!« Da lachte das Mädchen über seine Worte und sagte zu ihm: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, geh zu deinem Freund dem Drogisten und borg' dir dreißig Dirhem von ihm; morgen kannst du ihm dann das Geld von dem Erlös für den Gürtel zugleich mit den fünfzig Dirhem, die du zuvor von ihm borgtest, abgeben.« Und so machte sich Nûr ed-Dîn zu seinem Freund dem Drogisten auf den Weg und sprach zu ihm: »Oheim, leihe mir dreißig Dirhem, und morgen, so Gott will, der Erhabene, bringe ich dir die achtzig Dirhem auf einmal wieder.« Da wägte ihm der alte Drogist dreißig Dirhem ab, worauf Nûr ed-Dîn auf den Bazar ging und dafür Fleisch, Brot, trockne Früchte, Obst und Blumen kaufte, wie er es tags zuvor gethan hatte. Dann brachte er alles dem Mädchen, das Marjam die Gürtelmaid hieß. Als sie das Fleisch von ihm erhalten hatte, erhob sie sich unverzüglich und machte ein köstliches Mahl zurecht, das sie ihrem Herrn Nûr ed-Dîn vorsetzte; dann holte sie den Weintisch und beide tranken, indem sie einander einschenkten und kredenzten. Als aber der Wein mit ihrem Verstand zu spielen begann, sprach sie, entzückt von seinem artigen Benehmen und seinem feinen Wesen, die beiden Verse:

»Zum Schlanken sprach ich, den der Wein gerötet hatte,
Duftend von dem Moschusgeruch seines Atems:
Ist er aus deinen Wangen gepreßt? Er sprach: Nein!
Seit wann preßt man aus Rosen Wein?« 37

Und so ließen beide nicht ab miteinander zu zechen, und sie reichte ihm in einem fort Becher und Schale und forderte ihn auf ihr einzuschenken und zu kredenzen, was des Menschen Herz erfreut; und so oft er seine Hand nach ihr ausstreckte, zog sie sich spröde zurück, durch den Wein noch schöner und anmutiger als zuvor. In dieser Weise trieben sie es, bis Nûr ed-Dîn vom Wein übermannt ward und einschlief, worauf sie sich unverzüglich erhob und wie zuvor an einem Gürtel arbeitete. Als sie ihn vollendet hatte, machte sie ihn zurecht und wickelte ihn in einen Bogen Papier ein; dann zog sie ihre Kleider aus und ruhte an seiner Seite bis zum Morgen.

Achthundertundsechsundsiebzigste Nacht.

Am nächsten Morgen überreichte sie Nûr ed-Dîn wieder den Gürtel und sagte zu ihm: »Geh auf den Bazar und verkauf' ihn für zwanzig Dinare wie gestern den ersten Gürtel.« Da begab er sich mit ihm auf den Bazar und verkaufte ihn für zwanzig Dinare, worauf er zu dem Drogisten ging und ihm, sich für seine Güte bedankend und ihm Segen wünschend, die achtzig Dirhem abgab. Der Drogist fragte ihn: »Mein Sohn, hast du das Mädchen verkauft?« Nûr ed-Dîn versetzte: »Wie sollte ich die Seele aus meinem Leibe verkaufen?« Hierauf erzählte er ihm die Geschichte von Anfang bis zu Ende und teilte ihm alles Vorgefallene mit, worauf der alte Drogist in höchster Freude zu ihm sagte: »Bei Gott, mein Sohn, du hast mir Freude bereitet, und, so Gott will, ergeht es dir immer gut; ich wünsche dir wegen meiner Zuneigung zu deinem Vater und der alten Freundschaft mit ihm Glück.« Hierauf verließ er den alten Drogisten und ging auf den Bazar, wo er Fleisch, Obst, Wein und alles Erforderliche wie üblich einkaufte, das er dann dem Mädchen brachte.

In dieser Weise verbrachte Nûr ed-Dîn mit seinem Mädchen ein ganzes Jahr bei Speise und Trank und Scherz und 38 Lust und in Liebe und trautem Verein, während sie in jeder Nacht einen Gürtel arbeitete, den er am nächsten Morgen für zwanzig Dinare verkaufte, von denen er einen Teil zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse verwendete, ihr den Rest zur Aufbewahrung für die Zeit der Not übergebend, als sie nach Verlauf des Jahres zu ihm sagte: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, wenn du morgen den Gürtel verkauft hast, so bringe mir für seinen Erlös Seide in sechs verschiedenen Farben, da ich dir ein Tuch um deine Schultern zu tragen davon arbeiten will, wie sich eines gleichen kein Kaufmanns- oder Königssohn erfreute.« Infolgedessen begab sich Nûr ed-Dîn auf den Bazar und kaufte von dem Erlös des Gürtels bunte Seide nach dem Geheiß des Mädchens, worauf sich Marjam die Gürtelmaid hinsetzte und eine ganze Woche an dem Tuch arbeitete, indem sie des Nachts erst einen Gürtel arbeitete und sich dann ans Tuch machte, bis sie ihre Arbeit vollendet hatte. Dann überreichte sie Nûr ed-Dîn das Tuch, und er schlug es um seine Schultern und ging in ihm auf dem Bazar spazieren, daß sich alles Volk, die Kaufleute und Großen der Stadt um ihn drängten, seine Schönheit und das kunstvoll gearbeitete Tuch bewundernd. Da traf es sich eines Nachts, daß Nûr ed-Dîn aus dem Schlaf erwachte und sein Mädchen bitterlich weinen sah und die Verse sprechen hörte:

»Genaht ist die Trennung vom Geliebten und nahe herbei gekommen,
Ach wehe über die Trennung, weh ihr!
Zersprungen ist mein Herz, und weh meinem Leid
Über die Nächte, die uns so wonnig verstrichen.
Nun muß der Neider mit bösem Aug' aufschauen
Und wird seine Wünsche erreichen.
Ach nichts trifft uns schwerer als der Neid
Und die Augen der Verleumder und Späher.«

Da fragte sie Nûr ed-Dîn: »Meine Herrin Marjam, warum weinst du?« Sie versetzte: »Ich weine über das Leid der Trennung, denn mein Herz ahnt es.« Nûr ed-Dîn entgegnete: »O Herrin der Schönen, wer sollte uns beide wohl trennen, wo ich dich von aller Welt am innigsten und 39 zärtlichsten liebe?« Sie erwiderte: »Ich liebe dich doppelt so innig als du mich, jedoch stürzt Vertrauensseligkeit die Menschen in Leid, und wie schön sagt der Dichter:

»Als die Tage gut waren, dachtest du gut von den Tagen
Und bangtest nicht vor dem Unheil des Schicksals.
Der stille Frieden der Nächte hat dich betrogen,
Wie in heller Nacht oft plötzliches Dunkel entsteht.
Die Sterne am Himmel, unzählig ist ihre Schar,
Doch nur Sonne und Mond verfinstern sich.
Und wie viel grünes Holz giebt's auf Erden und dürres,
Doch wird mit Steinen nur beworfen, was Früchte trägt!
Siehst du nicht auf dem Spiegel des Meeres Aas schwimmen,
Während tief im Grund die Perlen ruhen.«

Dann setzte sie noch hinzu: »O mein Herr Nûr ed-Dîn, wenn du nicht von mir getrennt sein willst, so hüte dich vor einem Franken mit staubfarbenem Gesicht und fleischigem Kinn, der auf dem rechten Auge blind und auf dem linken Fuß lahm ist; dieser wird die Ursache unserer Trennung sein. Ich sah ihn in unsere Stadt kommen, und ich glaube er ist nur um meinetwillen gekommen.« Nûr ed-Dîn versetzte: »O Herrin der Schönen, sobald mein Blick auf ihn fällt, schlag' ich ihn tot und mache ihn zum Exempel.« Marjam entgegnete: »Mein Herr, schlag' ihn nicht tot, sprich nicht mit ihm und mach' keine Geschäfte mit ihm bei Kauf oder Verkauf, sitz' und geh' nicht mit ihm und rede kein einziges Wort mit ihm, und ich bitte Gott, daß er uns wider seine Tücke und List beisteht.«

Als nun der Morgen anbrach, ging Nûr ed-Dîn mit dem Gürtel wieder auf den Bazar und setzte sich auf die Steinbank vor einen Laden, um mit den jungen Kaufleuten zu plaudern, bis er schläfrig wurde und auf der Ladenbank einschlummerte. Während er aber auf der Bank schlief, kam jener Franke gerade in Begleitung von sieben andern Franken vorüber und gewahrte Nûr ed-Dîn, wie er auf der Ladenbank schlafend dalag, sein Gesicht mit seinem Tuch verhüllend und den Zipfel desselben in der Hand haltend. Infolgedessen 40 setzte sich der Franke an seine Seite und, den Zipfel des Tuches in die Hand nehmend, kehrte er ihn eine Weile um und um, bis Nûr ed-Dîn es merkte und aus dem Schlaf erwachte, um nun eben denselben Franken, den ihm das Mädchen beschrieben hatte, neben sich sitzen zu sehen. Da schrie er ihn so laut an, daß der Franke erschrocken zu ihm sagte: »Weshalb schreist du uns so an? Haben wir dir denn etwas gestohlen?« Nûr ed-Dîn entgegnete: »Bei Gott, Verruchter, wenn du mir etwas gestohlen hättest, so wäre ich mit dir vor den Wâlī gegangen.« Nun versetzte der Franke: »Moslem, bei deinem Glauben und dem, was dir heilig ist, sag' mir, woher du dieses Tuch hast.« Nûr ed-Dîn antwortete: »Es ist das Werk meiner Mutter, –

Achthundertundsiebenundsiebzigste Nacht.

die es für mich mit ihrer eigenen Hand anfertigte.« Da fragte ihn der Franke: »Möchtest du es mir wohl verkaufen und das Geld dafür von mir in Empfang nehmen?« Nûr ed-Dîn versetzte: »Bei Gott, Verruchter, ich verkaufe es weder dir noch einem andern, denn sie machte nur dieses und allein für mich.« Der Franke entgegnete: »Verkaufe es mir, ich gebe dir sofort fünfhundert Dinare dafür, und die, welche es dir gemacht hat, kann dir ein anderes noch schöneres machen.« Nûr ed-Dîn erwiderte: »Ich verkaufe es niemals, da es in der ganzen Stadt hier nicht seinesgleichen giebt.« Nun sagte der Franke: »Mein Herr, möchtest du es nicht für sechshundert Dinare aus feinem Gold verkaufen?« Und so bot er ihm eine hundert Dinare um die andern mehr, bis er bei neunhundert Dinaren angelangt war. Nûr ed-Dîn sagte jedoch: »Gott wird mir in anderer Weise helfen; ich verkaufe es nicht, sei es selbst für zweitausend Dinare oder noch mehr.« Der Franke fuhr jedoch fort ihn lüstern zu machen, bis er ihm für das Tuch tausend Dinare geboten hatte, worauf eine Anzahl der dabeistehenden Kaufleute sagte: »Wir verkaufen es dir, gieb das Geld her.« Nûr ed-Dîn 41 rief zwar: »Ich verkaufe das Tuch nicht, bei Gott!« Aber nun sagte einer der Kaufleute zu ihm: »Wisse, mein Sohn, das Tuch ist, hochgerechnet, und wenn sich einer darauf verpicht, hundert Dinare wert, und, so dir dieser Franke dafür tausend Dinare zahlt, so beträgt dein Gewinn neunhundert Dinare; welchen höhern Gewinn kannst du noch verlangen? Ich rate dir daher das Tuch zu verkaufen, die tausend Dinare einzustecken und dir von der, die es dir gearbeitet hat, ein anderes noch schöneres machen zu lassen; so gewinnst du tausend Dinare von diesem verruchten Franken und Glaubensfeind.« Da schämte sich Nûr ed-Dîn vor den Kaufleuten und verkaufte dem Franken das Tuch für tausend Dinare, der ihm das Geld in Gegenwart der Kaufleute einhändigte. Als nun Nûr ed-Dîn fortgehen und zu seinem Mädchen heimkehren wollte, um ihr von dem guten Geschäft, das er mit dem Franken gemacht hatte, zu erzählen, sagte der Franke: »Ihr Kaufleute allzumal, haltet Nûr ed-Dîn fest, denn ihr und er seid heute Nacht meine Gäste; ich habe ein Fäßchen alten griechischen Wein daheim, ein fettes Lamm, Obst, getrocknete Früchte und Blumen; erfreuet mich alle heute Nacht mit eurer Gesellschaft, und keiner von euch bleibe zurück.« Da sagten die Kaufleute: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, wir wünschen dich an einer solchen Nacht wie diese bei uns zu haben, damit wir miteinander plaudern können; sei deshalb so gütig und freundlich uns als Gast bei diesem Franken Gesellschaft zu leisten, der ein freigebiger Mann ist.« Hierauf beschworen sie ihn bei der Ehescheidung und hinderten ihn mit Gewalt am Nachhausegehen; und, sich zur selbigen Zeit und Stunde erhebend, verschlossen sie ihre Läden und folgten mit Nûr ed-Dîn dem Franken zu einem hübschen und geräumigen Saal mit zwei Liwânen, in dem er sie einlud sich zu setzen. Dann setzte er ihnen einen Tisch von merkwürdiger Arbeit und wunderbarer Kunstfertigkeit vor, auf dem das Bild des Brechenden und Zerbrochenen, des Liebhabers und der Geliebten und des Fragers und Gefragten 42 zu sehen war; auf diesen Tisch setzte er kostbare Vasen aus Porzellan und Krystall, die alle mit Obst, trockenen Früchten und Blumen gefüllt waren, und brachte ihnen ein Fäßchen alten griechischen Wein, worauf er ein fettes Lamm schlachten ließ. Alsdann zündete er ein Feuer an und briet etwas von dem Fleisch des Lamms, das er den Kaufleuten zum Essen vorsetzte, indem er ihnen zugleich von dem Wein zu trinken gab und sie durch Winke aufforderte Nûr ed-Dîn zum Trinken zu animieren. Und so schenkten sie ihm in einem fort ein, bis er trunken ward und die Besinnung verlor. Als der Franke ihn über und über berauscht sah, sagte er: »Du hast uns heute Nacht erfreut, mein Herr Nûr ed-Dîn; sei willkommen, und noch einmal willkommen!« Alsdann plauderte er eine Weile mit ihm, worauf er sich ihm näherte und, sich an seine Seite setzend, eine Weile lang verstohlen mit ihm plauderte, bis er plötzlich zu ihm sagte: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, möchtest du mir wohl dein Mädchen, das du in Gegenwart dieser Kaufleute für tausend Dinare vor Jahresfrist erstandest, verkaufen, wenn ich dir jetzt fünftausend Dinare für sie biete, also um viertausend mehr?« Nûr ed-Dîn lehnte es ab, der Franke ließ jedoch nicht nach ihm Speise und Trank vorzusetzen und ihn mit Geldgeboten lüstern zu machen, bis er für das Mädchen zehntausend Dinare geboten hatte. Da rief Nûr ed-Dîn in seinem Rausch vor den Kaufleuten: »Ich verkaufe sie dir; her mit den zehntausend Dinaren!« Der Franke nahm nun in mächtiger Freude über seine Worte die Kaufleute zu Zeugen wider ihn, worauf sie die Nacht schmausend, zechend und in heller Lust bis zum Morgen verbrachten. Alsdann rief der Franke seinen Pagen zu: »Bringt mir das Geld!« worauf sie ihm das Geld brachten und er Nûr ed-Dîn die zehntausend Dinare bar auszahlte, indem er zu ihm sprach: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, nimm dies Geld, den Kaufpreis für das Mädchen, das du mir in der Nacht in Gegenwart dieser moslemischen Kaufleute verkauftest.« Nûr ed-Dîn versetzte: »Verruchter, 43 ich verkaufte dir nichts; du belügst mich, denn ich habe keine Sklavinnen.« Der Franke versetzte jedoch: »Du hast mir in der That deine Sklavin verkauft, und diese Kaufleute hier werden es wider dich bezeugen;« worauf die Kaufleute insgesamt sprachen: »So ist's, Nûr ed-Dîn, du verkauftest dein Mädchen vor uns, und wir sind Zeugen wider dich, daß du es ihm für zehntausend Dinare verkauft hast. Steh auf, nimm das Geld und gieb ihm das Mädchen, und Gott wird dir ein besseres an ihrer Stelle geben. Ärgert es dich etwa, Nûr ed-Dîn, an einem Mädchen, das du für tausend Dinare kauftest und an deren Schönheit und Anmut du dich ein und ein halbes Jahr lang erfreutest, und deren Gesellschaft und Liebe du Tag für Tag und Nacht für Nacht genossest, neuntausend Dinare über ihren ursprünglichen Preis zu verdienen? Und überdies machte sie dir alle Tage einen Gürtel, den du für zwanzig Dinare verkauftest. Bei alledem aber magst du sie nicht verkaufen und hältst den Profit für gering, welcher Profit kann denn größer sein als dieser, und welcher Gewinn größer als solch ein Gewinn? Wenn du sie lieb hast, nun, so hast du dich während dieser langen Zeit an ihr sättigen können; nimm das Geld und kauf' dir eine andere schönere dafür, oder wir wollen dich mit einer unserer Töchter verheiraten, für einen Brautpreis, der geringer ist als die Hälfte dieser Summe, wo das Mädchen noch hübscher sein soll als sie, und der Rest des Geldes soll als Kapital in deiner Hand verbleiben.« So ließen die Kaufleute nicht nach in Nûr ed-Dîn mit guten Worten und Scheingründen zu dringen, bis er die zehntausend Dinare als Kaufpreis für das Mädchen einsteckte, worauf der Franke unverzüglich die Kadis und die Zeugen holte, die ihm den Kauf der Sklavin, Namens Marjam die Gürtelmaid, von Nûr ed-Dîn bescheinigten.

Soviel von Nûr ed-Dîn; inzwischen hatte Marjam die Gürtelmaid dagesessen und den ganzen Tag über bis zum Abend und vom Abend bis zur Mitternacht auf ihren Herrn gewartet, ohne daß er zu ihr zurückgekehrt wäre, worauf sie 44 in ihrer Kümmernis bitterlich zu weinen anhob. Der alte Drogist, der sie weinen hörte, schickte seine Frau zu ihr, die sie, als sie sie weinen sah, fragte: »Meine Herrin, warum weinst du?« Marjam antwortete ihr: »Meine Mutter, siehe ich sitze da und warte auf die Heimkehr meines Herrn Nûr ed-Dîn, doch ist er bis zu dieser Zeit noch nicht gekommen, und ich fürchte, daß ihm irgend jemand um meinetwillen eine Falle gestellt hat, mich zu verkaufen, und daß er in die Falle geraten ist und mich verkauft hat.«

Achthundertundachtundsiebzigste Nacht.

Die Frau des Drogisten erwiderte ihr: »Meine Herrin Marjam, wenn sie auch deinem Herrn diesen Saal voll Gold für dich geben wollten, er würde dich nicht verkaufen nach allem, was ich von seiner Liebe zu dir weiß. Vielleicht, meine Herrin Marjam, ist aber eine Gesellschaft aus der Stadt Kairo von seinen Eltern hier eingetroffen, der er ein Gastmahl in dem Quartier, in dem sie eingekehrt sind, angerichtet hat, indem er sich schämte, sie hierher zu bringen, da der Ort nicht geräumig genug für sie ist, oder auch, daß ihr Stand zu gering ist, um sie ins Haus zu nehmen; vielleicht wollte er auch, daß sie nichts von dir erführen, und verbrachte deshalb die Nacht bei ihnen. So Gott will, der Erhabene, wird er morgen wohl und gesund bei dir eintreffen; sorge und gräme dich deshalb nicht, meine Herrin, denn sicherlich ist dies der Grund, weshalb er heute Nacht ausgeblieben ist. Ich werde die Nacht über bei dir bleiben und dich trösten, bis dein Herr wieder bei dir eintrifft.« So suchte die Frau des Drogisten Marjam Trost zuzusprechen und ihre Sorgen zu verscheuchen, bis die Nacht völlig verstrichen war, als Marjam am Morgen mit einem Mal ihren Herrn Nûr ed-Dîn in die Gasse eintreten sah, gefolgt vom Franken und rings umgeben von einer Anzahl von Kaufleuten. Als Marjam sie gewahrte, erbebten ihre Schultermuskeln; ihre Farbe ward gelb, und sie schwankte wie ein 45 Fahrzeug im Sturm auf hoher See. Wie nun die Frau des Drogisten dies sah, fragte sie sie: »Meine Herrin Marjam, wie kommt's, daß ich dich so verändert sehe, daß dein Gesicht gelb ward und deine Züge so sehr erschlaffen?« Das Mädchen versetzte: »Meine Herrin, bei Gott, mein Herz ahnte die Trennung und das Ende des Beisammenseins!« Alsdann jammerte und seufzte sie und sprach die Verse:

»Denk' nimmer ans Scheiden, denn Scheiden schmeckt bitter;
Die Sonne wird gelb vor Kummer beim Scheiden,
Doch strahlt sie beim Aufgang vor Freuden weiß.«

Hierauf weinte sie aufs bitterlichste und sprach, der Trennung gewiß, zur Frau des Drogisten: »Meine Herrin, sagte ich dir's nicht, daß meinem Herrn Nûr ed-Dîn eine Falle gestellt ist mich zu verkaufen? Ich zweifle nicht, daß er mich heute Nacht jenem Franken verkauft hat, wiewohl ich ihn warnte, vor ihm auf der Hut zu sein; jedoch nützt Vorsicht nichts gegen das Schicksal, und die Wahrheit meiner Worte ist dir nun klar geworden.« Während sie noch mit der Frau des Drogisten sprach, trat ihr Herr Nûr ed-Dîn zu ihr ein, worauf das Mädchen ihn anschaute und gewahrte, daß er die Farbe gewechselt hatte, und daß seine Schultermuskeln zitterten, während auf seinem Gesicht die Spuren von Trauer und Reue zu schauen waren. Sie sagte deshalb zu ihm: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, es scheint, daß du mich verkauft hast?« Da weinte er bitterlich und sprach jammernd und stöhnend die Verse:

»Das ist das Schicksal, wider das keine Vorsicht frommt,
Und so ich sündigte, so sieht man das Schicksal nicht voraus.
Wenn Gott einem Manne ein Unheil verhängt hat,
Und dieser Verstand und Ohren und Augen besitzt,
So macht er seine Ohren taub und sein Herz blind
Und zieht ihm seinen Verstand wie ein Haar aus,
Bis er seinen Ratschluß zu Ende geführt hat;
Dann giebt er ihm den Verstand wieder, eine Lehre daraus zu ziehen.
So frag' nicht, wenn etwas geschah, wie es geschah,
Denn alle Dinge geschehen nach dem Schicksal und Verhängnis.« 46

Alsdann begann Nûr ed-Dîn sich beim Mädchen zu entschuldigen und sagte zu ihr: »Bei Gott, meine Herrin Marjam, der Kalam hat geschrieben, was Gott beschlossen hat. Die Leute stellten mir eine Falle dich zu verkaufen, und ich fiel in dieselbe und verkaufte dich. Ich habe mich wider dich aufs schlimmste vergangen, jedoch gewährt uns der, der unsre Trennung beschlossen hat, auch wieder unsere Vereinigung.« Marjam versetzte: »Ich warnte dich davor, denn das war's was ich fürchtete.« Alsdann preßte sie ihn an die Brust und sprach, ihn zwischen die Augen küssend, die Verse:

»Bei der Liebe zu euch, nie vergeß' ich eure Liebe,
Sollt' ich auch sterben an Liebe und Sehnsucht!
Ich stöhne und weine Tag und Nacht
Wie die Turteltaube im Baum auf sandigem Hügel.
Die Trennung von euch, ihr Lieben, verbittert mein Leben,
Und wenn ihr fern von mir weilt, finde ich keinen Platz zum Stelldichein.«

Während sie sich noch umarmten, trat mit einem Male der Franke bei ihnen ein und näherte sich Marjam, um ihre Hände zu küssen. Sie aber schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht und rief ihm zu: »Hinweg mit dir Verruchter! Du folgtest mir unablässig, bis du meinen Herrn überlistetest; jedoch, Verruchter, so Gott will, der Erhabene, wird alles gut werden.« Der Franke lachte über ihre Worte und, verwundert über ihre That, entschuldigte er sich bei ihr und sagte: »O meine Herrin Marjam, was ist denn meine Schuld? Siehe, dieser dein Herr Nûr ed-Dîn verkaufte dich aus freien Stücken und aus eignem Belieben. Beim Messias, wenn er dich liebte, hätte er sich nicht wider dich vergangen, und hätte er nicht sein Verlangen an dir gestillt, so hätte er dich nicht verkauft! Sagt doch auch der Dichter:

»Wen ich langweile, der weiche von mir aus freiem Entschluß,
Und wenn ich noch je seinen Namen nennete, wäre ich auf falschem Weg;
Nicht ist die weite, weite Welt mir so eng,
Daß ich den begehren sollte, der mich verschmäht.« 47

Nun aber war dieses Mädchen die Tochter des Königs der Franken, dessen Residenz eine große Stadt war, mit vielen Künsten, Merkwürdigkeiten und reicher Vegetation, ähnlich der Stadt Konstantinopel; und wie es kam, daß sie ihres Vaters Stadt verließ, ist eine merkwürdige Geschichte und wunderbare Sache, die wir ordnungsgemäß zum Vergnügen und zur Unterhaltung des Hörers auseinandersetzen wollen.

Achthundertundneunundsiebzigste Nacht.

Sie wurde bei Vater und Mutter in Ehren und Zärtlichkeit aufgezogen und lernte die Redekunst, die Schreib- und Rechenkunst und hochgemute Ritterschaft sowie alle Kunstfertigkeiten als Sticken, Nähen, Weben, Gürtelmachen, Posamentieren und Gold-auf-Silber- und Silber-auf-Gold-arbeiten, kurz alle Kunstfertigkeiten der Männer und Frauen, bis sie die Perle ihrer Zeit und das Juwel ihres Jahrhunderts geworden war. Außerdem hatte ihr Gott, der Mächtige und Herrliche, so reiche Schönheit und Anmut und Grazie und Vollkommenheit verliehen, daß sie alle Leute ihrer Zeit übertraf. Die Könige der Inseln bewarben sich um sie bei ihrem Vater, er aber wies alle ihre Bewerber ab, da er sie über die Maßen liebte und sich nicht auf eine einzige Stunde von ihr zu trennen vermochte. Auch hatte er außer ihr keine andere Tochter und, wiewohl er viele Söhne hatte, liebte er sie jedoch mehr als diese. Nun traf es sich eines Jahres, daß sie schwer erkrankte und dem Tode nahe kam, weshalb sie ein Gelübde ablegte, falls sie von ihrer Krankheit genesen würde, eine Pilgerfahrt nach einem gewissen Kloster auf einer gewissen Insel anzutreten, das die Franken hochverehrten, indem sie ihm Gelübde machten und sich von ihm Segen versprachen. Als nun Marjam von ihrer Krankheit wieder genesen war, wünschte sie ihr Gelübde, daß sie in Bezug aufs Kloster abgelegt hatte, zu erfüllen, behufs dessen sie ihr Vater der Frankenkönig in einem kleinen Schiff in Begleitung einiger der Töchter der Großen der Stadt unter dem Schutz einer 48 Anzahl Ritter nach dem Kloster schickte. Schon hatten sie sich dem Kloster genähert, als ein Schiff der Moslems, der Glaubensstreiter im Kampf für Gott, wider sie auszog und alles, was sich auf dem Schiff befand, Ritter, Mädchen, Geld und Kleinodien erbeuteten und ihren Fang in der Stadt KairawânCyrene. verkauften. Hierbei geriet Marjam in die Hand eines persischen Kaufmanns, der sie zu seiner Dienstmagd machte. Einige Zeit hernach ward der Perser bis auf den Tod krank, und seine Krankheit währte zwei Monate lang, während welcher Zeit ihn Marjam aufs sorglichste pflegte, bis ihn Gott wieder von seiner Krankheit genesen ließ. Da gedachte der Perser ihrer Fürsorge und Güte und der treuen Pflege, die sie ihm erwiesen hatte, und sagte zu ihr, um sie für all das Gute zu lohnen: »Wünsche dir etwas von mir, Marjam.« Da versetzte sie: »Mein Herr, ich wünsche mir, daß du mich nur dem verkaufst, der mir gefällt.« Der Perser erwiderte: »Schön, ich sage es dir zu; bei Gott, Marjam, ich will dich keinem andern verkaufen als dem, den du dir erwählst, und ich lege deinen Verkauf in deine Hand.« Und sie freute sich mächtig hierüber. Nun aber hatte der Perser ihr den Islam auseinandergesetzt, und sie war gläubig geworden und er hatte sie gelehrt Gott anzubeten, so daß sie während dieser Zeit nicht nur von ihm die Glaubenssatzungen und erforderlichen Gebräuche, sondern auch den Koran auswendig lernte sowie etwas von den theologischen Wissenschaften und den Traditionen vom Propheten. Als er dann nach Alexandria kam, verkaufte er sie an den, den sie sich erwählte, indem er ihren Verkauf in ihre Hand legte, ganz wie wir es bereits erzählten; und so war sie in Nûr ed-Dîns Besitz gekommen.

Als nun ihrem Vater dem Frankenkönig das Schicksal seiner Tochter und ihrer Begleitung zu Ohren kam, überfielen ihn die Schrecken des jüngsten Tages, und er schickte 49 ihr Schiffe nach, ausgerüstet mir Bitrîken, Rittern und streitbaren Mannen, die sie überall auf den Inseln der Moslems suchten. Da sie jedoch nirgends eine Spur von ihr fanden, kehrten sie wieder mit Ach- und Wehgeschrei und großem Hallo zu ihrem Vater zurück. Ihr Vater betrauerte sie aufs tiefste, doch schickte er ihr jenen Einäugigen und Lahmen, der sein Großwesir war, nach, einen trutzigen Tyrannen voll List und Trug, und befahl ihm in allen Landen der Moslems nach ihr zu suchen und sie, sei's selbst für eine Schiffsladung Gold, wieder zu kaufen. Da suchte dieser Verruchte sie auf allen Inseln und in allen Städten, ohne etwas von ihr zu hören, bis er auch nach Alexandria kam und sich nach ihr erkundigte, worauf er vernahm, daß sie bei Nûr ed-Dîn dem Kairenser wäre. Alsdann geschah das obenerwähnte, indem der Franke ihm eine Falle stellte und ihm das Mädchen abkaufte, nachdem ihm das Tuch zu ihr den Weg gewiesen hatte, da niemand als sie es so schön gearbeitet haben konnte. Als er sie nun bei sich hatte, weinte und jammerte sie, so daß er zu ihr sagte: »Meine Herrin Marjam, laß dies Trauern und Weinen und komm mit mir zur Stadt deines Vaters, zum Sitz deiner Herrschaft, der Stätte deiner Ehre und Heimat, daß du unter deinen Dienern und Pagen weilst und dieser Erniedrigung und Fremdlingschaft entrinnst. Ich habe um deinetwillen genug an Plackerei, Reisen und Kosten gehabt, denn an einundeinhalb Jahr mühevoller Fahrten hab' ich hinter mir, seitdem dein Vater mir befahl, dich zurückzukaufen, und koste es auch eine Schiffsladung Gold.« Hierauf begann der Wesir des Frankenkönigs ihr die Hände und Füße zu küssen und sich vor ihr zu demütigen, während sie nur um so zorniger auf ihn wurde und zu ihm sagte: »Verruchter, mag Gott, der Erhabene, dich deinen Wunsch nicht erreichen lassen!« Mit einem Male aber führten ihr die Pagen ein Maultier mit goldgesticktem Sattel vor und setzten sie auf dasselbe, worauf sie über ihrem Haupt einen seidenen Baldachin aus goldenen und silbernen Stäben ausspannten; 50 dann umgaben sie die Franken und zogen mit ihr durchs Seethor zur Stadt hinaus, worauf sie sie in einen kleinen Nachen setzten und sie zu einem großen Schiff ruderten. Nachdem sie sie hier an Bord gebracht hatten, erhob sich der einäugige Wesir und befahl den Matrosen: »Richtet den Mast auf!« Die Matrosen vollzogen seinen Befehl auf der Stelle und rollten Segel und Banner, Linnen und Baumwolle auf, worauf sie die Ruder in Bewegung setzten und abzogen. Während alledem aber schaute Marjam in der Richtung gen Alexandria aus, bis es ihren Blicken entschwand, worauf sie im stillen bitterlich zu weinen anhob –

Achthundertundachtzigste Nacht.

und jammernd und Thränen vergießend die Verse sprach:

»O Heim der Geliebten, schau ich noch einmal dich wieder?
Doch was kann ich wissen von Gottes Thun?
Schnell zogen die Schiffe der Trennung mit uns von dannen,
Und meine wunden Augen sind von den Thränen ausgelöscht.
Denn weinen muß ich um einen Freund, der mein höchster Wunsch war,
Der meine Krankheit heilte und alle Schmerzen tilgte.
O Gott, sei du für ihn mein Stellvertreter,
Solch ein Gut wird eines Tags bei dir nicht verloren sein.«

So weinte und klagte Marjam in einem fort, sobald sie Nûr ed-Dîns gedachte. Die Bitrîken kamen wohl zu ihr und suchten ihr Trost zuzusprechen, sie aber hörte nicht auf ihre Worte, sondern weinte und stöhnte und klagte, von Schmerz und Sehnsucht gefoltert und sprach die Verse:

»Der Liebe Sprache redet zu dir in meinem Herzen
Und kündet dir, daß ich dich liebe.
Mein Inneres ist vom Kohlenfeuer der Liebe geschmolzen,
Und mein Herz pocht, wund von dem Leid der Trennung.
Wie soll ich die Liebe, die mich hinschmerzen läßt, verbergen,
Wo mein Lid wund ist und die Thränen strömen?«

In diesem Zustande der Unruhe brachte Marjam die ganze Fahrt über zu, ohne daß sie Frieden oder Fassung gefunden hätte. 51

Soviel in Bezug auf sie und den einäugigen Wesir. Nûr ed-Dîn Alī dem Kairenser aber, dem Sohn des Kaufmanns Tâdsch ed-Dîn, war, nachdem Marjam aufs Schiff gebracht und fortgezogen war, die Welt eng geworden, und er fand weder Frieden noch Fassung. Er kehrte zum Raum zurück, in dem er mit Marjam gewohnt hatte, und er kam ihm wie schwarze Finsternis vor. Als er hier das Gerät sah, mit dem sie die Gürtel und ihre Kleider gearbeitet hatte, preßte er es an seine Brust und weinte und sprach, während ihm die Thränen den Lidern entströmten, die Verse:

»Wird nach der Trennung noch einmal Vereinigung kommen,
Nach all dem langen Kummer und verzehrenden Leid?
Ach, was einst war, kehrt nimmer wieder zurück,
Doch ob mich noch einmal wohl die Vereinigung mit der Geliebten erfreut?
Ach, ob uns Gott wohl noch einmal wieder zusammenführt,
Und ob die Geliebte die Liebesschwüre hielt?
Zum Herrn der Welten fleh' ich, mir gütig zu gewähren
Die Rückkehr der Geliebten und Liebesglück wie zuvor.«

Hierauf weinte Nûr ed-Dîn aufs bitterlichste und sprach, in alle Winkel des Raumes spähend, die Verse:

»Ich schaue ihre Spuren und schmelze hin in Sehnsucht,
Ich vergieße auf ihre Heimstätten meine Thränen.
Ich flehe zu Ihm, der die Trennung über uns verhängt,
Daß er mir gnädig den Tag ihrer Rückkehr gewährt.«

Alsdann erhob er sich, verschloß die Hausthür und lief an den Strand des Meeres, wo er seine Blicke auf den Platz heftete, auf welchem das Schiff, mit dem Marjam fortgezogen war, gehalten hatte, indem er dabei weinte und seufzend die Verse sprach:

»Meinen Salâm auf euch, so unersetzlich mir,
Siehe, in zwiefacher Lage bin ich, halb nah, halb fern.
Nach euch verlange ich allezeit und immerdar,
Und ich sehne mich nach euch wie der Dürstende nach dem Brunnen.
Bei euch ist mein Ohr, mein Herz und mein Auge,
Und süßer als Honigwaben ist die Erinnerung an euch.
Weh mir, als eure Karawane abzog,
Und das Schiff euch mir entführte!« 52

Hierauf weinte und stöhnte und jammerte und klagte er wieder und rief: »O Marjam, o Marjam, hab' ich dich nur im Schlaf und in wirren Traumbildern gesehen?« Während er aber in dieser Weise weinte und »Marjam! Marjam!« rief, stieg mit einem Male ein Scheich ans Land zu ihm und sprach zu ihm, als er ihn weinen und Marjams Namen rufen hörte: »Mein Sohn, mir ist's, als ob du über das Mädchen weintest, das gestern mit den Franken fortzog?« Als Nûr ed-Dîn die Worte des Scheichs vernahm, stürzte er zu Boden und lag lange Zeit in tiefer Ohnmacht, bis er wieder zu sich kam und nun aufs bitterlichste weinend die Verse sprach:

»Wird nach dieser Trennung sie noch einmal zu mir wiederkehren,
Und wird ihre süße Nähe mich noch einmal erfreuen?
Ach mein Herz wird von Schmerzen und Liebesweh gefoltert,
Und der Verleumder Gerede bereitet mir Qualen.
Verstört und betrübt verbring' ich den Tag,
Und des Nachts hoff' ich, daß mich ihr Traumbild besucht.
Bei Gott, nicht für eine Stunde finde ich Trost für meine Liebe,
Wie könnt' es auch sein, wo mich die Verleumder plagen!
Ein Mädchen mit zartem Leib und schlanker Taille,
Aus seinen Augen schoß es Pfeile in mein Herz.
Einem Reis des Bân in blühender Aue gleicht ihr Wuchs,
Und mit ihrer Anmut beschämt sie das Sonnenlicht.
Hätt' ich nicht Furcht vor Gott, – verherrlicht sei seine Herrlichkeit! –
So rief ich von der Schönen: Verherrlicht sei ihre Herrlichkeit!«

Als nun der Scheich Nûr ed-Dîns Schönheit und seinen ebenmäßigen Wuchs, die Beredsamkeit seiner Zunge und seine verführerische Anmut sah, ward sein Herz über ihn betrübt und von Mitleid für seinen Zustand erfüllt. Der Scheich war aber der Kapitän eines Schiffs, das gerade nach der Stadt jenes Mädchens abzusegeln im Begriff war, und es hatte hundert moslemische rechtgläubige Kaufleute an Bord. Und so sprach er zu Nûr ed-Dîn: »Sei getrost, es wird alles gut auslaufen; so Gott will, – preis Ihm, dem Erhabenen – bringe ich dich zu ihr.« 53

Achthundertundeinundachtzigste Nacht.

Da fragte ihn Nûr ed-Dîn: »Wann reisen wir?« Der Kapitän versetzte: »Uns verbleiben nur noch drei Tage, und dann wollen wir guter Dinge und in Frieden abreisen.« Als Nûr ed-Dîn die Worte des Kapitäns vernahm, freute er sich mächtig und bedankte sich bei ihm für seine Güte und Freundlichkeit. Dann aber gedachte er wieder der Tage des Liebesglücks und der Vereinigung mit seinem unvergleichlichen Mädchen und sprach bitterlich weinend die Verse:

»Ob uns wohl der Erbarmer wieder vereinigen wird,
Und ob ich wohl, ihr Herren, meinen Wunsch erreiche oder nicht?
Ob wohl der Wechsel der Zeit mir euren Besuch wieder gewährt,
Und ob meine verlangenden Lider noch einmal euer Bild umfassen?
Ach wäre die Vereinigung mit euch zu erkaufen,
Mit meinem Leben thät' ich's, doch ach, ich sehe, sie ist noch teurer.«

Alsdann machte sich Nûr ed-Dîn unverzüglich zum Bazar auf und kaufte auf ihm alles, was er an Zehrung und Ausrüstung für die Reise bedurfte, worauf er wieder den Kapitän aufsuchte. Als dieser ihn erblickte, fragte er ihn: »Mein Sohn, was hast du da bei dir?« Nûr ed-Dîn versetzte: »Meine Wegzehrung und sonstigen Bedürfnisse für die Reise.« Da lachte der Kapitän über seine Worte und sagte zu ihm: »Mein Sohn, willst du etwa einen Spaziergang nach der MastensäuleDiokletians Säule, fälschlich Pompejussäule genannt. machen? Zwischen dir und deinem Reiseziel liegt bei günstigem Wind und gutem Wetter eine Fahrt von zwei Monaten.« Alsdann ließ sich der Scheich von Nûr ed-Dîn etwas Geld geben und ging auf den Bazar, wo er ihm alles zur Reise Erforderliche in genügender Menge einkaufte, ihm außerdem ein Fäßchen mit süßem Wasser füllend. Dann brachte Nûr ed-Dîn drei Tage auf dem Schiff zu, bis die Kaufleute sich reisefertig gemacht und alle ihre Sachen erledigt hatten und an Bord stiegen. Hierauf spannte der Kapitän die Segel aus und segelte einundfünfzig Tage lang, 54 bis sie von Korsaren überfallen wurden, Seeräubern, die das Schiff plünderten und alle Leute auf ihm gefangen nahmen, worauf sie sie nach der Stadt der Franken brachten und sie dem Frankenkönig vorführten, der alle, Nûr ed-Dîn mit einbegriffen, in den Kerker werfen ließ. Zu derselben Zeit aber, als sie vom König ins Gefängnis geworfen wurden, traf die Galeere ein, auf welcher sich die Prinzessin Marjam die Gürtelmaid mit dem einäugigen Wesir befand. Als dieselbe bei der Stadt angelegt hatte, stieg der Wesir zum König hinauf und teilte ihm die frohe Kunde von dem wohlbehaltenen Eintreffen seiner Tochter Marjam der Gürtelmaid mit, worauf die frohe Nachricht ausgetrommelt und die Stadt aufs beste geschmückt wurde. Dann setzte sich der König inmitten seiner gesamten Truppen und Großen auf und ritt seiner Tochter entgegen ans Meer, und, wie sie nun ans Land stieg, umarmten und begrüßten sie einander, worauf er ihr ein Prachtroß vorführen ließ, auf dem sie ihm in den Palast folgte. Dort angelangt, wurde sie von ihrer Mutter empfangen, die sie umarmte und begrüßte und nach ihrem Ergehen fragte, und ob sie auch noch Mädchen, wie zuvor bei ihnen, geblieben oder ein von einem Manne berührtes Weib geworden sei? Marjam erwiderte ihnen: »O Mutter, wenn ein Mädchen im Land der Moslems von Kaufmann zu Kaufmann als Magd verkauft ward, wie sollte es da noch jungfräulich geblieben sein? Der Kaufmann, der mich kaufte, bedrohte mich mit Schlägen und vergewaltigte mich, worauf er mich einem andern und dieser einem dritten verkaufte.« Als ihre Mutter dies von ihr vernahm, ward das helle Licht Finsternis in ihrem Angesicht; sie wiederholte ihre Worte ihrem Vater, der hierüber schwer betrübt und erzürnt wurde und die Sache den Großen seines Reiches und seinen Bitrîken vortrug. Diese nun sprachen zu ihm: »O König, sie ward von den Moslems befleckt. und nur die Enthauptung von hundert Moslems kann sie wieder reinigen.« Infolgedessen befahl der König die Gefangenen aus dem 55 Kerker zu holen und als man alle, Nûr ed-Dîn inbegriffen, vor ihn geführt hatte, ihnen den Kopf abzuschlagen. Der erste, der geköpft wurde, war der Schiffskapitän, worauf die Kaufleute einer nach dem andern einen Kopf kürzer gemacht wurden, bis nur noch Nûr ed-Dîn übrig geblieben war. Schon hatten sie seinen Saum abgerissen und führten ihn, nachdem sie ihm die Augen mit dem Fetzen Tuch verbunden hatten, aufs Blutleder, um ihn ebenfalls zu enthaupten, als mit einem Male eine alte Frau an den König herantrat und zu ihm sagte: »Mein Gebieter, du hattest gelobt, jeder Kirche fünf gefangene Moslems als Diener zu überlassen, wenn dir Gott deine Tochter Marjam wiedergeben würde, und nun, wo deine Tochter, die Herrin Marjam, wieder eingetroffen ist, erfülle dein Gelübde.« Der König erwiderte: »O Mutter, beim Messias und dem wahren Glauben, von allen Gefangenen ist nur noch dieser Moslem übrig geblieben, der soeben hingerichtet werden soll; so nimm ihn mit dir mit, daß er dir hilft die Kirche zu bedienen, bis andere gefangene Moslems zu uns gebracht werden, worauf ich dir noch vier andere schicken will. Wärst du vor der Enthauptung der Gefangenen gekommen, so hätte ich dir soviel, wie du gewünscht hättest, gegeben.« Da dankte ihm die Alte für sein gutes Werk und wünschte ihm Ruhm und Glück und Leben in ewiger Dauer. Alsdann trat sie unverzüglich an Nûr ed-Dîn heran und zog ihn vom Blutleder, wobei sie sah, daß er ein anmutiger und feiner Jüngling von zarter Haut war und mit einem Antlitz gleich dem Vollmond in der vierzehnten Nacht. Indem sie ihn mit sich nach der Kirche nahm, sprach sie zu ihm: »Mein Sohn, zieh' die Kleider, die du trägst, aus, die nur für den Dienst bei einem Sultan passen.« Alsdann brachte sie ihm eine Joppe und eine Kapuze aus schwarzer Wolle sowie einen breiten Riemen und kleidete ihn in Joppe und Kapuze, worauf sie ihm den Riemen mitten um den Leib band und ihm befahl den Dienst in der Kirche zu versehen. Nachdem er dies sieben Tage lang gethan hatte, 56 kam die Alte wieder zu ihm und sagte zu ihm: »Moslem, nimm deine seidenen Kleider, zieh sie wieder an und steck' die zehn Dirhem hier ein; geh' sofort hinaus, vergnüg' dich heute und halte dich hier keine Stunde mehr auf, sonst verlierst du dein Leben.« Nûr ed-Dîn fragte sie: »O Mutter, was giebt's?« Und die Alte erwiderte ihm: »Wisse, mein Sohn, die Tochter des Königs, Marjam die Gürtelmaid, will zu dieser Stunde die Kirche besuchen, um einen Segen von ihr zu erhalten, ihr für ihre Errettung aus dem Lande der Moslems ein Dankopfer darzubringen und die Gelübde, die sie gelobte, falls der Messias sie befreien würde, darzubringen. Ihr Geleit besteht aus vierzig Mädchen, alle von tadelloser Schönheit und Anmut, unter denen sich auch die Tochter des Wesirs und die Töchter der Emire und Großen des Reiches befinden. Sie werden sogleich eintreffen, und, so ihr Blick hier in der Kirche auf dich fiele, würden sie dich in Stücke säbeln.« Da nahm Nûr ed-Dîn die zehn Dirhem von der Alten an und ging, nachdem er seine Kleider angezogen hatte, auf den Bazar und spazierte in den Hauptstraßen der Stadt umher, bis er ihre Quartiere und Thore kannte.

Achthundertundzweiundachtzigste Nacht.

Hierauf kehrte er zur Kirche zurück und sah Marjam die Gürtelmaid, die Tochter des Frankenkönigs zur Kirche kommen mit einem Geleit von vierhundert Mädchen, hochbusigen Jungfrauen gleich Monden, unter denen sich auch die Tochter des einäugigen Wesirs befand nebst den Töchtern der Emire und Großen des Reiches, sie selber aber schritt unter ihnen einher wie der Mond unter den Sternen. Als Nûr ed-Dîns Blick auf sie fiel, vermochte er nicht an sich zu halten, sondern stieß aus tiefstem Herzen den Ruf aus: »O Marjam! Marjam!« Sobald aber die Mädchen seinen Schrei vernahmen, stürzten sie sich auf ihn mit gezückten hell blitzenden Schwertern und wollten ihn auf der Stelle niederhauen, als sich Marjam zu ihm wendete und ihn betrachtete. Ihn 57 leibhaftig wiedererkennend, sagte sie zu den Mädchen: »Laßt ab von diesem Jüngling; zweifellos ist er verrückt, da man die Zeichen der Verrücktheit auf seinem Antlitz schaut.« Als Nûr ed-Dîn diese Worte von der Herrin Marjam vernahm, entblößte er sein Haupt und rollte die Augen, indem er dabei seine Hände hangen ließ und die Füße krümmte, während ihm der Geifer aus dem Mund schäumte. Da sagte die Herrin Marjam: »Sagte ich euch's nicht, daß er verrückt ist? Bringt ihn zu mir und entfernt euch dann, damit ich höre, was er sagt; ich verstehe arabisch und will zusehen, wie es mit ihm steht, und ob seine Verrücktheit geheilt werden kann oder nicht.« Infolgedessen packten ihn die Mädchen und schleppten ihn vor sie, worauf sie sich zurückzogen. Marjam aber fragte ihn nun: »Bist du wirklich um meinetwillen hierher gekommen und hast dein Leben aufs Spiel gesetzt und dich verrückt gestellt?« Da erwiderte ihr Nûr ed-Dîn: »Ach meine Herrin, hast du nicht das Dichterwort vernommen:

»Sie sagten, die Liebe zu ihr hat dich verrückt gemacht; und ich sagte:
Das Leben hat Wonne nur für die Verrückten.
Bringt her meine Verrücktheit und bringt sie, um die ich verrückt ward,
Und wenn sie gleichfalls verrückt ist, so tadelt mich nicht.«

Marjam versetzte: »Bei Gott, Nûr ed-Dîn, du hast wider dich selber gesündigt, denn ich warnte dich davor, bevor es dich betraf; du aber hörtest nicht auf meine Worte sondern folgtest deinen eigenen Trieben, wiewohl ich das, was ich dir sagte, nicht durch Offenbarung oder Physiognomik oder aus Traumgesichtern wußte, sondern mit eigenen Augen wahrgenommen hatte, da ich den einäugigen Wesir gesehen hatte und wußte, daß er in jene Stadt nur auf der Suche nach mir gekommen war.« Nûr ed-Dîn erwiderte ihr: »Ach, meine Herrin Marjam, wir suchen bei Gott Zuflucht vor dem Fehltritt der Verständigen.« Alsdann überkam ihn doppelt schwer das Leid, und er sprach das Dichterwort:

»Vergieb mir die Schuld, in welcher mein Fuß gestrauchelt ist,
Denn der Herr ist voll Großmut gegen den Sklaven. 58
Wenn Strafe mein Vergehen sühnt, so ich's bekenne,
Um wieviel mehr vermag es nicht Gnade und Großmut zu sühnen!«

So ließen Nûr ed-Dîn und die Herrin Marjam die Gürtelmaid nicht ab, einander zärtliche Vorwürfe zu machen, deren Ausführung zu lange währen würde, und jeder erzählte dem andern seine Erlebnisse; dazwischen trugen sie wieder Verse vor, während ihnen die Thränen wie Ströme über die Wangen liefen, und klagten einander die Heftigkeit ihrer Liebe und die Schmerzen ihrer Verlassenheit und Leidenschaft, bis sie beide nicht mehr zu sprechen imstande waren, und der Tag sich bereits gewendet hatte und die Nacht hereinbrach. Nun trug aber die Herrin Marjam ein grünes Kleid, das mit rotem Gold gestickt und mit Perlen und Edelsteinen besetzt war und ihre Schönheit und Anmut und ihr feines Wesen noch mehr erhöhte, so daß der Dichter trefflich sagt:

»Sie erschien gleich dem Vollmond in grünen Gewändern,
Aufgeknöpft und mit losem Haar.
Da fragte ich sie: Wie heißest du? Und sie sagte: Ich bin's,
Die der Verliebten Herzen auf Kohlen röstet.
Das weiße Silber bin ich und das Gold,
Mit dem der Gefangene aus harten Banden erlöst wird.
Da sprach ich zu ihr: Die Härte hat mich hinschmelzen lassen.
Doch sie sagte: Klagst du zu mir, wo mein Herz ein Felsen ist?
Ich erwiderte: Wenn dein Herz auch ein Felsen ist,
So hat doch Gott aus einem Felsen einen Born sprudeln lassen.«

Als nun die Nacht dunkelte, begab sich die Herrin Marjam zu ihren Mädchen und fragte sie: »Habt ihr die Thür verriegelt?« Sie versetzten: »Ja, wir haben sie verriegelt.« Hierauf nahm sie die Mädchen und begab sich mit ihnen zu einer Stätte, genannt die Stätte der Jungfrau Maria, der Mutter des Lichts, weil die Nazarener glauben, daß sich dort ihr Geist und ihr Herz befindet. Hier beteten sie um Segen und schritten in Prozession durch die ganze Kirche. Als sie dann ihren Besuch beendet hatten, wendete sich die Herrin Marjam zu ihnen und sagte: »Ich will jetzt allein die Kirche betreten und um Segen beten, denn ich sehne mich nach ihr 59 infolge meiner langen Abwesenheit im Land der Moslems. Was euch anlangt, so schlaft, wo ihr wollt, wenn ihr euern Besuch beendet habt.« Die Mädchen erwiderten ihr: »Recht gern; thu', was dir beliebt.« Hierauf ließen sie sie allein in der Kirche zurück und legten sich schlafen. Nachdem Marjam dann noch so lange gewartet hatte, bis sie nichts mehr merken konnten, erhob sie sich und suchte Nûr ed-Dîn, den sie in einem Winkel wie auf Kohlenpfannen sitzen und auf sie warten sah. Als sie auf ihn zukam, erhob er sich vor ihr auf seine Füße und küßte ihr die Hände, worauf sie sich setzte und ihn an ihrer Seite sitzen ließ. Dann zog sie all ihre Schmucksachen und Gewänder und das feine Linnenzeug aus und preßte Nûr ed-Dîn, ihn in ihre Arme nehmend, an die Brust. Und so hielten sie sich fest umschlungen und küßten einander ohne Unterlaß, indem sie sprachen: »Wie kurz ist doch die Nacht der Vereinigung und wie lang der Tag der Trennung!«

Während sie aber in diesen hohen Wonnen und vollkommenen Freuden ruhten, schlug mit einem Male ein Bursche von den Dienern der lieben FrauWörtlich: Der Kostbaren. die RatscheEine Art Holzklapper, an Stelle der Glocken gebraucht. auf dem Kirchendach, um zum Gottesdienst einzuladen.

Achthundertunddreiundachtzigste Nacht.

Da erhob sie sich unverzüglich und legte ihre Schmucksachen und Kleider an, während Nûr ed-Dîn sich hierüber bekümmerte, daß ihm die Stunde getrübt ward und ihm die Thränen entströmten. Dann preßte ihn die Herrin Marjam an ihre Brust, küßte ihn auf die Wange und fragte ihn: »Nûr ed-Dîn, wie viele Tage bist du schon hier in dieser Stadt?« Er versetzte: »Sieben Tage.« Da fragte sie: »Bist du schon durch die Stadt gestreift, und kennst du ihre Wege, ihre Ausgänge und Land- und Seethore?« Er erwiderte: »Jawohl.« Hierauf fragte sie: »Kennst du auch den Weg zum Opferkasten in der Kirche?« Er entgegnete: »Jawohl.« 60 Da sagte sie: »Wo du alles dies kennst, begieb dich in der kommenden Nacht, wenn das erste Drittel der Nacht verstrichen ist, zum Opferkasten, nimm aus ihm, so viel du wünschest und begehrst, und öffne die Kirchenthür, zum Gang, der zum Meer führt. Du wirst dort ein kleines Schiff mit zehn Matrosen finden, und der Kapitän wird, sobald er dich sieht, seine Hand nach dir ausstrecken. Reich' ihm deine Hand, denn er wird dich aufs Schiff führen, und warte bei ihm, bis ich zu dir komme. Hüte dich jedoch, und noch einmal, hüte dich, daß dich der Schlaf in dieser Nacht überkommt, und du es bereust, wo dir die Reue nichts mehr nützen kann.« Hierauf nahm die Herrin Marjam von Nûr ed-Dîn Abschied und verließ ihn unverzüglich, worauf sie ihre Sklavinnen und die übrigen Mädchen aus dem Schlaf weckte und mit ihnen zur Kirchenthür ging. Auf ihr Pochen öffnete die Alte die Thür, und als sie nun hinausging, sah sie die Eunuchen und Bitrîken draußen stehen. Dieselben führten ihr ein Maultier vor und ließen über sie, nachdem sie sich aufgesetzt hatte, einen seidenen Moskitovorhang niederwallen, worauf die Bitrîken den Zügel des Maultiers faßten und mit ihr zum Schloß ihres Vaters zogen, während die Mädchen hinter ihr folgten und die Sbirren sie rings, mit gezückten Schwertern in den Händen, umgaben.

Soviel in Bezug auf Marjam die Gürtelmaid. Inzwischen verbrachte Nûr ed-Dîn der Kairenser von demselben Vorhang beschützt, der ihn und Marjam verhüllt hatte, die Nacht, bis der Tag anbrach und die Kirchenthür geöffnet wurde. Als nun das Volk in Menge in die Kirche strömte, mischte er sich unter die Leute und suchte die Alte, die Vorsteherin der Kirche, auf, die ihn fragte: »Wo hast du während der Nacht geschlafen?« Er erwiderte: »An einem Ort in der Stadt, wie du es mich hießest.« Die Alte versetzte: »So war's recht, mein Sohn; hättest du in der Kirche geschlafen, so hätte sie dich des schmählichsten Todes sterben lassen.« Nûr ed-Dîn entgegnete hierauf: »Gelobt sei Gott, 61 der mich vor dem Übel dieser Nacht bewahrt hat!« Alsdann besorgte Nûr ed-Dîn seine Arbeit in der Kirche, bis der Tag verstrichen war und das Dunkel der Nacht hereinbrach, worauf er sich erhob und den Opferkasten öffnete, aus dem er an Edelsteinen, was leicht zu tragen und hoch an Wert war, herausnahm. Nachdem er dann gewartet hatte, bis das erste Drittel der Nacht verstrichen war, erhob er sich und begab sich zur Thür des Ganges, der zum Meer führte, indem er Gott um Schutz anflehte. An der Thür angelangt, öffnete er sie und schritt durch den Gang hinaus zum Meer, wo er das Schiff am Meeresstrande nahe dem Thor ankern und den Kapitän, einen alten hübschen Scheich mitten im Schiff stehen sah, und vor ihm seine zehn Leute. Er streckte ihm, wie es ihn Marjam geheißen hatte, die Hand hin, und der Kapitän erfaßte sie und zog ihn zu sich aufs Schiff. Alsdann rief er seinen Matrosen zu und sprach zu ihnen: »Holt den Anker ein und laßt uns abziehen, ehe der Tag anbricht.« Einer der zehn Matrosen versetzte: »Herr Kapitän, wie sollen wir in See gehen, wo der König uns hat ansagen lassen, daß er morgen auf diesem Schiff eine Rekognoszierungsfahrt machen will, da er für seine Tochter Marjam vor den moslemischen Räubern in Furcht ist?« Der Kapitän schrie sie jedoch an: »Wehe euch, ihr Verruchten, erfrecht ihr euch, mir zu widersprechen und Worte mit mir zu wechseln?« Hierauf riß der alte Kapitän sein Schwert aus der Scheide und versetzte jenem, der gesprochen hatte, einen Streich in den Hals, daß das Schwert blitzend auf dem Nacken herausfuhr. Als dann ein anderer fragte: »Welches Vergehen hat denn unser Gefährte begangen, daß du ihm den Kopf abschlägst?« streckte der Kapitän seine Hand noch einmal zum Schwert aus und holte ihm den Kopf ebenfalls mit einem Streich herunter; und so köpfte der Kapitän einen nach dem andern von den Matrosen, bis er alle zehn einen Kopf kürzer gemacht hatte, worauf er sie an den Strand warf. Dann wendete er sich zu Nûr ed-Dîn und schrie ihn so laut an, daß er in Furcht 62 geriet: »Geh hinunter und zieh den Pflock heraus.« Aus Furcht gleichfalls eins mit dem Schwert abzubekommen, sprang er ans Land und riß den Pflock heraus, worauf er schneller als der blendende Blitz wieder an Bord stieg. Alsdann befahl ihm der Kapitän: »Thu dies und das, leg' hier und dort Hand an und schau nach den Sternen,« und Nûr ed-Dîn verrichtete alles nach Geheiß des Kapitäns mit zagendem und zitterndem Herzen, während er selber die Segel ausspannte, worauf das Schiff mit ihnen bei günstigem Winde in die tosende, wellenbrandende See hinauszog.

Achthundertundvierundachtzigste Nacht.

Während alledem aber hielt Nûr ed-Dîn, in Gedanken versunken, die Segelstange gefaßt, und verharrte in seinem Brüten, ohne zu wissen, was ihm im Verborgenen verhängt war. Und so oft er nach dem Kapitän hinschaute, erbebte sein Herz, und er wußte nicht, wohin der Kapitän mit ihm steuerte. In solcher Unruhe und Besorgnis verharrte er, bis der Tag anbrach. Als er dann aber zum Kapitän schaute, sah er, daß dieser seinen langen Bart gefaßt hatte und daran zog, worauf derselbe in seiner Hand blieb, und nun gewahrte Nûr ed-Dîn auch bei genauerem Zusehen, daß es ein falscher angeleimt gewesener Bart war. Darauf faßte er den Kapitän ins Auge und sah ihn sich scharf an, und siehe, da war es die Herrin Marjam, seine Geliebte und Herzliebste, welche dem Kapitän aufgelauert und ihn erschlagen hatte, worauf sie ihm den Bart vom Gesicht mit der Haut abgezogen und vor ihr eigenes Gesicht gethan hatte. Nûr ed-Dîn verwunderte sich über ihr Unterfangen, ihre Tapferkeit und Herzensstärke, seine Brust dehnte sich weit und froh, und der Verstand flog ihm vor Freude fast fort. Dann sagte er zu ihr: »Sei willkommen, o mein Wunsch, mein Verlangen und meiner Sehnsucht höchstes Ziel!« Und von Verlangen und Freude geschüttelt und in fester Zuversicht, seine Hoffnung und sein Ziel zu erreichen, stimmte er ein Lied in hellsten Tönen an. 63

Die Herrin Marjam war über sein Lied aufs höchste entzückt und bedankte sich dafür bei ihm, worauf sie zu ihm sagte: »Wer sich in solcher Lage befindet, muß die Straße der Männer ziehen und nicht wie Erbärmlinge und gemeine Wichte handeln.« Nun hatte aber die Herrin Marjam ein festes Herz und verstand die Kunst der Schiffsfahrt im Salzmeer und kannte auch alle die Winde und ihre Wechsel und alle Fahrstraßen; und Nûr ed-Dîn sprach zu ihr: »Bei Gott, meine Herrin, hätte diese Sache noch lange gedauert, so wäre ich vor Angst und Schrecken gestorben, zumal bei dem Feuer des Liebeswehs und der Sehnsucht und den Folterqualen der Trennung.« Die Herrin Marjam lachte über seine Worte und holte, indem sie sich unverzüglich erhob, etwas zum Essen und Trinken hervor, worauf beide aßen und tranken und vergnügt und fröhlich waren. Alsdann holte sie Hyazinthen, Juwelen, allerlei Edelmetalle, kostbare Schätze und goldne und silberne Schmucksachen hervor, die leicht fortzuschaffen waren und hohen Wert besaßen, und die sie aus dem Schloß und der Schatzkammer ihres Vaters mitgenommen hatte, und zeigte sie Nûr ed-Dîn, der sich über sie mächtig freute. Während dieser ganzen Zeit wehte der Wind günstig, und das Schiff zog mit ihnen dahin, bis sie sich der Stadt Alexandria näherten und ihre alten und neuen Grenzmarken und die Mastensäule zu Gesicht bekamen. Als sie dann in den Hafen eingekehrt waren, stieg Nûr ed-Dîn unverzüglich vom Schiff ans Land und band es an einen der Walkersteine. Dann nahm er etwas von den Schätzen, die das Mädchen mitgenommen hatte, an sich und sagte zur Herrin Marjam: »Bleib' hier auf dem Schiff, meine Herrin, bis ich dich in die Stadt schaffe, so wie ich's gern möchte und begehre.« Sie versetzte: »Es muß jedoch schnell geschehen, denn Säumigkeit in Geschäften bringt Reue.« Nûr ed-Dîn entgegnete: »Ich werde nicht säumen.« Da blieb Marjam auf dem Schiff zurück, während Nûr ed-Dîn sich ins Haus des Drogisten, des Freundes seines Vaters, begab, um sich von seiner Frau 64 für sie einen Schleier, eine Mantille, Schuhe und einen langen Frauenschleier, wie sie von den Frauen in Alexandria getragen werden, zu borgen, ohne seine Rechnung mit den Wechselfällen des Schicksals, das so reich an Wunderdingen ist, zu machen.

Soviel von Nûr ed-Dîn und Marjam der Gürtelmaid. Als nun ihr Vater, der Frankenkönig, am nächsten Morgen seine Tochter Marjam suchte und nicht fand, fragte er ihre Sklavinnen und Eunuchen nach ihr, die ihm erwiderten: »O unser Gebieter, sie ging zur Nacht aus und begab sich in die Kirche, und hernach haben wir nichts mehr von ihr vernommen.« Während aber der König noch mit den Sklavinnen und Eunuchen redete, ertönten zwei so laute Schreie unten am Schloß, daß der ganze Ort davon widerhallte. Auf die Frage des Königs, was es gäbe, antworteten sie ihm: »Am Meeresstrand sind zehn Mann ermordet vorgefunden, das Schiff des Königs ist verschwunden, die Thür zum Gang, welcher aus der Kirche nach dem Meer führt, steht offen, und der Gefangene, der die Kirche bediente, ist ebenfalls verschwunden.« Da sagte der König: »Wenn mein Schiff, das im Meer lag, verschwunden ist, so befindet sich zweifellos und ohne Fehl meine Tochter auf ihm.«

Achthundertundfünfundachtzigste Nacht.

Alsdann rief der König unverzüglich den Hafenkapitän und sprach zu ihm: »Beim Messias und dem lautern Glauben, wenn du nicht sofort mit einer Streiterschar meinem Schiff nachsetzest und es mir mit denen, die sich in ihm befinden, herbringst, so sollst du des schmählichsten Todes sterben und zum Exempel gemacht werden.« Dann schrie ihn der König so laut an, daß er zitternd fortging und die Alte von der Kirche aufsuchte, die er fragte: »Was hörtest du den Gefangenen, der bei dir war, über seine Heimat sprechen, und von wannen er kam?« Sie erwiderte: »Er sagte des öftern, er sei aus der Stadt Alexandria.« Als der Kapitän dies 65 von der Alten vernahm, kehrte er schleunigst zum Hafen zurück und rief seine Matrosen, ihnen befehlend: »Macht fertig und spannt die Segel aus.« Die Matrosen vollzogen seinen Befehl, worauf sie aufbrachen und Tag und Nacht fuhren, bis sie sich gerade zu der Stunde der Stadt Alexandria näherten, als Nûr ed-Dîn die Herrin Marjam auf dem Schiff zurückgelassen hatte und fortgegangen war.

Unter den Franken befand sich aber auch der einäugige lahme Wesir, der sie von Nûr ed-Dîn gekauft hatte. Als sie nun das angebundene Schiff sahen, erkannten sie es und banden ihr Schiff fern von ihm fest, worauf sie in einem ihrer Böte, welches nur einen Tiefgang von zwei Ellen hatte, mit einer Bemannung von hundert Streitern, an dasselbe ruderten. Unter der Mannschaft aber befand sich auch der einäugige lahme Wesir, der ein trutziger Tyrann und rebellischer Satan und ein verschlagener Spitzbube war. Als sie bei dem Schiff angelangt waren, fielen sie alle zu gleicher Zeit über dasselbe her, ohne jemand anders als die Herrin Marjam auf ihm zu finden. Da nahmen sie sie und das Schiff, nachdem sie an den Strand gestiegen waren und dort lange Zeit gewartet hatten, und kehrten, nach Erreichung ihres Zieles, ohne Kampf und ohne auch nur das Schwert gezogen zu haben, nach dem Lande Rûm zurück. Der Wind war ihnen günstig, und so segelten sie ununterbrochen und in sicherer Hut, bis sie zur Stadt der Franken gelangten und die Herrin Marjam zu ihrem Vater führten, der gerade auf dem Thron seines Königreiches saß. Als er sie erblickte, rief er ihr zu: »Wehe dir, Verräterin! Wie konntest du den Glauben deiner Väter und Ahnen und den Schutz des Messias, auf den wir bauen, verlassen und dem Glauben des Islams Folge leisten, der sich wider das Kreuz und die Bilder mit dem Schwert erhoben hat?« Marjam erwiderte: »Mich trifft keine Schuld; als ich des Nachts in die Kirche ging, um die Herrin MarjamDie Jungfrau Maria. zu besuchen und sie um einen 66 Segen anzuflehen, da überfielen mich unversehens moslemische Räuber, stopften mir den Mund und fesselten mich, worauf sie mich auf ihr Schiff schleppten und mit mir nach ihrem Land fuhren. Ich überlistete sie jedoch, indem ich mit ihnen über ihren Glauben sprach, bis sie meine Fesseln lösten. Ich glaubte es nicht, daß mich deine Mannen einholen und befreien würden, und, beim Messias und dem lautern Glauben, beim Kreuz und dem Gekreuzigten, ich freute mich mächtig über meine Befreiung, und mir ist leicht und froh ums Herz, aus den Banden der Moslems befreit zu sein.« Ihr Vater entgegnete ihr jedoch: »Du lügst, du Dirne, du Ehebrecherin! Bei dem, was im klaren Evangelium offenbart ist an Erlaubtem und Verbotenem, ich lasse dich des schimpflichsten Todes sterben und mache dich zum schmählichsten Exempel! Genügte dir nicht das, was du zuerst thatest, indem du uns betrogst, daß du uns von neuem belügen willst?« Hierauf befahl der König sie zu töten und auf dem Palastthor zu kreuzigen. Da aber trat in demselben Augenblick der einäugige Wesir ein, der seit langer Zeit in die Prinzessin verliebt war, und sprach zu ihm: »O König, töte sie nicht, sondern vermähle mich mit ihr; ich will sie aufs sorgfältigste bewachen und nicht eher zu ihr gehen, als bis ich für sie ein hohes Schloß aus festem Gestein erbaut habe, daß kein Räuber sein Dach erklimmen kann. Wenn ich dann mit dem Bau des Schlosses fertig bin, will ich vor seinem Thor dreißig Moslems dem Messias als Opfer für mich und sie schlachten.« Der König willigte in die Heirat ein und erlaubte den Priestern, Mönchen und Patriarchen sie mit dem einäugigen Wesir zu vermählen; und als sie dies gethan hatten, gab er seine Erlaubnis den Bau eines festen Schlosses, wie es sich für sie geziemte, zu beginnen, worauf die Arbeiter ans Werk gingen.

Soviel von der Königin Marjam, ihrem Vater und dem einäugigen Wesir. Als nun Nûr ed-Dîn zum Drogisten, dem Freund seines Vaters, gelangt war, lieh er sich von seiner Frau einen Frauenschleier, Schuhe und Kleider, wie 67 sie die alexandrinischen Frauen tragen, und kehrte mit ihnen wieder zum Meer zurück zum Schiff, auf welchem die Herrin Marjam war; doch fand er »die Luft leer und das Heiligtum fern«.

Achthundertundsechsundachtzigste Nacht.

Da ward sein Herz betrübt und, Ströme von Thränen vergießend, sprach er die Verse:

»Zur Nachtzeit erschien mir Soadās Traumbild und weckte mich;
Schon graute der Morgen, doch schliefen die Freunde noch all in der Wüste.
Doch als ich erwachte, fand ich das nächtliche Traumbild nicht,
Die Luft sah ich leer und fern das Heiligtum.«

Alsdann wanderte Nûr ed-Dîn den Meeresstrand entlang, sich nach rechts und links wendend, und gewahrte am Strande einen dichten Haufen von Leuten, die sprachen: »O Moslems, die Ehre der Stadt Alexandria ist dahin, seitdem die Franken in sie eindringen und ihre Bewohner rauben, um dann in aller Gemächlichkeit wieder in ihr Land heimzukehren, ohne daß einer der Moslems oder Glaubensstreiter sie verfolgt.« Da fragte sie Nûr ed-Dîn: »Was giebt's?« worauf sie ihm erwiderten: »Mein Sohn, ein mit Streitern bemanntes Frankenschiff drang soeben in jenen Hafen ein und raubte ein dort ankerndes Schiff mit denen, die sich auf ihm befanden, um dann wieder in aller Gemächlichkeit in ihr Land heimzukehren.« Sobald Nûr ed-Dîn ihre Worte vernahm, sank er in Ohnmacht; und als er nun wieder zu sich kam und sie ihn ausfragten, erzählte er ihnen seine Geschichte von Anfang bis zu Ende, worauf sie ihn alle schmähten und schalten und sagten: »Weshalb führtest du sie nicht ohne Mantel und Schleier vom Schiff?« Und so hatte jeder von ihnen ein verwundendes Wort für ihn und schoß des Tadels Pfeile wider ihn, während einige von ihnen sagten: »Laßt ihn zufrieden, er hat genug an seinem Unglück,« – bis er von neuem in Ohnmacht sank. Während aber noch die Leute 68 Nûr ed-Dîn ausschalten, kam der alte Drogist an, der, als er den Menschenhaufen sah, auf ihn zukam, um zu sehen, was es gäbe. Als er nun Nûr ed-Dîn ohnmächtig unter ihnen am Boden liegen sah, setzte er sich ihm zu Häupten und weckte ihn auf, worauf er ihn fragte: »Mein Sohn, was fehlt dir?« Nûr ed-Dîn versetzte: »Ach Oheim, ich war mit dem Mädchen, das mir verloren gegangen war, nach vielen Drangsalen zu Schiff von der Stadt ihres Vaters wieder hierhergekommen, und, als ich hier anlangte, band ich das Schiff ans Land und ging, das Mädchen auf dem Schiff zurücklassend, zu deiner Wohnung, wo ich von deiner Frau für das Mädchen Sachen holte, um es in die Stadt zu führen. Da aber kamen die Franken, raubten das Schiff mit dem Mädchen und kehrten in aller Gemächlichkeit zu ihren Schiffen zurück.« Als der alte Gemüsehändler von Nûr ed-Dîn diese Worte vernahm, ward das helle Licht Finsternis in seinem Angesicht und, tiefbekümmert über Nûr ed-Dîn, sprach er zu ihm: »Mein Sohn, warum führtest du sie nicht ohne Frauenschleier aus dem Schiff in die Stadt? Jedoch nützt jetzt das Reden nicht mehr; steh' auf, mein Sohn, und komm' mit mir in die Stadt, vielleicht giebt Gott dir ein schöneres Mädchen, an der du dich über sie trösten kannst. Gelobt sei Gott, der dich an ihr nichts verlieren ließ! Im Gegenteil, du hast an ihr nur gewonnen. Und wisse, mein Sohn, Vereinigung und Trennung ruhen in der Hand des allerhöchsten Königs.« Nûr ed-Dîn erwiderte ihm jedoch: »Bei Gott, mein Oheim, ich werde sie nimmermehr vergessen und werde es nicht aufgeben sie zu suchen, auch wenn ich um ihretwillen den Becher des Todes trinken müßte.« Der Drogist versetzte: »Mein Sohn, was beabsichtigst du zu thun?« Nûr ed-Dîn entgegnete: »Ich beabsichtige ins Land Rûm zurückzukehren, die Frankenstadt zu betreten und mein Leben zu wagen, mag's gut oder übel ablaufen.« Da sagte der Drogist: »Mein Sohn, ein Sprichwort lautet: Nicht alleweil bleibt der Krug heil. Wenn sie dir auch das erste Mal nichts gethan haben, 69 so werden sie dir diesmal ans Leben gehen, zumal wo sie dich jetzt sehr gut kennen.« Nûr ed-Dîn entgegnete jedoch: »Oheim, laß mich reisen, daß ich schnell aus Liebe zu ihr umkomme, als daß ich ohne sie langsam an Verzweiflung zu Grunde gehe.«

Wie es aber der Zufall des Schicksals wollte, ankerte gerade ein Schiff im Hafen, bereit zur Abfahrt, dessen Mannschaft bereits alle ihre Geschäfte erledigt hatte und zu derselben Stunde die Pflöcke herauszog. Da stieg Nûr ed-Dîn auf das Schiff, und es fuhr eine Reihe von Tagen bei gutem Wind und Wetter, als mit einem Male eins der fränkischen Schiffe auf sie stieß, die aus Furcht für die Tochter des Königs nach den moslemischen Räubern auf dem Meer kreuzten und jedes Schiff, das sie sahen, kaperten und dasselbe mit allen Leuten, die sich darauf befanden, zum Frankenkönig schleppten, der sie hinschlachten ließ und so sein Gelübde, das er wegen seiner Tochter Marjam gethan hatte, erfüllte. Als nun die Franken das Schiff sahen, auf dem sich Nûr ed-Dîn befand, kaperten sie es und schleppten alle, die auf ihm waren, vor den König, den Vater Marjams. Als der König die Moslems sah, die ihrer hundert an der Zahl waren, befahl er sie unverzüglich niederzumetzeln, worauf sie sein Geheiß ausführten, bis niemand als allein Nûr ed-Dîn übriggeblieben war, den der Henker aus Mitleid für seine Jugend und seinen schlanken Wuchs bis zuletzt verschont zu haben schien. Wie ihn nun der König ansah, erkannte er ihn genau und fragte ihn: »Bist du nicht Nûr ed-Dîn, der zuvor bereits bei uns gewesen war?« Nûr ed-Dîn erwiderte: »Ich bin nicht bei euch gewesen, und mein Name ist nicht Nûr ed-Dîn sondern Ibrāhîm.« Der König entgegnete jedoch: »Du lügst, du bist Nûr ed-Dîn, den ich der alten Kirchenvorsteherin schenkte, ihr bei der Bedienung der Kirche zu helfen.« Nûr ed-Dîn versetzte: »Ach mein Gebieter, mein Name ist Ibrāhîm.« Nun sagte der König: »Wenn die Alte, die Kirchenvorsteherin, kommt und dich sieht, so wird sie erkennen, ob 70 du Nûr ed-Dîn oder ein anderer bist.« Während sie aber noch miteinander redeten, kam mit einem Male der einäugige Wesir, der des Königs Tochter geheiratet hatte, herein und sprach zum König, die Erde vor ihm küssend: »O König, wisse, der Bau des Schlosses ist vollendet, und du weißt, daß ich dem Messias gelobte, nach Beendigung des Baus vor dem Schloßthor dreißig Moslems abzuschlachten. Ich komme deshalb zu dir, um die dreißig Moslems von dir zu empfangen und sie abzuschlachten und so mein dem Messias gelobtes Gelübde zu erfüllen. Ich will für sie einstehen als für eine Anleihe, und, so mir Gefangene gebracht werden, will ich dir andere dreißig geben.« Der König entgegnete ihm: »Beim Messias und dem lautern Glauben, ich habe nur noch diesen Gefangenen übrig,« indem er dabei auf Nûr ed-Dîn wies. Dann setzte er hinzu: »Nimm ihn und schlachte ihn sofort ab, bis ich dir die übrigen schicke, sobald mir wieder moslemische Gefangene gebracht werden.« Infolgedessen nahm der einäugige Wesir Nûr ed-Dîn und ging mit ihm zum Schloß, um ihn auf der Schwelle des Schloßthors abzuschlachten; da aber sagten die Maler zu ihm: »Unser Herr, wir haben noch für zwei Tage zu malen; warte daher auf uns und schieb den Tod dieses Gefangenen so lange hinaus, bis wir die Malerei beendet haben. Vielleicht treffen inzwischen die andern, die zu den dreißig fehlen, ein, daß du sie alle auf einmal abschlachten und dein Gelübde an ein und demselben Tage erfüllen kannst.« Infolgedessen befahl der Wesir, Nûr ed-Dîn einzukerkern, –

Achthundertundsiebenundachtzigste Nacht.

worauf sie ihn in Ketten, hungernd, dürstend und über sich selber seufzend, da er seinen Tod vor Augen sah, in den Stall führten und dort einsperrten.

Nun traf es sich aber nach dem vorausbestimmten Ratschluß und dem unabänderlichen Schicksal, daß der König zwei Hengste hatte, leibliche Brüder, von denen der eine Sâbik 71 und der andere Lâhik hieß, wie die Chosroenkönige vergeblich auch nur einen derselben zu besitzen gewünscht hätten; und der eine der beiden Hengste war von reinstem Grau, während der andere dunkel wie die pechschwarze Nacht war. Und alle Könige der Inseln hatten gesprochen: »Wer uns einen dieser Hengste stiehlt, dem geben wir alles, was er verlangt, an rotem Gold, Perlen und Edelsteinen.« Keiner aber hatte einen der beiden Hengste zu stehlen vermocht. Da erkrankte der eine Hengst an den Augen, und der König ließ alle Tierärzte kommen, ihn gesund zu machen; doch vermochte keiner derselben ihn zu heilen. Der einäugige Wesir, der des Königs Tochter geheiratet hatte, trat nun zu dieser Zeit bei dem König ein, und, da er ihn wegen des Hengstes bekümmert sah, wollte er ihn von seiner Kümmernis befreien und sprach deshalb: »O König, gieb mir den Hengst, ich will ihn heilen.« Da gab er ihm den Hengst, worauf er ihn in den Stall führen ließ, in den Nûr ed-Dîn eingesperrt war. Als aber der Hengst von seinem Bruder getrennt war, stieß er einen gewaltigen Schrei aus und wieherte, so daß er alle Leute mit seinem Geschrei in Schrecken setzte. Der Wesir, der erkannte, daß er nur wegen der Trennung von seinem Bruder so laut schrie, ging infolgedessen zum König und teilte es ihm mit, worauf derselbe, nachdem er sich von der Wahrheit seiner Worte überzeugt hatte, sagte: »Wenn dieser Hengst, der doch nur ein Tier ist, nicht von seinem Bruder getrennt sein kann, wie soll es da mit denen stehn, die Vernunft haben!« Alsdann befahl er den Pagen, den andern Hengst zu seinem Bruder ins Haus des Wesirs, des Gatten Marjams, zu führen, und sprach zu ihnen: »Sagt dem Wesir: der König läßt dir sagen, daß er dir die beiden Hengste um seiner Tochter Marjam willen schenkt.«

Während nun Nûr ed-Dîn in Fesseln und Fußeisen im Stall schlief, sah er beim Erwachen mit einem Male die beiden Hengste und fand, daß der eine derselben über seinen Augen einen Schleier hatte. Er hatte aber etwas Kenntnis 72 von Pferden und Erfahrung in der Behandlung ihrer Krankheiten, so daß er bei sich sprach: »Dies ist, bei Gott, der rechte Zeitpunkt für mich! Ich will mich aufmachen und dem Wesir etwas vorlügen und zu ihm sprechen: Ich will den Hengst heilen. Dann aber will ich ihm etwas beibringen, wodurch er beide Augen verliert, daß mich der Wesir tötet, und ich Ruhe finde von diesem elenden Leben.« Alsdann wartete Nûr ed-Dîn so lange, bis der Wesir in den Stall kam, um sich die beiden Hengste zu besehen, worauf er zu ihm sprach: »Mein Gebieter, was wird mir von dir, wenn ich dir diesen Hengst heile und ihm durch ein Mittel seine Augen gesund mache?« Der Wesir erwiderte ihm: »Bei meines Hauptes Leben, wenn du ihn gesund machst, so verschone ich dein Leben und stelle dir einen Wunsch frei.« Da sagte Nûr ed-Dîn zu ihm: »Mein Gebieter, befiehl, daß man mir die Fesseln löst.« Der Wesir erteilte nun Befehl, ihn loszulassen, worauf sich Nûr ed-Dîn erhob und jungfräuliches Glas nahm, es zerstieß und mit ungelöschtem Kalk und Zwiebelsaft vermischte. Dann legte er alles auf die Augen des Hengstes und band sie zu, indem er bei sich sprach: »Jetzt wird er die Augen verlieren, und sie werden mich töten, und ich werde von diesem elenden Leben Ruhe finden.« Hierauf verbrachte Nûr ed-Dîn mit einem Herzen, frei von der Unruhe des Kummers, die Nacht, indem er sich vor Gott, dem Erhabenen, demütigte und sprach: »O Herr, in deinem Wissen ist, was des Bittens überhebt.« Als nun der Morgen anbrach und die Sonne über die Hügel und Gründe aufging, kam der Wesir in den Stall und löste die Binde von den Augen des Hengstes; und wie er sie nun betrachtete, fand er, daß es nach der Allmacht des siegverleihenden Königs die schönsten Augen waren. Da sprach er zu Nûr ed-Dîn: »O Moslem, nie sah ich einen in der Welt gleich dir an schönen Kenntnissen. Beim Messias und dem lautern Glauben, du lässest mich über die Maßen staunen, denn kein Tierarzt in unserm Land vermochte den Hengst zu kurieren.« Hierauf 73 trat er an Nûr ed-Dîn heran und löste ihm eigenhändig die Fesseln, worauf er ihm ein kostbares Ehrenkleid anlegte, ihn zum Aufseher über seine Pferde machte, Gehalt und Einkünfte anwies und ihn in einem Stockwerk über dem Stall wohnen ließ. Nun aber befand sich in dem neuen Schloß, das der Wesir für die Herrin Marjam hatte erbauen lassen, ein Fenster, das auf das Haus des Wesirs und das Stockwerk, in dem Nûr ed-Dîn wohnte, hinausging; und Nûr ed-Dîn saß eine Reihe von Tagen da und aß und trank und war vergnügt und fröhlich und erteilte Befehl und Verbot im Dienst bei den Pferden; und jeden, der ausblieb und die Pferde nicht fütterte, die in dem Stall angebunden waren, in welchem sein Dienst war, warf er zu Boden und prügelte ihn tüchtig durch, worauf er seine Füße in eiserne Fesseln legte, so daß sich der Wesir über ihn mächtig freute, und seine Brust sich weit dehnte, und er fröhlich ward, ohne den Ausgang seiner Sache zu ahnen. Jeden Tag aber begab sich Nûr ed-Dîn zu den beiden Hengsten und streichelte sie mit seiner Hand, da er wußte, wie teuer und lieb sie dem Wesir waren.

Nun hatte der einäugige Wesir aber auch eine jungfräuliche Tochter von höchster Anmut, gleich einer flüchtigen Gazelle oder einem schwanken Reis, und es traf sich, daß sie eines Tages am Fenster saß, das auf das Haus des Wesirs und auf den Ort, wo Nûr ed-Dîn hauste, hinausging, und Nûr ed-Dîn ein Lied singen hörte, mit dem er seine Seele über sein Leid zu trösten suchte. Als er sein Lied beendet hatte, sprach sie bei sich: »Beim Messias und dem lautern Glauben, dieser Moslem ist ein hübscher Jüngling, jedoch ist es zweifellos ein Liebender, der von seinem Lieb getrennt ist. Ob wohl der Schatz dieses Jünglings eben so hübsch sein mag als er, und ob sie ihn ebenso liebt wie er sie oder nicht? Wenn sein Liebchen ebenso hübsch wie er ist, dann geziemt es ihm, Thränen zu vergießen und über sein Leid zu klagen. Ist sie aber nicht so hübsch, so ist sein Leben in Seufzern vergeudet, und der Freuden Speise ist ihm versagt.« 74

Achthundertundachtundachtzigste Nacht.

Marjam die Gürtelmaid aber, die Frau des Wesirs, war tags zuvor in das Schloß gebracht, und die Tochter des Wesirs, welche wußte, daß sie um die Brust beklommen war, hatte sich vorgenommen, sie zu besuchen und mit ihr über den Jüngling und die Verse, die sie von ihm vernommen hatte, zu plaudern. Ehe sie aber noch ihre Absicht ausführte, schickte die Herrin Marjam, die Gattin ihres Vaters, zu ihr, daß sie ihr etwas vorplauderte, worauf sie sich zu ihr begab. Als sie nun aber zu ihr kam und sah, daß ihre Brust beklommen war und die Thränen ihr über die Wangen liefen und sie aufs bitterlichste weinte und ihr Leid in Versen klagte, sprach sie zu ihr: »Weshalb, o Prinzessin ist deine Brust beklommen, und warum betrübst du dich so sehr?« Als die Herrin Marjam die Frage der Tochter des Wesirs vernahm, gedachte sie der hohen Wonnen, die nun dahin waren, und sprach die beiden Verse:

In Geduld will ich die Trennung von meinem Freunde ertragen
Und Thränen in Strömen vergießen;
Vielleicht bringt Gott mir wieder Trost,
Denn unter des Leides Rippe birgt er die Freude.«

Da sprach die Tochter des Wesirs zu ihr: »O Prinzessin, laß deine Brust nicht beklommen sein sondern erheb' dich unverzüglich und komm' mit mir an das Schloßfenster, denn wir haben im Stall einen hübschen Jüngling von schlanker Gestalt und süßer Rede, der mir ein von seiner Liebsten getrennter Liebhaber zu sein scheint.« Nun fragte die Herrin Marjam: »Woraus schließest du, daß er ein Liebhaber ist, der von seiner Liebsten getrennt ist?« Die Tochter des Wesirs versetzte: »O Prinzessin, ich schließe es daraus, daß er bei Tag und Nacht Oden und Verse vorträgt.« Da sprach die Herrin Marjam bei sich: »Wenn die Worte der Tochter des Wesirs wahr sind, so ist dies die Weise des vergrämten, unglücklichen Alī Nûr ed-Dîn. Ich möchte wohl wissen, ob er 75 wirklich der Jüngling ist, von dem die Tochter des Wesirs spricht.« Alsdann erhob sich die Herrin Marjam in wachsender Sehnsucht und Verstörtheit und in überhandnehmendem Weh und Verlangen und begab sich mit der Tochter des Wesirs unverzüglich zum Fenster, aus dem sie hinausschaute, um nun ihren Geliebten und Herrn Nûr ed-Dîn zu erblicken. Ihn scharf ins Auge fassend, erkannte sie ihn genau, wiewohl er infolge seiner großen Liebe zu ihr, dem Feuer der Leidenschaft, den Schmerzen der Trennung und dem Weh der Sehnsucht krank war; und verzehrten Leibes klagte er gerade wieder sein Leid in Versen.

Als nun die Herrin Marjam ihren Herrn Nûr ed-Dîn erkannte und seine beredten Verse und entzückenden Worte vernahm und ihrer Sache gewiß war, daß es Nûr ed-Dîn war, verbarg sie es vor der Tochter des Wesirs und sprach zu ihr: »Beim Messias und dem lautern Glauben, ich glaubte nicht, daß du etwas von meiner Kümmernis wüßtest!« Alsdann erhob sie sich wieder unverzüglich und kehrte vom Fenster zu ihrem Wohnraum zurück, während die Tochter des Wesirs fortging und sich an ihre Geschäfte machte. Nachdem die Herrin Marjam eine geraume Weile gewartet hatte, kehrte sie jedoch wieder zum Fenster zurück und setzte sich in dasselbe, ihren Herrn Nûr ed-Dîn betrachtend und ihre Blicke an seinem Liebreiz und anmutigem Wesen weidend. Sie sah, daß er dem Vollmond in der vierzehnten Nacht glich, jedoch seufzte er in einem fort, seine Thränen strömten unaufhörlich in der Erinnerung an das Vergangene, und er klagte sein Leid in Versen, so daß die Herrin Marjam ebenfalls weinen mußte und die beiden Verse sprach:

»Ich sehnte mich nach dem Geliebten, doch als wir uns trafen,
Da ward ich befangen und besaß weder Zunge noch Aug'.
Bände von zärtlichen Vorwürfen hatte ich mir zurecht gelegt,
Doch als wir uns trafen, fand ich kein einziges Wort.«

Als Nûr ed-Dîn die Worte der Herrin Marjam vernahm, erkannte er sie und sprach, bitterlich weinend: »Bei 76 Gott, das ist die Stimme der Herrin Marjam der Gürtelmaid! So ist's ohne Zweifel und ohne Fehl.

Achthundertundneunundachtzigste Nacht.

Ach ob meine Vermutung wohl richtig ist und ob sie's wirklich ist oder nicht?«

Die Herrin Marjam aber holte Tinte und Papier und schrieb darauf nach dem hohen Bismillāh: »Des ferneren, Gottes Frieden, Segnungen und Barmherzigkeit seien auf dir! Ich thue dir kund, daß das Mädchen Marjam dir den Salâm entbietet, und daß sie sich sehr nach dir sehnt. Dies ist ihr Schreiben an dich, und, sobald das Blatt in deine Hände fällt, erhebe dich unverzüglich und besorge, was sie von dir verlangt, aufs genauste, indem du dich hütest und abermals hütest, ihrem Befehl zuwider zu handeln und einzuschlafen. Wenn das erste Drittel der Nacht verstrichen ist, welches die günstigste Zeit ist, so thu nichts anderes, als daß du die beiden Pferde sattelst und sie zur Stadt hinausführst, indem du zu jedem, der dich fragt, wohin du gehst, sprichst: Ich gehe den Pferden Bewegung zu machen. Giebst du diese Antwort, so wird dich keiner aufhalten; denn die Bewohner dieser Stadt verlassen sich darauf, daß die Thore verschlossen werden.« Alsdann wickelte die Herrin Marjam das Blatt in ein seidenes Tuch und warf es aus dem Fenster Nûr ed-Dîn zu, der den Brief nahm und las. Als er aber seinen Inhalt begriffen hatte und erkannte, daß ihn die Herrin Marjam geschrieben hatte, küßte er ihn und legte ihn zwischen seine Augen. Indem er dann wieder an die süßen Stunden ihrer Vereinigung dachte, vergoß er Thränen und sprach die Verse:

Euer Schreiben traf bei mir ein im Dunkel der Nacht
Und erfüllte mein Herz mit Sehnsucht nach euch:
Es erinnerte mich an die verflossenen Tage des Liebesglücks,
Drum Preis dem Herrn, der uns mit der Trennung prüfte!«

Als nun die Nacht anbrach, machte Nûr ed-Dîn die beiden Hengste zurecht und wartete, bis das erste Drittel der 77 Nacht verstrichen war. Alsdann erhob er sich unverzüglich, sattelte sie mit zwei der schönsten Sättel und führte sie zur Stallthür hinaus, worauf er die Thür hinter sich verschloß und mit den Hengsten zur Stadt hinauszog; dann setzte er sich und wartete auf die Herrin Marjam.

Soviel mit Bezug auf Nûr ed-Dîn; die Prinzessin Marjam aber erhob sich sofort und begab sich zu dem Gemach, das für sie im Schloß eingerichtet war, wo sie den einäugigen Wesir antraf, gelehnt auf ein mit Straußenfedern gestopftes Kissen; doch scheute er sich die Hand nach ihr auszustrecken oder mit ihr zu sprechen. Als sie ihn erblickte, wandte sie sich im Herzen an ihren Herrn und betete: »O Gott, laß ihn nicht seinen Wunsch an mir erreichen und verhänge nicht über mich Befleckung nach Reinheit!« Alsdann ging sie auf ihn zu, indem sie sich stellte als ob sie ihn liebte und redete ihn schmeichelnd an, indem sie sich an seine Seite setzte und zu ihm sprach: »Mein Herr, was bedeutet diese Abneigung? Ist's Stolz von dir oder Koketterie? Jedoch sagt das gäng und gebe Sprichwort: ›Wenn der Salâm karg ist, so bieten ihn die Sitzenden den Stehenden.‹Zum guten Ton gehört das Umgekehrte. Kommst du, mein Herr, nicht zu mir und sprichst mit mir, so komme ich zu dir und spreche mit dir.« Der Wesir versetzte ihr hierauf: »Dein ist die Huld und Güte, o Königin der Erde in der Länge und Breite! Bin ich nicht einer deiner Sklaven und der geringste deiner Diener? Ich scheute mich in der That deine erlauchte Gegenwart zu behelligen, o kostbare Perle, und mein Angesicht ist vor dir auf dem Boden.« Marjam versetzte: »Laß doch diese Worte und bring' uns etwas zu essen und trinken.« Da rief der Wesir seine Sklavinnen und Eunuchen und befahl ihnen Speise und Trank aufzutragen, worauf sie ihm einen Tisch vorsetzten mit allem, was da kreucht, fleucht und schwimmt, wie Katāvögel, Wachteln, junge Tauben, Milchlämmer, Fettgänse, gebratenes Geflügel und sonstige Gerichte 78 von allerlei Art und Farbe. Da streckte die Herrin Marjam ihre Hand nach dem Tisch aus und aß und stopfte dem Wesir in einem fort Bissen in den Mund und küßte ihn dazwischen, bis sie sich beide gesättigt hatten, worauf sie sich die Hände wuschen. Hierauf trugen die Eunuchen den Speisetisch fort und brachten den Weintisch, und Marjam schenkte ein und trank und reichte dem Wesir zu trinken, wobei sie ihn aufs sorgsamste bediente, daß ihm das Herz beinahe vor Freude flog, und seine Brust sich vor Fröhlichkeit weit ausdehnte. Als sie aber sah, daß er die Zurechnungsfähigkeit verloren hatte und berauscht geworden war, langte sie mit der Hand in die Tasche und holte eine Pastille von jungfräulichem maghribitischem Bendsch hervor, den sie für eine solche Stunde bereit hielt, und von dem ein Elefant von einem Jahr zum andern geschlafen hätte, wenn er auch nur ein ganz klein wenig daran gerochen hätte. Dann krümelte sie ihn in seinen Becher, indem sie seine Aufmerksamkeit ablenkte, worauf sie ihm einschenkte und den Becher reichte. Der Wesir aber, dem der Verstand vor Freude fortflog, und der es kaum glauben konnte, daß sie ihm den Becher reichte, nahm ihn und trank ihn aus; und ehe noch der Wein in seinen Magen kam, lag er auch schon wie ein von Krämpfen Befallener am Boden. Da erhob sich die Herrin Marjam und füllte zwei große Reisesäcke mit allem, was leicht zu tragen und hoch an Wert war, wie Edelsteine, Hyazinthen und allerlei kostbare Metalle, und nahm auch etwas Speise und Trank zu sich, worauf sie Wehr und Waffen anlegte und auch für Nûr ed-Dîn an prächtigen königlichen Kleidungsstücken und herrlichen Waffen mitnahm, was ihn erfreuen konnte. Alsdann lud sie die beiden Reisesäcke auf ihre Schultern, da sie stark und hochgemut war, und machte sich, das Schloß verlassend, zu Nûr ed-Dîn auf den Weg.

Soviel von Marjam. 79

Achthundertundneunzigste Nacht.

Inzwischen hatte nun Nûr ed-Dîn, der unglückliche Liebhaber, an dem Stadtthor gesessen und auf sie gewartet, die Zügel der beiden Hengste in der Hand haltend. Gott aber, der Mächtige und Herrliche, sandte Schlaf über ihn, daß er einschlief, – Preis Ihm, der nimmer schläft! –

Nun hatten die Könige der Inseln zu jener Zeit gerade viel Geld ausgegeben, um sich beide Hengste oder auch nur einen stehlen zu lassen; und es war in jenen Tagen ein schwarzer Sklave, der auf den Inseln aufgewachsen war, als Rossedieb berühmt, dem die Frankenkönige eine Menge Geld gegeben hatten, daß er ihnen einen der beiden Hengste stähle, indem sie ihm zugleich versprochen hatten, ihm, falls er die Hengste stähle, eine ganze Insel zu schenken und außerdem ein kostbares Ehrenkleid zu verleihen. Dieser Sklave war bereits heimlich lange Zeit in der Frankenstadt umhergeschlichen, ohne die Hengste, so lange sie bei dem König waren, stehlen zu können; als er sie aber dem einäugigen Wesir geschenkt und dieser sie in seinen Stall hatte führen lassen, freute er sich mächtig und entbrannte in Verlangen nach ihnen, indem er bei sich sprach: »Bei dem Messias und dem lautern Glauben, ich stehle sie sicherlich!« Hierauf hatte er sich in ebenderselben Nacht nach dem Stall des Wesirs aufgemacht, um die beiden Hengste zu stehlen, als er sich unterwegs von ungefähr umschaute und Nûr ed-Dîn mit den Zügeln der Hengste in der Hand schlafen sah. Da nahm er ihnen die Zügel vom Kopf herunter und wollte eben einen der Hengste besteigen und den andern vor sich hertreiben, als die Herrin Marjam mit den beiden Reisesäcken auf den Schultern ankam. Im Glauben, daß der Sklave Nûr ed-Dîn sei, reichte sie ihm zuerst den einen und dann den andern Reisesack, die er schweigend auf die Hengste legte. Alsdann schritt sie zum Stadtthor hinaus, während ihr der Sklave schweigend folgte, so daß sie ihn fragte: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, warum so 80 still?« Da wendete sich der Sklave zornig zu ihr und sagte: »Was sprichst du da, Mädchen?« Als sie nun die barbarische Aussprache des Sklaven vernahm, erkannte sie, daß es nicht Nûr ed-Dîns Sprache war, und, ihr Haupt zu ihm erhebend, betrachtete sie ihn und fand, daß er Nasenlöcher wie Eimer hatte. Da ward das helle Licht Finsternis in ihrem Angesicht, und sie fragte ihn: »Wer bist du, o Scheich der Söhne Hams, und wie ist dein Name unter den Menschen?« Der Sklave erwiderte: »O Tochter der Gemeinen, mein Name ist Masûd der Rossedieb, wenn die Leute schlafen.« Marjam gab ihm hierauf keine Antwort, sondern zog auf der Stelle ihr Schwert und versetzte ihm einen Streich in den Nacken, daß die Klinge ihm blitzend die Halssehnen durchschnitt, und er zu Boden stürzte, sich in seinem Blute wälzend; und Gott jagte seine Seele ins höllische Feuer, eine schimpfliche Stätte! Hierauf nahm die Herrin Marjam die beiden Hengste, bestieg den einen, während sie den andern anfaßte, und kehrte in ihrer Spur zurück, nach Nûr ed-Dîn suchend, bis sie ihn an dem verabredeten Ort schnarchend fand, die Zügel noch in der Hand haltend und Hand von Fuß nicht unterscheiden könnend. Da stieg sie vom Rücken ihres Hengstes ab und gab ihm einen Knuff, daß er erschrocken aus dem Schlaf erwachte und zu ihr sagte: »Gott sei gelobt, meine Herrin, daß du wohlbehalten angekommen bist!« Sie erwiderte ihm: »Steh' auf und besteig', ohne ein Wort zu sprechen, diesen Hengst.« Da erhob er sich und bestieg den Hengst, während sich die Herrin Marjam auf den andern Hengst setzte; dann ritten sie zur Stadt hinaus, bis sich Marjam nach einer Weile zu Nûr ed-Dîn umwendete und zu ihm sprach: »Befahl ich dir nicht, nicht einzuschlafen? Wer schläft, hat kein Glück.« Nûr ed-Dîn versetzte: »Ich schlief nur wegen meiner Herzensruhe über dein Eintreffen. Was ist denn vorgefallen, meine Herrin?« Da erzählte sie ihm ihr Erlebnis mit dem Schwarzen von Anfang bis zu Ende, worauf Nûr ed-Dîn versetzte: »Gelobt sei Gott für deine Rettung!« Alsdann 81 ritten sie eilig weiter, ihre Sache dem Allgütigen, Allweisen anheimstellend, und plauderten miteinander, bis sie zu dem Sklaven kamen, den die Herrin Marjam niedergehauen hatte, und ihn wie einen Ifrîten am Boden liegen sahen. Da sagte Marjam zu Nûr ed-Dîn: »Steig ab, zieh ihm die Sachen aus und nimm seine Waffen.« Nûr ed-Dîn versetzte: »Ach meine Herrin, bei Gott, ich vermag nicht vom Rücken des Hengstes abzusteigen noch mich ihm zu nähern oder gar an ihn heranzutreten;« und er verwunderte sich über ihr Wesen, über ihre Tapferkeit und Herzensstärke, und dankte ihr für ihre That. Alsdann ritten sie in flottem Trab den Rest der Nacht über weiter, bis der Morgen anbrach und es licht ward und tagte, und die Sonne ihr Licht über die Hügel und in die Gründe ausgoß, als sie zu einer weiten Wiese gelangten, auf der die Gazellen munter sprangen. Ihr Gefilde war grün, und überall standen Früchte allerlei Art; ihre Blumen waren bunt wie Schlangenbäuche, die Vögel schmetterten laut, und Bäche durchströmten zahlreich ihre Flur. So glich sie dem trefflichen Dichterwort, das des Hörers Wunsch zufriedenstellt:

»Ein Wadi mit zwitschernden Vögeln und einem Teich,
Nach dem sich der Verliebte im Morgengrauen sehnt.
Dem Paradiese gleicht es mit seinen Abhängen,
Reich an Schatten, Früchten und fließendem Wasser.

Infolgedessen lagerten sich die Herrin Marjam und Nûr ed-Dîn in diesem Wadi, um sich auszuruhen.

Achthundertundeinundneunzigste Nacht.

Sie aßen von den Früchten des Wadis und tranken von seinen Flüssen, nachdem sie die Hengste losgelassen hatten, auf der Wiese zu weiden und Wasser zu saufen. Alsdann saßen sie da und plauderten miteinander, indem sie einander erzählten, was ihnen widerfahren war, wobei ein jeder dem andern klagte, was er alles für Schmerzen durch die Trennung und Sehnsucht erlitten hätte. Während sie aber in dieser 82 Weise dasaßen, erhob sich mit einem Male eine Staubwolke und verhüllte den Horizont, worauf sie Rossegewieher und das Klirren von Waffen vernahmen.

Die Ursache hiervon war aber folgende: Nachdem der König seine Tochter dem Wesir vermählt und dieser sie in jener Nacht besucht hatte, wollte der König am nächsten Tag in der Frühe ihr guten Morgen wünschen, wie es die Könige mit ihren Töchtern zu thun pflegten; und so erhob er sich und nahm seidene Zeuge mit sich und schritt in Begleitung einiger seiner Pagen, indem er Gold und Silber ausstreute, daß sich die Eunuchen und Putzweiber darum balgten, zum neuen Schloß, wo er den Wesir auf dem Bett liegen fand, ohne daß er imstande gewesen wäre den Kopf von seinen Füßen zu unterscheiden; als er hierauf nach rechts und links im Schloß nach seiner Tochter suchte, ohne sie zu finden, ward er bekümmert und beunruhigt und befahl heißes Wasser, jungfräulichen Essig und Weihrauch zu holen, das er zusammenthat, worauf er es den Wesir einatmen ließ. Darauf schüttelte er ihn, und nun brach er den Bendsch aus seinem Magen aus, als wäre es ein Stück Käse. Dann ließ der König es ihn zum zweitenmal einschnupfen, und fragte ihn, als er nunmehr erwachte, nach seinem und seiner Tochter Befinden. Da versetzte der Wesir: »O großmächtiger König, ich weiß nichts von ihr; sie reichte mir einen Becher zu trinken, und seit jenem Augenblick weiß ich nichts mehr von mir bis zu dieser Stunde und hab' keine Ahnung, wo sie geblieben ist.« Als der König dies von dem Wesir vernahm, ward das helle Licht Finsternis in seinem Angesicht, und, sein Schwert ziehend, versetzte er dem Wesir einen Streich aufs Haupt, daß die Klinge blitzend zwischen seinen Backenzähnen herausfuhr. Alsdann schickte er unverzüglich zu den Pagen und Stallknechten und verlangte nach den beiden Hengsten, worauf sie zu ihm sprachen: »O König, die Hengste sind heute Nacht verschwunden und unser Stallmeister mit ihnen. Als wir des Morgens erwachten, fanden wir alle 83 Thüren offen stehen.« Da rief der König: »Bei meinem Glauben, und allem, was mir hohe und heilige Zuversicht ist, kein anderer hat die Hengste entführt als meine Tochter und der Gefangene, welcher die Kirche bediente und mit ihr zum erstenmal entfloh! Ich erkannte ihn sehr wohl, und niemand anders als dieser einäugige Wesir befreite ihn aus meiner Hand; doch nun hat er den Lohn für seine That dahin.« Alsdann rief der König unverzüglich seine drei Söhne, wackere Degen, von denen ein jeder seine tausend Ritter im Schlachtfeld und auf dem Schwert- und Lanzenplan stand, und befahl ihnen aufzusitzen, worauf er mit ihnen aufsaß und mit den erlesensten Bitrîken, Staatshäuptern und Großen des Reiches ihren Spuren nachsetzte, bis er sie bei jenem Wadi einholte.

Als Marjam sie erblickte, sprang sie auf und, ihr Schwert umhängend und sich wappnend, bestieg sie ihr Roß und sagte zu Nûr ed-Dîn: »Wie steht's mit dir und wie ist dein Herz im Gefecht, im Streit und Waffentanz?« Nûr ed-Dîn versetzte: »Ich stehe im Streit so fest wie ein Zeltpflock in der Kleie.« Als Marjam seine Worte vernahm, lachte sie und sagte lächelnd zu ihm: »Mein Herr Nûr ed-Dîn, bleib' an deinem Platz, während ich dich vor ihrem Übel schütze, auch wenn sie zahlreich sind wie der Sand. Besteig' jedoch dein Roß und halte dich hinter mir; und so wir in die Flucht getrieben werden, so hüte dich herunterzufallen, denn niemand kann dein Roß einholen.« Alsdann kehrte sie ihre Lanzenspitze gegen die Lanzen der Feinde und ließ ihrem Hengst die Zügel locker, worauf er unter ihr wie die Windsbraut davon stob oder wie Wasser aus einem Rohr. Marjam aber war am tapfersten von allem Volk ihrer Zeit und die Perle ihrer Tage und ihres Jahrhunderts, da ihr Vater sie bereits in ihrer Kindheit die Kunst des Reitens auf dem Rücken der Pferde gelehrt hatte sowie zu waten in des Kampfes Meeren in der Finsternis der Nacht.

Als nun der König nach Marjam schaute und seine Tochter 84 genau erkannte, wendete er sich zu seinem ältesten Sohn und sagte zu ihm: »Bertaut, der du zubenannt bist Ras el-Killaut, dies ist ohne Zweifel und Fehl deine Schwester Marjam, die auf uns lossprengt und mit uns streiten und fechten will. Tritt wider sie an und fecht' mit ihr, und, beim Messias und dem lautern Glauben, so du dich ihrer bemächtigst, töte sie nicht eher, als bis du ihr den nazarenischen Glauben vorgelegt hast. Kehrt sie zu ihrem alten Glauben zurück, so bringe sie gefangen her; lehnt sie ihn jedoch ab, so laß sie des schimpflichsten Todes sterben und mache sie zum schandbarsten Exempel zugleich mit dem Verruchten, der bei ihr ist.« Bertaut versetzte: »Ich höre und gehorche.« Alsdann sprengte er wider seine Schwester Marjam ins Feld, während sie gleichfalls auf ihn losgesetzt kam. Als sie nahe bei ihm angelangt war, rief Bertaut ihr zu: »O Marjam, genügte nicht das, was du uns anthatest, daß du auch noch den Glauben der Väter und Ahnen aufgeben und dem Glauben der Wallfahrter, d. h. dem Islam, Folge leisten mußtest? Aber beim Messias und dem lautern Glauben, wenn du nicht zum Glauben deiner königlichen Väter und Ahnen zurückkehrst und den schönsten Wandel in ihm führst, so sollst du durch mich eines übeln Todes sterben und zum schandbarsten Exempel gemacht werden.« Da lachte Marjam über ihres Bruders Worte und versetzte: »Weit gefehlt! weit gefehlt! Nimmer kehrt das Vergangene wieder und wird ein Toter lebendig. Ich will dich die bittersten Seufzer hinunterschlucken lassen und, bei Gott, nimmer will ich vom Glauben Mohammeds, des Sohnes des Abdallāh, ablassen, dessen Heil alle umfaßt. Er ist der wahre Glaube, und nimmer will ich den Weg der rechten Leitung verlassen, und sollte ich auch den Becher des Todes trinken!«

Achthundertundzweiundneunzigste Nacht.

Als der verruchte Bertaut von seiner Schwester diese Worte vernahm, ward das helle Licht Finsternis in seinem Angesicht; die Sache erzürnte und empörte ihn, und ein 85 erbitterter Kampf entbrannte zwischen beiden, in dem sie durchs Wadi der Länge und Breite nach tobten und einander standhaft bedräuten, während aller Blicke in starrem Staunen auf sie gerichtet waren. Alsdann tummelten und bedrängten sie einander lange Zeit, und so oft Bertaut eine neue Kampfespforte gegen seine Schwester öffnete, vereitelte sie dieselbe und verschloß sie durch ihre feine Kunst, ihre Trefflichkeit, Kenntnis und Ritterschaft bis der Staub sich über ihren Häuptern zusammenwölbte, und sie den Blicken entzogen wurden. Marjam aber tummelte ihn unablässig und verlegte ihm den Weg, bis er ermüdete, sein Mut schwand, seine Entschlossenheit nachließ, und seine Kraft erlahmte. Dann versetzte sie ihm einen Schwertstreich in den Nacken, daß die Klinge blitzend aus den Halssehnen fuhr, und Gott seine Seele ins höllische Feuer jagte, – eine schlimme Stätte! Hierauf tummelte Marjam ihr Roß auf dem Plan und der Schwert- und Lanzenstätte umher und forderte die Kämpen zum Zweikampf heraus, indem sie rief: »Ist einer, der da fechten und antreten will zum Kampf? Kein Feigling sei's und kein Schwächling heut! Antreten sollen nur die Degen der Feinde des Glaubens, daß ich ihnen den Becher schmählicher Strafe zu kosten gebe. Ihr Götzendiener, ihr Ungläubigen und Rebellen, heute ist der Tag, an dem die Gesichter der Gläubigen weiß erstrahlen sollen, während die Gesichter derer, die den Barmherzigen verleugnen, geschwärzt werden.«

Als nun der König seinen ältesten Sohn erschlagen sah, schlug er sich vors Gesicht und, seine Kleider zerreißend, rief er seinen zweiten Sohn und sprach zu ihm: »O Bertûs, zubenannt Char es-Sûs, tritt schnell heraus zum Kampf wider deine Schwester Marjam, mein Sohn, räche das Blut deines Bruders Bertaut und bring' sie mir gefangen und in Schmach und Schanden her.« Bertûs versetzte: »Ich höre und gehorche, mein Vater;« alsdann sprengte er wider seine Schwester und attackierte sie, worauf sie einen erbitterten Kampf miteinander kämpften, erbitterter als zuvor, bis ihr zweiter 86 Bruder sah, daß er ihr nicht stand zu halten vermochte und sein Heil in der Flucht suchen wollte. Wegen ihrer großen Tapferkeit vermochte er es jedoch nicht, denn, so oft er fliehen wollte, nahte sie ihm und hing sich an ihn und trieb ihn in die Enge, bis sie ihm einen Schwertstreich in den Nacken versetzte, daß die Klinge blitzend die Gurgel durchschnitt, und er von ihr seinem Bruder nachgeschickt wurde. Alsdann tummelte sie ihr Roß wieder auf dem Kampfplan und der Schwert- und Lanzenstätte und rief: »Wo sind die Ritter und Degen? Wo ist der einäugige lahme Wesir, des gekrümmtenGekrümmt im Sinne von gefälscht. Glaubens Diener?« Da rief ihr Vater aus verwundetem Herzen und mit thränenwundem Aug': »Sie hat meinen zweiten Sohn erschlagen, beim Messias und dem lautern Glauben!« Alsdann rief er seinen jüngsten Sohn und sprach zu ihm: »O Fasjân, zubenannt Salh es-Subjân, zieh' hinaus mein Sohn zum Kampf wider deine Schwester, räche das Blut deiner Brüder und fecht' mit ihr, sei's, daß es für oder wider dich endet; und wenn du sie in deine Gewalt bekommst, so gieb ihr den schmählichsten Tod.« Infolgedessen trat ihr jüngster Bruder wider sie auf den Plan und berannte sie, sie aber empfing ihn mit feinster Kunst, mit ihrer Tapferkeit, Geschicklichkeit und Ritterlichkeit, indem sie ihm zurief: »Du Feind Gottes und der Moslems, ich sende dich deinen Brüdern nach, und schimpflich ist der Kâfirs Behausung!« Hierauf zog sie ihr Schwert aus der Scheide und hieb ihm das Haupt und die Arme ab, ihn seinen Brüdern nachsendend; und Gott jagte seine Seele ins Feuer, – eine schlimme Stätte! Als nun die Bitrîken und die Ritter, die mit dem König ausgezogen waren, seine drei Söhne erschlagen sahen, die die Tapfersten ihrer Zeit waren, wurde ihr Herz von Entsetzen vor der Herrin Marjam gepackt, und Furcht betäubte sie, daß sie die Köpfe zur Erde duckten und, des Todes, der Schande und Vernichtung gewiß, mit vor Zorn 87 lichterloh brennendem Herzen die Rücken wandten und ihr Heil in der Flucht suchten.

Als aber der König seine Söhne erschlagen und seine Streiter fliehen sah, wurde er verstört und entsetzt, und mit entbranntem Herzen sprach er bei sich: »Fürwahr, die Herrin Marjam hat uns zu schanden gemacht, und, so ich mein Leben wage und allein wider sie antrete, könnte sie mich ebenfalls bezwingen und mir den schimpflichsten Tod geben und mich zum gemeinsten Exempel machen, wie sie ihre Brüder erschlagen hat; denn sie hat kein Verlangen mehr nach uns, wie wir nicht mehr nach ihrer Rückkehr; ich erachte daher für richtig, daß ich meine Ehre wahre und zu meiner Stadt zurückkehre.« Alsdann gab der König seinem Pferd die Zügel und kehrte in die Stadt zurück. Als er aber in seinem Schloß saß, entbrannte in seinem Herzen ein Feuer über den Tod seiner drei Söhne und die Flucht seiner Streiter und seiner Ehre Schändung, und ehe noch eine halbe Stunde verstrich, schickte er nach den Häuptern des Staates und den Großen des Königreiches und klagte ihnen, was seine Tochter Marjam ihm durch den Tod ihrer Brüder angethan und was für Kummer und Gram er dadurch erlitten hätte. Er fragte sie um Rat, und alle empfahlen ihm an den Chalifen Gottes auf Erden, den Fürsten der Gläubigen Hārûn er-Raschîd einen Brief zu schreiben und ihm die Sache mitzuteilen. Und so schrieb er einen Brief an Er-Raschîd, in welchem nach dem Salâm an den Fürsten der Gläubigen folgendes stand: »Wir haben eine Tochter, Namens Marjam die Gürtelmaid, die uns ein moslemischer Gefangener, Namens Nûr ed-Dîn Alī, Sohn des Kaufmanns Tâdsch ed-Dîn von Kairo, verführt und des Nachts in sein Land entführt hat. Ich bitte deshalb unsern Herrn den Fürsten der Gläubigen in seiner Güte an alle Lande der Moslems zu schreiben, sie zu ergreifen und mit einem zuverlässigen Boten zu uns zu schicken.« 88

Achthundertunddreiundneunzigste Nacht.

Unter anderm stand dann noch im Brief: »Zum Lohn für eure Hilfe in dieser Angelegenheit wollen wir euch die Hälfte der Stadt Groß-Rom überlassen, daß du Moscheen daselbst für die Moslems erbaust, und ihr Tribut soll zu euch gebracht werden.«

Nachdem der Frankenkönig diesen Brief auf den Rat seiner Großen und Staatshäupter geschrieben hatte, faltete er ihn zusammen und rief seinen Wesir, den er an Stelle des einäugigen Wesirs eingesetzt hatte, worauf er ihm befahl, das Schreiben mit dem Staatssiegel zu versiegeln, und die Großen des Reiches unterschrieben und siegelten es ebenfalls. Alsdann sprach er zum Wesir, indem er ihm den Brief einhändigte: »Wenn du dieses Schreiben zur Stadt Bagdad, der Stätte des Friedens, bringst und es dem Fürsten der Gläubigen von Hand zu Hand überreichst, so sollst du von mir das Lehen zweier Emire und ein Ehrenkleid mit zwei Säumen erhalten.«

Da machte sich der Wesir mit dem Schreiben auf und durchmaß Thäler und Wüsten, bis er zur Stadt Bagdad gelangte. Hier eingetroffen, ruhte er sich zunächst drei Tage lang aus, worauf er sich nach dem Palast des Fürsten der Gläubigen Hārûn er-Raschîd erkundigte, und man ihn dorthin wies. Beim Palast angelangt, bat er den Fürsten der Gläubigen um Audienz, und, als dieser ihm die Audienz gewährte, trat er bei ihm ein und überreichte ihm, nachdem er die Erde vor ihm geküßt hatte, den Brief des Frankenkönigs zugleich mit Geschenken und wunderbaren Kostbarkeiten, wie sie sich für den Fürsten der Gläubigen geziemten. Als nun der Chalife das Schreiben geöffnet und gelesen und seinen Inhalt begriffen hatte, befahl er unverzüglich seinen Wesiren an alle Lande der Moslems Briefe zu schreiben; und die Wesire thaten es, indem sie zugleich Marjams und Nûr ed-Dîns Namen und Aussehen angaben, hervorhebend, daß 89 sie Flüchtlinge seien, und jeden der sie fände, auffordernd, sie festzunehmen und zum Fürsten der Gläubigen zu senden und sich ja davor zu hüten, in dieser Sache säumig, lässig oder unachtsam zu sein. Alsdann versiegelten sie die Briefe und schickten sie durch Kuriere zu den Gouverneuren, welche sich eilig daran machten, den Befehl auszuführen, und in allen Landen nach Personen von dem beschriebenen Aussehen suchten.

Inzwischen waren Nûr ed-Dîn der Kairenser und Marjam die Gürtelmaid, die Tochter des Frankenkönigs, nach der Flucht des Königs und seiner Streiter unverzüglich wieder aufgesessen und unter dem Schutz des Schützers nach Syrien gezogen, bis sie die Stadt Damaskus erreicht hatten. Die Kuriere, welche der Chalife ausgesandt hatte, waren ihnen jedoch nach Damaskus um einen Tag zuvorgekommen, und der Emir von Damaskus wußte, daß ihm geheißen war, beide, so bald sie gefunden würden, festzunehmen und zum Chalifen zu schicken. Infolgedessen kamen an demselben Tage, an dem sie Damaskus erreicht hatten, die Späher zu ihnen und fragten sie nach ihren Namen, worauf sie ihnen dieselben der Wahrheit gemäß nannten und ihnen ihre Geschichte und alle ihre Erlebnisse mitteilten. Die Spione, die sie hieran erkannten, nahmen sie daher fest und führten sie vor den Emir von Damaskus, der sie zum Chalifen nach der Stadt Bagdad, der Stätte des Friedens, schickte. Als sie daselbst eintrafen und den Fürsten der Gläubigen Hārûn er-Raschîd um Audienz ersuchten, gewährte er ihnen dieselbe, worauf sie bei ihm eintraten und, die Erde vor ihm küssend, also sprachen: »O Fürst der Gläubigen, siehe, dies hier ist Marjam die Gürtelmaid, die Tochter des Frankenkönigs, und das ist Nûr ed-Dîn, der Sohn des Kaufmanns Tâdsch ed-Dîn von Kairo, der Gefangene, welcher sie gegen ihren Vater aufhetzte, sie aus seinem Land und Königreich entführte und mit ihr nach Damaskus floh, wo wir sie in demselben Augenblick fanden, als sie die Stadt betreten hatten. Auf unsere 90 Frage nach ihren Namen nannten sie uns dieselben der Wahrheit gemäß, weshalb wir beide hierher brachten und vor dich führten.«

Da schaute der Fürst der Gläubigen Marjam an und sah, daß sie von schlanker Gestalt und Figur war, beredten Wortes, die Schönste ihrer Zeit und die Perle ihrer Tage und ihres Jahrhunderts, von süßer Zunge, festem Gemüt und starkem Herzen. Sie aber küßte die Erde vor ihm, wünschte ihm Ruhm und Glück in ewiger Dauer und des Unglücks und Hasses Ende, so daß der Chalife, verwundert über ihre schöne Gestalt, die Süße ihrer Rede und ihre schnelle Antwort, zu ihr sprach: »Bist du Marjam die Gürtelmaid, die Tochter des Frankenkönigs?« Sie versetzte: »Jawohl, o Fürst der Gläubigen, Imâm der Unitarier, Hort des Glaubens und Vetter des Herrn der Gottesgesandten.« Alsdann wendete sich der Chalife zu Nûr ed-Dîn, und als er sah, daß er ein hübscher Jüngling war von schönem Äußern gleich dem leuchtenden Mond in der Nacht seiner Ründung, sprach er zu ihm: »Bist du Alī Nûr ed-Dîn der Gefangene, der Sohn des Kaufmanns Tâdsch ed-Dîn aus Kairo?« Nûr ed-Dîn versetzte: »Jawohl, o Fürst der Gläubigen und der Strebenden Stütze.« Da fragte der Chalife: »Wie kam es, daß du dieses Mädchen aus dem Reich ihres Vaters raubtest und mit ihr flohest?« Nun erzählte Nûr ed-Dîn dem Chalifen alle seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende, und, als er seinen Bericht beendet hatte, verwunderte und freute sich der Chalife höchlichst und rief: »Wie viel müssen doch die Menschen erdulden!«

Achthundertundvierundneunzigste Nacht.

Alsdann wendete er sich wieder zur Herrin Marjam und sprach zu ihr: »Marjam, wisse, dein Vater der Frankenkönig hat deinetwegen an uns geschrieben, was sagst du hierzu?« Da erwiderte sie: »O Chalife Gottes auf Erden, Vollstrecker der Sunna und der Verordnungen seines Propheten, Gott 91 gebe dir ewiges Glück und schütze dich vor Unglück und Haß! Du bist Gottes Chalife auf Erden, und ich habe euern Glauben angenommen, weil er der lautere und wahrhafte Glauben ist; ich gab die Religion der Ungläubigen auf, welche den Messias zum Lügner machen, und ward gläubig an Gott, den Allgütigen, und an die Offenbarung seines barmherzigen Gesandten. Ich bete Gott an, – Preis Ihm, dem Erhabenen! – ich bekenne ihn als den einzigen Gott und werfe mich demütig vor ihm nieder und lobpreise ihn; und ich spreche vor dem Chalifen: Ich bezeuge, daß es keinen Gott giebt außer Gott, und daß Mohammed der Gesandte Gottes ist, den er entsandte mir der rechten Leitung und dem wahren Glauben, daß er ihn über jeden andern Glauben siegreich mache, auch wenn es denen, die Gott Gefährten zugesellen, ein Greuel ist. Steht es deshalb in deiner Befugnis, o Fürst der Gläubigen, den Brief des Königs der Ketzer anzunehmen und mich in das Land der Kâfirs zurückzusenden, die dem allwissenden König Gefährten zugesellen, die das Kreuz verherrlichen, Götzenbilder anbeten und an die Gottheit Jesus glauben, der doch ein Geschöpf war? Wenn du dies mit mir thust, o Chalife Gottes, so will ich mich an deine Säume hängen am Tag der Heerschau vor Gott und mich bei deinem Vetter, dem Gesandten Gottes – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – beklagen, an jenem Tag, wo weder Gut noch Kinder frommen, es sei denn, daß man heilen Herzens zu Gott kommt.« Der Chalife erwiderte ihr hierauf: »O Marjam, Gott soll hüten, daß ich jemals solches thäte! Wie werde ich eine Moslemin, die den einigen Gott bekennt und seinen Gesandten, zurückschicken zu dem, was Gott und sein Gesandter verboten hat?« Marjam versetzte: »Ich bezeuge, daß es keinen Gott giebt außer Gott, und daß Mohammed der Gesandte Gottes ist.« Der Fürst der Gläubigen entgegnete ihr: »O Marjam, Gott segne dich und leite dich noch schöner im Islam! Seitdem du eine Moslemin geworden bist und den einigen Gott bekennst, bin ich dir gegenüber dahin 92 verpflichtet, daß ich mich niemals dir gegenüber vergehe, auch wenn mir um deinetwillen die ganze Erde voll Gold und Edelsteine geboten würde. Sei deshalb guten Mutes und kühlen Auges, dehne deine Brust froh aus und sei leicht ums Herz. Und bist du dessen zufrieden, daß dieser Jüngling Alī der Kairenser dein Ehgemahl wird und du sein Weib?« Marjam versetzte: »O Fürst der Gläubigen, wie sollte ich des nicht zufrieden sein, wo er mich mit seinem Geld gekauft und mit höchster Güte behandelt hat, die so weit ging, daß er sein Leben um meinetwillen wiederholentlich aufs Spiel setzte?« Da ließ der Fürst der Gläubigen den Kadi und die Zeugen kommen, den Ehekontrakt zu schreiben, und vermählte beide miteinander, indem er ihr eine Brautgabe schenkte und die Großen des Reiches einlud, beim Schreiben des Ehekontraktes zugegen zu sein; und es war ein berühmter Tag. Alsdann wendete sich der Fürst der Gläubigen unverzüglich zum Wesir des Königs von Rûm, der zu jener Stunde anwesend war, und sprach zu ihm: »Hast du ihre Worte gehört? Wie kann ich sie zu ihrem Vater dem Kâfir zurückschicken, wo sie eine Moslemin ist, die den einigen Gott bekennt? Vielleicht behandelt er sie übel und hart, zumal, wo sie seine Söhne erschlagen hat, und ich habe so am Tage der Auferstehung die Schuld hiervon zu tragen. Hat doch auch Gott der Erhabene gesagt: Gott wird keineswegs den Kâfirs über die Gläubigen Macht geben. Kehre daher zu deinem König heim und sprich zu ihm: Steh' ab von dieser Sache und trachte nicht nach ihr!«

Nun aber war dieser Wesir ein Dummkopf und erwiderte dem Chalifen: »O Fürst der Gläubigen, beim Messias und dem lautern Glauben, ich darf ohne Marjam nicht heimkehren, auch wenn sie ein Moslemin wäre. Würde ich ohne sie zu ihrem Vater heimkehren, so würde er mich töten.« Da rief der Chalife: »Nehmt diesen Verruchten und richtet ihn hin!« Alsdann befahl er, dem verruchten Wesir den Kopf abzuschlagen und seinen Leichnam zu verbrennen; die 93 Herrin Marjam rief jedoch: »O Fürst der Gläubigen, besudele nicht dein Schwert mit dem Blut dieses Verruchten.« Dann zog sie ihr Schwert und versetzte ihm einen Streich, daß ihm das Haupt vom Rumpf flog, und er zum Haus des Verderbens fuhr; und es ward seine Wohnung Dschehannam, – eine schlimme Stätte! Der Chalife verwunderte sich über die Kraft ihres Arms und ihres Herzens Festigkeit und verlieh Nûr ed-Dîn ein kostbares Ehrenkleid, indem er beiden eine Wohnung in seinem Palast anwies; ferner setzte er ihnen Gehalt, Einkünfte und Stipendien fest und befahl, alles, was sie an Kleidern, Zimmereinrichtung und kostbarem Geschirr bedurften, zu ihnen in die Wohnung zu schaffen.

So führten sie geraume Zeit das bekömmlichste und angenehmste Leben in Bagdad, bis Nûr ed-Dîn nach seinen Eltern Sehnsucht bekam und dem Chalifen die Sache vorhielt, indem er ihn um Erlaubnis bat, in seine Heimat zu ziehen und seine Verwandten zu besuchen. Der Chalife gewährte ihm die Erlaubnis hierzu und ließ Marjam vor sich kommen, worauf er beide einander empfahl. Außerdem gab er ihnen Geschenke und kostbare Raritäten mit und befahl, an die Emire, die Gelehrten und Großen der Stadt Kairo der Wohlverwahrten, Empfehlungsbriefe für Alī Nûr ed-Dîn, sein Mädchen und seine Eltern zu schreiben und ihnen ans Herz zu legen sie mit den höchsten Ehren auszuzeichnen. Als die Nachricht hiervon nach Kairo gelangte, freute sich der Kaufmann Tâdsch ed-Dîn über die Heimkehr seines Sohnes Nûr ed-Dîn; ebenso freute sich seine Mutter über die Maßen, und die Großen, die Emire und Reichshäupter zogen ihm infolge des Befehls des Chalifen zum Empfang entgegen; und es war ein hübscher, wunderbarer und gerühmter Tag, an dem Liebender und Liebster vereinigt wurde, und der Suchende das Gesuchte fand. Dann richteten ihnen die Emire der Reihe nach Tag für Tag Feste an und freuten sich über die Maßen über sie und ehrten sie mit immer neuen Ehren. Als Nûr ed-Dîn aber mit seinen Eltern wieder vereinigt war, 94 erfreuten sie sich über die Maßen aneinander, und ihre Trauer und Kümmernis wich. Ebenso freuten sie sich über die Herrin Marjam und erwiesen ihr die höchsten Ehren. Dann trafen die Geschenke und Kostbarkeiten von den Emiren und großen Kaufleuten bei ihnen ein, und sie lebten alle Tage in neuer Fröhlichkeit und Freude, die größer war als eine Festfreude. In dieser Weise lebten sie in Freuden und Wonnen und reichstem Glück und schmausend und zechend geraume Zeit, bis daß der Zerstörer der Freuden, der Trenner der Vereinigungen, der Verwüster der Häuser und Paläste, der Bevölkerer der Gräber sie heimsuchte, und sie von der Welt abschieden unter die Zahl der Toten. Preis sei dem Lebendigen, der nimmer stirbt, und in dessen Hand die Schlüssel sind zur sichtbaren und unsichtbaren Welt!

 


 


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