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Tausend und eine Nacht. Band XV
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Die Raben und der Falke.

»Wisse, o glückseliger König, in einer der Steppen befand sich ein weites Thal voll Bächen, Bäumen, Früchten und Vögeln, die Gott, den Einigen, den Allbezwinger, den Schöpfer der Nacht und des Tages lobpreisten. Unter diesen Vögeln befand sich aber auch eine Schar Raben, die das angenehmste Leben führten, und ihr Häuptling und Regent war ein Rabe, der sie in Milde und Güte regierte, so daß sie unter ihm in Sicherheit und Frieden lebten; und wegen ihrer 132 guten Verwaltung ihrer Angelegenheiten vermochte kein anderer Vogel über sie Gewalt zu bekommen. Da traf es sich, daß ihr Häuptling das Zeitliche segnete und daß ihn das allen Kreaturen versiegelte Los ereilte, worauf sie ihn rief betrauerten, und zwar um so mehr, daß sie unter sich keinen gleich ihm hatten, seine Stelle einzunehmen. Sie versammelten sich zu diesem Zwecke alle und pflogen des Rates, wen sie wegen seiner Rechtschaffenheit über sich setzen sollten. Ein Teil von ihnen erwählte sich einen Raben, indem sie sprachen: »Dieser verdient es unser König zu sein,« während andere sich dem widersetzten und ihn nicht haben wollten. Und so entstand unter ihnen Zwiespalt und Streit und die Zwietracht unter ihnen nahm überhand. Schließlich einigten sie sich und schlossen einen Bund daraufhin, die Nacht über zu schlafen und, daß am nächsten Morgen in der Frühe keiner seiner Nahrung nachgehen sollte, sondern sollten alle zusammen bis zum Morgen warten und sich bei Anbruch der Morgenröte auf einen Platz versammeln und den Vogel zu ihrem König erwählen und ihn mir ihren Angelegenheiten betrauen, der allen andern im Flug zuvorkäme. Alle einigten sich hierauf und schlossen daraufhin einen Bund untereinander. Während sie aber flogen, stieg ein Falke über sie auf; und so riefen sie: »O guter Herr, wir erwählen dich zum Herrscher über uns, Einsicht in unsere Geschäfte zu nehmen.« Der Falke war dessen zufrieden und erwiderte ihnen: »So Gott will, der Erhabene, wird es euch durch mich sehr wohl ergehen.« Nachdem sie ihn aber zu ihrem Herrscher erwählt hatten, begann er jeden Tag, wenn er und die Raben auszogen, einen derselben mit sich zu nehmen, ihn zu packen, seinen Bregen und seine Augen zu fressen und das andre liegen zu lassen. Er verfuhr in dieser Weise mit ihnen, bis sie es merkten und sahen, daß der größere Teil von ihnen umgekommen war, worauf sie, des Todes gewiß, zu einander sprachen: »Was sollen wir thun, wo die Mehrzahl von uns umgekommen ist? Wir erwachten nicht eher als bis unsere 133 Großen umgekommen sind, und müssen nun auf der Hut für unser Leben sein.« Am andern Morgen flohen sie dann vor ihm und zerstreuten sich.

So fürchteten wir auch, daß es uns ebenso ergehen könnte, und daß wir einen andern König als dich bekommen würden; jedoch hat uns Gott diese Huld beschert, und nunmehr sehen wir voll Vertrauen dem Frieden, der Vereinigung, Sicherheit und dem Heil unserer Heimat entgegen. Gesegnet sei der große Gott, Ihm sei das Lob, der Dank und der schönste Preis! Und Gott segne auch den König und uns, die Schar seiner Unterthanen, und beschere uns das höchste Glück und mache seine Tage glücklich und seinen Eifer unentwegt!«

Alsdann erhob sich der sechste Wesir und sprach: »Gott lasse es dir im Diesseits und Jenseits aufs beste ergehen! Von den Alten ist uns ein Wort überkommen, das da lautet: Wer betet und fastet, wer den Eltern das ihnen Gebührende giebt und in seinem Walten gerecht ist, der begegnet seinem Herrn, und Er ist zufrieden mit ihm. – Du bist über uns gesetzt und hast uns gerecht regiert, und jeder deiner Schritte hierin ist gesegnet gewesen, weshalb wir Gott, den Erhabenen, bitten, dir einen reichen Lohn zu geben und deine Güte zu vergelten. Ich habe vernommen, was dieser weise Mann gesprochen hat hinsichtlich unserer Besorgnis, unser Glück verlieren zu können durch den Tod des Königs oder durch eines andern Königs Erscheinen, der seinem Vorgänger nicht gleicht, so daß sich nach seinem Tode große Zwietracht unter uns erheben und hieraus viel Unsegen entstehen könnte, und wie es uns deshalb geziemte, sich vor Gott, dem Erhabenen, im Gebet zu demütigen, daß er dem König einen glückseligen Sohn schenkte und ihn zum Erben des Reiches nach ihm machte. Jedoch, abgesehen hiervon, ist der Ausgang dessen, was der Mensch an Irdischem verlangt und wonach er begehrt, ihm unbekannt, weshalb es dem Menschen ansteht, von seinem Herrn nicht eine Sache zu verlangen, deren Ausgang 134 er nicht kennt, da ihm der Schaden, den diese Sache bringt, vielleicht näher ist als ihr Nutzen, so daß in dem, was er erbittet, vielleicht sein Verderben liegt und es ihm ergeht, wie es dem Schlangenbeschwörer samt seinem Weib, seinen Kindern und Hausleuten erging.«

Neunhundertundsiebente Nacht.

Da fragte der König: »Wie ist die Geschichte vom Schlangenbeschwörer, seinem Weib, seinen Kindern und Hausleuten?« Und der Wesir sprach:

 


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