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Tausend und eine Nacht. Band XV
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Der Rabe und die Schlange.

»O König, ein Rabe wohnte einmal mit seinem Weibchen auf einem Baum und führte dort das angenehmste Leben, bis ihre Brütezeit in den Tagen des Hochsommers kam, als eine Schlange aus ihrem Nest zu jenem Baum kroch und sich von Ast zu Ast zum Nest des Raben schlängelte, wo sie sich zusammenrollte und die Sommertage über liegen blieb, während der Rabe daraus vertrieben war und weder eine Gelegenheit noch einen Ort fand, wo er ruhen konnte. Als dann die heiße Jahreszeit verstrichen war, kehrte die Schlange wieder in ihr Loch zurück, worauf der Rabe zu seinem Weibchen sagte: »Wir wollen Gott, dem Erhabenen, dafür danken, daß er uns errettet und von dieser Viper befreit hat, auch wenn wir uns in diesem Jahr nicht vermehren konnten. Gott, der Erhabene, wird unsere Hoffnung nicht zu Schanden machen, weshalb wir ihm dafür danken wollen, daß er uns gesund und unversehrt bewahrt hat; wir haben keinen andern, auf den wir vertrauen könnten, und so es Gottes Wille ist, und wir im nächsten Jahr noch leben, wird Gott uns andere Nachkommenschaft gewähren.« Als nun im nächsten Jahre ihre Brütezeit wieder kam, kroch auch wieder die Schlange aus ihrem Loch zum Baum; wie sie sich jedoch um einen Ast ringelte, um sich nach dem Nest des Raben wie zuvor zu schlängeln, schoß ein Habicht auf sie nieder und zerriß ihr den Kopf, indem er seine Fänge in denselben schlug, so daß sie ohnmächtig zu Boden fiel. Hierauf kamen die Ameisen und fraßen sie auf, so daß der Rabe und sein Weibchen von nun an in Sicherheit und Ruhe viele Junge ausbrüteten und Gott für ihre Sicherheit und ihre Jungen dankten. 125

Und so geziemt es auch uns, o König, Gott zu danken für seine Huld, die er uns und dir in diesem gesegneten und glückverheißenden Kind erwiesen hat, nachdem wir bereits verzagt die Hoffnung aufgegeben hatten. Gott gebe dir schönen Lohn und einen guten Ausgang deiner Sache!« –

Neunhundertundvierte Nacht.

Hierauf erhob sich der dritte Wesir und sprach: »Freue dich, o gerechter König, des gegenwärtigen Guten und des künftigen Lohns; denn jeden, den das Volk der Erde liebt, liebt auch das Volk des Himmels. Gott, der Erhabene, hat die Liebe zu deinem Teil gemacht und hat sie in die Herzen des Volkes deines Königreiches gelegt; ihm sei daher Dank und Preis von uns und von dir, damit er seine Huld zu dir und zu uns in dir vermehrt! Und wisse, o König, daß der Mensch ohne Gottes, des Erhabenen, Befehl nichts vermag, und daß er der Geber ist, und alles Gute, das einem Wesen zu teil wird, in ihm beschlossen ist. Er verteilt seinen Dienern seine Gaben nach seinem Belieben; dem einen giebt er Gaben in Menge und den andern läßt er sich mühen um sein täglich Brot; den einen macht er zu einem Häuptling, den andern zu einem Asketen, der der Welt entsagt und nur nach Ihm trachtet, da er es ist, der da spricht: »Ich bin der Not- und Nutzenstifter, ich mache gesund und krank, reich und arm, tot und lebendig; in meiner Hand ist alles, und zu mir kehrt alles zurück. – Deshalb geziemt es aller Welt ihm zu danken. Du aber, o König, gehörst zu den Glücklichen und Frommen, von denen es heißt: Der glücklichste der Frommen ist der, für den Gott das Gute dieser Welt und des Jenseits vereint hat, der zufrieden ist mit dem Los, das Gott ihm zugeteilt hat, und der ihm dankt für das, was er ihm schickt. Wer sich aber nicht fügt und anderes, als was Gott ihm verhängt hat, begehrt, der gleicht dem Wildesel und dem Fuchs.«

Da fragte der König: »Wie ist ihre Geschichte?« Und der Wesir versetzte: 126

 


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