Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Geschichte des Eunuchen Kāfûr.

»Wisset, meine Brüder, im Anfange meiner Laufbahn war ich acht Jahre alt; da ich jedoch jedes Jahr über die Sklavenhändler eine Lüge verbreitete, so daß sie deshalb in Streit gerieten, erboste sich mein Herr über mich und führte mich zum Makler, daß er mich öffentlich ausböte und ankünden ließe: »Wer kauft diesen Sklaven mit seinem Fehler?« Hierauf fragte man ihn: »Welchen Fehler hat er?« Er antwortete: »Er spricht jedes Jahr eine Lüge.« Nun trat ein Kaufmann an den Makler heran und fragte ihn: »Wieviel haben sie für diesen Sklaven mit seinem Fehler geboten?« Der Makler antwortete: »Sechshundert Dirhem.« Darauf sagte der Kaufmann: »Und du sollst zwanzig Dirhem erhalten.« Nachdem der Makler dann den Kaufmann und den Sklavenhändler geeinigt und letzterer sein Geld erhalten hatte, führte er mich in das Haus jenes Kaufmanns und strich seine Maklergebühren ein. Der Kaufmann aber kleidete mich, wie es sich für mich schickte, und ich verblieb bei ihm den Rest des Jahres, bis das neue Jahr aufs beste begann. Es war ein gesegnetes, fruchtbares Jahr, und die Kaufleute veranstalteten Tag für Tag Landpartien, wobei jeden Tag einen andern die Reihe traf, bis mein Herr an die Reihe kam und die Landpartie nach einem Garten außerhalb der Stadt veranstalten mußte. Er und die Kaufleute zogen hinaus, und mein Herr hatte alles an Speisen und dergleichen Erforderliche mit sich genommen. Als sie sich nun gesetzt und bis zur Mittagszeit gegessen, getrunken und gefestet hatten, mußte mein Herr etwas notwendig aus seinem Hause haben. Er sagte deshalb zu mir: »Sklave, setz' dich aufs Maultier, reit' nach Hause und bring' mir von deiner Herrin das und das; komm' aber schnell wieder.«

Ich vollzog seinen Befehl und ritt nach Hause; als ich aber nahe bei seiner Wohnung angelangt war, fing ich an zu schreien und zu weinen, daß die Leute des Viertels, Groß 160 wie Klein, zusammenliefen. Als nun auch die Frau meines Herrn und seine Töchter mein Geschrei hörten, öffneten sie die Thür und fragten mich, was es gäbe. Ich antwortete ihnen: »Mein Herr saß mit seinen Freunden neben einer alten Mauer, als dieselbe plötzlich auf sie stürzte. Wie ich sah, was ihnen zugestoßen war, setzte ich mich aufs Maultier und kam eilends her, um es euch mitzuteilen.«

Als seine Kinder und seine Frau dies hörten, schrieen sie, zerrissen ihre Kleider und schlugen sich vors Gesicht, während sich die Nachbarn um sie drängten. Die Frau meines Herrn aber kehrte alle Sachen im Hause um und packte sie übereinander, riß die Etageren heraus, zertrümmerte die Fenster und Gitter, bestrich die Mauern mit Lehm und IndigoBlau ist, wie schon früher bemerkt, die Farbe der Trauer. und rief: »Weh, Kāfûr, komm' her und hilf mir, zerschlag' diese Schränke, zerbrich jene Gefäße und das Porzellan,« und ich ging zu ihr und zerbrach mit ihr die Etageren, zerschlug alles, was darauf stand, zertrümmerte die Schränke samt ihrem Inhalt und lief auf den Dächern umher und überall im Hause, bis ich alles zerschlagen hatte, wobei ich fortwährend schrie: »Ach. mein Herr!«

Dann lief meine Herrin mit bloßem Antlitz und nur mit dem Kopfschleier bedeckt hinaus, von ihren Knaben und Töchtern gefolgt, und alle schrieen: »Ach, Kāfûr, geh' uns voran und zeig' uns die Stelle an jener Mauer, unter welcher dein Herr ums Leben gekommen ist, daß wir ihn unter dem Schutt hervorholen, ihn auf eine Bahre laden, nach Hause holen und ihm ein schönes Begräbnis veranstalten.«

Darauf zog ich ihnen voran, fortwährend schreiend: »Ach, mein Herr!« und sie folgten mir barhaupt und mit bloßem Gesicht und schrieen in einem fort: »Ach, unser Unglück! Ach, unser Mißgeschick!« und es blieb kein Mann und keine Frau übrig, kein Knabe, kein Mädchen und keine alte Vettel, die uns nicht gefolgt wären und dabei sich alle ins Gesicht 161 geschlagen und laut geweint hätten. Wie ich nun so mit ihnen durch die Stadt zog, und die andern Leute erfuhren, was man von mir gehört hatte, riefen sie: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Wir müssen zum Wâlī gehen und ihm davon Mitteilung machen.«

Neununddreißigste Nacht.

Als sie dann zum Wâlī gegangen waren und es ihm mitgeteilt hatten, erhob sich der Wâlī, bestieg sein Pferd und nahm Arbeiter mit Schaufeln und großen Körben mit, im Geleit einer großen Menschenmenge mir nachfolgend; ich aber immer voran, weinend, schreiend, mir Erde aufs Haupt streuend und das Gesicht schlagend.

Als ich nun wieder zu den Kaufleuten kam, und mein Herr sah, daß ich mir das Gesicht schlug, und hörte, wie ich rief: »Ach, meine Herrin, wer erbarmt sich meiner um meiner Herrin willen! Ach, könnte ich mich doch für sie opfern!« ward er bestürzt, verfärbte sich und fragte mich: »Was hast du, Kāfûr? Was soll dein Benehmen? Was ist los?« Darauf erzählte ich ihm: »Als du mich nach Hause schicktest, um dir das Verlangte zu holen, und die Wohnung betrat, sah ich, daß die Saalwand eingefallen und der ganze Saal auf meine Herrin und ihre Kinder gestürzt war.« Da fragte er mich: »Ist deine Herrin nicht entkommen?« Ich sagte: »Nein, kein einziger von ihnen ist entkommen, und zuerst von allen kam deine ältere Tochter ums Leben.« Nun fragte er weiter: »Ist meine jüngste Tochter entkommen?« Ich antwortete: »Nein.« Dann fragte er: »Und wie steht es mit dem Maultier, auf dem ich immer ausreite? Ist es wohlbehalten?« Ich antwortete: »Nein, mein Herr, die Mauern vom Haus und vom Stall haben alles, was sich im Hause befand, unter sich begraben, selbst die Ziegen und Schafe, die Gänse und Hühner; alles ist ein einziger Fleischklumpen geworden und liegt unter dem Schutt; nicht eine einzige Seele ist von 162 ihnen übrig geblieben.« Nun fragte er wiederum: »Nicht einmal mein älterer Knabe?« Ich antwortete ihm: »Nein, nicht einer ist entkommen, und jetzt ist weder Haus noch Bewohner, noch eine Spur von alledem übrig geblieben, und die Schafe und Ziegen, die Gänse und Hühner sind allesamt von den Katzen und Hunden gefressen.«

Als mein Herr alles dies von mir vernommen hatte, ward das Licht vor seinem Antlitz Finsternis; er verlor völlig die Herrschaft über sich und seinen Verstand und war nicht mehr imstande auf seinen Füßen zu stehen. Von Schwäche übermannt und gebrochenen Rückens, zerriß er seine Kleider, raufte sich den Bart aus, schlug sich vors Gesicht, riß sich den Turban vom Kopfe und warf ihn zur Erde, schlug sich so lange vors Gesicht, bis es von Blut strömte und schrie in einemfort: »Ach, weh meine Kinder! Ach, weh mein Weib! Ach, weh das Unglück! Wem ist je ein solches Leid wie mir widerfahren!« Und seine Freunde, die Kaufleute, schrieen und weinten mit ihm, beklagten sein Los und zerrissen ihre Kleider.

Wie nun mein Herr den Garten verließ und sich im Übermaß seines Unglücks immer heftiger das Gesicht schlug, so daß er wie ein Trunkener erschien, und die ganze Gesellschaft aus dem Gartenthor heraustrat, erblickten sie plötzlich eine mächtige Staubwolke, aus welcher wildes Geschrei erschallte, und sahen, als sie nach jener Richtung ausspähten, eine große Menge herankommen. Dies war aber der Wâlī mit seiner Schar und mit allerlei neugierigem Volk, und dahinter die Familie des Kaufmanns, schreiend, jammernd, laut weinend und in tiefer Betrübnis.

Die ersten, die meinem Herrn entgegenkamen, waren seine Frau und seine Kinder. Als er sie erblickte, stutzte er, lachte und fragte sie: »Wie geht's euch? Was ist mit euch im Hause vorgefallen? Was ist geschehen?« Sie aber riefen bei seinem Anblick: »Gelobt sei Gott für deine Errettung!« warfen sich ihm an die Brust, und die Kinder hängten sich an ihn und 163 schrieen: »Ach, Vater! gelobt sei Gott für deine Errettung, Vater!« Und seine Frau rief: »Gelobt sei Gott, der mich dein Antlitz wohlbehalten hat sehen lassen!«

Vor Staunen sprachlos und ganz verwirrt, ihn zu sehen, fragte sie ihn: »Wie seid ihr, du und deine Freunde, nur wohlbehalten davongekommen?« Er dagegen fragte sie: »Und was ist mit euch im Hause vorgefallen?« Sie antworteten: »Wir sind wohl und gesund, und unserm Hause ist auch nichts schlimmes widerfahren, nur daß dein Sklave Kāfûr barhaupt, mit zerrissenen Kleidern und fortwährend schreiend: »Ach, mein Herr, mein Herr!« zu uns kam. Als wir ihn dann fragten: »Was ist geschehen, Kāfûr?« antwortete er: »Mein Herr saß im Garten neben einer Mauer, und da stürzte sie auf ihn und begrub ihn.«

Nun sagte mein Herr zu ihnen: »Bei Gott, soeben kam er mit dem Geschrei: »Ach, meine Herrin! Ach, die Kinder meiner Herrin!« zu mir und klagte nur: »Ach, meine Herrin und ihre Kinder sind allesamt tot.«

Als er hierauf zur Seite blickte und sah, wie ich noch immer mit niederhängendem Turban dastand, schrie und jämmerlich weinte und mir Erde aufs Haupt streute, rief er mich zu sich und schrie mich an: »Weh' dir, Unglückssklave, du Dirnensohn und verruchte Brut, was bedeutet das Unheil, das du angerichtet hast? Aber, bei Gott, ich ziehe dir das Fell ab und hacke dir das Fleisch von den Knochen.«

Ich erwiderte ihm jedoch: »Du darfst mir nichts anthun, da du mich mit meinem Fehler gekauft hast, und die Zeugen dies bestätigen werden; du wußtest auch, daß mein Fehler darin besteht, in jedem Jahr eine Lüge auszusprechen. Dies aber ist erst eine halbe Lüge; am Ende des Jahres werde ich die andere Hälfte lügen, daß es eine ganze Lüge wird.«

Da schrie er mich an: »Du Verruchtester aller Sklaven, ist das alles erst eine halbe Lüge, und ist schon solch ein großes Unglück? Pack' dich fort, du bist frei.« 164

Nun sagte ich: »Bei Gott, lässest du mich auch los, so lasse ich dich jedoch nicht eher los, bis das Jahr um ist, und ich die andere Hälfte der Lüge, die noch übrig ist, gelogen habe. Hernach aber, wenn sie voll ist, mußt du mich auf den Markt bringen und mich so, wie du mich gekauft hast, unter Angabe meines Fehlers verkaufen. Du darfst mich nicht freilassen, da ich kein Handwerk verstehe, um davon leben zu können. Diese meine Forderung ist gesetzlich, in den Paragraphen über die Freilassung haben die Rechtskundigen dessen Erwähnung gethan.«

Während wir in dieser Weise noch miteinander redeten, waren inzwischen die großen Menschenmassen samt dem Volke des Stadtviertels, Weiber und Männer, herangekommen, um das Leichenbegängnis zu veranstalten, und hinterdrein kam der Wâlī mit seiner Schar. Da gingen mein Herr und die Kaufleute zum Wâlī, erzählten ihm den Vorfall und sagten, daß dieses erst die halbe Lüge gewesen sei. Als die Anwesenden das vernahmen, entsetzten sie sich über diese große Lüge, verwunderten sich aufs Höchste und verfluchten und schmähten mich, wobei ich lachend dastand und sagte: »Wie kann mich mein Herr totschlagen, da er mich mit diesem Fehler gekauft hat.«

Wie nun mein Herr wieder nach Hause gegangen war und die Wohnung in Trümmern vorfand, von der ich das meiste selber zertrümmert und Sachen im Werte einer großen Geldsumme zerschlagen hatte, sagte seine Frau zu ihm: »Kāfûr hat das Geschirr und das Porzellan zerschlagen.« Da ward er noch ergrimmter über mich und rief: »Bei Gott, in meinem Leben habe ich nicht einen solchen Dirnensohn wie diesen Sklaven gesehen; und dabei sagt er noch: das ist erst eine halbe Lüge. Was möchte wohl geschehen sein, wenn es eine volle Lüge gewesen wäre? Wahrlich, dann hätte er eine Stadt oder gar zwei verwüstet!« Darauf ging er in seinem heftigen Grimm zum Wâlī, und dieser ließ mir ein so tüchtiges Futter Prügel verabfolgen, daß mir die Sinne 165 schwanden, und ich ohnmächtig wurde. Während meiner Ohnmacht holte dann mein Herr einen Barbier, der mich verschnitt und mir die Wunde ausbrannte. Als ich darauf wieder zur Besinnung kam und mich in dieser Weise verstümmelt vorfand, sagte mein Herr zu mir: »Wie du mein Herz in meinem Liebsten verbrannt hast, habe ich dein Herz in deinem Liebsten verbrannt.« Hieranf nahm er mich und verkaufte mich für einen höheren Preis als er mich gekanft hatte, weil ich nun Eunuch geworden war. Ich aber hörte nicht auf in den Häusern, in welche ich durch Kauf kam, Unfug anzustiften und wanderte durch Kauf und Verkauf von Emir zu Emir und von einem Großen zum andern, bis ich in den Palast des Fürsten der Gläubigen kam. Doch ist meine Seele gebrochen und meine Kraft geschwächt, seitdem ich mich in diesem Zustande befinde.«

Als die beiden andern Sklaven seine Erzählung angehört hatten, lachten sie über ihn und sagten: »Fürwahr, du bist ein Schurke, der Sohn eines Schurken, und hattest eine niederträchtige Lüge ersonnen.«

Hierauf wendeten sich Sawâb und Kāfûr zum dritten Sklaven und sagten: »Erzähl' uns nun auch deine Geschichte.« Dieser antwortete ihnen jedoch: »Ihr Söhne meines Oheims, alles was dieser da erzählt hat, ist gar nichts. Wenn ich euch meine Geschichte erzählte, so würdet ihr sehen, daß ich eine noch viel schlimmere Strafe als diese verdient bätte. Doch ist meine Geschichte lang und dies nicht die Zeit sie zu erzählen. Jetzt, ihr Söhne meines Oheims, ist der Morgen nahe und kann uns überraschen, ehe wir noch die Kiste beseitigt haben, so daß wir vor den Leuten entehrt sind und das Leben verlieren. Vorwärts, öffnet die Thür! Haben wir sie geöffnet und sind wir erst wieder zu Hause, so erzähle ich euch meine Geschichte und weshalb ich zum Eunuchen gemacht wurde.« Nach diesen Worten kletterte er über die Mauer und öffnete ihnen die Thür. 166

 


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