Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Geschichte des fünften Bruders des Barbiers.

Was aber meinen fünften Bruder anlangt, o Fürst der Gläubigen, den mit den abgeschnittenen Ohren, so war derselbe ein Bettler, welcher des Nachts die Leute anbettelte, und am Tage verzehrte, was er durch seine Bettelei eingenommen hatte. Nun war unser Vater ein alter, hochbetagter Scheich gewesen, welcher uns bei seinem Tode siebenhundert Dirhem hinterließ. Als jeder von uns seinen Anteil von hundert Dirhem an sich genommen hatte, stand mein Bruder ratlos da und wußte nicht, was er damit anfangen sollte. Plötzlich kam ihm der Gedanke in den Sinn, allerlei Glaswaren dafür zu kaufen und damit zu handeln und Profit zu machen. Nachdem er also für die hundert Dirhem Glaswaren eingekauft und sie in einen großen Korb gepackt hatte, setzte er sich an einen Platz, um sie zu verkaufen. Dieser Platz befand sich aber nahe bei einer Mauer. Seinen Rücken an dieselbe lehnend saß er nachdenklich da und sprach bei sich: »Mein ganzes Kapital von hundert Dirhem steckt in diesen Glaswaren; ich werde dieselben nun für zweihundert 86 Dirhem verkaufen und dann für die zweihundert Dirhem wieder Glaswaren einkaufen und sie für vierhundert Dirhem verkaufen und so immer fort kaufen und verkaufen, bis ich ein großes Vermögen erworben habe. Dann will ich allerlei Handelsware und Parfüms einkaufen, bis ich einen riesigen Gewinn erzielt habe. Hernach kaufe ich mir einen schönen Palast, kaufe mir Mamluken, Pferde und goldverzierte Sättel, esse und trinke, und es soll keine Sängerin in der Stadt übrig bleiben, die ich nicht in mein Haus bestellt hätte, um ihren Gesang zu hören.« – Alle diese Pläne aber machte er, während der Korb mit den Glaswaren vor ihm stand.

»Dann aber,« so sprach er weiter bei sich, »schicke ich alle Brautwerberinnen aus, mir eine Braut unter den Töchtern der Könige und Wesire auszusuchen, bewerbe mich um die Tochter des Wesirs, deren vollendete Schönheit und wunderbare Anmut mir schon zu Ohren gekommen ist, und biete ihr eine Morgengabe von tausend Dinaren. Beliebt sie ihrem Vater, so ist mein Wunsch erfüllt, wenn nicht, so nehme ich sie mir mit Gewalt ihm zum Trotz. Ist sie dann in mein Haus gekommen, so kaufe ich zehn kleine Eunuchen und kaufe mir ein Kleid, wie es die Könige und Sultane tragen, lasse mir einen goldenen, mit Edelsteinen besetzten Sattel machen und reite aus, zur Rechten und Linken, vorn und hinten von meinen Mamluken geleitet, bis mich der Wesir sieht, und sich bei meinem Anblick ehrerbietig erhebt, mir seinen Platz abtritt und sich unter mich setzt, weil er mein SchwiegervaterDiese Logik dürfte auch einem Araber nicht ganz plausibel erscheinen. ist. Zwei Eunuchen sollen dann mit je einem Beutel von tausend Dinaren bei mir stehen; tausend Dinare gebe ich ihm als Morgengabe für seine Tochter, die andern tausend aber als Geschenk, damit er sieht, wie großmütig und freigebig ich bin, und wie klein die Welt in meinen Augen ist.d. h. wie wenig Geldeswert bei mir zu bedeuten hat. Dann begebe ich mich wieder in mein Haus 87 zurück und, wenn nun jemand von meiner Gattin zu mir kommt, so schenke ich ihm Geld und ein Ehrenkleid; wenn mir der Wesir aber ein Geschenk übersendet, so schicke ich es ihm zurück, wäre es auch noch so kostbar. Nichts nehme ich von ihm an, daß sie meine stolze Seele erkennen und begreifen, daß ich mich nur mit dem obersten Platz begnüge. Dann begebe ich mich zu ihnen, daß sie mich schmücken und mir Ehrenbezeugungen erweisen. Haben sie das gethan, so ordne ich die Hochzeit an und schmücke mein Haus aufs beste. Ist dann die Stunde der EntschleierungDer Leser weiß bereits aus der vorhergehenden Erzählung, daß die Braut dem Bräutigam bei der Hochzeitsfeierlichkeit in sieben verschiedenen Kostümen vorgeführt wird. gekommen, so lege ich meine prächtigsten Kleider an, setze mich auf ein goldgesticktes Polster, ohne nach rechts oder links zu blicken um der Hoheit meines Verstandes willen und meiner Geisteswürde. Kommt dann meine Gemahlin wie der Vollmond in ihrem Schmuck und ihren Gewändern, so blicke ich sie stolz und hochmütig an, bis alle Anwesenden zu mir sagen: »Mein Herr, dein Weib und deine Sklavin steht vor dir; begnade sie doch mit einem Blick, da sie sich vom Stehen schon unwohl fühlt.« Wenn sie dann die Erde vor mir küssen, einmal, zweimal und öfters, hebe ich meinen Kopf und werfe einen Blick auf sie, um ihn sofort wieder zur Erde zu senken. Gehen sie dann mit ihr fort, so erhebe ich mich, wechsele meinen Anzug und lege die schönsten Kleider, die ich nur habe, an. Kommen sie dann mit der Braut zum zweitenmal, so schaue ich sie wieder nicht an, bis sie mich wieder und wieder darum gebeten haben. Dann werfe ich einen Blick auf sie um sofort wieder meinen Kopf zu senken, und verfahre in dieser Weise bis die ganze Entschleierung beendet ist.

Zweiunddreißigste Nacht.

Hierauf befehle ich einem Eunuchen einen Beutel mit fünfhundert Dinaren den Putzweibern hinzuwerfen; haben 88 ihn die Putzweiber genommen, so befehle ich ihnen mich zu ihr in die Hochzeitskammer zu führen. Haben sie mich zu ihr hineingeführt, so schaue ich sie nicht an und rede aus Geringschätzung kein Wort zu ihr, damit es von mir heißt, daß ich eine stolze Seele habe. Dann wird ihre Mutter zu mir kommen, mir Haupt und Hände küssen und sagen: »Mein Herr, sieh deine Sklavin, die sich nach deiner Nähe sehnt; richte doch ihr Gemüt mit einem Worte auf.« Ich aber werde ihr keine Antwort erteilen; dann wird sie mich in einem fort umschmeicheln, bis sie mir schließlich Hände und Füße küßt und sagt: »Mein Herr, siehe, meine Tochter ist ein hübsches Mädchen, das noch keinen Mann gesehen hat; erfährt sie von dir solche Aufnahme, so bricht ihr Herz. Neig' dich ihr doch gütig zu und rede zu ihr.« Dann wird sie aufstehen und mir einen Becher Wein bringen, ihre Tochter wird ihn ihr abnehmen und mir überreichen; tritt sie nun vor mich hin, so lasse ich sie stehen, während ich mich auf meinem goldgestickten Polster zurücklehne und wegen meiner stolzen Seele und meiner majestätischen Würde sie mit keinem Auge anschaue, so daß sie mich für einen mächtigen Sultan hält. Spricht sie dann zu mir: »Mein Herr, bei Gott beschwöre ich dich, verschmähe nicht den Becher aus der Hand deiner Sklavin, denn siehe, ich bin deine Sklavin,« so gebe ich ihr auch dann keine Antwort. Besteht sie aber darauf und sagt: »Du mußt ihn trinken,« und hält ihn mir an den Mund, dann schüttele ich ihr meine Faust ins Gesicht und gebe ihr einen Fußtritt, und mache es so« – und stieß mit seinem Fuß an den Korb mit Glas, daß er von seinem erhöhten Platze zu Boden fiel und sein ganzer Inhalt zerbrach. Da schrie mein Bruder: »Das alles kommt von meiner Hoffart;« hätte ich aber, o Fürst der Gläubigen, über meinen Bruder entscheiden dürfen, ich hätte ihm tausend Peitschenhiebe verabfolgt und ihn in der Stadt publik gemacht.

Dann schlug sich mein Bruder immerfort ins Gesicht, 89 zerriß seine Kleider und weinte, während die Leute, die gerade zum Freitagsgebet in die Moschee gingen, zum Teil einen flüchtigen Blick auf ihn warfen, zum Teil sich gar nicht um ihn kümmerten. – Während er nun so dasaß, und in einem fort darüber weinte, daß sein Kapital nebst Profit dahin war, kam plötzlich auch eine wunderhübsche, nach Moschus duftende Frau auf dem Wege zum Freitagsgebet an ihm vorüber, welche ein Maultier, das einen Sattel aus Goldbrokat trug, ritt und von zahlreichen Eunuchen geleitet war. Als sie meinen Bruder vor dem Glase weinend dasitzen sah, wurde ihr Herz von Mitleid zu ihm erfaßt, so daß sie sich nach ihm erkundigte. Wie sie nun hörte, daß er seinen Korb voll Glaswaren, von deren Verkauf er sich ernährte, zerbrochen hätte, rief sie einen ihrer Eunuchen heran und sagte zu ihm: »Gieb alles Geld, was du bei dir hast, diesem armen Menschen.« Da reichte dieser ihm einen Beutel, und, als er ihn genommen und geöffnet hatte, fand er fünfhundert Dinare darin, so daß er im Übermaß seiner Freude halb tot war und auf sie Segen herabflehte.

Hierauf kehrte er als ein reicher Mann in seine Wohnung zurück. Plötzlich, als er seinen Gedanken nachhängend dasaß, klopfte jemand an die Thür; wie er aufstand und öffnete, sah er, daß es ein ihm unbekanntes altes Weib war. Dasselbe sagte zu ihm: »Mein Sohn, wisse, das Ende der Gebetszeit ist bald gekommen, und noch habe ich nicht die Waschung vollzogen; ich bitte darum mich in deine Wohnung eintreten zu lassen, daß ich mich waschen kann.« Mein Bruder antwortete ihr: »Ich höre und gehorche,« trat dann wieder ein und erlaubte ihr, ihm zu folgen, während er vor Freude über die Dinare noch immer in den Wolken schwebte. Als nun die Alte fertig geworden war, kam sie zu dem Platz, an welchem er saß, betete dort in zweimaliger Verbeugung und flehte auf meinen Bruder einen schönen Segen herab. Als er ihr dafür dankte und zwei Dinare schenken wollte, rief sie bei dem Anblick derselben: »Preis sei Gott, ich wundere 90 mich über die, die dich trotz deines bettelhaften Aussehens liebt. Nimm dein Geld von mir zurück oder gieb es, falls du dessen nicht bedarfst, jener Dame wieder, die es dir für dein zerbrochenes Glas schenkte.«

Als mein Bruder dies vernahm, fragte er die Alte: »Meine Mutter, wie soll ich's anstellen, daß ich zu ihr gelangen kann?« Sie antwortete: »Mein Sohn, sie ist dir geneigt, obwohl sie eines vermögenden Mannes Frau ist. Nimmst du all dein Geld mit dir und bist du mit ihr zusammengekommen, so wirst du, wenn du alle Liebenswürdigkeiten und schönen Worte zusammen nimmst, von ihrer Schönheit und ihrem Gelde alles, was du wünschest, erreichen.«

So nahm denn mein Bruder alles Gold, stand auf und folgte der Alten, ohne daran glauben zu können, bis sie beide zu einer großen Thür gelangten. Auf das Pochen der Alten kam eine griechische Sklavin heraus und öffnete die Thür, in welche die Alte eintrat, indem sie meinem Bruder befahl ihr nachzufolgen. Er trat nun gleichfalls ein und sah, daß er sich in einem großen Hause befand; weiter vorschreitend, gelangte er in ein großes mit Teppichen und Vorhängen ausgestattetes Zimmer. Kaum hatte er sich hier gesetzt, das Gold vor sich gestellt und seinen Turban auf die Kniee gelegt, da kam auch schon ein Mädchen, wie man es nicht schöner sehen konnte, in den kostbarsten Stoffen an. Mein Bruder stand vor ihr auf, sie aber lachte ihm ins Gesicht, als sie ihn erblickte, und zeigte sich über sein Kommen erfreut. Nachdem sie dann zur Thüre geschritten war und dieselbe verriegelt hatte, kam sie wieder zu meinem Bruder, faßte ihn bei der Hand und schritt mit ihm zu einem abgelegenen Gemach, das mit verschiedenen goldgestickten Seidenteppichen belegt war. Hier setzte sie sich, mein Bruder nahm ihr zur Seite Platz, und sie tändelte längere Zeit mit ihm. Darauf erhob sie sich wieder und sagte zu ihm: »Geh nicht eher fort als bis ich wieder zu dir zurückgekehrt bin.« Nachdem sie dann eine Weile ausgeblieben war, während mein 91 Bruder auf sie wartend dasaß, kam plötzlich ein schwarzer Sklave von riesigem Wuchs mit einem gezückten Schwert, dessen Blitzen die Augen blendete, zu ihm herein und schrie meinen Bruder an: »Weh' dir, wer hat dich hierhergebracht, du gemeinster Mensch, du Dirnensohn und Brut der Schande!« Meinem Bruder aber stockte die Zunge zu jener Stunde, so daß er ihm keine Antwort geben konnte.

Darauf packte ihn der Sklave, entblößte ihn und versetzte ihm mit der flachen Schwertklinge mehr als achtzig Hiebe, bis er der Länge nach zu Boden stürzte, und der Sklave, in dem Glauben, daß er tot sei, ihn in Ruhe ließ. Dann schrie er so laut, daß die Erde erbebte und das Zimmer erdröhnte: »Wo ist El-Melîhe?»Die Schöne« aber auch »das Salzfaß«.« Darauf kam eine Sklavin mit einer hübschen Schüssel voll Salz und stopfte meinem Bruder davon in die Wunden seiner Haut, bis sie auseinanderklafften. Mein Bruder aber regte sich nicht, aus Furcht sie könnten merken, daß er noch am Leben sei, und ihn vollends umbringen.

Als die Sklavin hierauf fortgegangen war, schrie der Sklave von neuem so laut wie das erste Mal, und nun kam die Alte zu meinem Bruder und schleifte ihn an den Füßen in einen langen und dunkeln Keller, wo sie ihn auf einen Haufen von andern Ermordeten warf. Hier blieb er zwei Tage lang liegen, doch Gott – Preis sei ihm! – ließ das Salz die Ursache seiner Errettung sein, indem dadurch der Blutfluß aus den Adern gehemmt wurde.

Als mein Bruder wieder so viel Kraft in sich verspürte, daß er sich regen konnte, erhob er sich, öffnete ein Fenster, das sich in der Mauer befand, und stieg aus dem Totenkeller hinaus, wobei Gott, der Mächtige und Herrliche, ihm seinen Schutz gewährte. Er schritt in der Finsternis weiter fort und verbarg sich bis zum Morgen im Flur; als dann die Alte in der Frühe ausging, um anderes Wild zu 92 fangen, folgte ihr mein Bruder unbemerkt nach und ging in seine Wohnung, wo er sich so lange pflegte, bis er geheilt war. Dabei beobachtete er jedoch genau die Alte und sah, wie sie jedesmal einen nach dem andern fing und ihn nach jenem Hause führte, ohne daß er etwas davon erzählte. Als er sich dann wieder ganz gesund fühlte und zu vollen Kräften gekommen war, nahm er einen Lumpen, machte sich einen Beutel daraus und füllte ihn mit Glasscherben. Dann verkleidete er sich so, daß ihn niemand erkennen konnte, indem er die Tracht eines Fremden anlegte, band den Beutel um den Leib und nahm ein Schwert mit sich, das er unter seinen Kleidern verbarg.

Als er die Alte wieder sah, redete er sie in der Aussprache eines Fremden an und fragte sie: »Alte, hast du eine Wage für neunhundert Dinare zu Hause?« Die Alte erwiderte: »Ich habe einen jungen Sohn, welcher Geldwechsler ist und allerlei Wagen hat. Komm' mit zu ihm, ehe er ausgeht, daß er dir dein Gold wägt.« Mein Bruder sagte nun: »Geh' mir voran.« Da schritt sie voran, und mein Bruder folgte ihr, bis sie zu der Thür kamen. Auf ihr Klopfen kam das Mädchen heraus und lachte ihm ins Gesicht; die Alte aber sagte: »Ich habe Euch fettes Fleisch gebracht.« Darauf faßte das Mädchen meinen Bruder bei der Hand, führte ihn in denselben Raum wie vordem und setzte sich auf eine Weile neben ihn. Dann stand sie auf und sagte zu meinem Bruder: »Geh' nicht eher fort, bis ich wieder zu dir zurückgekehrt bin.« Kaum aber hatte sie meinen Bruder verlassen, da trat auch schon der Sklave mit dem gezückten Schwert herein und schrie meinen Bruder an: »Steh' auf, Unseliger.« Wie nun mein Bruder aufstand, und der Sklave ihm voranging, streckte er seine Hand nach dem Schwert unter seinen Kleidern aus und versetzte ihm einen Hieb, daß ihm der Kopf abflog. Dann schleifte er ihn an den Füßen in den Keller und schrie: »Wo ist El-Melîhe?« Als dann die Sklavin mit der Schüssel Salz kam und meinen Bruder mit dem Schwert in der Hand 93 dastehen sah, wandte sie sich zur Flucht, mein Bruder folgte ihr jedoch und versetzte ihr einen Hieb, daß ihr der Kopf abflog. Hierauf schrie er: »Wo ist die Alte?« Als sie eintrat, fragte er sie: »Erkennst du mich, alte Hexe?« Sie antwortete: »Nein, mein Herr.« Da sagte er zu ihr: »Ich bin der Besitzer der Dinare, zu dem du kamst und bei dem du dich wuschest und betetest; hernach führtest du mich mit List hierher.« Als sie dies vernahm, bat sie: »Fürchte Gott in meiner Sache.« Mein Bruder wendete sich jedoch gegen sie und spaltete sie mit dem Schwerte auseinander. Dann schritt er aus dem Raum hinaus, um das Mädchen zu suchen. Als sie ihn erblickte, verlor sie die Besinnung und bat ihn um Gnade. Er schenkte ihr das Leben und fragte sie: »Was hat dich zu diesem Schwarzen hergebracht?« Sie antwortete: »Ich war Sklavin bei einem Kaufmann, jene Alte aber besuchte mich häufig; eines Tages sagte sie zu mir: »Wir haben zu heute Abend ein Fest vor, wie es noch niemand gesehen hat; ich wünschte wohl, du kämest und sähest es dir an.« Ich antwortete ihr darauf: »Ich höre und gehorche,« legte meine schönsten Kleider an, und ging, nachdem ich noch einen Beutel mit hundert Dinaren eingesteckt hatte, mit ihr, bis sie mich in dieses Haus führte. Kaum aber hatte ich es betreten, da hatte mich auch schon jener Schwarze festgenommen. Drei Jahre lang habe ich so durch die List der alten Hexe bei ihm zubringen müssen.«

Nun fragte sie mein Bruder: »Hat er etwas hier im Hause?« Sie antwortete: »Sehr viel; kannst du es fortschaffen, so thu's.« Darauf erhob sich mein Bruder und begleitete sie, während sie ihm eine Kiste voll Geldbeutel nach der andern öffnete, so daß meinem Bruder ganz schwindlig wurde. Dann sagte das Mädchen zu ihm: »Laß mich hier, du aber geh' jetzt und hole Leute zum Fortschaffen des Geldes.« Mein Bruder gehorchte ihr und mietete zehn Leute. Als er wieder zur Thür kam, fand er sie offen; das Mädchen aber war samt den Beuteln verschwunden, und es war außer 94 den Zeugen nur wenig Geld zurückgeblieben, so daß er merkte, daß sie ihn betrogen hatte. Er nahm nun das übriggebliebene Geld und alle Zeugvorräte aus den Kammern, bis daß nichts mehr im Hause vorhanden war, und brachte die Nacht voll Freuden zu. Am nächsten Morgen fand er jedoch zwanzig Soldaten vor seiner Thür; als er zu ihnen herausging, packten sie ihn und sagten zu ihm: »Der Wâlī verlangt nach dir.« Darauf gingen sie mit ihm zum Wâlī fort. Als dieser meinen Bruder sah, fragte er ihn: »Woher hast du das Zeug?« Mein Bruder antwortete: »Gewähre mir Gnade.« Als ihm dann der Wâlī das Tuch der GnadeAls Unterpfand der Gnade wird neben dem Taschentuch auch der Siegelring dem Begnadigten überreicht. überreicht hatte, erzählte er ihm sein ganzes Abenteuer mit der Alten von Anfang bis zu Ende und berichtete ihm auch die Flucht des Mädchens. »Von dem aber, was ich genommen habe,« setzte er hinzu, »suche dir aus, was du willst, und laß mir nur soviel übrig, daß ich davon leben kann.« Da forderte der Wâlī alles Geld und Zeug und behielt einen Teil für sich; den andern gab er, aus Furcht, daß der Sultan es erfahren könnte, meinem Bruder wieder, doch befahl er ihm: »Verlaß diese Stadt oder ich hänge dich.« Mein Bruder antwortete: »Ich höre und gehorche,« und machte sich nach einer andern Stadt auf; unterwegs überfielen ihn jedoch Räuber, zogen ihn nackend aus, prügelten ihn und schnitten ihm beide Ohren ab. Als mir dies kund wurde, ging ich zu ihm mit Kleidern hinaus und führte ihn erfreut in die Stadt zurück, wo ich ihm ein Bestimmtes zum Essen und Trinken festsetzte.

 


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