Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Geschichte des Barbiers.

In den Tagen des Chalifen und Fürsten der Gläubigen El-Muntasir bi-llâh, der die Armen und Bedürftigen liebte und die Gelehrten und Frommen an seinen Hof zog, lebte ich in Bagdad. Eines Tages traf es sich nun, daß sich der Chalife wider zehn Personen erzürnte und dem Präfekten von Bagdad Befehl erteilte sie in einem Boote zu ihm zu bringen. Als ich sie sah, sprach ich bei mir: »Diese Leute sind gewiß zu einem Picknick zusammengekommen und werden den Tag in diesem Boot mit Essen und Trinken verbringen, kein anderer als ich soll ihr Zechbruder sein.« Darauf machte ich mich auf, stieg ins Boot und mischte mich unter sie; als sie jedoch auf dem andern Ufer abgestiegen waren, kamen plötzlich die Polizisten des Wâlī und warfen uns allen eine Kette um den Hals. 68

Nun, Gesellschaft, war das nicht ein Zeichen meiner Höflichkeit und Wortkargheit, daß ich zu schweigen vorzog? Darauf nahmen sie uns alle und führten uns in Ketten vor den Fürsten der Gläubigen El-Muntasir bi-llâh, der die zehn zu köpfen befahl. Wie nun der Scharfrichter die zehn geköpft hatte, und ich allein übrig geblieben war, sagte der Chalife, als er mich sah, zum Scharfrichter: »Was fehlt dir? Du hast nicht alle zehn geköpft?« Der Scharfrichter entgegnete: »Ich habe alle zehn geköpft.« Der Chalife erwiderte: »Mir deucht's, du hast nur neun den Kopf abgeschlagen; der, welcher da vor dir steht, ist der zehnte.« Der Scharfrichter antwortete jedoch: »Bei deiner Gnade, es waren zehn.« Nun befahl der Chalif: »Zähle sie!« Als er sie gezählt hatte, und es zehn waren, betrachtete mich der Chalife und sagte: »Was hat dich bewogen zu solcher Stunde zu schweigen, und wie bist du unter diese Blutgesellen gekommen?«

Als ich diese Ansprache des Fürsten der Gläubigen vernahm, sagte ich zu ihm: »Wisse, o Fürst der Gläubigen, ich bin der Scheich Es-Sâmit, der Schweiger; ich bin ein Mann von großer Gelehrsamkeit, und meine Geisteshoheit, mein scharfer Verstand und meine Wortkargheit sind grenzenlos, mein Handwerk aber ist das eines Barbiers. Als ich gestern früh diese zehn da in ein Boot steigen sah, mischte ich mich unter sie und stieg zu ihnen ein, in der Meinung, sie hätten ein Picknick vor, doch nach kurzem schon erwies es sich, daß es Verbrecher waren, indem die Polizei kam und uns allen Ketten um den Hals legte. In dem Übermaß meiner Höflichkeit jedoch schwieg ich still. Als wir dann vor dich gebracht wurden, und du Befehl gabst die zehn zu köpfen, und ich allein vor dir übrig blieb, gab ich auch wegen meiner außerordentlichen Höflichkeit, die mich dazu bewogen hatte ihnen im Tod Gesellschaft zu leisten, ebenfalls keine Aufklärung über mich. Mein ganzes Leben lang bin ich so gefällig gewesen.«

Als der Chalife meine Worte vernommen hatte, und 69 meine außerordentliche Höflichkeit und Wortkargheit sah, und daß ich nicht zudringlich war, wie jener junge Mann, den ich aus Schrecknissen errettete, es behauptet, fragte er mich: »Sind deine sechs Brüder eben so weise, kenntnisreich und wortkarg wie du?« Ich antwortete ihm: »Sie führten nicht solches Leben, um mir gleich zu sein; du willst mich beschimpfen, o Fürst der Gläubigen. Es ist nicht angebracht, daß du mich mit meinen Brüdern auf gleiche Stufe stellst, da jeder von ihnen wegen seiner Geschwätzigkeit und seinem Mangel an Höflichkeit einen Schaden davongetragen hat. Einer von ihnen ist lahm, ein anderer einäugig, der dritte zahnlückig, der vierte blind, dem fünften sind Nase und Ohren, und dem sechsten die Lippen abgeschnitten. Glaube nicht, o Fürst der Gläubigen, daß ich ein Schwätzer bin; ich muß dir genauer auseinandersetzen, daß ich höflicher als meine Brüder bin. Jedem von ihnen hat sich eine besondere Geschichte zugetragen, durch welche er zu seinem Schaden gekommen ist, und, wenn du es wünschest, erzähle ich sie dir.

 


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