Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Die Geschichte des Schneiders und des Buckligen.

»Glückseliger König, es lebte in alter Zeit und in längst entschwundenen Tagen einmal in einer Stadt ChinasNach der Breslauer Ausgabe lebte der Schneider in Basra und Kaschgar, was doch nur Sinn hat, wenn er zuerst in einer der beiden Städte lebte und dann nach der andern Stadt verzog. Die Kalkuttaer Ausgabe verlegt den Schauplatz nach Basra. ein Schneider in vermöglichen Verhältnissen, welcher ergötzliche Sachen liebte und mit seiner Frau von Zeit zu Zeit auszugehen pflegte, um sich an merkwürdigen Schauspielen zu belustigen. So waren sie eines Tages in der Frühe wieder einmal ausgegangen und kehrten gegen Abend in ihre Wohnung zurück, als sie auf ihrem Wege einem Buckeligen begegneten, dessen Anblick selbst einen Zornigen hätte zum Lachen reizen können und Sorge und Kummer verscheuchte. Infolgedessen traten sie näher an ihn heran, um ihren Spaß an ihm zu haben, und luden ihn nach einer Weile ein, mit ihnen nach Hause zu kommen und die Nacht über ihr Gast zu sein.

Der Buckelige sagte zu und ging mit ihnen mit; der Schneider aber begab sich, während es inzwischen dunkel geworden war, auf den Markt, kaufte gebratene Fische, Brot, Citronen und Süßigkeiten ein und kam dann wieder nach Hause.

Als er nun die Fische dem Schneider vorgesetzt hatte, und sie Platz genommen hatten und aßen, nahm die Frau des Schneiders ein großes Stück Fisch und stopfte es dem Buckeligen in den Mund. Dann hielt sie ihm den Mund 6 mit der Hand zu und sagte: »Bei Gott, du mußt es auf einmal hinunterschlucken, ich lasse dir keine Zeit zum Kauen.« So schluckte er denn das Stück Fisch hinunter, doch legte sich eine dicke Gräte, die darin gewesen war, quer in seinen Schlund und, da sein Termin abgelaufen war, stickte er daran und war tot.

Fünfundzwanzigste Nacht.

Da rief der Schneider: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen, mußte dieser Arme auch gerade durch unsere Hand in solcher Weise umkommen!« Seine Frau aber sagte: »Was soll dies Säumen? Hast du nicht das Dichterwort gehört:

»Was soll das Sitzen am flackernden Feuer?
Das Sitzen am Feuer ist gefährlich.«

Nun fragte sie ihr Mann: »Was soll ich denn thun?« Sie antwortete: »Komm, decke ein seidenes Tuch über ihn und nimm ihn in deine Arme; ich will dir vorausgehen, und du sollst mir folgen und sagen: Dies ist mein Kind und das seine Mutter; wir wollen es zum Arzt bringen, daß er ihm eine Medizin verschreibt.«

Der Schneider befolgte sogleich ihren Rat und nahm den Buckeligen in seine Arme; seine Frau aber rief auf der Straße: »Ach, mein Kind, Gott schütz' dich! Wo thut es dir weh? An welcher Stelle hast du diese Pocken?« so daß jeder, der sie sah, sagte: »Sie haben ein Kind, das von den Pocken befallen ist.«

In dieser Weise gingen sie in einem fort und fragten dabei nach der Wohnung des Doktors, bis die Leute sie zu dem Hause eines jüdischen Arztes wiesen. Nachdem sie dort an die Thür geklopft hatten, stieg eine schwarze Sklavin zu ihnen die Treppe herunter, öffnete die Thür und sah zu, wer dort wäre. Wie sie nun jemand ein Kind im Arme halten und dessen Mutter daneben stehen sah, fragte sie: »Was giebt's?« Da antwortete die Frau des Schneiders: 7 Wir haben ein Kind bei uns und möchten gerne, daß der Doktor nach ihm schaut; hier ist ein Vierteldinar, gieb ihn deinem Herrn und laß ihn herunterkommen, daß er nach meinem Kinde sieht, es ist schon sehr schwach.«

Die Sklavin ging infolgedessen wieder die Treppe hinauf, die Frau des Schneiders trat aber in die Treppenflur hinein und sagte zu ihrem Manne: »Laß den Buckeligen hier, wir beide aber wollen uns aus dem Staube machen.« Darauf lehnte ihn der Schneider aufrecht an die Wand und ging mit seiner Frau fort.

Die Sklavin war nun inzwischen zum Juden eingetreten und hatte ihm gemeldet, daß unten am Hause eine Frau und ein Mann mit einem Kranken wären, welche ihr einen Vierteldinar für ihn eingehändigt hätten, damit er ihnen ein passendes Rezept verschriebe.

Als der Jude den Vierteldinar sah, freute er sich, sprang hastig auf und stieg im Dunkeln die Treppe hinunter. Sobald er aber die Treppe betrat, stolperte er über den toten Buckeligen und warf ihn um. Da rief er: »Ach Esra, Herrgott und die zehn Gebote! Aaron und Josua, du Sohn Nuns, stehet mir bei! Ich glaube, ich bin über den Kranken gestolpert und habe ihn die Treppe hinuntergestürzt, daß er sich das Genick gebrochen hat. Wie werde ich nun den Toten mir aus dem Hause schaffen?«

Darauf lud er ihn auf, trug ihn vom Hofe zu seiner Frau hinauf und erzählte ihr sein Unglück. Wie die Frau es vernahm, rief sie: »Was sitzest du hier noch still? Wenn du bis zum Morgen wartest, geht es uns ans Leben. Wir wollen ihn beide aufs Dach schaffen und ihn in das Haus des Moslems, unsers Nachbarn, des Oberküchenmeisters vom Sultan, werfen. Die Katzen kommen oft zu ihn ins Haus und fressen von den Speisen, die er dort aufbewahrt, und die Mäuse; bleibt er die Nacht über zum Morgen dort, so kommen sicherlich auch die Hunde von den Dächern und fressen ihn mit Haut und Knochen auf.« 8

Hierauf luden der Jude und seine Frau den Buckeligen auf, stiegen aufs Dach und ließen ihn an Händen und Füßen auf den Boden nieder, so daß er an die Wand gelehnt aufrecht dastand; dann stiegen sie wieder vom Dach herunter in ihr Haus.

Nicht lange nachdem sie den Buckeligen in dieser Weise hinuntergelassen hatten, kam der Oberküchenmeister nach Hause, öffnete die Thür und stieg mit brennender Kerze hinauf, als er plötzlich ein menschliches Wesen im Winkel neben der Küche stehen sah. Da rief er: »Was ist das? Bei Gott, das ist der Dieb, der mir meine Vorräte stiehlt! Ein Mensch ist's also, der mir all mein Fleisch und Fett fortnimmt, auch wenn ich es vor den Katzen und Hunden verberge. Da könnte ich alle Katzen und Hunde im ganzen Viertel umbringen und hätte keinen Nutzen davon, weil er von den Dächern aus einsteigt.«

Hierauf ergriff er einen mächtigen Hammer und versetzte ihm damit einen Schlag; dann trat er näher herzu und gab ihm damit einen Stoß vor die Brust, daß er umfiel. Wie er nun zusah und merkte, daß er tot war, rief er bestürzt und um sein Leben besorgt: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott! Gott verdamme das Fleisch und Fett und diese Nacht dazu; daß das Schicksal dieses Menschen auch durch meine Hand vollzogen werden mußte!«

Als er ihn dann näher betrachtete und sah, daß er einen Buckeligen vor sich hatte, sagte er: »Hattest du nicht genug an deinem Buckel, daß du auch noch ein Räuber werden mußtest und mir das Fleisch und Fett stahlst? Ach, Schützer, schütze mich mit deinem gnädigen Schutz!«

Hierauf lud er ihn auf seine Schulter, verließ mit ihm, während sich die Nacht inzwischen ihrem Ende zuneigte, sein Haus und hielt nicht eher an, bis er zum Markt gelangte; dort lehnte er ihn an einer Straßenecke an die Wand eines Ladens und begab sich wieder, ihn seinem Schicksal überlassend, nach Haus. 9

Nicht lange darauf, da kam ein Christ, der Makler des Sultans, welcher in der Trunkenheit ausgegangen war, um ein Bad zu nehmen. In seinem Rausch in einem fort brüllend: »Der Messias ist nahe!« kam er hin und her taumelnd allmählich nahe an den Buckeligen heran; als er ihn nun dort an der Straßenecke stehen sah, glaubte er, da ihm schon zu Beginn der Nacht sein TurbanDer Turban ist häufig nicht nur kostbar, sondern dient auch als sicherer Aufbewahrungsort für Geld, daher ein begehrtes Objekt der nächtlichen Straßendiebe. gestohlen war, daß der Buckelige ihm wieder den Turban stehlen wollte, und versetzte ihm deshalb mit geballter Faust einen Hieb in den Nacken, daß er zu Boden stürzte. Nach dem Bazarwächter rufend, fiel er in seinem Rausche dann noch über den Buckeligen mit Prügeln her und suchte ihn zu erdrosseln.

Als der Bazarwächter herbeikam und einen Christen auf einem Moslem knieen und ihn schlagen sah, sagte er: »Steh' auf und laß ihn los!« Darauf stand der Christ auf, der Wächter aber trat näher herzu und sah nun, daß der Buckelige tot war. Da rief er: »Wie? Soll der Christ einen Moslem umbringen?« legte Hand an den Christen, band ihm die Hände auf dem Rücken zusammen und führte ihn vor den Wâlī,Der Polizeikommandant. während der Christ bei sich sprach: »Ach Messias! O Jungfrau! Wie konnte ich diesen Menschen umbringen, und wie schnell ist er von einem Faustschlag gestorben!« – Sein Rausch war vergangen und sein Herz voll Bangen.

Nachdem nun der Christ und der Buckelige die Nacht über im Hause des Wâlīs zugebracht hatten, befahl der Wâlī am nächsten Morgen dem Henker die Sache des Christen auszurufen, ließ für ihn das Holz aufrichten und stellte ihn darunter. Schon war der Henker herzugetreten, hatte den Strick um den Hals des Christen geworfen und wollte ihn eben aufhängen, als der Oberküchenmeister vorüberging; wie er 10 den Christen unter dem Galgen sah, durchbrach er die Menge und rief dem Henker zu: »Halt' ein, ich bin der Mörder!«

Der Wâlī fragte ihn: »Weshalb hast du ihn umgebracht?« der Oberküchenmeister erwiderte: »Als ich des Nachts nach Hause kam, sah ich, daß er vom Dach aus eingestiegen war und mir meine Vorräte stehlen wollte; da gab ich ihm mit einem Hammer einen Schlag vor die Brust, daß er tot hinfiel. Dann lud ich ihn auf, trug ihn zum Markte und stellte ihn an dem und dem Ort an der und der Ecke auf. Ist's nicht genug, daß ich einen Moslem umgebracht habe, daß auch noch ein Christ um meinetwillen das Leben lassen soll? Hänge mich und keinen andern.«

Als der Wâlī diesen Bericht vom Oberküchenmeister vernahm, ließ er den Makler, den Christen, los und sagte zum Henker: »Hänge diesen, da er eingestanden hat.« Der Henker nahm nun den Strick vom Hals des Christen und legte ihn um den Hals des Oberküchenmeisters; dann stellte er diesen unter den Galgen und wollte ihn eben aufhängen, als plötzlich der jüdische Arzt die Menge zerteilte und dem Henker zurief: »Halt' ein, ich bin der Mörder! Die Sache trug sich so zu: Er kam zu mir ins Haus, um sich eine Medizin geben zu lassen; wie ich aber die Treppe zu ihm hinabstieg, stolperte ich über ihn, daß er umfiel und auf der Stelle tot war. Hänge nicht den Oberküchenmeister, hänge mich!«

Nun befahl der Wâlī dem Henker den jüdischen Arzt zu hängen; der Henker nahm den Strick wieder vom Hals des Oberküchenmeisters und legte ihn um den Hals des jüdischen Arztes, als plötzlich der Schneider die Menge zerteilte und dem Henker zurief: »Halt' ein, ich bin der Mörder! Die Sache trug sich so zu: Ich hatte mich den Tag über vergnügt und begegnete des Abends beim Nachhausegehen diesem Buckeligen, der angetrunken war und auf einem Tamburin spielte, wozu er lustig sang. Ich trat herzu, um meinen Spaß an ihm zu haben, und nahm ihn dann mit mir nach Haus. Darauf kaufte ich Fische ein, und, wie wir uns gesetzt hatten 11 und aßen, nahm meine Frau ein Stück Fisch und einen Happen Brot und stopfte ihm beides zugleich in den Mund, woran er auf der Stelle erstickte.

Da nahmen wir ihn beide, meine Frau und ich, und trugen ihn zum Haus des Juden. Als die Sklavin herunterkam und uns die Thür öffnete, sagte ich zu ihr: Melde deinem Herrn, daß an der Thür ein Weib und ein Mann mit einem Kranken stehen, und sprich: »Geh' und sieh ihn dir an und verschreib' ihm eine Medizin,« und gab ihr einen Vierteldinar.

Darauf stieg sie wieder zu ihrem Herrn hinauf, ich aber lehnte den Buckeligen an die Treppe und ging mit meiner Frau meines Weges. Wie der Jude nun die Treppe hinunterstieg, stolperte er über ihn und meinte, er hätte seinen Tod verschuldet.« Dann fragte der Schneider noch den Juden: »Ist es wahr?« und der Jude antwortete: »Ja.« Darauf wendete sich der Schneider wieder zum Wâlī und sagte zu ihm: »Laß den Juden los und hänge mich!«

Als der Wâlī die Erzählung des Schneiders vernommen hatte, verwunderte er sich über diesen Fall mit dem Buckeligen und sagte: »Fürwahr, diese Geschichte sollte in die Bücher eingetragen werden.« Dann befahl er dem Henker: »Laß den Juden los und hänge den Schneider, weil er eingestanden hat.«

Der Henker führte den Schneider vor, legte ihm den Strick um den Hals und meinte: »Sollen wir einen nach dem andern unter den Galgen stellen und wieder zurückschieben und schließlich keinen hängen?«

Nun aber war der Buckelige der Hofnarr des Sultans, von dem sich dieser gar nicht trennen konnte, so daß der Sultan, als der Buckelige in der Trunkenheit die Nacht über und den folgenden Tag bis Mittag von ihm fortgeblieben war, einige der Anwesenden nach ihm fragte. Dieselben gaben ihm zur Antwort: »Herr, der Wâlī brachte ihn eben tot an und gab Befehl seinen Mörder hängen zu lassen; 12 wie er aber zum Richtplatz hinunterging, kam noch einer und dann ein dritter, die alle behaupteten ihn allein umgebracht zu haben, und alle dem Wâlī den Hergang der Sache angaben.«

Infolgedessen rief der König den diensthabenden Kämmerling und befahl ihm: »Geh' zum Wâlī hinunter und bring' alle zusammen her.«

Als sich nun der Kämmerling nach unten begeben hatte und sah, wie der Henker gerade im Begriff stand, den Schneider aufzuhängen, rief er ihm zu: »Halt ein!« und teilte dem Wâlī mit, daß der Vorfall dem König zu Ohren gekommen sei; darauf begab er sich mit dem Wâlī, dem Buckeligen, der getragen wurde, dem Schneider, dem Juden, dem Christen und dem Oberküchenmeister zusammen zum König.

Als der Wâlī vor dem Könige stand, küßte er die Erde vor ihm und erzählte ihm den ganzen Verlauf der Sache, der König aber verwunderte sich über diese Geschichte so sehr, daß er sich vor Freude schüttelte und sie mit goldener Tinte aufzuschreiben befahl. Darauf fragte er die Anwesenden: »Habt ihr wohl je eine Geschichte gleich der des Buckeligen vernommen?«

Infolgedessen trat der Christ näher herzu und sprach: »O König der Zeit, mit deiner Erlaubnis will ich dir einen Vorfall erzählen, der sich mir zugetragen hat, und der noch merkwürdiger, wunderbarer und aufregender ist als diese Begebenheit mit dem Buckeligen.«

Der König versetzte darauf: »Erzähl' uns deine Geschichte.«

Da erzählte der Christ:

 


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