Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Ghanem, der verstörte Sklave der Liebe.

»Glückseliger König, in alter Zeit und in längstverflossenen Tagen lebte einmal ein reicher Kaufmann in Damaskus. Derselbe hatte zwei Kinder, einen Sohn mit beredter Zunge und gleich dem Mond in der Nacht seiner Vollendung, Namens Ghanem, der Sohn des Ajjûb, der verstörte Sklave der Liebe, und eine Tochter, welche nach dem Übermaß ihrer Schönheit und Anmut FitneVerführung. hieß. Bei seinem Hinscheiden hinterließ er seinen beiden Kindern ein beträchtliches Vermögen, zu dessen Masse auch hundert Kamellasten Seide, Brokatstoffe und Moschusblasen gehörten, auf denen geschrieben stand: »Bestimmt für Bagdad,« da es seine Absicht gewesen war nach Bagdad zu reisen.

Siebenunddreißigste Nacht.

Nachdem nun Gott, der Erhabene, ihn zu sich genommen hatte, und die Zeit darüber verstrichen war, nahm sein Sohn jene Lasten und reiste damit nach Bagdad; es trug sich dies aber in der Zeit Hārûn er-Raschîds zu. Bevor er abreiste, nahm er Abschied von seiner Mutter, seinen Verwandten und den Leuten seines Viertels und machte sich dann auf den Weg voll Vertrauen auf Gott den Erhabenen, und Gott 154 verzeichnete ihm das Heil, so daß er, in Gesellschaft einer Kaufmannskarawane reisend, in Bagdad anlangte. Hier mietete er sich ein schönes Haus, stattete es mit Teppichen, Polstern und langen Vorhängen aus und brachte in demselben Hause zugleich seine Lasten, Maultiere und Kamele unter.

Nachdem er sich dann der Ruhe überlassen hatte, und die Kaufleute und Großen von Bagdad ihn begrüßt hatten, nahm er einen Ballen mit zehn kostbaren Kleiderstoffen, auf denen der Preis verzeichnet stand, und begab sich damit zum Bazar der Kaufleute. Die Kaufleute kamen ihm entgegen, begrüßten ihn ehrerbietig, empfingen ihn mit Bewillkommnungen und führten ihn zum Scheich des Bazars, wo er das Zeug so günstig verkaufte, daß er zu seiner Freude an jedem Dinar zwei Dinare profitierte. Von nun an verkaufte er sein Zeug und die Stoffe nach und nach ein volles Jahr lang, bis er am Anfang des folgenden Jahres, als er wieder zum Bazar ging, das Thor verschlossen fand. Als er sich nach der Ursache hiervon erkundigte, sagte man ihm, daß einer der Kaufleute gestorben wäre und infolgedessen alle Kaufleute fortgegangen seien, um an seinem Leichenbegängnis teilzunehmen. Wolle er sich einen LohnVon Gott. verdienen, so solle er sich ihnen anschließen. Ghanem sagte zu und erkundigte sich nach dem Ort der Leichenfeierlichkeit. Nachdem man ihn dorthin gewiesen hatte, vollzog er die Waschung und ging mit den Kaufleuten, bis sie zum Bethaus kamen, wo sie über den Toten ein Gebet sprachen. Darauf schritten alle Kaufleute, von Ghanem gefolgt, an der Spitze des Leichenzuges zum Friedhofe, der außerhalb der Stadt lag, und zogen zwischen den Gräbern hindurch, bis sie zur Gruft anlangten, woselbst sie ein Zelt vorfanden, das von den Angehörigen des Toten über die Gruft gespannt und mit Kerzen und Lampen versehen war. Nachdem sie nun den Toten 155 bestattet, und die Vorleser sich gesetzt hatten, und den Koran an dem Grabe verlasen, ließen sich auch die Kaufleute und Ghanem, der Sohn des Ajjûb, daselbst nieder, indem letzterer, von Scheu ergriffen, bei sich sprach: »Ich darf mich nicht von ihnen trennen und muß warten bis sie fortgehen.« So saßen sie denn und hörten der Verlesung des Korans zu, bis es Abend wurde und man ihnen das Abendessen und Süßigkeiten auftrug. Als sie sich jedoch sattgegessen und die Hände gewaschen hatten und sich dann wieder an ihren Platz setzten, wurde Ghanems Herz über seine Waren so unruhig, daß er in seiner Furcht vor Dieben bei sich sprach: »Ich bin ein fremder Mann und gelte für vermögend; bringe ich die Nacht fern von meiner Wohnung zu, so stehlen mir die Diebe all mein Geld und meine Lasten, die ich dort habe.« In solcher Besorgnis um sein Gut erhob er sich und verließ die Versammlung, nachdem er sich die Erlaubnis erbeten hatte, ein Geschäft zu besorgen. Fortwährend den Spuren des Weges folgend, gelangte er um Mitternacht an das Stadtthor, das er jedoch verschlossen fand; er sah keinen aus noch ein gehen und hörte auch keinen Laut als das Gebell der Hunde und Geheul der Wölfe.

Da rief er: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott; aus Besorgnis um mein Gut kam ich her und muß nun, da das Thor verschlossen ist, um mein Leben besorgt sein.« Hierauf kehrte er wieder um und sah sich nach einem Ort um, wo er bis zum Morgen schlafen könnte. Als er eine von vier Mauern umgebene Grabstätte, in welcher eine Dattelpalme stand, erblickte und das steinerne Thor derselben offen fand, trat er daselbst ein und versuchte zu schlafen, doch packte ihn Furcht und Grausen inmitten der Gräber so stark, daß er wieder auf die Füße sprang und das Thor öffnete, um hinauszuschauen. Da sah er in der Ferne ein Licht in der Richtung des Stadtthors schimmern und trat infolgedessen noch ein wenig weiter vor; als er jetzt jedoch merkte, daß sich das Licht auf dem Wege nach 156 der Grabstätte, auf welcher er sich befand, vorwärts bewegte, schloß er, um sein Leben besorgt, eiligst wieder die Thür, kletterte auf die Palme und verbarg sich tief in ihrer Krone, während sich das Licht Schritt für Schritt der Grabstätte näherte, bis es nahe herangekommen war. Scharf ausspähend erkannte er jetzt bei dem Licht drei Sklaven, von denen zwei eine Kiste trugen, und einer in der Hand eine Axt und eine Laterne hielt. Als dieselben an die Grabstätte herangekommen waren, sagte der eine von den beiden, welche die Kiste trugen: »Was hast du, Sawâb?« Der andere entgegnete: »Was hast du, Kāfûr?« Darauf sagte wieder der erste: »Hatten wir nicht, als wir zum Abend hier waren, die Thür aufgelassen?« Der andere erwiderte: »Jawohl, du sprichst die Wahrheit.« »Jetzt aber,« sagte der erste, »ist sie verschlossen und verrammelt.« Darauf sagte der dritte, der die Axt und das Licht trug und dessen Name Bucheit war: »Ihr habt doch wenig Verstand; wißt ihr nicht, daß die Gartenbesitzer aus Bagdad oft hierherkommen, sich, wenn der Abend sie überrascht, hier hineinbegeben und hinter sich die Thür verriegeln aus Furcht vor solchen Schwarzen wie wir sind, daß wir sie fangen und braten und auffressen?« Die andern beiden erwiderten: »Du magst recht haben, doch haben wir nicht weniger Verstand als du.« Nun hob er wieder an und sagte zu ihnen: »Ihr glaubt mir nicht eher, als bis wir die Grabstätte betreten und einen gefunden haben. Ich glaube sogar, daß falls jemand dort ist und das Licht bemerkt hat, sich derselbe auf die Dattelpalme geflüchtet hat.« Als Ghanem den Sklaven dies sprechen hörte, dachte er bei sich: »Wie schlau doch dieser Sklave ist! Gott schände die Schwarzen wegen ihrer Ruchlosigkeit und Schurkerei! Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen, was wird mich nun aus diesem Schlund erretten?!«

Hierauf sagten die beiden Sklaven, welche die Kiste trugen, zu dem dritten mit der Axt: »Steig' über die Mauer und 157 öffne uns die Thür, Bucheit; wir sind davon, daß wir die Kiste auf unserm Nacken getragen haben, müde geworden; machst du uns die Thür auf, so geben wir dir auch einen von denen, die wir fangen, und rösten ihn dir so gut, daß nicht ein Tropfen von seinem Fett verloren geht.« Bucheit erwiderte jedoch: »Ich fürchte mich vor etwas, das mir mein geringer Verstand eingiebt; laßt uns die Kiste über die Thür hineinwerfen, weil unser Schatz drin ist.« Die andern entgegneten ihm: »Werfen wir sie hinüber, so zerbricht sie.« Der dritte meinte jedoch: »Ich fürchte, es können innen Räuber sein, welche die Leute umbringen und berauben und dann zur Abendzeit in solche Orte gehen, um ihren Raub zu verteilen.« Darauf versetzten die beiden andern, welche die Kiste trugen: »Dummkopf, können sie denn hier hineinkommen?« Dann setzten sie die Kiste ab, stiegen über die Mauer und öffneten die Thür, während der dritte Sklave, Namens Bucheit, mit dem Lichte und einem Korb voll Mörtel draußen auf sie wartete. Nachdem sie dann wieder die Thür verschlossen und sich gesetzt hatten, sagte der eine von ihnen: »Brüder, wir sind vom Gehen, vom Auf- und Abladen und Öffnen und Schließen der Thür müde geworden; jetzt ist es Mitternacht und wir haben nicht mehr die Kraft das Grab zu öffnen und die Kiste zu begraben. Wir wollen daher uns hier drei Stunden ausruhen und dann aufstehen und unser Geschäft besorgen; jeder von uns aber soll von Anfang bis Ende seine Erlebnisse erzählen und insbesondere wie es kam, daß er Eunuch wurde.«

Achtunddreißigste Nacht.

Hierauf sagte der erste, der das Licht trug: »Ich will euch meine Geschichte erzählen,« und die beiden andern forderten ihn auf: »Sprich!« Da erzählte er:

 


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