Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Geschichte des zweiten Bruders des Barbiers.

»Wisse, o Fürst der Gläubigen, als mein zweiter Bruder eines Tages auf der Straße ging, um ein Geschäft zu besorgen, trat ihm plötzlich ein altes Weib in den Weg und sagte zu ihm: »Mann, bleib' ein wenig stehen, daß ich dir etwas vorschlagen kann; gefällt es dir, so erfülle es mir.« Da blieb mein Bruder stehen, und nun sagte sie zu ihm: »Ich werde dich zu einer Sache führen unter der Bedingung, daß du nicht viel sprichst.« Mein Bruder antwortete darauf: »Laß dein Wort hören.« Da sagte sie: »Was meinst du zu einem schönen Hause mit laufendem Wasser, Früchten und Wein, einem schönen Gesicht, es zu betrachten, einer oval geformten Wange, sie zu küssen, und einer schlanken Gestalt, sie zu umarmen, und das alles vom Abend bis zum Morgen zu genießen? Befolgst du das, was ich dir zur Bedingung stelle, so kommst du zum Glück.«

Als mein Bruder diese Worte von ihr vernahm, fragte er sie: »Meine Herrin, warum hast du mich gerade hierzu aus der ganzen Schöpfung auserlesen, und was gefällt dir so an mir?« Die Alte erwiderte jedoch meinem Bruder: »Habe ich dir nicht gesagt, sprich nicht viel? Schweig, und komm' mit mir.« Darauf kehrte sie den Rücken, und mein Bruder folgte ihr voll Verlangen nach den Genüssen, die sie ihm geschildert hatte, bis sie in ein geräumiges Haus eintraten, und sie mit ihm hinaufstieg, wobei mein Bruder bemerkte, daß er sich in einem vornehmen Schloß befand. Sich umschauend, bemerkte er vier junge Mädchen, wie sie bisher kein Auge schöner gesehen hatte, welche so süß sangen, daß ihre Stimmen taube Steine hätten in Entzücken setzen können.

Als sie den Gesang beendet hatten, leerte eines der Mädchen einen Becher, und mein Bruder sprach zu ihr: »Zur Gesundheit und Genesung!« worauf er sich erhob, um sie zu bedienen. Sie lehnte es jedoch ab und reichte ihm einen 75 Becher. Wie er ihn nun leerte, knuffte sie ihn in den Nacken, so daß er unwillig wurde, und unter vielen Worten hinausging. Die Alte folgte ihm jedoch und blinzte ihm zu, daß er wieder zurückkommen solle. Er that es auch und setzte sich wieder, doch sprach er kein Wort. Darauf knuffte sie ihn wieder an den Hinterkopf, daß er ohnmächtig wurde. Wie er nun wieder zu sich kam und fortgehen wollte, um ein Geschäft zu besorgen, lief ihm die Alte nach und sagte zu ihm: »Warte nur noch ein wenig, dann erlangst du deinen Wunsch.« Mein Bruder fragte sie: »Wie oft soll ich noch ein wenig warten?« Die Alte erwiderte: »Wenn sie betrunken ist, erreichst du deinen Wunsch.«

Darauf kehrte mein Bruder wieder um und setzte sich auf seinen Platz. Jetzt standen aber alle Mädchen auf und die Alte befahl ihnen, ihm die Kleider vom Leibe zu ziehen und sein Gesicht mit Rosenwasser zu bespritzen. Als sie dies gethan hatten, sagte das schönste Mädchen unter ihnen: »Gott mache dich geehrt! Du bist in mein Haus gekommen, und, wenn du dich meiner Bedingung fügst, so erreichst du deinen Wunsch.« Mein Bruder antwortete ihr darauf: »Meine Herrin, ich bin dein Sklave und in deiner Hand.« Nun sagte sie zu ihm: »Wisse, Gott hat mir eine Leidenschaft für lustige Streiche eingepflanzt, und jeder, der mir gehorcht, erlangt, was er wünscht!« Darauf befahl sie den Mädchen zu singen, und sie sangen, daß der ganze Saal entzückt war. Dann sagte sie zu einem der Mädchen: »Nimm deinen Herrn, besorge dein Geschäft und bring' ihn sogleich wieder.« Darauf nahm das Mädchen meinen Bruder, ohne daß er wußte, was mit ihm geschehen sollte. Die Alte ging ihm aber nach und sagte zu ihm: »Gedulde dich nur noch ein wenig, dann erlangst du deinen Wunsch; nur noch eins fehlt, nämlich, daß du dir den Bart scherst.«

Da entgegnete ihr mein Bruder: »Wie werde ich etwas thun, was mir unter den Leuten Schande einträgt?« Die Alte erwiderte ihm jedoch: »Sie wünscht dies nur deshalb 76 von dir, daß du glatt im Gesicht wirst, und sie nicht stichst, denn sie hegt im Herzen große Liebe zu dir; gedulde dich nur, gleich erreichst du deinen Wunsch.« Mein Bruder fügte sich darauf und ergab sich willig dem Mädchen, das ihm nun nicht nur den Kinnbart, sondern auch die Brauen und den Schnurrbart abschnitt und das Gesicht rot färbte. Als sie dann wieder mit ihm zu der jungen Dame eintrat, entsetzte sie sich zuerst über ihn, bis sie gleich darauf so stark lachte, daß sie rücklings umfiel und rief: »Mein Herr, nun hast du mich ganz durch dein artiges Benehmen gewonnen.« Darauf beschwor sie ihn bei ihrem Leben zu tanzen, und mein Bruder tanzte, während im Hause kein Kissen übrig blieb, das sie nicht nach ihm geworfen hätte. Ebenso warfen die andern Mädchen mit Orangen, Limonen, Citronen und dergleichen Gegenständen nach ihm, bis er ohnmächtig vor Schmerzen zu Boden stürzte. Nicht eher ließen sie nach ihn an den Kopf zu knuffen und sein Gesicht zu bewerfen, bis die Alte zu ihm sagte: »Nun hast du deinen Wunsch erlangt; wisse, jetzt erhältst du keine Prügel mehr, und es bleibt nur noch eins zu thun übrig. Ist sie nämlich betrunken, so läßt sie keinen an sich herankommen, ehe sie sich nicht Kleid und Hosen ausgezogen hat. Ebenso mußt du dich nackend ausziehen; sie wird dann vor dir herlaufen, als ob sie vor dir flüchtete, und du mußt ihr immer von Zimmer zu Zimmer nachlaufen, bis du sie gefangen hast.«

Einunddreißigste Nacht.

Darauf sagte sie zu ihm: »Auf, zieh dich aus!« und wie geistesabwesend zog er seine Kleider aus. Nachdem er damit fertig geworden war, sagte das Mädchen zu ihm: »Auf, lauf' mir jetzt nach! Ich will vor dir herlaufen, und, wenn du etwas wünschest, so setze mir nach.« Darauf lief sie vor ihm her, und er ihr nach; und sie lief von Zimmer zu Zimmer hinein und heraus, und mein Bruder ihr immer nach, bis er halb verrückt war. Plötzlich hörte er einen leisen Schrei 77 von ihr, und ehe er sich's noch versah, befand er sich mitten auf einer Straße mitten unter den Fellhändlern, welche gerade ihre Felle ausriefen. Bei seinem Anblick, nackend, mit geschorenem Kinn und Schnurrbart, abgeschnittenen Brauen und rot gefärbtem Gesicht, schrieen die Leute über ihn, lachten und brüllten, und einige von ihnen bearbeiteten seinen nackten Leib mit den Fellen, bis er ohnmächtig umfiel. Dann luden sie ihn auf einen Esel und führten ihn zum Wâlī. Als derselbe fragte, was das bedeuten solle, antworteten sie ihm: »Dieser Mensch stürzte plötzlich in solcher Verfassung aus dem Hause des Wesirs auf uns los.« Da ließ ihm der Wâlī hundert Streiche mit der Peitsche verabfolgen und verbannte ihn aus der Stadt; ich aber ging ihm nach, brachte ihn heimlich in die Stadt zurück und setzte ihm ein Bestimmtes für seinen Unterhalt fest. Wäre ich nicht so großmütig, ich hätte mir einen solchen Menschen wie diesen sicherlich nicht auf den Hals geladen.

 


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