Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Geschichte des Juden.

»Das wunderbarste meiner Erlebnisse fand statt, als ich in meiner Jugendzeit zu Damaskus in Syrien meine Kunst studierte und sie praktizierte. Zu jener Zeit kam eines Tages ein Mamluk aus dem Hause des Gouverneurs von Damaskus zu mir, und ich ging zu ihm heraus und folgte ihm zum Hause des Gouverneurs. Als ich eintrat, sah ich am gegenüberliegenden Ende des Saales ein marmornes mit Goldplatten beschlagenes Sofa, auf welchem ein Kranker zurückgelehnt ruhte, der schönste junge Mann, den man in seiner Zeit sehen konnte. Indem ich mich ihm zu Häupten niederließ und ihm Genesung wünschte, nickte er mir zu, und ich sagte nun zu ihm: »Mein Herr, gieb mir deine Hand.« Da reichte er mir seine linke Hand, so daß ich mich hierüber verwunderte und bei mir sprach: »Gottes Wunder, dieser junge Mann ist doch hübsch und aus vornehmem Hause und hat keine Bildung; das ist doch eine Hoffart!« Hierauf befühlte ich ihm den Puls und schrieb ihm ein Rezept. Zehn Tage lang besuchte ich ihn dann stetig, bis er genesen war, 42 ins Bad ging, sich wusch und wieder herauskam, worauf mir der Gouverneur ein hübsches Ehrenkleid anlegte und mich zum Direktor des Hospitals von Damaskus machte. Als ich aber mit ihm ins Bad gegangen war, das sie für uns von allen Leuten leer gemacht hatten, und der Diener mit andern Kleidern gekommen war und die Sachen, die er angehabt hatte, fortgenommen hatte, sah ich, wie er sich entkleidet hatte, daß ihm die rechte Hand abgehauen war. Ich begann mich darüber zu verwundern und bekümmerte mich über ihn; als ich nun aber auch seinen Körper betrachtete, erblickte ich an ihm die Spuren von Geißelhieben, so daß ich mich noch mehr verwunderte. Da sah mich der junge Mann an und sagte zu mir: »O Hakîm der Zeit, verwundere dich nicht über mein Aussehen; wenn du das Bad verlassen hast, will ich dir eine Geschichte erzählen.«

Als wir dann aus dem Bade wieder in den Palast gegangen waren und uns nach dem Essen ausruhten, sagte der junge Mann: »Hast du Lust dir das obere Speisezimmer zu besehen?« Ich versetzte: »Gut.« Darauf befahl er den Sklaven die Kissen nach oben zu tragen, ein Lamm zu braten und uns Obst zu bringen. Als nun die Sklaven seinen Befehl vollzogen und uns das Obst gebracht hatten, und wir aßen – er mit der linken Hand – sagte ich zu ihm: »Erzähle mir deine Geschichte.« Darauf begann er:

»O Hakîm der Zeit, höre die Geschichte, die mir zugestoßen ist. Wisse, ich bin ein Mossuler Kind. Mein Großvater hatte zehn Söhne hinterlassen, deren ältester mein Vater war. Nachdem sie alle erwachsen waren, verheirateten sie sich, doch wurden sie, mit Ausnahme meines Vaters, dem ich geschenkt wurde, nicht mit Kindern gesegnet. So wuchs ich unter meinen Oheimen auf, die große Freude an mir hatten.

Als ich nun die Mannesreife erlangt hatte, begab ich mich eines Freitags mit meinem Vater in die große Moschee von Mossul. Nachdem wir das Freitagsgebet verrichtet hatten, 43 blieben mein Vater und meine Oheime zurück, während alle andern Leute die Moschee verließen, und unterhielten sich über die Wunderdinge in andern Ländern und Merkwürdigkeiten in andern Städten, bis sie auch Kairo erwähnten, und einer meiner Oheime sagte: »Die Reisenden berichten, daß es auf der ganzen Erdoberfläche keine schönere Stadt giebt als Kairo mit seinem Nil; [Verkürzt nach der Breslauer Ausgabe, welche hier eine überschwengliche Schilderung giebt, während die Bulaker Ausgabe nur zwei nichtssagende Verse bringt und die Kalkuttaer Ausgabe etwa die Mitte hält.andere wiederum meinten: »Bagdad ist die Stätte des Friedens und die Mutter der Welt.« Mein Vater aber, der älteste unter ihnen, sagte: »Wer Kairo nicht gesehen hat, der hat die Welt nicht gesehen. Seine Erde ist Gold, seine Frauen eine Lust, seine Nacht ein Wunder, sein Wasser leicht und süß und sein Schlamm weich, wie ein Dichter über den Nil die Verse gesprochen hat:

Jemand wünscht euch heute Glück zur Rückkehr eures Nils,
Einsam kommt er zu euch und wünscht euch Glück.
Meine Thränen, die ich ferne von euch weinte, sie sind der Nil;
Ihr lebt im Glück, und der Einsame bin ich.]

Als ich Kairo in dieser Weise schildern hörte, ging es mir im Kopfe herum, und, wie wir nun aufbrachen und ein jeder in seine Wohnung ging, vermochte ich in jener Nacht in meiner heftigen Sehnsucht nach Kairo keinen Schlaf zu finden und hatte weder Lust zu essen noch zu trinken. Wenige Tage darauf rüsteten sich meine Oheime zur Reise nach Kairo aus, und nun weinte ich meinem Vater so lange etwas vor, um mitziehen zu dürfen, bis er mir Waren beschafft hatte, und ich sie begleiten durfte. Doch sagte er zu ihnen: »Lasset ihn nicht nach Kairo mit euch ziehen, lasset ihn in Damaskus zurück, damit er dort seine Waren verkauft.«

Hierauf nahm ich von meinem Vater Abschied, und wir brachen auf, verließen Mossul und reisten in einem fort, bis 44 wir nach Aleppo kamen. Nach einem Aufenthalt von einigen Tagen daselbst, zogen wir weiter, bis wir in Damaskus anlangten und sahen, daß es eine an Bäumen, Gewässern, Früchten und Vögeln reiche Stadt war, gleich einem Paradiesesgarten mit allerlei Fruchtbäumen. Wir kehrten hier in einem der Chane ein, und meine Oheime verweilten so lange, bis sie ihre Waren verkauft und wieder neue eingekauft hatten, wobei sie auch meine Waren so günstig verkauften, daß zu meiner Freude der Gewinn auf fünf Dirhem für einen kam.

Hierauf brachen meine Oheime wieder auf und reisten nach Kairo, während ich allein zurückblieb und eine hübsche Villa zur Wohnung nahm, zu deren Beschreibung die Zunge nicht ausreicht, und deren monatliche Miete zwei Dinare betrug. Als ich mir hier nun Speise und Trank auf Kosten meines Geldes gut bekommen ließ und eines Tages vor dem Thor der Villa saß, kam plötzlich ein Mädchen in den kostbarsten Kleidern, die ich je gesehen hatte, zu mir heran; auf einen Wink von mir trat sie frischweg ins Thor ein, ich aber schloß nach ihrem Eintritt sofort erfreut das Thor und hatte sie so in meiner Gewalt. Als sie ihr Gesicht entschleierte und den großen Frauenschleier abnahm, sah ich, daß sie von wunderbarer Anmut war, und verlor sofort mein Herz an sie. Nachdem ich dann ein Mahl, bestehend aus den köstlichsten Gerichten und Früchten und allem, was der Besuch erforderte, besorgt hatte, aßen wir und scherzten, tranken darauf, bis wir berauscht waren, und verbrachten die schönste Nacht miteinander. Am nächsten Morgen wollte ich ihr zehn Dinare geben, sie schwur jedoch die Dinare nicht annehmen zu wollen und sagte: »Mein Geliebter, erwarte mich nach drei Tagen; zur Abendzeit will ich wieder bei dir sein, richte uns dann von diesen Dinaren ein Mahl gleich dem heutigen her.« Darauf gab sie mir zehn Dinare, verabschiedete sich von mir und ging fort, meinen Verstand mit sich mitnehmend.

Nach Verlauf der drei Tage kam sie, nachdem ich vor 45 ihrer Ankunft bereits alles zum Besuch erforderliche zugerichtet hatte, wieder, mit goldgestickten Kleidern angethan und in noch prächtigeren Schmucksachen und Gewändern als zuvor. In üblicher Weise aßen und tranken wir wieder und ruhten zur Nacht, bis der Morgen anbrach und sie mir wieder zehn Dinare gab und fest zusagte nach drei Tagen wiederzukommen. Wie ich nun wieder das Erforderliche zugerichtet hatte, und sie nach drei Tagen in noch glänzenderer Kleidung als das erste und zweite Mal ankam, fragte sie mich: »Mein Herr, bin ich wohl hübsch?« »Bei Gott, ja!« erwiderte ich. Darauf sagte sie: »Erlaubst du mir wohl, daß ich ein Mädchen, noch schöner und jünger als ich, das nächste Mal mitbringe, daß wir zusammen scherzen und lachen? Sie hat mich nämlich gebeten mit mir auszugehen und die Nacht mit uns zu verbringen, um sich in unserer Gesellschaft zu vergnügen.« Darauf gab sie mir zwanzig Dinare und sagte: »Bestreite davon die Bewirtung; es ist mehr um des Mädchens willen, das mich begleiten wird.« Dann verabschiedete sie sich und ging fort.

Am vierten Tage darauf, als ich in üblicher Weise wieder das Erforderliche besorgt hatte, kam sie gegen Abend in Begleitung eines Mädchens, das ganz in den Frauenschleier eingehüllt war. Erfreut zündete ich, als sie eingetreten waren und sich gesetzt hatten, die Kerzen an und hieß sie fröhlich und vergnügt willkommen. Dann standen sie auf und legten ihre Sachen ab, und, als nun das neu hinzugekommene Mädchen ihr Gesicht entschleierte, nahm ich wahr, daß es schön wie der Vollmond war, und daß ich noch kein schöneres gesehen hatte. Nachdem ich ihnen dann die Speisen und den Wein vorgesetzt hatte, aßen wir und tranken, und ich küßte fortwährend das neue Mädchen, füllte ihr den Becher und trank mit ihr, so daß das erste Mädchen heimlich in Eifersucht entbrannte und sagte: »Bei Gott, dieses Mädchen ist hübsch! Ist es nicht noch reizender als ich bin?« »Ja, bei Gott!« entgegnete ich. Da sagte sie: »Ich wünsche, daß du 46 mit ihr die Nacht verbringst.« Ich antwortete: »Auf meinen Kopf und mein Auge.« Hierauf stand sie auf und machte uns das Lager, und ich ruhte mit dem neuen Mädchen bis zum Morgen.

Als es Tag ward, fand ich, daß meine Hand mit Blut besudelt war. Meine Augen öffnend, sah ich, daß die Sonne bereits aufgegangen war, und wollte nun das Mädchen wecken; da rollte ihr Kopf von ihrem Leibe fort, und ich ahnte, daß das erste Mädchen das aus Eifersucht gethan hatte. Nachdenklich saß ich eine Weile still, dann stand ich auf, zog meine Kleider aus und grub ein Loch in dem Fußboden der Villa, in welches ich das Mädchen bestattete; darauf deckte ich die Erde wieder darüber und legte den Marmor so wie er gewesen war. Alsdann kleidete ich mich an, nahm den Rest meines Geldes und ging zum Eigentümer der Villa. Nachdem ich ihm die Miete für ein Jahr bezahlt und ihm gesagt hatte, daß ich zu meinen Oheimen nach Kairo abreisen würde, brach ich nach Kairo auf, und traf dort mit meinen Oheimen, die gerade mit dem Verkauf ihrer Waren fertig geworden waren, zusammen. Erfreut über meine Ankunft fragten sie mich nach dem Grunde meines Kommens. Ich antwortete ihnen: »Ich hatte Sehnsucht nach euch und befürchtete, daß mir nichts mehr von meinem Gelde übrigbleiben möchte.« Darauf blieb ich ein Jahr bei ihnen, genoß Kairo und den Nil und aß und trank, indem ich meine Hand an den Rest meines Geldes legte und davon die Kosten bestritt. Als aber die Abreise meiner Oheime nahte, machte ich mich aus dem Staube, so daß sie glaubten, ich sei vor ihnen bereits nach Damaskus zurückgekehrt, und abreisten. Als sie fort waren, kam ich wieder zum Vorschein und blieb noch drei Jahre in Kairo, bis ich kein Geld mehr hatte; doch hatte ich jedes Jahr dem Eigentümer der Villa die Miete geschickt.

Nach den drei Jahren nun wurde mir ums Herz beklommen, da ich nichts weiter als nur noch die Miete für ein Jahr besaß; ich reiste deshalb nach Damaskus zurück und 47 kehrte zur Freude des Eigentümers der Villa daselbst wieder ein. Als ich sie wieder bezogen hatte und sie von dem Blute des ermordeten Mädchens reinigte, fand ich beim Aufheben des Kissens das Halsband, das sie getragen hatte, darunter und weinte, es betrachtend, lange Zeit. Zwei Tage blieb ich nun dort, am dritten aber ging ich ins Bad und legte andere Kleider an, ohne daß ich noch irgend welches Geld besaß. Infolgedessen ging ich eines andern Tages, den Einflüsterungen des Satans gehorchend, auf daß das Schicksal sich an mir erfüllte, mit der Juwelenschnur in den Bazar und übergab sie dem Makler, der sich vor mir erhob und mich einlud an seiner Seite Platz zu nehmen. Nachdem er so lange gewartet hatte, bis der Bazar gefüllt war, nahm er sie und ließ sie insgeheim, ohne daß ich etwas davon erfuhr, ausbieten, und der Kaufpreis, der dafür geboten wurde, belief sich auf zweitausend Dinare. Hierauf kam der Makler wieder zu mir und sagte: »Das ist ein kupfernes Halsband, eine Imitation fränkischen Fabrikats, tausend Dirhem sind dafür geboten.« Ich antwortete ihm: »Gut so; wir hatten es für eine Frau machen lassen, um sie damit zum besten zu haben; darauf erbte es meine Frau, und wir wollen es nun verkaufen. Geh und nimm die tausend Dirhem.«

Achtundzwanzigste Nacht.

Als mich der Makler jedoch sagen hörte: »Geh und nimm die tausend Dirhem,« merkte er, daß es eine dunkle Sache war, und ging mit dem Halsband zum Vorsteher des Bazars; dieser wiederum nahm es, ging damit zum Wâlī und sagte: »Sieh, dieses Halsband ist mir gestohlen, doch haben wir den Dieb, der wie die Söhne der Kaufleute gekleidet ist, gefunden.«

Ehe ich noch wußte, was geschah, hatten mich auch schon die Häscher umringt, gepackt und vor den Wâlī gebracht, der mich des Halsbandes wegen zur Rede stellte. Wie ich ihm dasselbe angab, was ich dem Makler erzählt hatte, lachte er 48 und sagte: »Das ist nicht wahr,« und im Nu hatten mir seine Leute die Sachen vom Leibe gerissen und mich am ganzen Körper mit Geißeln verprügelt. Unter den brennenden Schlägen bekannte ich nun: »Ich hab' es gestohlen,« indem ich bei mir sprach: »Besser, ich sage, ich hab's gestohlen, als daß ich verrate, daß das Mädchen bei mir ermordet ist, und sie mich dafür hinrichten.« Nachdem ich also den Diebstahl eingestanden hatte, schlugen sie mir die Hand ab und steckten den Arm in siedendes Öl,Um den Blutfluß zu stillen. wobei ich ohnmächtig wurde; dann flößten sie mir Wein ein, bis ich wieder zu mir kam. Hierauf ging ich wieder in die Villa, doch sagte der Eigentümer zu mir: »Dieweil dich dies betroffen hat, verlaß die Villa und sieh' dich nach einer andern Wohnung um; du bist einer verbotenen Handlung für schuldig befunden.«

Ich bat ihn nun: »Ach, mein Herr, habe nur zwei oder drei Tage Geduld mit mir, bis ich mir eine andere Wohnung gesucht habe,« und er antwortete: »Gut,« ging fort und ließ mich allein. So saß ich denn weinend da und sprach: »Wie kann ich nun zu meiner Familie zurückkehren, wo meine Hand abgehauen ist, und der, welcher mir die Hand hat abhauen lassen, nicht weiß, daß ich unschuldig bin! Aber vielleicht läßt Gott noch etwas geschehen.«

Mich überfiel so tiefer Kummer, daß ich zwei Tage krank war; am dritten aber kam plötzlich der Eigentümer der Villa mit einigen Häschern und dem Vorsteher des Bazars wieder, von neuem behauptend, daß ich das Halsband gestohlen hätte. Wie ich zu ihnen herausging und sie fragte, was es gäbe, banden sie mir ohne weitern Aufschub die Hände auf dem Rücken, warfen mir eine Kette um den Hals und sagten zu mir: »Das Halsband, das du hattest, gehört dem Gouverneur von Damaskus, seinem Wesir und Regenten. Es verschwand vor drei Jahren aus seinem Hause und zugleich mit ihm seine Tochter.« 49

Als ich dies von ihnen vernahm, zitterten mir die Schultermuskeln, und ich sprach bei mir: »Sie werden mich ohne Gnade umbringen; bei Gott, nun muß ich dem Gouverneur mein Erlebnis erzählen, sei es, daß er mich töten läßt oder mir vergiebt.«

Als wir dann zum Gouverneur gekommen waren, und ich vor ihn gestellt wurde, sah er mich an und sagte: »Ist das da der Dieb des Halsbandes, der es zum Verkauf gebracht hat? Ihr habt ihm ungerechterweise die Hand abgehauen.« Darauf befahl er den Vorsteher des Bazars ins Gefängnis zu werfen und sagte zu ihm: »Gieb ihm das Blutgeld für die Hand oder ich lasse dich hängen und nehme dir all dein Vermögen.« Dann rief er sein Gefolge, ließ ihn packen und fortschleppen. Als mir hierauf mit seiner Erlaubnis die Nackenfessel und die Handstricke abgenommen, und wir beide allein zurückgeblieben waren, sagte er zu mir: »Mein Sohn, sprich und rede die Wahrheit, wie ist dieses Halsband in deinen Besitz gekommen?« Darauf antwortete ich: »Mein Herr, ich werde dir die Wahrheit sagen,« und erzählte ihm alles, was sich zwischen mir und dem ersten Mädchen zugetragen hatte, wie sie mit der andern zu mir gekommen war und ihr aus Eifersucht die Kehle abgeschnitten hatte, kurz die ganze Geschichte.

Als er meine Erzählung vernommen hatte, nickte er mit dem Kopfe, nahm sein Tuch vors Gesicht und weinte längere Zeit; dann wendete er sich zu mir und sagte: »Wisse, mein Sohn, das ältere Mädchen war meine Tochter, die ich sorgfältig hüten ließ, und, als sie erwachsen war, zu ihrem Vetter nach Kairo schickte. Nach dessen Tod kam sie wieder zu mir, doch hatte sie von den Kindern Kairos inzwischen das unzüchtige Leben gelernt, war zu dir viermal gegangen und hatte zuletzt ihre leibliche Schwester, die sich beide sehr liebten, mitgenommen. Sie hatte nämlich ihr Abenteuer insgeheim ihrer Schwester mitgeteilt, und so hatte diese mich gebeten mit ihr ausgeben zu dürfen. Als sie dann allein 50 heimkehrte, und ich sie nach ihrer Schwester fragte, vergoß sie über sie Thränen und sagte: »Ich weiß nichts von ihr.« Ihrer Mutter aber erzählte sie nachher insgeheim genau, daß, und wie sie ihrer Schwester die Kehle abgeschnitten hatte, und ihre Mutter teilte es mir dann wieder im Verschwiegenen mit, dabei fortwährend weinend und klagend: »Bei Gott, bis zu meinem Tode werde ich sie beweinen.«

Deine Worte, mein Sohn, sind wahr, und ich wußte es, bevor du es mir sagtest. Sieh' nun, mein Sohn, was geschehen ist, und ich bitte dich, widersprich mir nicht in dem, was ich dir jetzt sagen werde. Ich wünsche nämlich, daß du meine jüngste Tochter heiratest, die nicht ihre leibliche Schwester und noch Jungfrau ist. Ich will von dir auch keine Morgengabe haben, sondern werde euch beiden ein Jahrgeld festsetzen, und dich an Sohnes Statt bei mir behalten. Hierzu sagte ich: »Es sei, wie du es wünschest, mein Herr; woher konnte ich solch ein Glück erwarten!« Alsdann entsandte der Gouverneur sofort einen Kurier, der mein Vermögen, das mir mein Vater hinterlassen hatte, holen sollte, und nun führe ich das herrlichste Leben.

Ich erstaunte über seine Geschichte und blieb drei Tage bei ihm. Nachdem er mir dann viel Geld geschenkt hatte, zog ich von ihm fort und kam in diese eure Stadt. Das Leben behagte mir hier, bis ich nun den Unfall mit dem Buckeligen erlebte.

Der König von China sagte darauf: »Diese Geschichte ist nicht wunderbarer als die Geschichte des Buckeligen; mir bleibt kein anderer Ausweg als euch alle hängen zu lassen, insbesondere aber den Schneider, der die Ursache alles Übels gewesen ist.« Doch setzte er hinzu: »Schneider, erzählst du mir etwas, das wunderbarer als die Geschichte des Buckeligen ist, so erlaß ich euch eure Schuld.« Infolgedessen trat der Schneider vor und erzählte: 51

 


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