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Nach vielen Reisetagen erreichte ich die Stadt Kopenhagen. Schon der erste Anblick behagte mir. Es war eine unbedeutende Stadt, und obgleich die Einwohner überaus neugierig waren, schienen sie doch dabei wohlwollend. Ich machte mich sogleich ans Werk, einen Zufluchtsort für den Kaiser zu finden.

Meine Vernunft sagte mir, daß ich mich dabei eines Maklers bedienen müßte. Man wies mir in dem Gasthof, in dem ich wohnte, einen an, und nie habe ich es zu bereuen gehabt, daß ich diesem Rat folgte. Freilich war der Makler neugierig wie alle seine Landsleute, aber im Gegensatz zu den meisten war er keine Plaudertasche. Ich erklärte ihm, was ich wünschte. Ich wollte ein Haus kaufen, das abseits lag, vor zudringlichen Blicken geschützt. Niemand sollte wissen, für wen dieses Haus gekauft wurde. Niemand sollte es ohne mein Wissen betreten dürfen. Dies verlangte ich von dem Anwalt. Gleichzeitig zeigte ich ihm ein Paket barbarischer Banknoten, und er verneigte sich bis zur Erde. Binnen einer Woche hatte er mir ein Haus zu den Bedingungen, die ich gestellt, ausfindig gemacht. Ich besichtigte es. Ich fand es unübertrefflich, und der Kauf wurde abgeschlossen. Schon am nächsten Tage sandte ich drei Botschaften an den Kaiser ab, die ihm berichteten, daß alles bereit sei.

Ich sandte diese Botschaften in der Weise, wie Seine Majestät mich belehrt hatte, und während ich es tat, bewunderte ich aufs neue den Scharfsinn Seiner Majestät. Selber hätte ich mir nie ein solches Mittel ausdenken können, und wenn man mich mit dem zehnten Grad der Folterung bedroht hätte, und ich war überzeugt, daß niemand imstande sein konnte, meine Mitteilung zu deuten. Jede meiner Botschaften verständigte Seine Majestät, wo ich mich befand und wo der Zufluchtsort des Kaisers gelegen war. Außerdem warnte ich vor Laplace und Nevill. Am dritten Tage des achten Monats, kaum mehr als drei Monate nach meiner Abreise aus Peking, sandte ich die drei Botschaften ab, wie der Kaiser selbst es mich gelehrt hatte.

Die folgende Zeit verwendete ich dazu, das Haus in passender Weise einzurichten. Trotz der Schwierigkeiten, die sich mir entgegenstellten, gelang es mir so halbwegs, und während die Tage vergingen, wartete ich ungeduldiger auf eine Botschaft von Seiner Majestät. Das Jahr neigte sich seinem Ende zu, ohne eine Nachricht zu bringen, bis sie am dreiundzwanzigsten Tage des letzten Monats endlich eintraf.

Der Kaiser Tung-Chih hatte zu Beginn dieses selben Monats den Drachen bestiegen (Umschreibung für Sterben). Die barbarischen Zeitungen teilten dies mit, und der Anwalt, der mir beim Ankauf des Zufluchtsortes für Seine Majestät geholfen hatte, war derjenige, der es mir eröffnete.

Mit der Beschreibung meines Schmerzes könnte ich ebenso viele Bände füllen wie Kaiser Yung-Lus Enzyklopädie. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Einmal ums andere mußte mir der Anwalt vorlesen, was die Zeitungen sagten, und doch vermochte ich es nicht zu glauben.

Zwei Wochen nahm ich keine Nahrung zu mir und schloß kaum ein Auge. Dann trafen neue, bestätigende Nachrichten ein, und ich sah mich gezwungen, das Entsetzliche für wahr zu nehmen. Ich erkannte, was meine Pflicht war. Ich machte aus dem Hause des Kaisers eine Grabkapelle; ich stellte Gedenktafeln auf, und vor diesen Gedenktafeln vollzog ich die vorgeschriebenen Ehrfurchtsbezeugungen für den Geist des Erhabenen. Möge er Frieden an den Neun Quellen finden.

Erst später erfuhr ich von dem Dekret, das die Mütterliche Tugend kurz vor dem Tode ihres Sohnes erlassen hatte, er sei an den Pocken erkrankt und habe die Regierungsgeschäfte der Kaiserin-Mutter übertragen, der er zum Dank für ihre mütterliche Pflege den Ehrentitel »Die Weise und Hilfreiche« verliehen habe. Aber diese Worte täuschten niemanden. Und sogar in diese barbarischen Gegenden war das Gerücht über das gedrungen, was sich im Palast zugetragen hatte. Kaiser Tung-Chih starb am dritten Tage des zweiten Monats seines vierten Regierungsjahres. Er starb keineswegs an den Pocken. Er wurde ermordet, und es war seine Mutter, die ihn ermordete, weil sie befürchtete, ihre Macht zu verlieren.

Aber was bedeutet die Anklage eines Landesflüchtigen gegen eine Frau, die nun tot ist?


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