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Es ist nun notwendig, daß ich ein wenig von meiner Verächtlichkeit spreche. Seit meinem zartesten Alter war ich im kaiserlichen Palast angestellt. Viel früher, als ich zurückdenken kann, wurde ich von meinen Eltern zu diesem Dienst bestimmt. Sie verkauften mich an einen der Eunuchen im Palast, und dieser ließ an mir auf seine Kosten jene Operation vollziehen, durch die man für alle Zeiten seiner Familie Lebewohl sagt. In dem kaiserlichen Palaste dürfen nur Eunuchen Dienst tun. Dieser Dinge erinnere ich mich nicht, und ich sage es nur für den Fall, daß dergleichen dem weißen Mandarin nicht bekannt sein sollte.

Meine Kindheit verfloß unter Erwerbung der erforderlichen Kenntnisse und der Beschäftigung mit Dingen wie Stickerei und ähnlichen Arbeiten, die in der Regel von Frauen ausgeübt werden. Aber ein Beamter des Palastes sagt nicht nur seiner Familie Lebewohl, sondern auch allen männlichen Künsten. In den Künsten, die ich soeben erwähnte, erreichte ich hingegen eine Fertigkeit, die oft den Neid und die Verleumdung meiner Genossen hervorrief. Meine Malereien auf Seidenzeug waren auserlesen, und meine Stickereien wetteiferten mit den im Palast befindlichen Stickereien aus der Zeit der Vorväter.

Ich weiß, daß der weiße Mandarin die kaiserliche Stadt nie besucht hat. Ein Eunuch wird nie zum Dichter, und mein Pinsel ist nur dazu da, das Papier zu verderben, sonst könnte ich hoffen, eine Beschreibung dieses Ortes zu geben, zu dem alle Länder der Barbaren kein Gegenstück besitzen, weshalb sie ihn auch zweimal verheert und verwüstet haben. Da waren Marmorhöfe um Marmorhöfe in einer Anzahl, die ich nicht kenne. Die Paläste schlossen sich aneinander, durch geheimnisvolle Gänge verbunden. Tore öffneten sich zu ihnen, aus den köstlichsten Holzarten geschnitzt und von Marmortigern bewacht. Die prächtigsten Gartenanlagen, bei deren Vorstellung die Gärten der Barbaren mich Tränen vergießen lassen, befanden sich dort und erweiterten sich an manchen Stellen zu großen Parks. Zierlich gebaute Boote wiegten sich auf klaren Seen. Die Gemächer der Paläste waren hoch und kühl, selbst an den heißesten Sommertagen. In den Höfen aus Marmor oder feinen gelben Ziegeln schwebten gurrende Tauben umher. Die Räume waren mit den erlesensten Seidenmalereien, den kostbarsten Metallarbeiten und dem gebrechlichsten Porzellan geschmückt. Niedrige Diwane luden zur Ruhe ein. Ich wünschte, ich könnte einen Begriff von der Pracht des Palastes »Denke an die Erziehung« geben, wo ich täglich Seine Majestät bediente, oder des Tai-Ho-Tien, in dem die großen Festzeremonien vor sich gingen. Aber das ist unmöglich. Vielleicht erwecken meine Worte eine Ahnung von all dem, was in der Verbotenen Stadt, dem Mittelpunkt der Welt, zu sehen war, aber im übrigen ist der Zweck meines Memorials ein anderer.

Ich will sogleich zu dem Bericht über Seine Majestät Tung-Chih übergehen.

Selten waren die Anlagen eines Fürsten so groß wie die seinigen. Er war leidenschaftlich, wißbegierig und von Tatkraft erfüllt. Sicherlich wäre er ein großer Herrscher geworden, wäre nicht seine Mutter gewesen. Was ist eine Frau? Eigensinniger als der Wind, veränderlicher als das Wasser, ist es ihre Bestimmung, vom Mann geformt zu werden wie von einem Töpfer. Tung-Chihs verblichener Vater hatte den Sinn seiner Gattin nicht in dieser Weise zu formen vermocht. Sein Sohn mußte die Folgen tragen. Von seiner frühesten Jugend an spürte er, wie sein Wille überall von dem ihren gehemmt wurde. Er allein in ihrer ganzen Umgebung versuchte ihm zu trotzen. Es war, als wollte das Eichenpflänzchen versuchen, den Steinblock zu sprengen, dem es entwachsen ist. Noch bevor er mündig geworden, stand er mit seiner Mutter so, daß viele erwarteten, eine Palastrevolution ausbrechen oder den Kaiser eines raschen Todes sterben zu sehen. Er wurde Regent und konnte eine Zeitlang seinem Willen Geltung verschaffen, aber die Mütterliche Tugend wollte sich nicht so leicht daran gewöhnen, auf die Macht zu verzichten, die so lange in ihre Hände gelegt war. Die Kämpfe begannen aufs neue und wiederholten sich täglich. Vielleicht wäre der Kaiser müde geworden und hätte sich damit abgefunden, nur in seinem eigenen Palast zu herrschen. Aber das Unglück wollte es, daß seine Mutter ihm zur einzigen Gemahlin eine junge Frau von tugendhaftem Lebenswandel gewählt hatte, wodurch sie sich ausnahmsweise einmal verrechnet hatte. Was ist strenge Lebensweise bei einer Frau anderes als eine Quelle des Hochmuts? Durch die Hoffahrt seiner Gemahlin zurückgestoßen und aufrührerisch gegen die Tyrannei seiner Mutter, empfand der Kaiser Abneigung gegen den Palast, dessen Zeremonien ihm überdies drückender erschienen als ein Sträflingskleid. Zur Enttäuschung seiner Gemahlin, aber zur Freude der Kaiserin-Witwe begann er Zerstreuung außerhalb der Mauern zu suchen.

Ich weiß, daß es ein grober Verstoß gegen die Untertanenetikette ist und mit Tortur des zehnten Grades belegt wird, auszusprechen, was ich sage; aber ich sage es nichtsdestoweniger: Tung-Chihs Mutter wünschte seinen Tod, aber sie wünschte ihn nicht selbst hervorzurufen. Darum sah sie mit Befriedigung seine Besuche außerhalb der Mauern, ja, sie ermunterte ihn dazu. Es war ihr hinlänglich bekannt, daß das Leben, dem sich der Kaiser dort hingab, seine Gesundheit untergrub und die Aussichten verminderte, daß ein neuer Kaiser geboren werde. Darum ließ sie es ruhig geschehen und übersah seine Verstöße gegen die Etikette. Ich hatte von all diesem lange munkeln gehört, aber ich war jung, und ich gehörte nicht zum persönlichen Hofstaat des Kaisers. Was mir zu Ohren kam, interessierte mich nicht. Ich wußte nur, daß ich die Kaiserin-Witwe fürchtete. Aber das taten alle.


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