Hermann Heiberg
Menschen untereinander
Hermann Heiberg

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Sechzehntes Kapitel.

Über Dronninghof raste der Sturm. Der winterliche Himmel sandte herab, was irgend nur an Vernichtung die schwere, graue Wölbung barg. Regen und Eis wirbelten aus der Luft, zerflossen und gerannen, warfen Berge auf und schufen Seen, und der eisige Nord tobte um das Herrenhaus und riß an den festen Mauern.

Und nun jagte mitten durch den gepeitschten Sturm ein Wagen über den Pachthof von Dronninghof, und wenige Sekunden später hielt er vor der Ausgangstreppe.

»Niemand da?«

Der Kutscher sprang in den hohen Schnee herab, eilte die Stufen empor und läutete. Jetzt erschien Konrad, – ein anderer Diener folgte.

»Herr Graf?« fuhr's überrascht aus beider Munde.

»Ist die Gräfin anwesend? Melden Sie, daß ich da sei! Und Sie, Konrad, sorgen Sie für warme Zimmer. Auch Kaminfeuer soll angefacht werden!«

Die Diener verbeugten sich und eilten fort.

Kay betrat seine Gemächer, warf Pelz und Reisemütze von sich, fuhr mit den Händen über die Stirn und wanderte auf und ab. Erst nach geraumer Zeit erfolgte die Meldung, daß die Gräfin unwohl sei, das Bett noch nicht verlassen habe und sich bei dem Grafen entschuldigen lasse.

»Bestellen Sie, daß ich trotzdem aufzustehen bäte. Ich erwartete die Gräfin in meinem Zimmer! –«

Und abermals schritt er einher, ruhe- und atemlos wie ein eingesperrter Löwe.

Minuten, eine Viertelstunde verrann. Nichts! Kay riß an der Klingelschnur. Erschrocken und bestürzt eilte die Dienerschaft herbei.

»Nun? Wo ist die Gräfin? Die Zofe soll kommen!«

Konrad ging, und Kay wartete von neuem. Aber niemand erschien.

Da brach dem Manne die Geduld. Er stieß die Thür auf, trat auf den Vorplatz und schaute empor. In diesem Augenblick erschien Clementina-Julia auf den Treppenstufen.

Mit einem »Ah! Es war Zeit!«, das sich zwischen seinen Lippen hervorpreßte, trat er zurück. und nach einigen Sekunden stand sein Weib vor ihm.

Er winkte ihr mit kaltem Kopfneigen, näher zu treten, wies auf einen Sessel, schloß die Thür ab, lehnte sich mit dem Rücken an den Schreibtisch und sagte eisig, ohne Übergang:

»Wähle, Clementina-Julia, zwischen Tod und Geständnis! So wahr ich Kay Witzdorff heiße: Sprichst Du nicht die Wahrheit, so mußt Du von meiner Hand sterben!«

»Kay! –« schrie die Frau. »Was willst Du?« Sie schnellte empor – ihre Glieder flogen, ihr Auge war starr auf ihn gerichtet.

Aber der Mann stand da wie eine Bildsäule und was sie sprach, rührte ihn nicht.

»Ich werde fragen, und Du wirst antworten! Merke, wenn Du gestehst, soll Dir werden, was Du brauchst bis an Dein Lebensende. Die Frau, die Kay Witzdorff einst geliebt hat, die ihm seine Kinder gebar, soll lebend nicht darben. Aber geschieden sind wir von einander von heute für alle Zeiten! Deine That hat's vollbracht. Mußt Du aber sterben, wohl, so trage ich die Folgen! – Ich töte mich vielleicht selbst. – Und doch! Nein! Was soll aus meiner Carmelita werden, was aus meiner Julia und meinem Kay – –?«

Des Mannes Stimme brach. Und erst wieder nach Sekunden flüsterte er, sich aufraffend:

»Gott im Himmel, der Du über mir wohnst, gieb mir Fassung und Ruhe! Und verzeih', wenn ich statt Deiner richten muß. Wenn selbst die Natur draußen sich zu empören scheint in der Nachwirkung des Ungeheuerlichen, muß nicht die lebendige Kreatur aufzucken?«

Und dann wieder mit fester Stimme zu Clementina-Julia gewendet, die wie eine Irrsinnige vor sich hinstarrte:

»Thatest Du – – Gift in das Wasserglas, das auf dem Speisetisch stand? Ja, oder nein, Clementina-Julia?«

Keine Antwort; Totenstille.

Der Mann sah sein Weib an und grub sich mit seinen grimmigen Blicken in ihre Augen.

»Nun, antworte!« schrie er. Ja, er schrie es unter der rasenden Empörung, die sein Inneres durchwühlte. Es klang wie Sturmwetter aus den Wolken. Aber sie sagte auch jetzt nicht Nein und sprach kein Ja. Sie fiel nieder auf die Erde, schleppte sich zu ihm und umklammerte seine Knie.

Er aber machte sich los, und mit einem verrichtenden »Fort, menschliche Bestie! Aus meinen Augen!« schleuderte er sie von sich.

»Und also Wahrheit! Wahrheit!« stöhnte er, fiel in einen Sessel, und verbarg sein Angesicht in den Händen.

Eine lange, stumme Pause entstand. Keiner sprach. – Endlich reckte sich Kay Witzdorff in die Höhe. »Geh!« befahl er. »Du hast gestanden, und das Leben ist Dir geschenkt! Was geschehen soll, wirst Du erfahren. Ob ich Deine Kinder Dir lasse, –« ein Aufschrei unterbrach seine Rede – »vermag ich heute noch nicht zu entscheiden. Erst will ich Deine Buße erkennen. Vielleicht nach langen Jahren magst Du sie wieder in Deine Arme schließen. Unser Gespräch ist beendet. Erhebe Dich nun, Clementina-Julia Schlieben!«

Aber sie ging nicht. Sie richtete den Oberkörper höher empor, faltete die Hände und streckte sie ihm entgegen, betend wie zu einem Heiligen.

So blieb sie, während er abgewendet dastand.

»O Unnatur!« murmelte Kay. »Himmel! Du schufst solche Geschöpfe und drücktest ihnen den Stempel Deines Ebenbildes auf? Nein! Das ist nur Menschenwort. Aber Du schufst doch Wesen mit solcher Verstellungskunst, daß sie den Mord planen, während ihr Mund lächelt.«

Kay schüttelte sich in der furchtbaren Erregung. Seine Augen feuchteten sich. Er holte stöhnend Atem in der Nachwirkung der Erinnerung, in dem Schmerz über das Ungeheure, nun wirklich Offenbarte.

Und dann abermals Stille, bis die Frau aufwimmerte. Ihre Seele weinte und schrie nach Erlösung. Langsam schleppte sie sich auf den Knieen zu ihrem Manne, ergriff seine Hand und beugte ihren Mund auf sie herab.

Kay aber schüttelte sie von sich ab, würdigte sie keines Blickes und verließ, bleich wie ein Schwerkranker, das Gemach.

So endete Kay Witzdorffs Ehe mit Clementina-Julia.

*           *
*

Die Fenster im Gutshause von Dronninghof waren verhängt. Wind und Wetter hatten Stuck und Farbe von den Außenwänden abgebröckelt. Die Vergoldung an den Treppengeländern war verwischt und ringsum, in nächster Nähe und im Park, herrschte jene halbe Ordnung, die das Auge mehr beleidigt, als eine naturwüchsige Verwilderung.

Nur das Notwendigste, das zur Erhaltung dienen mußte, solle geschehen, hatte Kay seinem nunmehrigen Bevollmächtigten, dem Baron Hugo von Bomstorff geschrieben; noch könne er's nicht sagen, wann er mit seiner Tochter Carmelita von der Reise zurückkehren werde. Drei Jahre waren nach dem furchtbaren Ende in Dronninghof verstrichen, und seit fast drei Jahren wohnte Clementina-Julia, zurückgezogen von der Welt, von Menschen und Verkehr, sich nur der Erziehung ihrer Tochter Julia widmend, in Hamburg.

Der erste Schlag, der sie etwa achtzehn Monate nach ihrer Scheidung von dem Grafen von Witzdorff traf, und der gleich einem vergeltenden Blitz herabfuhr, war der Tod ihres Sohnes Kay. Was an Fürsorge, an Geduld und Hingebung in menschlichem Vermögen stand, hatte sie aufgewendet, das Leben ihres Kindes zu retten. Aber an ihrem Lebenshimmel schien eine unbeweglich drohende Wolke zu stehen. »Du sollst nicht töten!« tönte es um Clementina-Julias Ohren Tag und Nacht – und »wer Gottes Gebote übertritt, den wird er strafen.«

Aber nicht allein der Schmerz nagte an ihrer Seele, ihr Atem stockte in Ängsten, wenn sie überlegte, wie sie ihm, dem Vater des Kindes, den Tod melden solle. – Sie hörte ihn sprechen: »Auf Deine flehentliche Bitte ließ ich Dir mein Fleisch und Blut. Nun berichtest Du mir seinen Tod! So fügst Du zu der Enttäuschung, die mein Leben vernichtete, noch den Jammer um mein Kind.«

In Clementina-Julia war alles Licht erloschen; in ihrem Herzen saßen Qual und Verzweiflung. Sie sah um sich und erblickte auch hier nur Nacht.

Während dieser Tage ward die Frau weiß. Auf ihrem Scheitel lag Schnee trotz ihrer jungen Jahre. Und als nun die Antwort kam von ihm, der sich mit Carmelita hinausgeflüchtet hatte in die Welt, um den Schmerz zu überwinden und den Ekel zu vergessen, da zitterten ihre Hände, und es vergingen Stunden, ehe sie den Mut fand, das Schreiben zu öffnen.

Als sie aber den Brief gelesen hatte, atmete sie auf, und aus ihren Augen rannen Tränen.

Das Schreiben enthielt nur wenige Worte:

»Ich bin bei Dir mit meinen Gedanken. Ein ungeheurer, gemeinsamer Schmerz verwischt, wie das Licht die Finsternis, was unsere Gemüter sonst beschäftigte! Du wirst von Bomstorff erfahren, wie ich wünsche, daß unseres Kindes Grab geschmückt werden soll. Er wird auch sogleich zu Dir eilen und Dir in allem zur Seite stehen. Ich telegraphierte ihm unmittelbar nach Empfang Deines Briefes.

Ich küsse Julia! Möge sie Dir ersetzen, was Du, was wir verloren haben, und die Beschäftigung unserer Gedanken mit unserem dahingegangenen Kinde sei die sich noch über das Grab betätigende Liebe zu dem Entschlafenen.

Kay Witzdorff.«

*           *
*

Und wieder waren fast achtzehn Monate vergangen. Bomstorff saß in seinem Turmzimmer, von wo aus er die Gutsgeschäfte auf Kays Wunsch mit leiten half, und hielt Rücksprache mit dem Oberinspektor. Er hatte trotz seines Verwandten Bitte, sich im Herrenhause einzurichten, seinen früheren Wohnsitz behalten, und wenn er seine ernsteren Pflichten erledigt hatte, las und philosophierte er hier wie sonst, oder rauchte seine Pfeife und trank einen Rotwein wie einst.

Heute – es war Sommerzeit – hatte er einen Brief von Kay empfangen, der Neues und Überraschendes brachte.

Er war auch in einem anderen Tone abgefaßt als bisher.

»Gottlob!« stieß Bomstorff, nachdem er das Schreiben zu Ende gelesen, heraus. »Und wieder hat der große Kenner recht!« flüsterte er vor sich hin. »Die Zeit ist Amm' und Mutter alles Guten!«

Kays Brief aber lautete wie folgt:

»Lieber Vetter!

Nach langem Schweigen suche ich Ihnen durch diese Zeilen wieder die Hand zu reichen. Sie würden, stünd ich vor Ihnen, an dem Drucke fühlen, wie nah Sie meinem Herzen sind, er würde aber auch an den Tag legen, wie dankbar ich Ihnen für alles bin, was Sie für mich gethan haben. Ich könnte damit warten, was ich Ihnen hier melden will, aber Sie mögen es wissen: Ich habe, wenn Sie dieses Schreiben empfangen, bereits die Rückreise mit Carmelita angetreten. Ich kehre nunmehr für immer zurück und freue mich wie ein Kind, wieder den heimatlichen Boden zu betreten. Plötzlich ist eine namenlose Sehnsucht nach ihm in mir erwacht. Und auch einen Entschluß habe ich gefaßt. Ich will mir in Berlin ein Haus bauen, ein kleines Feenschloß; es soll ganz werden, wie Carmelita und ich es uns ausgedacht haben. Mit meinem Kinde, zu dem meine Liebe noch gewachsen ist, will ich es bewohnen. Wir wollen dort nur uns selber leben, genießen und wieder glücklich sein!

Sie werden erstaunen, wenn Sie Carmelita wieder sehen. Sie ist so schön, daß ich sie den vielen neugierigen Augen förmlich entziehen muß, so zärtlich und so liebevoll gegen mich, als hätte der liebe Gott nur diese Liebe in ihre Brust gepflanzt, und so lebhaft, klug und anregend, daß ich mich unglücklich fühle, wenn ich sie einmal zu missen gezwungen bin.

Der Himmel wird sie mir erhalten; er will, daß ich in ihrem Anblick wieder auflebe und zugleich meine Jahre noch nütze, um auch anderen etwas zu sein. Wir wollen uns nicht als hartherzige Egoisten abschließen; Carmelita hat ein so weiches Herz, daß ich ihr die Freude am Dasein nehmen würde, wenn ich nicht Menschen fände, für die ihre Hand sich aufthun, ihre hilfsbereite Seele sich sorgen und mühen könnte.

Sie werden begreifen, daß ihr feuriger und für Eindrücke leicht empfänglicher Sinn sich einigemal verloren hat. Es gab schon fröhliches Lachen, aber auch Tränen und Schluchzen. Doch ist ihr Herz noch unberührt. Was vorübergehend an sie herantrat, hat sich wieder verflüchtigt, und es war besser so!

Ich komme zunächst nach Dronninghof. Was die Zeit schädigte, dem wollen wir neu aufzuhelfen suchen. Ein Stück Sonne wird wieder lachen über dem Erbteil meiner Väter. Und in Berlin, in unserer eigenen Villa, werden wir, will's Gott, schon in Jahresfrist unsern Wohnsitz aufgeschlagen haben und Ihnen nach Dronninghof zurufen: »Kommt, kommt, Gevatter! Wir warten des Besuches unseres alten, treuen, bewährten Freundes.« Und nun leben Sie für heute wohl! Carmelita kichert hinter mir. Den Tintenklex hat sie in ihrem Übermut auf diesen Briefbogen gemalt. Sie umarmt Sie zärtlich, wie ich selbst, in alter Treue!

Ihr                            
Kay Witzdorff.

 
Ende.


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