Hermann Heiberg
Menschen untereinander
Hermann Heiberg

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Drittes Kapitel.

Ein halbes Jahr war vergangen. Clementina-Julia hielt einen Brief in den Händen, den sie nun schon zum dritten Mal unter wechselnden Empfindungen gelesen hatte. Er lautete:

»Meine teure, unvergeßliche Komtesse!

Mit dieser Anrede trete ich vor Sie hin und bitte, mir Gehör zu schenken.

Als ich vor Monaten von Ihnen Abschied nahm, war um mich her gleichsam alles erstorben, denn Ihre ausweichende respektive unbestimmte Antwort auf meine Frage: Wollen Sie die Meine werden? war für mich fast schwerer, als eine Verneinung, der sich ein Mensch durch seinen Willen und durch die Hilfe der alles besänftigenden Zeit zu fügen vermag.

Sie sagten mir: ›Ich kann Ihnen heute kein Nein und kein Ja sagen. So ernste, neue Entschlüsse zu fassen, widerstrebt meiner Natur unter den noch lebendigen Eindrücken des entsetzlichen Ereignisses. Sie erkennen daraus, daß ich Ihrem Vater wirklich zugethan war.‹

Sie sprachen dann von mir und ehrten mich durch Ihre gute Meinung. Sie erklärten, daß Tausende neben mir glücklich werden würden, Sie aber Zweifel hegten, weil unsere Naturen zu viel Verwandtes in sich trügen.

Meine Achtung vor Ihrem Charakter konnte sich nur erhöhen, indem Sie selbst ein Bild von sich entwarfen, daß ich zwar nicht als zutreffend anzuerkennen vermag, dessen Schilderung mir aber bewies, daß Sie eine wahrhaftige Natur sind.

Und diese Ihre Eigenschaft macht Sie mir über alles teuer. Ich komme nun nach einer für mich langen und mit schweren Kämpfen verbundenen Spanne Zeit noch einmal, zum letztenmal, und frage Sie auf diesem Wege, ob Sie mein Weib werden wollen.

Versprechungen und Schwüre werden Sie mir erlassen. Sie glücklich zu machen, selbst zu einem ruhigen Glück zu gelangen und einem zärtlich geliebten Wesen eine Stütze zu geben, ist mein sehnlichster Wunsch.

Und mit dieser Hindeutung gelange ich zu einem Bekenntnis. Die Frau, von der ich Ihnen wiederholt sprach, die Ihren Namen trug, und deren Bild dem Ihrigen so sehr verwandt ist, war mein Weib. Sie starb vor Jahren. Ein kleines Mädchen, das uns geboren ward, war bisher der Mittelpunkt meines Lebens.

Und das ist's! Ich bitte Sie ehrlich zu prüfen, ob Sie für dieses zugleich eine sanfte Hand und ein warmes Herz haben können. Meine Liebe zu dem kleinen Wesen ist eine andere, aber sie ist nicht minder tief als diejenige für Sie.

Wenn Sie sich entschließen, meine Frau zu werden. so fürchten Sie nicht, daß das Urteil der Welt Sie kränken wird. Wollen Sie mit mir in England oder sonst an einem Orte der Erde leben, vorübergehend, für immer gar, so füge ich mich Ihren Wünschen.

Eine heiße Sehnsucht treibt mich freilich nach meiner Heimat, nachdem ich sie wiedergesehen habe.

Dronninghof scheint mir ein Ort, um glücklich zu sein; schon die Natur dort ist danach angethan, Schmerz in Freude zu verwandeln und Befriedigung in der Ausübung des Guten zu finden.

Und nun – ich bitte – lassen Sie mich nicht länger im Ungewissen, Clementina-Julia, und glauben Sie an die Aufrichtigkeit der Empfindungen

Ihres                          
Kay Witzdorff.«

*           *
*

Nach diesen Ereignissen waren Sommer und Winter viermal ins Land gegangen. Graf Kay Witzdorff lebte mit seiner Gattin Clementina-Julia seit anderthalb Jahren in Dronninghof und besaß außer seiner Carmelita aus erster Ehe, die nunmehr neun Jahre alt geworden war, noch zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen.

Nicht zum wenigsten wurden seinerzeit Clementina-Julias Entschlüsse durch Kays Vorschlag bestimmt, zunächst nicht nach Dronninghof zurückzukehren. Abgesehen von der Peinlichkeit, den unter so außerordentlichen Umständen verlassenen Besitz als Wohnort zu wählen, wirkte hierbei auch die Scheu vor dem Urteil der Menge mit.

Clementina-Julia war die Verlobte des alten Grafen Felix gewesen und sollte nun als die Frau des Sohnes Glückwünsche entgegennehmen? Sie mochte nicht einmal den Gedanken fassen.

Nach einer achttägigen Überlegung hatte Clementina-Julia Kay geantwortet und ihm das erbetene Jawort gegeben.

Der Brief war für ihren Charakter bezeichnend und lautete wie folgt:

»Mein lieber Graf!

Voll Dank und Rührung empfing ich Ihr Schreiben und sage Ihnen, daß ich die Ihrige sein will fürs Leben.

Beschämt stehe ich vor all Ihrer Güte, und Reue empfinde ich jetzt, Sie so lange in Zweifel gelassen zu haben. Ihre Zeilen beweisen mir von neuem, wie gut und edel Sie sind.

Hören Sie, mein Freund, was ich Ihnen zu sagen habe, und versuchen Sie, mich etwas weniger streng zu beurteilen.

Ich habe ein einzigesmal in jüngeren Jahren geliebt, so geliebt, wie die Natur die Fähigkeit in mich hineinlegte. Ich sage es frei: ich gehöre zu denen, die nur einmal mit ganzer Kraft sich hinzugeben vermögen.

Wenn später mein Herz einem Manne entgegenschlug, war's eine warme, gute, aus Achtung gestützte Empfindung.

Jener Mann aber erwiderte meine Neigung nicht in gleicher Stärke; wenigstens hat sein Mund nie gesprochen. Mein körperliches Leiden mag ihn abgestoßen oder Bedenken in ihm wachgerufen haben.

Nun kamen die Jahre der Trauer und der Einförmigkeit und mit ihnen jenes Alter, in dem einem Mädchen der Brautschleier ein Luftgebilde zu sein scheint.

Nur ein geringes Gegengewicht für die schmerzvollen Enttäuschungen fand ich in der Erfüllung meiner Pflichten, da deren Ausübung mich nur zum Teil befriedigte.

Immer hatte ich mir früher ausgedacht, wie herrlich es sein müsse, ein eigenes Hauswesen zu besitzen, darin thätig zu sein und unter den freundlichen Abwechslungen, die das Leben bietet, mein Glück zu suchen und zu befestigen.

Meine Mutter hatte ich verloren. Einen vollen Ersatz kann eine Fremde – und hätte sie das Herz eines Gottes – nicht gewähren. Mein Vater, den ich als Tochter zärtlich liebe, ist ein Mann mit einem kleinen Gesichtskreis; seine Anregungen erschöpfen sich immer sehr bald, und die notwendige Unterordnung unter seine Gewohnheiten, sein unschlüssiges und mehr auf nebensächliche Äußerlichkeiten gerichtetes Wesen machen den Aufenthalt im Hause reizlos, oft wegen der Einförmigkeit zu einem halben Gefängnis.

Da kam Ihr Vater, den ich aus den begeisterten Erzählungen des meinigen kennen gelernt hatte. Wenn ich auch abrechnete, was davon auf Rang und Reichtum des Verstorbnen zu schreiben war, so blieb doch eine Summe immer wieder gerühmter Vorzüge. Auch hatte Graf Felix meinem Vater in jüngeren Jahren einmal in hochherzigster Weise geholfen. So gesellte sich zu dem Interesse zugleich ein Gefühl der Dankbarkeit.

Als ich ihn sah, ward ich in meinem Vorstellungen verstärkt. Sein ritterliches Wesen, seine Aufmerksamkeiten, die Art, in der er mich in den Vordergrund stellte, die Form der Werbung, die rührende Weise, in welcher er stets von dem großen Opfer sprach, welches ich ihm bringen würde, schmolzen mein Herz, und beseitigten meine natürlichen Bedenken.

Was folgte, wissen Sie. Aber etwas wissen Sie nicht, und das will ich Ihnen heute sagen: Ich interessierte mich lebhaft für Sie beim ersten Sehen, und wäre Ihr Vater nicht über unsere Schwelle getreten, hätten Sie gleich um mich geworben, ich hätte meine Hand in die Ihrige gelegt. Und nicht, wie Sie bisweilen äußerten, gleich einer Königin, die ein Fürstentum zu verschenken sich herabläßt, sondern, mein teurer Freund, mit den besten Empfindungen und mit dem Gefühl der Dankbarkeit zugleich.

Zum Schlusse noch eines.

Ich bin eine herrschsüchtige Natur; meine Gefühle zu äußern, wird mir schwer; ich bin äußerlich eher hart als warm, und Kälte von anderer Seite macht mich gar zu Stein. Davon haben Sie auch sehr viel. Diese Gleichartigkeit ängstigte mich; sie war es, die mich neben dem begreiflichen Zaudern, so rasch ein abermaliges Ja zu sagen, schwanken ließ. Mögen Sie auch meine vielleicht strenge Hand, die sich über Ihre Carmelita ausstrecken wird, nicht als eine lieblose ansehen! Sie irren nicht! Wahrscheinlich liegt hier die größte Schwierigkeit für unser künftiges Glück. Helfen Sie mir denn! Ich verspreche Ihnen gerecht zu sein, selbst wenn ich nicht zu lieben vermag. Seien Sie nachsichtig!

Und nun schlinge ich meinen Arm um Ihren Hals und flüstere Ihnen zu, mein geliebter Mann: Ich liebe Sie und sehne mich nach Ihnen. Kommen Sie bald zu Ihrer

Clementina-Julia.«

Auf diesen Brief war Kay sogleich nach Hamburg geeilt. Er fand Clementina-Julia bei der Begegnung zurückhaltender, als er erwartet hatte, auch seinen Wünschen wegen einer baldigen Vermählung weniger geneigt. Aber durch den engeren Verkehr löste sich allmählich das letzte Fremde in ihrem Wesen; sie ward lebhafter, zuthunlicher und durch seine ehrerbietige Unterordnung wärmer; sie drang endlich selbst mit einer gewissen Ungeduld auf eine Beschleunigung ihrer Verbindung.

Diese fand vierzehn Monate nach des Grafen Felix Tode zur Freude und zum Stolz des alten Schlieben in Hamburg statt, und erst bei dieser Gelegenheit sah Clementina-Julia das kleine Wesen, dem sie fortan Mutter sein sollte.

Mercedes war bei Kays erstem Besuche nicht zugegen gewesen, auch traf es sich, daß sie bei einer Wiederholung desselben vor der Hochzeit sich abermals bei Verwandten befand.

Als Kay ihr seine Verlobung mit Clementina-Julia meldete, schrieb sie ihm einen eigentümlich abgefaßten Brief, in dem sie noch einmal an die früheren Vorgänge anknüpfte, und der einige Sätze enthielt, die Kay vorübergehend lebhaft beschäftigten.

Ich erfuhr inzwischen, hieß es darin, daß Sie verheiratet gewesen seien, Graf Kay. Aus einem Bilde lernte ich auch Ihre Tochter Carmelita kennen. Wie schön ist sie, und wie liebe ich sie schon, ohne sie noch gesehen zu haben.

Wollen Sie Ihr einen Gruß von mir sagen und ihr die kleinen Blumen geben, die ich in diesen Brief einschließe?

Kay verglich diese Sprache mit der Haltung Clementina-Julias. Wohl hatte die letztere häufig nach der kleinen Carmelita gefragt, den Wunsch, sie kennen zu lernen, auch wiederholt geäußert, aber ihre Worte ließen irgend ein Interesse doch nicht durchblicken, und auch in den späteren Briefen erwiderte sie des Kindes Grüße nur mit kurzen Worten. Kaum ein einziges Mal nahm sie die Gelegenheit wahr, Carmelita durch irgend eine Aufmerksamkeit zu erfreuen. Mutter und Tochter sympathisierten auch in der That nicht miteinander. Schon bei der ersten Begegnung lag etwas Kaltes in beider Augen, das darin haften blieb trotz äußerlicher Glätte.

Kay tröstete sich mit Hoffnungen auf die Zukunft; zudem waren seine Gedanken so ausschließlich bei der Frau, die zu erringen er so manchen Widerstand hatte überwinden müssen, daß die Rücksicht auf sein Kind in den Hintergrund trat.

Während der über ein halbes Jahr ausgedehnten Hochzeitsreise ward die Kleine Schliebens übergeben, und als sich Kay und seine Frau endlich in London niederließen, erschien es beiden geeigneter, den in Hamburg begonnenen Unterricht nicht zu unterbrechen und Carmelita vorläufig dort zu lassen.

Die Anregungen hierzu gingen von Clementina-Julia aus. Ihre Gründe waren so überzeugend, und Kay hatte sich zunächst so sehr gewöhnt, ihre Meinungen gelten zu lassen, daß ihm, zumal als Clementina-Julia später einem Knaben das Leben gab, der Gedanke an eine Vernachlässigung seines Kindes gar nicht in den Sinn kam.

Anders ward es freilich, als die Ehegatten sechs Monate nach dessen Geburt zum Besuche in Hamburg eintrafen. Bei dieser Gelegenheit empfand Kay bereits die Entfremdung, die zwischen ihm und seiner Tochter eingetreten war, und er machte sich Vorwürfe, in diese unnatürliche Trennung von seiner geliebten Carmelita gewilligt zu haben.

Aber das waren doch mehr vorübergehende Eindrücke als zu kräftigen Entschlüssen treibende Gedanken. Clementina-Julia wies ihm in überzeugender Rede nach, daß er dem Drang seines Herzens folgen wolle, während die Vernunft zu anderem rate. Das Kind, das bisher nur englisch gesprochen habe, müsse deutsch lernen, da sie später doch nach Dronninghof ziehen wollten. Die Folgen einer Verzärtelung von seiner Seite hätten sich in Carmelitas Charakter geltend gemacht; die jetzige Erziehung sei für sie ein großes Glück. Endlich habe sie sich auch körperlich in Hamburg weit besser entwickelt, als in dem nebeligen und mit Dünsten angefüllten London.

Dieses Gewicht ihrer Einwände ward einerseits verstärkt durch die Liebe, welche die alten Schliebens der Kleinen entgegentrugen, andererseits durch allerlei nicht ganz von Nebengedanken freien Ermunterungen von deren Seite. Kay zahlte ein hohes Kostgeld für Carmelita, und er selbst wünschte, dieses Schliebens nicht zu entziehen.

Ganz besonders ausschlaggebend aber war die liebevolle Art und Weise, in welcher Mercedes, die sich in der Zwischenzeit geistig und äußerlich in überraschender Weise entwickelt hatte, mit Carmelita verkehrte.

In ihr schien dem Kinde wirklich eine zweite Mutter entstanden zu sein. Es war rührend, mit welcher Zärtlichkeit das Kind an Clementina-Julias Schwester hing.

Einmal in der Nacht, nach einer recht heftigen Scene, zu der das trotzige Benehmen Carmelitas ihrer Stiefmutter gegenüber Veranlassung gegeben hatte, wachte Kay auf und lag lange schlaflos. Ein schweres Gefühl von Reue zog durch seine Brust. Er gedachte seines Kindes, und seine erregten Vorstellungen ließen ihm alles, was geschehen, im dunkelsten Lichte erscheinen. Er gedachte Mercedes' mit ihrem sanften Wesen und verglich damit Clementina-Julias strenge Mienen.

Clementina-Julia fühlte nur zu gut, was in solchen Stunden in Kay vorging, auch kämpfte sie vorübergehend einen ehrlichen Kampf. Aber ihre Eigenliebe und ihre Abneigung gegen die Kleine redeten eine lautere Sprache, als ihre bessere Natur.

Da sie aber Kay in ihrer Art zugethan war, auch die Klugheit riet, ihrer Natur Zügel anzulegen, umgab sie ihren Mann mit um so größeren Aufmerksamkeiten und ging auf Wünsche ein, denen sie sonst einen entschiedenen Widerstand entgegengesetzt haben würde.

Überhaupt war sie sich ihres Einflusses und ihrer Macht auf ihn wohl bewußt. Sie hatte die Erfahrung gemacht, daß sie zuletzt immer siegte, und sie wandte gelegentlich jenes Zaubermittel an, das bei Männern, welche ihre Frauen nicht nur lieben, sondern ihr Lebelang um ihre Gunst weiter werben, niemals seine Wirkung verfehlt: sie schmollte, blieb wohl gar Tage lang stumm und reizte ihn dadurch, jedes denkbare Mittel der Versöhnung anzuwenden.

Wenn sie vor ihm erschien mit ihrer gebietenden Gestalt, mit ihren blendenden Farben, ihrer die Sinne reizenden Fülle und den ebenmäßigen Schönheitsformen, wenn sie gar lachte oder ihn mit dem ihr eigenen, bestrickenden Ausdruck in den Augen anschaute, dann ward der sonst so zielbewußte Mann schier zu einem gefügigen Diener und nicht, wie früher, stand er über ihr, sondern sie über ihm.

Freilich hatte sich dies seit dem Aufenthalt in Dronninghof bereits wesentlich geändert! Die Leidenschaft war ruhigeren Gefühlen gewichen, und Kays ursprüngliche Natur kam wieder zu ihrem Rechte. Schon hatte es mancherlei heftige Scenen gegeben.


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