Hermann Heiberg
Menschen untereinander
Hermann Heiberg

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Elftes Kapitel.

Nach den geschilderten Ereignissen waren reichlich zwei Jahre vergangen. Clementina-Julia lebte nach wie vor als Herrin auf Dronninghof, Kay durchschritt wie sonst seine Wiesen und Felder, ritt zur Stadt, präsidierte nützlichen Vereinen, spielte Schach, verfolgte, was Neues in Politik, Kunst und Wissenschaft sich ereignete und war, wie ehedem, ein sorgender Vater für seine Familie und ein Freund für seine Freunde geblieben.

Und Bomstorff wohnte seit einem Jahr und zehn Monaten im Turm, las, studierte, rauchte, wanderte durch den Park und das Unterholz, fuhr mit dem Verwalter in die Stadt und gab, wie in früherer Zeit, seine cynische Weisheit zum besten. Aber er trug keinen Schnürrock und keine Reitstiefel mehr, und der kleine Clas hatte ein nettes Bedientenröckchen, und die Mütze schmückte ein silbernes Band, was alles zusammen ihn gut kleidete.

Und die Herrschaft auf Dronninghof schien wie ehedem und wie immer ein sorgloses Glück zu genießen und nichts ihr gutes Zusammenleben zu stören.

Und das war doch für die Eingeweihten allein Bomstorff zu verdanken, über den sich ein Streit erhoben hatte, dem, wie in dem Kampfe der Völker, ein Reinigungs- und Klärungsprozeß gefolgt war.

Freilich, ohne die Krankheit Kays wäre sicher die Ehe getrennt worden. Auch trat niemals zwischen Clementina-Julia und Kay das alte Verhältnis wieder ein.

Sie schlossen einen Vergleich, zu dem in der Ehe Tausende gelangen, um sich in bester Art und Form mit den Folgen eines verzeihlichen Irrtums abzufinden.

Die Hingebung, mit der Clementina-Julia ihren Mann pflegte, bewirkte nicht nur seine Genesung aus einem wahrscheinlich durch die ungeheure Gemüts- und Seelenerregung hervorgerufenen heftigen Fieber, sondern schuf auch wieder weiche Gefühle, die den Gedanken an eine Trennung rasch beiseite schoben. Und so war es nur natürlich, daß Kay bei erster Wiederkehr vollen Bewußtseins nach Clementina-Julias Hand tastete, langsam den Kopf wandte, mit dem alten Blick ihr Auge suchte und ihr zuflüsterte: »Wenn zwei Menschen sich streiten, ist stets Schuld auf beiden Seiten. Wir wollen fortan gute Kameraden sein und bleiben, und jeder wird ehrlich sein Teil thun. Nicht so, Clementina-Julia?«

Und die Frau neigte das Haupt und gab den Händedruck zurück. Sie wußte zudem lange, was sie konnte und wollte. Sie war aber keineswegs anders, sie war nur klüger geworden. Eines Tages hatte sie sich klar gemacht, wie leicht sie alles nach ihren Wünschen lenken könne. Nach den Flitterjahren der Ehe war Kays herrschsüchtige Natur wieder zum Vorschein gelangt, und mit dieser Thatsache hatte sie nicht gerechnet. Bisher war Clementina-Julia die Gebieterin gewesen; nun wollte Kay die Zügel selbst wieder in die Hand nehmen Sie sah ein, wie wenig weise ihre Auflehnung dagegen gewesen war, und beschloß, die Klugheit der Verstellung anzuwenden, um ihre Zwecke zu erreichen. Wenn beispielsweise Kay alle Zeit eine so offene Hand hatte, weshalb sie nicht zum eigenen Vorteil nützen?

Statt wie bisher jede Ausgabe in Überlegung zu ziehen, sorgfältig zu rechnen und dann erst an ihn heranzutreten, nannte sie ihm fortan hohe Beträge, fand immer Gründe und Beweismittel, ihn von der Notwendigkeit der Herausgabe von Geld zu überzeugen und legte auf diese Weise monatlich stattliche Summen beiseite. Und da Kay sah, daß sein Hausstand mehr kostete, von Einsprüchen aber absah, weil er annahm, daß seine Frau ehrlich sich bemühe, ihre Engherzigkeit abzustreifen, beschränkte er seine Ausgaben, und Clementina-Julia strich triumphierend ein, was er in gutem Glauben hergab.

Wenn er einmal zornig war, biß sie die Zähne aufeinander und wußte zu schweigen. Sein Unmut verrauchte stets rasch, und dann trat sie wohl gar auf ihn zu und gab gute Worte. Ihre Herrschsucht, ihr Stolz und ihre Eigenliebe wurden dadurch nicht verletzt, weil sie selbige, wenn auch durch andere Mittel, so gut befriedigte wie früher. Überdies hatte eine völlige Trennung im Hause stattgefunden. Jeder schaltete in seinen Räumen für sich, und Clementina-Julia fragte nicht eben viel, wenn Kay ging, kleine Reisen unternahm, den Regungen seiner Hochherzigkeit folgte oder seinen unberechenbaren Entschließungen die Zügel schießen ließ.

Die Schublade ihres Mannes hatte sie während seiner Krankheit mit Muße durchsehen können und wußte genau, wie sein Debet und Kredit stand.

Sie mußte lächeln, wenn sie ihrer früheren Zweifel gedachte, jemals in seine Verhältnisse einen Einblick gewinnen zu können. Schon am Tage nach dem bedeutsamen Zwischenfall kannte sie den Inhalt der letztwilligen Verfügungen und hatte sich überzeugt, daß sein Tod ihr keineswegs Vorteile bot. Sie war immer auf ein bestimmtes Witwengehalt angewiesen, dessen Hergabe allen Kindern zu gleichen Teilen zufiel. Carmelita erhielt das ganze Londoner Vermögen, indessen wurden die Erträgnisse, welche das in der Firma arbeitende Kapital über sechs Prozent abwarf, Kay und Julia, denen Dronninghof gemeinsam zufiel, seit ihrer Geburt gutgebracht.

Wenn ihr Mann starb, mußte das Londoner Geschäft liquidiert werden, und den Kindern zweiter Ehe sollten dann die angesammelten Zinsen, Carmelita aber das Grundkapital ausgezahlt werden. Trat bei den Kindern ein Todesfall ein, so fiel den Überlebenden das Vermögen des Verstorbenen zu gleiche Teilen zu. Die künftigen Kuratoren waren genannt, und Verfügungen über die Kapitalsanlagen überdies in dem Testament enthalten.

Im übrigen hatte Kay in seinem letzten Willen erklärt, daß diese Bestimmungen freie Entschließungen seien, und daß Schenkungen aus irgend welchen Aktiven, die er bei Lebzeiten machen, und durch welche eine Verringerung des Vermögens herbeigeführt würde, keine Regreßansprüche der Erben unter sich zur Folge haben könnten. Clementina-Julia folgerte, daß diese Bestimmung sich auf Mercedes beziehen könnte – und das gab zu denken.

Sie mußte mit allen Mitteln darauf hinwirken, daß Kay nicht von freigebigen Launen erfaßt ward. Und wenn Carmelita früher, als es in menschlicher Berechnung lag, aus dem Leben schied, welche Vorteile winkten dann den Erben – –!

In der Zwischenzeit waren von Italien stets erfreuliche Nachrichten eingelaufen. Aus einem Jahr waren sogar zwei geworden. Schliebens priesen voll Begeisterung die Herrlichkeiten, die sich ihnen bei ihren kleinen Ausflügen und größeren Reisen geboten hatten, und Mercedes, deren körperliches Befinden dort wesentlich besser geworden war, erzählte in ihren Briefen von Carmelitas Schönheit und wachsenden Fortschritten.

Im letzten Augenblick hatte sich Kay noch entschlossen, seinem Kinde eine gut empfohlene Gouvernante mitzugeben, während Charlotten der Unterricht der beiden jüngeren übertragen worden war.

Und dann kam endlich auch der Tag der Rückkehr aus Nizza. Stündlich erwartete Kay Nachricht über den Zeitpunkt der Ankunft seiner Verwandten und gab seinen freudigen Empfindungen über das Wiedersehen unverhohlen Ausdruck. Zum erstenmal blitzte in Clementina-Julia die Eifersucht wieder auf, aber sie unterdrückte diese Regung kraftvoll. –

Bomstorff war regelmäßig einmal in der Woche Witzdorffs Gast. In den Gesellschaften fehlte er nie, und Kay begegnete ihm mit allen Zeichen herzlicher Gesinnung. Bomstorff hatte Wort gehalten. Was in den Wirtshäusern von ihm entnommen ward, bezahlte er gleich, und nicht einmal hatte er Kay über die inzwischen von demselben wesentlich erhöhte Monatsrente angegangen.

Als Bomstorff zum erstenmal in die für ihn hergerichteten sogenannten Turmräume, ein altes, bis auf diesen Turm und einen kleinen Vorderbau abgerissenes Gebäude. das in früheren Zeiten Gästen als Unterkommen gedient hatte, eintrat, stand er anfänglich sprachlos. Dann aber kehrte er sich um und drückte Kay in heftiger Bewegung an seine Brust.

»Seht, Gevatter,« hub er, seine Rührung nur schwer bezwingend, an: »Ich habe in meinen dunklen Stunden oftmals an mir vorüber ziehen lassen, wozu ich mich etwa noch qualifizieren könne. Ich fand nur eins: ich wäre vielleicht ein guter Theatersouffleur geworden, hätte so doch noch allerlei nützliche Dienste leisten können und für mich zugleich ein Stück Weltkomödie in der Hand gehabt.« Er hatte die letzten Worte mit trockenem Pathos gesprochen und fuhr in dem gleichen ironisierenden Tone fort: »Ich würde dann auch jenen Mann beschämt haben, der mir nach wehmütiger Klage über sein uneinträgliches Geschäft und nach meiner Mahnung, ein vorteilhafteres zu beginnen, erwiderte, er habe kein anderes gelernt! Wissen Sie, Vetter, welches Metier er betrieb? Er bot in einem Kästchen auf der Gasse Streichhölzchen feil! Welche enormen Vorstudien waren dazu nötig! Sie begreifen! Sie verstehen des Mannes Weigerung, noch einmal sich auf ›neues Lernen‹ zu legen!« Und Bomstorff lachte überlaut und suchte Kays beipflichtenden Blick.

In der Wohnung standen alte Tische und Schränke aus edlem Holz; eine Ottomane bedeckte ein Pantherfell; der Fußboden war mit einem das Auge anheimelnden schweren, persischen Teppich belegt, und in das Schlafzimmer war ein Bett gestellt, über das sich ein großer Himmel aus seidengeblümtem Stoff ausspannte. Nichts war vergessen, und doch noch so viel Raum an den Wänden gelassen, daß die Habseligkeiten aus der alten Wohnung im Stiftshause hatten Platz finden können. Auch der Erbsessel in roter Seide befand sich auf dem Transportwagen, den Kay damals zum Abholen des Mobiliars in die Stadt gesandt hatte.

Die beiden Windhunde waren dagegen einer durchziehenden Kunstreitergesellschaft verkauft worden. Der Holzkübel mit dem ausgegangenen Oleanderbaum hatte eine neue kräftige Pflanze erhalten, und der neuangestrichene große Vogelbauer war an einer der sonnenbeschienenen, tief ausgemauerten Fensterwände aufgehängt.

Was aber Kay in Bomstorffs Augen zu einem Halbgott machte, das war ein Weinlager, das er beim Umschauen im Turm entdeckte, und das genau 365 Flaschen enthielt.

In der Folge hatte Kay auch Bomstorffs Gedächtnis nachgeholfen und sich die Namen seiner Schuldner geben lassen. Er veranlaßte einen Advokaten, an sie zu schreiben, und erreichte nach allerlei Hin und Her von einigen besser Gestellten eine nicht unbedeutende Zahlung, freilich unter Abzug von Gegenforderungen, deren Richtigkeit Bomstorff mit einem faunischen Lächeln zugab.

Als Bomstorff Kay diese Eingänge überweisen wollte, lehnte sein Verwandter das Anerbieten in solcher Form ab.

»Aber einen anderen Vorschlag will ich Ihnen machen, Vetter« – erklärte er. »Ich werde Ihr Leben versichern, und Ihr Kapital soll mit dazu dienen, die Jahresprämie zu bezahlen. Meine Erben gelangen dadurch wieder zu einer Summe, die ich nicht völlig berechtigt war ihnen zu entziehen; aber dies bestimmt mich weniger, als die Absicht, Sie der Peinlichkeit zu überheben, ganz und gar mein Schuldner zu sein. Ihre Verpflichtungen sind in anständiger Weise gelöst. So lange ich etwas besitze, werden Sie auch nicht darben, und so denke ich, ist alles nach unseren Wünschen geordnet.«

Er sah Bomstorff nach diesen Worten mit seinen freundlichen Augen an, schüttelte ihm die Hand und entfernte sich.

Aber er hörte doch noch seines Verwandten Antwort zwischen Thür und Angel:

»Zählt auf mich, Vetter! Ich will mich bemühen, mein Dasein zu verkürzen. Ich werde statt meines Shakespeare täglich Klopstocks Messias lesen. Die lange Weile tötet sicher, und das Gegenmittel gegen die mir in den Keller gelegten Lebensverlängerer ist somit gefunden.«

*           *
*

Kay stand in der Jagdjoppe auf dem Hofe. Auf dem Kopfe trug er einen weichen Filzhut und in der Hand einen eisenbeschlagenen Feldstock. Eine kurze Pfeife hing ihm im Munde. und eben streckte er den Arm aus und zeigte mit der Spitze des Stockes auf ein Paar kleine, schlanke Pferde, die unter der Aufsicht des Verwalters Behmer, eines blondbärtigen, kräftigen Mannes mit äußerst ruhigem Wesen in Blick und Bewegungen, von Friedrich Theißen und einem der Stallknechte vorgeführt wurden.

»Was Teufel, hinkt denn der da rechts?« fragte er, als eines der Tiere, beim Traben scharf ausholend und mit den Hufen Funken auf dem Pflaster schlagend, eine linkische Seitenbewegung machte.

»Nein, Herr Graf, es ist alles in Ordnung,« – erwiderte Behmer und holte, als eben die gegen den scharfen Trensedruck mit hochaufgerichteten Köpfen sich auflehnenden Tiere wieder herantrabten, mit der Peitsche aus. Noch einmal wurden sie in rasche Bewegung gesetzt, dann machte Kay Friedrich ein Zeichen, daß er befriedigt sei.

In diesem Augenblick trat Bomstorff hinter den Wirtschaftsgebäuden hervor und schritt auf die Gruppe zu.

Er grüßte Kay und dann Behmer mit einem fragenden: »Was Neues in des Königs Marstall?« und sah sich die unruhig das Pflaster kratzenden Braunen, die Kay mitsamt einem geeigneten Wagen für seine Kleinen angeschafft hatte, an. Auch schob er den Gäulen die Mäuler prüfend auseinander, klopfte ihnen den Hals und sah nach Brust und Beinen. Dann nickte er zufriedengestellt.

»Teuer, Gevatter?

»Nicht eben.«

»Ein schönes Gespann! Die Kinder und Komtesse Carmen werden ihre Freude haben.«

»Ich bitte nur einstweilen noch nichts zu verraten, Vetter!« bat Kay, auf das Herrenhaus deutend.

Jetzt jagte eine große dänische Dogge mit raschen Sprüngen auf Kay zu und sprang ihm hoch an die Brust. Mit den kratzenden Vorderbeinen stand sie da, und der Schaum floß ihr aus dem heißen Rachen.

»Willst Du, Keller! – Na, willst Du!« Kay riß die Pfoten des Tieres mit einem scharfen Ruck zurück und schlug es mit dem Stock auf die Schenkel.

»Kusch Dich! Ruhig, oder –! Na so – schön! schön! Komm!«

Als sich die Herren von Behmer verabschiedet hatten und gemeinsam die Richtung nach dem Turm nahmen, sagte Bomstorff:

»Also heute kehren die Herrschaften aus Italien zurück, Vetter? Und Komteß Cedes und der kleine, jetzt wohl schon große, liebe Springinsfeld dazu? Und sie sind wohl und munter? Ich höre, die Hamburger Herrschaften haben in Schleswig gemietet? Alles schon hergerichtet?«

Kay nickte. »Die Wohnung meiner Schwiegereltern ist recht hübsch geworden. Eben bin ich mit der Einrichtung fertig. Allerlei kleine Überraschungen werden meine Verwandten erfreuen. Auch meiner Schwägerin habe ich ihre Gemächer neu einrichten lassen und selbst Vergnügen daran gehabt. Alles ist elegant und behaglich!«

»Ohne Zweifel, wenn Kay von Witzdorff sein Gehirn mit seinen Taschen in Verbindung setzt!«

Ein Anhauch von gutmütigem Spott zog über Kays Gesicht.

»Ohne Komplimente thun Sie's doch nicht, Vetter!« sagte er.

»Komplimente?« entgegnete Bomstorff mit einem Ausrufungs- und Fragezeichen in den Mienen zugleich. »Sehen Sie nur, was ihr Werk ist? Wollen Sie nicht einmal wieder bei mir eintreten?«

Er öffnete, da sie gerade an seiner Behausung angelangt waren, die Thür, und das helle, von einer kühl balsamischen Luft und von Vogelgezwitscher erfüllte Gemach lag vor ihnen. Eines der großen Fenster stand weit offen und vermittelte den Ausblick auf einen von hohem Gebüsch umgebenen, einsam versteckt liegenden kleinen See mit klarem Wasser. Ein in denselben hineingebauter Steg und eine Bank zeigten seine gelegentliche Bestimmung. Hier wuschen die Mädchen im Sommer die Wäsche.

Und im Hintergrunde hohe Buchen und Eichen als Ausläufer des Dronninghof umgebenden Waldes. Eben hatte die aus den Wolken hervorgetretene Sonne ihre Strahlen herabgesandt, es flimmerte und leuchtete über dem Laube, als tropfe grün flüssiges Licht von den Blättern. Der kleine Teich aber lag im Halbschatten wie ein lautloses Geheimnis und fing die wundervollen Bilder ringsum in seinem Spiegel auf.

Da die ersten Anzeichen des beginnenden Herbstes sich bereits gezeigt hatten, ward durch der Farben Mannigfaltigkeit das anmutige Bild noch erhöht. Ein junger, schlanker Baum mit eigelben, und ein Strauch mit hellroten Blättern hoben sich reizvoll ab gegen das tiefe Grün der Umgebung, und als nun eben ein sanfter Wind durch den Wald zog und über das Plätzchen strich, lösten sich einige der goldenen, kraftlos an den Zweigen haftenden Gebilde und schwebten, für Sekunden von der Luft getragen, zu dem Wasserspiegel hinab.

In dem geschlossenen Fenster, das von Epheu umrankt war, standen blühende, buntfarbige Blumen in Töpfen, und eben fing die Sonne den ringelnden Rauch aus Kays Tabakskopf auf, und was bisher schneeweiß war, erschien tiefblau.

Auf dem Tische vor dem Sofa stand ein Meißner Frühstückservice; dazwischen blitzten silberne Theelöffel und eine alte, blanke, mit Buckeln versehene Zuckerdose. Auf der mit dem Pantherfell belegten Ottomane lag ein aufgeschlagen Buch, daneben hastig auseinander gerissene Zeitungen. Ein zurückgeschlagener weißer Plaid fiel auf den Fußboden und hob wiederum die Farben des Teppichs, der die Räume mit den Gegenständen in einen einheitlichen Zusammenhang brachte und den Eindruck vornehmer und anheimelnder Wohnlichkeit erhöhte.

Auf einem, mit einer türkischen Decke belegten Tische befanden sich Bücher und Zigarrentaschen, ein Operngucker, kleine Schalen, kurze Pfeifen und Meerschaumspitzen malerisch beisammen. Eine Stillebenstudie für einen Künstler! Überhaupt herrschte in Bomstorffs Behausung eine sympathisch geniale Unordnung, jene, die nicht durch regelloses Durcheinander das Auge verletzt, sondern durch die Art der Verteilung und durch scheinbare oder wirkliche Nachlässigkeit in der Schätzung wertvoller Gegenstände ein stilles Bewundern erhöht und zugleich den Wunsch hervorruft, von dem allen Besitz zu nehmen.

Es giebt Menschen, deren Beschäftigung und Thun immer der Grazie entbehrt, und andere, die selbst im zerstreuten Handeln einem künstlerischen Muß des Schönheitssinnes folgen. Letzteres war bei Bomstorff der Fall.

»Nun, und wird denn Komtesse Carmelita fortan wieder auf Dronninghof bleiben?« fragte Bomstorff, nachdem beide Herren Platz genommen, und Kay die ausgerauchte Pfeife mit einer Zigarre vertauscht hatte.

Kay stieß den Rauch durch die Nase und zuckte die Achseln. Und während er mit der Hand langsam den Bart strich, murmelte er, mehr mit sich selbst sprechend, als seinem Verwandten Antwort erteilend:

»Ja, wer in dieser Sache einen guten Rat geben könnte, den wollte ich in Gold fassen.«

Er brach ab und verschluckte, was er noch mehr sagen wollte.

Bomstorff überraschte dies nicht. Er wußte sehr wohl, wie die Dinge im Herrenhause lagen, und sein Interesse für Carmelita und seine Neugierde trieben ihn, heute Kay aus seiner Zurückhaltung herauszudrängen. Er stellte allerlei Fragen und schloß nach einem geschickten Übergang mit den Worten:

»Die Gräfin und die kleine Komtesse harmonieren wohl nicht eben sonderlich, Gevatter? Ich kann's mir denken! Ich weiß! Aber wer ist schuld? Reitpeitschen werden nicht fabriziert, um zarte Täubchen zu züchtigen.«

Kay sah rasch empor. Einen Augenblick flog ein Ausdruck von stolzer Zurückweisung über sein Gesicht, der aber ebenso schnell wieder verschwand.

»Ja, das ist's! Das ist's!« erwiderte er lang gezogen und mit gedämpfter Stimme beipflichtend.

»Geben Sie doch die Kleine – freilich, ich würde sie sehr schmerzlich missen – zu Ihren Schwiegereltern, zu der liebenswürdigen Komtesse Cedes. Da liegt sie in einem Daunenbett, bekommt doch stählerne Glieder und wird zunehmen an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen.«

»Gewiß! Das Beste wär's schon!« erwiderte Kay. »Meine Frau versteht den Charakter des Kindes nicht, ist zu heftig, – ohne rechte Geduld und Nachsicht. Carmelita ist aber nur durch Liebe zu leiten. Ich sehe wieder schwere Tage kommen, und doch ist's zu unnatürlich, das eigene Kind fortzugeben.«

Bomstorff stieß nach Kays Worten mit der Kehle an, schwieg noch eine Weile und sagte dann:

»Ja, ja! Eine verteufelte Geschichte, Vetter. Denn ich weiß, rechte Liebe wächst einmal nicht wie Gras auf den Wiesen.«

Kay gab keine Antwort. Er saß stumm und nachdenklich da. Endlich erhob er sich mit verschlossen zerstreuter Miene.

»Addio, Vetter! Wir sehen uns dieser Tage, und vergeßt nicht, Ihr wolltet uns einmal etwas vorlesen. Ich werde dazu unsere Italiener einladen.«

Er winkte mit der Hand und ging.

Bomstorff verharrte noch eine Weile sinnend und wickelte die Enden seines langen Bartes. Dann öffnete er eine Cognacflasche, schenkte ein, trank aus und wandte sich ins Freie.


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