Hermann Heiberg
Menschen untereinander
Hermann Heiberg

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Achtes Kapitel.

Vor dem Herrenhause in Dronninghof hielt mit den ungeduldig scharrenden Pferden der Wagen, der Kay vom Bahnhofe abgeholt hatte. Die Diener eilten bei dem Peitschenknall eilfertig herbei. Friedrich Theißen half den Koffer herabheben, holte, während die Hand ehrerbietig an dem schwarzen, silberbetreßten Hute lag, noch einen Befehl seines Herrn wegen des hinkenden Wallachs ein, und Kay stieg die Stufen zum Herrenhause empor.

»Die Gräfin? Meine Frau?«

Zu Kays Überraschung war Clementina-Julia nicht sichtbar.

»Es ist wohl wegen der Comtesse Lita,« sagte der Diener Konrad etwas unsicher.

Weiter hörte Kay nichts, aber er wandte sich nach diesen Worten sogleich in das Wohngemach zur Linken.

»Licht in mein Zimmer! Weshalb ist kein Licht angesteckt?« herrschte er unwirsch, machte ein Zeichen, daß er die Thür des Wohngemachs selbst öffnen wolle, und trat ein. Alles schien heute im Hause verändert. In der Thür trat ihm Clementina-Julia entgegen. Etwas Fremdes lag in ihrem Wesen, aber sie umarmte ihn anschmiegend.

»Gottlob, daß Du da bist.«

»Nun? Schon draußen hörte ich – Was ist's mit Carmelita?«

In diesem Augenblicke ertönte aus dem Nebenzimmer ein Wimmern. Es klang wie ein letztes Ausholen nach heftigen Schmerzen, und zugleich war der Ton durchzittert von einer unbeschreiblichen Angst.

Kay erhob einen fragenden Blick zu seiner Frau, wartete aber eine Antwort nicht ab, sondern eilte in das anstoßende Gemach.

Und da saß, wie eine Irrsinnige, totenbleich, mit blutenden Lippen, zitternd, atemlos, – suchende, flehende, im halben Wahnsinn irrende Augen auf ihn richtend, Carmelita. Und als er ihr näher trat, glitt sie auf die Erde herab und faltete die Hände.

»Bitte, bitte, thu mir nichts!« war darin ausgedrückt. Nie, selbst in den spätesten Jahren, vermochte Kay den Blick zu vergessen, mit dem ihn dieses arme, kranke, von Körper und Seelenschmerz gefolterte Kind aus seinen geistesverwirrten Augen anstarrte.

»Was hast Du denn, mein geliebtes Kleines?« rief Kay sie aufhebend und zärtlich an seine Brust ziehend. Und »Was ist?« fuhr er, ahnend, daß abermals diese jähzornige Frau ihren Haß an dem Kinde ausgelassen habe, mit empörtem Blicke und heftigem Fußstampfen, zu Clementina-Julia gewandt, fort.

»Kay! Kay! Besinne Dich!« gab Clementina-Julia zurück. »Ich will diesen Ton nicht mehr hören.«

Der Mann bezwang sich, streifte sein Weib mit einem kalten Blick und wandte sich wieder zu dem blassen Geschöpf, das fiebernd zusammenfuhr und sich in seiner Fassungslosigkeit fester und fester an ihn drückte.

»Sprich, meine süße Carmelita, was hast Du? Du bist ja bei Deinem lieben Papa. Willst Du es ihm nicht sagen?«

Sie versuchte zu sprechen. Vergeblich! Sie hub von neuem an; der Mund öffnete sich; aber kein Wort kam hervor. Die Lippen flogen, die Zähne stießen auf einander, und die Augen irrten in angstvoller Machtlosigkeit hin und her.

Der Mann erwartete, daß seine Frau das Wort nehmen werde. Er wandte sich hastig zu ihr; aber sie saß wortlos und mit gefühllosem Blick da.

Nun versuchte Kay noch einmal Carmelita zum Sprechen zu bewegen. Er richtete sie empor. Sprach sanft und zärtlich auf sie ein und streichelte ihre Wangen. Was es auch sei, keine Strafe würde sie treffen; aber sie möge reden.

»Das ist es ja eben!« ließ sich nun Clementina-Julias Stimme vernehmen. »Seit heute mittag ist sie vom Hause fortgewesen. Nach einem schrecklichen Tage voll Unruhe erscheint sie eben unten in der Küche und will auf der Hintertreppe in ihr Zimmer schleichen. Nun wird sie mir gebracht. Ich frage. ich bitte, ich drohe. Nichts ist aus ihr herauszubringen. Der alte Trotz, die alte Verstocktheit. Es ist zum Verzweifeln mit dem Kinde!«

»Und Du schlugst sie natürlich, weil sie nicht antwortete?« fragte Kay drohend. Ein furchtbarer Gedanke durchbebte ihn bei seinen eigenen Worten. Vielleicht hatte das Kind aus Angst die Sprache verloren!

»Carmelita! Carmelita, mein einziges, geliebtes Kind. Ich bitte Dich – Dein Papa bittet Dich – sprich.«

Und da stürzten dem Kinde aus den großen, dunklen Augen die Tränen wie Bächlein hervor, und sie sah ihren Papa mit einem Blick an, der das härteste Herz zerschmelzen mußte. Aber sie gab keine Antwort. Nun raffte sich Kay auf. Er riß, ohne seine Frau zu beachten, an der Klingelschnur.

Dann wandte er sich wieder zu dem Kinde, das er gebettet und zugedeckt hatte.

»Hast Du Hunger, Durst, mein Kind?«

Carmelita nickte.

»Ja, ja, mein Liebling, Du sollst alles haben! Kannst Du nicht sprechen?«

Sie antwortete zu seiner namenlosen Freude endlich mit einem »Ja«.

»Aber Du bist so ängstlich? Du kannst Dich noch von dem Schrecken nicht erholen?«

Sie neigte das blasse Gesichtchen zustimmend.

»Friert Dich?«

Nun kam eilend der Diener.

»Ist serviert?«

»Jawohl, Herr Graf!«

»Warten Sie!«

»Möchtest Du Milch, Thee, Wein, Limonade? Etwas zu essen?«

Ihr Kopf bewegte sich rasch, und ein Zittern flog durch den Körper.

Ein Fieberfrost durchschauerte das Kind.

»Also rasch, bringen Sie.«

Jetzt stand Clementina-Julia auf. »Lassen Sie, ich werde das Nötige besorgen.«

Die Frau ging.

»Friedrich soll sofort anspannen und ins Dorf fahren, so schnell er kann. Ich lasse den Doktor la Motte bitten, sich gütigst sogleich zu uns zu bemühen; die kleine Carmelita sei schwer krank. Eilen Sie.«

Kay wandte sich wieder zu seiner Tochter. Sie hatte die Augen geschlossen. Als er jedoch den Mund auf ihre Lippen drückte, öffnete sie die müden Lider und sah ihn mit einem matten, aber unendlich dankbaren Blick an.

Und Carmelita griff nach seiner Hand und bedeckte sie mit Küssen, und dann flüsterte sie schluchzend – ein wilder, heißer Thränenstrom schien ihre Zunge plötzlich völlig zu lösen –: »Mein Papa, mein süßer Papa!« – –

Es war herzzerreißend, und doch zogen bei den Tönen durch Kays Brust unbeschreibliche Wonnen.

*           *
*

Der Volksmund spricht ein Himmelswort von den Kindern. Es hatte sich bei Anna bewährt. Sie fiel, wie von unsichtbaren Händen getragen, auf den Heuhaufen, überschlug sich zwar hier und fühlte einen Schmerz im Nacken, auch wollte das Herz einen Augenblick nicht schlagen, und durch die Glieder jagte ein Strom, als ob Feuer und Kälte zugleich daran auf- und abwogten, aber nach einigen Minuten war sie schon wieder Herr ihrer selbst, schüttelte sich und sah neugierig zu dem Scheunengiebel empor. Gerade in diesem Augenblicke erschien die Magd aus dem Verwaltershause.

»Na, da bist Du ja, Anna! Tante ist mit den Kindern gekommen. Ich soll Dich gleich holen!«

»Ich will bloß Lita Bescheid sagen,« wandte das Kind ein und wollte forteilen. Aber da sie eben einen der Knechte heranschreiten sah, trug sie ihm auf, ihrer Kameradin zu bestellen, daß sie nach Hause gerufen sei.

Anna hatte mit der Kindern eigenen, zerstreuten Sorglosigkeit die Bedeutung des Zwischenfalles schon wieder vergessen. Das neue Ereignis beschäftigte all ihre Gedanken, und als sie neben der Magd einher trippelte, und ihr nun doch wieder durch den Kopf schoß, daß es besser gewesen wäre, Carmelita selbst Nachricht zu geben, daß alles gut abgelaufen sei, beruhigte sie sich mit der Hoffnung auf den Knecht, der ja alles ausrichten, und aus dessen Bestellung die Freundin entnehmen werde, daß ihr nichts zugestoßen sei.

Sie beschloß auch, im Hause der Sache gar keine Erwähnung zu thun. Wozu etwas berichten, was sicher nur Schelte und sonst allerlei unbequeme Folgen nach sich ziehen würde?

Clementina-Julia ließ, als Carmelita vermißt ward, das ganze Gut durchsuchen und geriet, nachdem alle Nachforschungen hier und auch in der Umgegend vergeblich gewesen waren, in eine furchtbare Aufregung. Jeder Gutsinsasse wurde befragt, ob er von ihr wisse, und als man endlich von dem Verwaltermädchen an den Knecht verwiesen, ihn ausforschte, erklärte er, die Botschaft der kleinen Anna sei von ihm nicht bestellt worden, weil er die Comtesse in der Scheune nicht gefunden habe.

Als Carmelita aufgewacht war, hatte sie in nächster Nähe Peitschenknallen und das Geräusch eines Wagens gehört. Sie war zufällig bei ihrem ruhelosen Suchen dicht an die Chaussee geraten. Hunger, Durst, Kälte und Furcht trieben sie nach dem Gute zurück, und sie beschloß, auf der Hintertreppe in ihr Zimmer zu schleichen, ins Bett zu kriechen und abzuwarten, was geschehen werde.

Als sie mit klopfendem Herzen an dem Verwalterhause vorüberkam, war alles dunkel. Das beschäftigte sie außerordentlich! War's ein gutes oder ein schlechtes Zeichen –?

Nun kam die Unruhe über das Geschehene wieder über sie, und sie eilte um so rascher vorwärts. Auf dem Hofe begegnete ihr niemand, aber zu ihrem Unglück rief ihr gleich bei ihrem Eintritt in das Souterrain eine Stimme entgegen: »Comtesse Lita, sind Sie da? Na, Gottlob. Nu kommen Sie man gleich zu Frau Gräfin!« Und obgleich sie sich in Todesängsten gewehrt, war sie von der herbeigeeilten Dienerschaft umringt, mit Fragen bestürmt und hinaufgebracht worden.

Als sie ihrer Mutter gegenüberstand, war sie keines Wortes mächtig. Die Frau aber schickte ihre Umgebung fort und begann, nachdem sie das Kind aufgerüttelt hatte, ein Verhör. Und als es mit fliegenden Gliedern, mit flehenden, von Angst durchzitterten Augen noch immer nicht antwortete, und zuletzt bebend von ihr floh, sich in eine Ecke stellte und hier mit abwehrenden Händen wimmerte, da packte Clementina-Julia sie an Schultern und Armen, riß sie aus dem Versteck heraus und rief, sie rücksichtslos mit Schlägen und Stößen peinigend: »Du sollst sprechen, oder ich schlage Dich tot.«

Und da rasselte der Wagen über den Hof, und Kay kam von Hamburg zurück. –

Während der folgenden Wochen ward zwischen Kay und Clementina-Julia kein Wort gewechselt. Der Graf ließ die unteren Gemächer zu Schlafzimmern herrichten, und hier wurde auch Carmelita gebettet, die acht Tage lang stark fiebernd darniederlag, und deren erste Frage nach ihrer Genesung ihrer Freundin Anna galt. Die Pflege übernahm Kay selbst; nur Charlotte, die Erzieherin, ging ihm zur Hand.

Es war Clementina-Julia, die endlich an des Tages Neige, als sich die beiden Eheleute nach dem Thee in das prachtvolle, in Weiß und Silber gehaltene Balkonzimmer zurückgezogen hatten, das Schweigen brach. Kay war eben noch bei der Kranken gewesen und griff nun wortlos nach einem Buch, während sich Clementina-Julia mit einer Stickarbeit für ihre Kleinen in eine Sofaecke niederließ.

Noch hatte der Abend sich nicht völlig herabgesenkt. Von draußen drang der Hauch sommerwarmer Lüfte ins Gemach. Nach einem sanften Landregen schien der Schoß der Erde noch einmal seine treibende Kraft zurückgewonnen zu haben. Millionen unsichtbarer Geschöpfe wurden in Sekunden geboren; ein Weben, Brüten und Blühen ging durch die ganze Natur. Jener balsamische Duft der Blumen und Gräser, Pflanzen und Bäume erfüllte die Luft, jenes pulsierende Drängen, jenes gleichsam trunkene Entzücken wieder erwachenden Lebens durchzitterte das All, welches wir fühlen, ohne es zu sehen, und das uns mit gehobenen und zugleich mit schwermütigen Empfindungen durchschauert, ohne daß wir uns über diesen geheimnisvollen Zwiespalt Rechenschaft zu geben vermögen.

Der Geruch der Akazien und Orangenbäume drang ins Gemach, im Grase draußen zirpte es; über dem Gehölz und den Parkwiesen lag ein tiefblauer Nebel, der dem Auge trotz der Dunkelheit sichtbar war, und die lautlose Stille ward nur unterbrochen durch das unruhige Zittern in den Blättern der Silberpappeln, durch die der Abendwind noch einmal wie von neckischen Launen getrieben, seine Melodieen rauschte.

Kay las, ohne den Inhalt des Buches in sich aufzunehmen. Seine Gedanken waren weit ab in Vergangenheit und Zukunft. Er zog das Facit seines bisherigen Lebens, und wenn er an die letzten Jahre gelangte, überfiel ihn ein Gefühl grenzenloser Trauer.

Es war doch ein Irrtum, ein schwerer Irrtum gewesen, die Heirat mit Clementina-Julia Schlieben! Oder wogen die Jahre des Glückes die Enttäuschung der übrigen Lebenszeit auf? Nein! Er empfand den Irrtum in diesem Augenblick so tief, daß, so sehr er sich auch eine Mitschuld an der zwischen ihm und seiner Frau eingetretenen Entfremdung zumaß und ehrlich die Möglichkeiten einer Änderung in Erwägung zog, jetzt zum erstenmale der Gedanke in ihm emporstieg, sich von ihr zu trennen. Und doch schien ihm ein solcher Entschluß so ungeheuerlich, um der jüngeren Kinder willen so unmöglich, daß er die flüsternde Stimme in seinem Innern für immer zu unterdrücken suchte.

Eine würde ihm alles gegeben haben, wonach sein Herz verlangte; aber diese hatte er unter dem hastigen Drange seiner Sinne, in dem Verlangen, und in der Vorstellung, in dem äußeren Bilde auch innerlich etwas der Verlorenen Gleiches und Verwandtes wieder zu finden, bei der Wahl nicht beachtet, obgleich sie am Wege gestanden, ihr sehnsüchtiges Auge auf ihn gerichtet und die Arme nach ihm ausgestreckt hatte.

So sehr Kay mit dem Geständnis kämpfte, er war Cedes mit unruhiger Liebe zugethan. Nach dem letzten Wiedersehen hatte er sich mit Gefühlen von ihr getrennt, als ob er sein ganzes Glück zurücklassen müsse. Zart, in ihrer Krankheit schöner denn je, mit schwärmerischen, oder in sich gekehrten, nicht auf die Außenwelt gerichteten Augen hatte sie dagesessen, und eine solche Milde und Güte sie umgeben, daß selbst ihre Umgebung, sonst stets nüchtern in der Alltäglichkeit, die das Schönste seiner Farben und Reize entkleidet, nicht Worte genug fand, ihr liebenswürdiges und sanftes Wesen zu rühmen.

Von dem Arzte war bei längerem Aufenthalte im Süden eine vollständige Genesung der angegriffenen Brust in Aussicht gestellt worden. Noch sei nichts versehen, aber gezögert dürfe nicht mehr werden! Kay schlug der Gräfin vor, Cedes zu begleiten; zuletzt redete er allen dreien zu, einen Aufenthalt in Nizza, oder wo sonst gute Wirkung erwartet werden konnte, zu nehmen.

»Und wegen der Kosten, lieber Papa, machen Sie sich keine Sorgen,« hatte er geschlossen, und auf Cedes' Angesicht war ein Ausdruck erschienen, der mehr gesprochen hatte als alle Worte.

Nach kurzer Überlegung nahmen Schliebens Kays Anerbieten an. Nur noch einmal vorher nach Dronninghof zu kommen, war des alten Grafen Wunsch, und ihr Eintreffen stand nun bevor. Erst nach längerem Zureden hatte sich Cedes entschlossen, ihre Eltern zu begleiten. Der wiederholte Hinweis, daß es sich vor langer Trennung nur um wenige Tage Aufenthalt handele, hatte endlich ihre Bedenken gehoben.

»Aber eine Bedingung, Du begreifst diese Bitte – Kay!« hatte sie am Tage des Abschiedes gesagt, als er mit zärtlichem Druck ihre Hand gehalten: »Julia muß mich brieflich einladen!«

Und Kay hatte das zugesichert und war abgereist. Von alledem wußte Clementina-Julia noch nichts. Kay, abgelenkt durch die Sorge um Carmelita, bedrückt in seinem Herzen, und das Innere erfüllt von andauernder Empörung über Clementina-Julia, war jeder Mitteilung über das Ergebnis seiner Hamburger Reise bisher ausgewichen.

Heute nun sollten endlich die lang verschlossenen Siegel sich lösen. Clementina-Julia hatte sich vorgenommen, nichts unversucht zu lassen, versöhnliche Regungen, Gefühle alter Liebe wieder in ihrem Manne wachzurufen, – ihn zurückzugewinnen.

»Kay!« hub sie an.

Er antwortete nicht. Der dichte Rauch seiner Zigarre blieb über ihm trotz der offenen Thüren.

»Kay!« drang's noch einmal durch die Stille, die nur durch das Anschlagen lichttrunkener Sommermotten an die milchweißen Kuppeln der Lampen unterbrochen ward.

Und als er nun abermals stumm blieb, stand die Frau auf und ließ sich neben ihm auf dem Fußkissen nieder. Sie umfaßte ihn und schmiegte ihren Kopf an seine Knie.

»Was willst Du?« trotzte Kay, ohne seine Rechte wie sonst auf ihrem Haupte ruhen zu lassen. Und als sie dennoch nicht wich, löste er ihre Hände und sagte kalt und tonlos: »Stehe auf! Was Du sagen willst, weiß ich. Nur die Zeit, nur Deine sichtbare Buße kann die Verhältnisse ändern und vielleicht noch einmal alles wieder werden lassen, wie es ehedem war.«

Als sie trotzdem ihre flehende Stellung nicht veränderte. machte Kay eine unsanft zurückweisende Bewegung und stieß: »Nun erhebe Dich! Du hörst, was ich sagte,« mit einem frostigen Ausdruck im Ton der Stimme heraus.

Aber Clementina-Julia folgte seinem Gebote nicht; sie umklammerte seine Hände abermals und suchte seinen abgewandten Blick. Er liebte sie nicht mehr, und mit dem Verlust seiner Liebe hatte sie auch ihren Einfluß aus ihn verloren. Das fühlte die Frau und zwang alles in sich nieder. Sie wollte zur Bettlerin werden, sie, Clementina-Julia, die Stolze, die einst gesagt hatte: »Kälte mache sie zu Stein.«

Aber damals hatte sie noch keine Kinder, damals scharrte und geizte sie noch nicht am Tage und sann nicht in den Nächten, wie sie ihrem eigenen Fleisch und Blut alles zuwenden könne, was immer nur ihres Mannes Eigentum war.

Zum erstenmal in ihrem Leben riß Clementina-Julia ihre Seele herab, demütigte sich. Ja heuchelte, um ihrer Zwecke willen.

»Höre, mein Kay! Höre mich!« flüsterte sie. »Ich bin doch Dein Weib, dasselbe Geschöpf, das Du einst so zärtlich, so über alles liebtest. Ich habe mir an diesem Tage einen heiligen Schwur geleistet, alles abzustreifen, was Dich mir entfremden könnte. Ich will nur Dir leben. Und vernimm ein Geständnis. Du sagtest mir eben, – nein, Du sagtest es nicht, aber Deine Worte verrieten es, daß Du mir fremd geworden, – Kay, Kay, daß Du mich nicht mehr liebtest, daß ich nicht mehr Deine Clementina-Julia sei. Ich aber liebe Dich mehr denn je! Sieh, Kay! Meine Eifersucht war doch auch nur Liebe, und meine Schroffheit gegen das Kind ist ja auch nur Eifersucht auf Dich und Liebe für die beiden Kleinen, die mir teurer sind als mein Leben. Ich will mich zu beherrschen suchen und was mir an Zuneigung für das Kind fehlt, – ich kann mich ja, Kay, nicht zu einer Zuneigung zwingen, die nicht in mir ist, – will ich durch sanftes Gewähren und durch Nachsicht ersetzen.«

Die Frau schwieg und forschte in ihres Mannes Angesicht. Sie preßte ihn an sich. In dem Ausdruck ihres Auges lag ein Flehen um Verzeihung, aber sie mischte auch alles hinein, was ihn einst verwirrt, ihn in den Zeiten stürmischer Leidenschaft an sie gefesselt hatte.

Und als sie nun sah, daß es sich unter seinen Wimpern langsam feuchtete, daß ihre Worte ihre Wirkung nicht verfehlten, daß er kämpfte, und die alte Liebe in ihm aufloderte, daß seine versöhnende Natur die Oberhand gewann, da sprang sie empor, schmiegte sich fest an ihn und bedeckte seinen Mund mit Küssen.

Und noch einmal sank der Mann, wie ein Jüngling, in die Liebesarme seiner Frau.

*           *
*

Wenige Tage später trafen Schliebens in Dronninghof ein.

Clementina-Julia hatte sich bereitwillig zum Schreiben verstanden, und die Nachricht, daß ihre Eltern Cedes nach Nizza begleiten sollten, erfüllte sie sogar um ihres Vaters willen mit aufrichtiger Freude.

So war denn alles wieder einmal geebnet, und in der Folge war Kay sogar wegen Carmelitas ein Gedanke gekommen, dessen Ausführung die letzten Schwierigkeiten beseitigen konnte. Er beschloß, seinen Schwiegereltern Carmelita mit nach Nizza zu geben. In Erziehungsangelegenheiten ohnedies von anderen Anschauungen geleitet als die meisten Menschen, fürchtete Kay von dieser Reise nicht einmal Nachteile für ihre Entwickelung. Unterricht konnte sie auch von Cedes oder anderweitig erhalten. Wenn Mutter und Tochter lange Zeit getrennt würden, traten sie sich vielleicht später mit anderen Gedanken gegenüber, und die Gegensätze lösten sich von selbst. Nach einem abermaligen Aufenthalt in Dronninghof konnte Carmelita eine Pension besuchen, wogegen augenblicklich noch mancherlei sprach, und endlich milderte und ebnete die Zeit alles.

Was Clementina-Julia an dem Kinde versehen hatte, konnte durch Cedes' Einfluß wieder gut gemacht werden, und Carmelitas Freude – das wußte Kay – würde bei dieser Nachricht keine Grenzen kennen. So trieb ihn auch sein gutes Herz, das Kind für die Ereignisse der letzten Tage und Wochen zu entschädigen.

Am nächsten Frühmorgen setzte sich Kay an das Bett Carmelitas und beobachtete ihren Schlaf. Heute sollte sie zum erstenmal wieder ins Freie gehen. Bisher hatte sie noch am Tage das Zimmer gehütet und durch die geöffneten Fenster die milde Luft eingeatmet.

»Carmelita! mein Kind!« flüsterte Kay und berührte sie sanft.

Carmelita schlug die verschlafenen Augen langsam auf, die Händchen glitten über die Wimpern und lösten sich zuletzt von den Lidern. Und als sie Kay erblickte. sprang sie stürmisch empor und umschlang ihn mit ihren Armen.

»Mein Papa!«

»Hast Du gut geschlafen, Lita? Und bist Du nun wieder ganz mein alter, kleiner Wildfang und versprichst, immer recht artig und folgsam zu sein?«

Sie bewegte rasch zustimmend den Kopf.

»Hast Du mich lieb?«

Ob sie ihn lieb hatte? Sie preßte ihn immer von neuem an sich und küßte seine Wangen und seinen Mund.

In diesem Augenblick schien es Kay unmöglich, sich von Carmelita zu trennen. Der Gedanke, sie zu missen, ja, die plötzlich auf ihn eindringende Furcht, ihr könne in dem fremden Lande etwas zustoßen, ließ ihn zögern, zu sprechen.

Er wurde wieder schwankend aus Zärtlichkeit für sein Kind. Aber dann kamen doch die alten, wohlüberlegten Entschlüsse von neuem zu ihrem Rechte.

»Möchtest Du mit Cedes nach Italien reisen, Lita?«

Sie sah ihn einen Augenblick wortlos an.

Erstaunen, Freude und Zweifel kämpften in ihrem Gesicht. Plötzlich aber huschte sie aus ihrem Bett und sprang im Zimmer auf und ab.

»Wirklich, – darf ich? – O, mein süßer Papa!«

Kay legte den Finger auf den Mund. »Du sollst noch nichts verraten. Noch weiß Mama nichts.«

Bei diesen Worten wurden des Kindes Mienen wieder ernst. Das Wort Mama, sonst ein Zauberlaut bei jeder Regung des Herzens, bei der Freude und dem Schmerz eines Kindes, erfüllte sie mit Furcht und Zagen. Das herrliche Bild, das ihr Papa vor ihren Augen hatte erscheinen lassen, zerfloß. Sie, sie, ihre Mutter, würde es gewiß nicht erlauben!

Kay wußte, was in Carmelita vorging.

»Mama wird glücklich sein, daß Du diese Freude haben sollst,« erklärte er besänftigend. »Du weißt, Carmelita, daß sie Dich sehr lieb hat, wenn sie auch bisweilen streng sein muß. Du warst oft ungehorsam, trotzig und verstockt und verdientest Rüge und Strafe.«

Kay erwartete, daß sie ihm durch einen Blick oder eine Bewegung beipflichten werde, aber Carmelitas Mienen blieben stumm und mit einem leeren Ausdruck im Auge begegnete sie seinem Zureden. Seit dem letzten Vorgange haßte das Kind seine Mutter nicht mehr instinktiv, sondern mit vollem Bewußtsein.


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