Hermann Heiberg
Menschen untereinander
Hermann Heiberg

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Zwölftes Kapitel.

Schliebens waren aus Italien zurückgekehrt. Bereits am Tage ihrer Ankunft empfing Kay von Mercedes einen Brief nachfolgenden Inhalts:

»Mein lieber Kay!

Ich muß mich gleich hinsetzen und Dir schreiben, ja gleich! Ein Bote soll Dir diese Zeilen bringen. Ich kann es nicht erwarten, daß Du es hörst, wie unbeschreiblich ich mich über alles gefreut habe. Du lieber, lieber, guter Mensch! Sieh, die Tinte hat sich verwischt, es fielen zu viele Tränen der Freude und Rührung aufs Papier.

Nachdem wir die gemeinsamen Wohnzimmer in Augenschein genommen hatten, und hier bereits so viele Herrlichkeiten vor mir aufgetaucht waren, ging ich über den Korridor auch in meine Gemächer Das Mädchen zeigte mir den Weg. »Gott segne Deinen Eingang!« stand über der Thür.

Und als ich nun öffnete und alles das sah, was Deine sorgende Hand mir aufgebaut hatte – die Tapete mit den zarten Farben, die geblümten Vorhänge und Teppiche, die Bilder und Nippes, alles in dem einheitlichen Rokokostil, den ich so überaus liebe – da wäre ich am liebsten gleich von Schleswig nach Dronninghof geflogen, um Dir um den Hals zu fallen.

Ich schreibe wie ein Kind, Kay! Aber mir ist auch zu Mute, als wäre mir ein Weihnachtbaum angezündet, und ich stände wie in meinen Kinderjahren sprachlos davor.

Immer von neuem gehe ich umher und betrachte mir jegliches. Kaum ein Ludwig hätte in seinen Königgemächern etwas so Schönes herbeizaubern können. Selbst die Spiegel und Toilettenmöbel tragen denselben Stoff mit den graziösen, kleinen Blumen und Bouquets. Und gerade, ich wiederhole es, meinen geheimen, größten Wunsch hast Du erfüllt. Ich finde nichts so anmutig wie die Formen und Farben der Pompadurperiode! Um mich gar zu überraschen, tickt auch eine geschweifte Uhr auf meinem Schreibtisch. Nichts vergaßest Du. Du Lieber, Lieber!

Wie hast Du das alles herbeigeschafft? Und welche Mühen, welche Kosten hast Du Dir gemacht! Habe ich so viel Güte verdient? Nein! Aber Dir gegenüber giebt es ja immer nur Dank. Du bist aus anderem Holz geschnitten als andere. Der Schöpfer wollte einmal etwas Besonderes schaffen, als er Dir das Leben gab.

Weißt Du, daß ich Dich schon etwas unhöflich finden wollte, Dir grollte, zürnte, – daß ich schmollte und traurig war, daß Du nach unserem Empfange so schnell Dich entferntest, nicht mit ins Haus treten wolltest, – meine, unsere Bitte fast schroff ablehntest?

Nun ist alles erklärt! Dem Dank wolltest Du dich entziehen. In Deinem Zartgefühl war es Dir peinlich, Dich zum Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit zu machen. Du wolltest uns die Beschämung ersparen.

Ich möchte noch viele Bogen vollschreiben, aber ich muß aufhören. Die Reise hat mich doch sehr angegriffen. Für heute – Lebewohl! Aber morgen zu Tisch bin ich bei Euch. Du schickst uns den Wagen mit Friedrich Theißen?

Ach Kay! Ich freue mich über jede Beschreibung, Dronninghof wieder zu sehen. Was sagst Du zu Carmelita? Sieht sie nicht aus wie eine Cypresse im Abendsonnenstrahl?

Ich umarme Dich und Julia und bin Deine dankbare und Dich zärtlich liebende

Cedes.«

Mercedes hatte Recht. Carmelita war groß und schlank und noch schöner geworden. Ihre Augen hatten an Glanz und Kraft gewonnen, und unter den schwarzen Haarwellen erschien der edel geformte Kopf mit dem lieblichen, blassen Gesicht wie ein Raphael-Kopf. Und wenn sie auch ihre Lebhaftigkeit nicht verloren hatte, so waren doch ihre Bewegungen ruhiger geworden, und namentlich das allzu ungestüme, lediglich von den Eindrücken des Augenblicks beherrschte Wesen hatte sie abgestreift.

Ihren Vater und ihre Geschwister umarmte sie voll Zärtlichkeit und ihrer Mutter begegnete sie, wenn auch ohne Wärme, doch mit kindlicher Ehrerbietung. Mercedes' Mahnungen, Kays Briefe, die Zuschriften Clementina-Julias waren offenbar nicht ohne Wirkung geblieben. Diesmal setzte Clementina-Julia ihren Wünschen auch keinen Widerspruch entgegen. Carmelita lief sogleich in den Park, auf den Hof, in den Stall, in die Scheunen, zu den Gutsangehörigen und zu ihrer Freundin Anna.

Und überall wurde sie mit den Ausdrücken lebhaftester Freude empfangen. Charlotte hatte ihr Gemach mit Blumen bekränzt, und Bomstorff eine mit blauseidenen Bändern umwickelte Bonbonnière in ihr Zimmer stellen lassen. Seine Behausung in Augenschein zu nehmen, verlangte Carmelita insbesondere.

Als sie am Nachmittag auf den Turm zuschritt, ihn umging, und durch ein im Anbau geöffnetes Fenster in die Wohnung spähte, sah sie Bomstorff unbeweglich wie eine Statue mitten im Zimmer stehen und zerstreuten Blickes in die Natur starren.

Noch hatte sie ihn nicht gesprochen, am Morgen der Ankunft war er – in taktvoller Zurückhaltung – nicht erschienen.

Früher würde sie ohne weiteres ihm zugerufen haben: »Herr von Bomstorff? Sehen Sie mich denn gar nicht?« Aber heute beherrschte sie ein Gefühl der Scheu. Sie wagte nicht, ihn anzurufen, sie zauderte, ohne zu wissen weshalb. Die ersten Keime jungfräulicher Zurückhaltung regten sich in ihrer Seele. Bomstorff sah auch so ganz anders aus als früher. Er trug einen kurzen, schwarzseidenen Hausrock. Auf dem Kopfe saß ein roter Fez und über dem langherabwallenden Bart, der jetzt fast auf die Brust fiel, zerteilten sich langsam Rauchwolken, die er aus einer türkischen Pfeife hervorholte. Sein zerstreutes Sinnen hatte einen ernsten Grund. Gerade in den letzten Tagen war die Sehnsucht nach dem früheren ungebundenen Leben wieder in ihm erwacht.

Der heimliche Zauber, den das Wirtshaus stets auf ihn ausgeübt, drang oft in einsamen Stunden auf ihn ein. Heute hatte sich ein Gefühl der Verlassenheit und Öde seiner bemächtigt, dessen er nicht Herr zu werden vermochte. Wie lang war ein Tag, wie lang der Abend – und wenn ihn die Schmerzen am Schlafen hinderten, wie lang die Nacht! Ein brennendes Verlangen nach Menschen, nach einer Zuhörerschaft, nach sorglosem Schwatzen und Lachen, nach Bewunderung, nach blitzenden Flaschen, nach Zechen, Gewühl und Leben durchzog ihn, und seine Vorstellungen ließen all das in noch anziehenderen Farben erscheinen. Solche Empfindungen der Leere und Vereinsamung waren ihm oft in der Einförmigkeit seines neuen Daseins gekommen; bisweilen, wie im verflossenen Winter, hatte ihn sogar ein nicht zu bannender Lebensüberdruß ergriffen. Und doch war er mit ganzer Willenskraft solcher Stimmungen Herr geworden. Er hatte sein Wort einem Manne gegeben, dem er alles, sogar die Wiederherstellung seines guten Namens verdankte.

Die Einwohner in Schleswig sahen voll Erstaunen die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Zwar seine Art war dieselbe geblieben; er sprach auch jetzt pathetisch, citierte Shakespeare. gab sich theatralisch, zeitweilig cynisch, war häufig voll Ruhmredigkeit, aber er kleidete sich wie andere, saß nicht mehr in langen Nächten mit zweifelhaften Personen in den Kneipen und zahlte, was er bestellte.

Endlich wandte der Träumende das Auge, und nun blitzte es in seinem Gesicht auf. Hinter dem Wasser stand ein schmuckes Kind mit dunklem Haar, dessen Gestalt sich in der ruhigen Fläche widerspiegelte.

Es sah fremdartig aus. Auf dem Haupte saß ein hochköpfiger Tyrolerhut, der mit einem roten, breiten, mit Troddeln verzierten Bande umwunden war.

Die Augen des Kindes waren starr, wie verzaubert auf ihn gerichtet, und erst als Bomstorff ans Fenster trat, kam Bewegung in die Erscheinung.

»Sind Sie es, Komtesse Carmen? Ah! Willkommen in Dronninghof! Alle guten Waldgeister mögen Sie beschützen!« rief Bomstorff.

Zugleich streckte er mit lebhafter Gebärde die Hand aus, und sie schritt langsam und behutsam über den verwilderten Platz ihm entgegen.

Ihr Fuß versank in dem Grase und dem wuchernden Unkraut, das in diesem einsamen, einem vergessenen Klosterhofe gleichenden Winkel wild emporschoß.

»Wollen Sie nicht näher treten und meine Wohnung in Augenschein nehmen, Komtesse?«

»Ja, ich möchte wohl« –

»Ich bitte. Meine Thür steht offen. Vor allem »Du« sollst mir willkommen sein.« Bomstorff lachte bei seinem Citat und trat zurück.

Carmelita lief nun eilfertig um den Turm herum und betrat mit weitaufgesperrten Augen die Wohnung.

»Ich habe Ihnen noch nicht für das Konfekt gedankt,« sagte, sie, als er bewillkommend ihre Hände ergriff.

»Hat's Ihnen geschmeckt?«

»Ja, es war sehr schön. – – Bitte, sagen Sie Du, wie früher.«

»Nein, meine kleine, schlanke Nymphe mit den schwarzen Flügeln. Das würden mir die Überirdischen selbst verargen.«

Carmelita guckte Bomstorff groß an. »Wollen Sie nicht? Bitte!« wiederholte sie.

Bomstorff legte die Hand auf den Scheitel des Kindes und schaute es mit zärtlichen Blicken an.

»Die prächtigen, guten Augen des Vaters hat sie – Mein Kind, mein liebes Kind –!« murmelte er, und Carmelita senkte verwirrt den Kopf.

»Sie sprechen wohl jetzt fertig italienisch, Komtesse?« fuhr er, wieder in einen leichten Gesprächston übergehend, fort.

Carmelita verneinte stumm.

»Es ist die schönste Sprache des Erdenrundes!« Und Bomstorff reckte sich empor und sang mit tiefer, vibrierender Stimme ein Lied in toskanischem Dialekt, das von Wein und Liebe handelte.

»Verstehen Sie?«

»Nein! Aber es ist hübsch, sehr hübsch. Bitte, waren Sie auch einmal in Italien?«

»Ja, meine kleine, zierliche Dame. Und das war eine golddurchwirkte Zeit. Rosen und Granatblüten dufteten. Ich verlebte Tage, bei deren Andenken mir das Herz schwillt. Nun? Und was machen Ihre Großeltern und Komtesse Cedes?«

»Tante geht es sehr gut, auch meinen Großeltern.«

»Sie haben sich wohl gefreut, zurückzukehren, Ihren Papa und Ihre Mama wiederzusehen?«

Carmelita bestätigte durch eine Bewegung des Kopfes.

»Ah! Ihr Papa ist ein Edler! Eine Eiche mit silbernen Blättern. Ich liebe, ich verehre ihn! Gewiß haben Sie ihn auch sehr lieb?«

Carmelita nickte lebhaft.

»Und ihre Mama ebenso?«

»Ist das ein Tigerfell?« fragte Carmelita, die letzte Frage in deutlicher Weise übergehend.

»Nein, ein Pantherfell.«

»Haben Sie das Tier selbst geschossen?«

Bomstorff gab eine Antwort, die seiner hochtrabenden Art entsprach, aber Carmelitas Begriffsvermögen fast überstieg. Sie hörte auch nur halb zu und ging, jetzt schon unbefangener, umher und betrachtete sich die Einrichtung der Zimmer.

Sie trat an den Vogelbauer und freute sich an dem Zwitschern und dem Hin und Her der Tiere auf den Gitterstäben, beschaute die Blumen und Bücher und warf auch neugierige Blicke ins Schlafgemach mit dem großen Himmelbett.

»O, es ist schön! Hier möchte ich auch wohnen!« sagte sie mit ihren großen, begeisterten Augen.

»Ich hoffe, Sie besuchen mich recht oft,« lachte Bomstorff befriedigt.

»Ja, wenn ich darf – wenn Papa und –« Sie stockte.

»Nun? Er wird es gern erlauben.«

Über Carmelitas Angesicht flog ein Schatten. Sie gedachte ihrer Mutter. Bei allem Außergewöhnlichen trat sie in ihre Gedanken.


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