Hermann Heiberg
Menschen untereinander
Hermann Heiberg

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Fünfzehntes Kapitel.

»Sagt Kay und Carmelita, daß ich ihrer gedacht hätte in meiner Todesstunde! – Kay – Kay – –«

Mit diesen Worten und mit einem letzten leisen Todesschrei, in dem derselbe Name noch einmal verklungen, war Mercedes verschieden.

Als Kay am nächsten Tage das Haus betrat, war Clementina-Julias Schwester bereits tot.

Man sagt, ein Mensch könne bei lebendigem Leibe sterben! Kay glich fast einem solchen, als er an dem Bett der Entschlafenen saß, und er blieb so verdüstert Wochen, Monate und wurde alt und grau in seinem Schmerze.

Und auch über Carmelita kam's, als habe sich Sonne in Nacht verwandelt. Ihr Kummer war grenzenlos, und in dem schwarzen Trauerkleide glich sie, wie Bomstorff äußerte, einer dunklen Fichte im Mondenschein. Fast ein halbes Jahr verging, ehe das Kind wieder lachte oder auch nur lächelte.

Sie wanderte allein oder mit ihrem Vater und Bomstorff durch den Wald und ins Unterholz, hörte, was man ihr sagte, aber gab kurze Antworten und war gänzlich verändert.

Ein trauriger Sommer, ein trüber Herbst! Nun kam der Winter wieder, der Winter mit seiner Kälte, mit seinem mitleidlosen Antlitz. – Alles war verdorrt. Einige Male reckte sich Bomstorff in seinem Turmzimmer in die Höhe und stieß lange, tiefe Seufzer der Bedrückung aus. Der alte Lebensüberdruß hatte ihn erfaßt, und wenn nicht Carmelita täglich um ihn gewesen wäre, würde ihn vielleicht in diesem dumpfen Trauerleben der alte cynische Leichtsinn doch noch einmal erfaßt haben.

Und der Mann begann Clementina-Julia zu hassen, wie sie ihn. Neben dem Munde der Frau bildeten sich tiefe Einschnitte, die Hochmut, Gier und Gefühllosigkeit eingruben.

Sie hatte befreit aufgeatmet, als ihre Schwester gestorben war. Einer ihrer seit Jahren gehegten, heißen Wünsche war nun erfüllt. Mercedes war tot! Aber noch eine lebte, und jeder Tag schien Clementina-Julia ein Tag der Qual, so lange diese noch auf der Welt war!

Wenn sie auch in den Stunden finstern Grübelns noch zuweilen bei dem Gedanken gezittert hatte, das Äußerste zu wagen, so konnte sie jetzt schon den Augenblick nicht erwarten, ihren furchtbaren Plan auszuführen. Und er schien nun wirklich gekommen zu sein!

An einem finsteren, stürmenden Wintertage, der alle hoffnungsvollen Gedanken und jedes frohe Lebensgefühl verscheuchte, trat Kay in seines Verwandten Behausung und sagte ohne Übergang:

»Hört, Vetter! Ich habe eine Idee. Wir wollen zusammen auf Reisen gehen, nach Berlin, Wien, Madrid, Paris und London. Wer weiß, wohin! Ich fühle, daß uns beiden ein frisches Schütteln notwendig ist. Meine Melancholie wird zur Krankheit; die Luft der Einförmigkeit in Dronninghof preßt mir den Atem ab. – Was meint Ihr zu meinem Plan? Mögt Ihr Euch anschließen? Erlaubt's Euer Leiden?«

»Wenn Dich ein Glied ärgert, so reiße es aus!« lachte Bomstorff, zunächst der letzten Frage Antwort erteilend. »Ja! Hol' der Teufel das Grübeln über Pflicht und weise Beschränkung! Ein gelegeneres Anerbieten konntet Ihr mir nicht machen, Vetter! Mir ist, als kröchen Mäuse in meinem Gehirn, und Essen und Trinken und Trinken und Essen, und nichts fürs lebendige Auge und den hungernden Drang nach Abwechselung haben, tötet selbst einen vom Schicksal auf tausend Lebensjahre patentierten Kakadu! – Wir hausen hier zwar gut, Vetter, aber ›Vollblut hat leer Gehirn; zu leckerer Topf macht reich die Rippen, aber arm den Kopf –‹ sagt unser Gevatter William Shakespeare. Ja, mein teurer Freund ich bin dabei – mit ganzem Herzen und tausend Dank. Ehrlich gesprochen, hättet Ihr nicht diesen mit Gold ziselierten Einfall gehabt, es wäre an der Zeit gewesen, mich auf Abbruch zu verkaufen! Der ganze Kerl –« und Bomstorff polterte, faunisch lachend, durch das Zimmer – »war schon weniger wert, als die Locke einer Dirne.«

»Und wie ist's mit der Gräfin? Geht sie mit? Und unsere Comtessa mit den zweiunddreißig weißen Perlen, die vor Vergnügen lachen, unter zwei solchen Augensternen ihren Wohnsitz zu haben?«

Kay stieß mit der Kehle an, als ob er etwas dadurch in seinem Innern lösen wolle.

»Nein! Nichts ist's mit der Gräfin! Wir gehen allein! Und Carmelita? Ja, das ist das einzige, worüber ich noch sinne. Ich wäre schon früher abgereist, wenn ich eine sichere Schublade für dies mein Juwel gewußt hätte. Ich denke, ich nehme sie mit und gebe sie in eine Pension, so lange wir unterwegs sind. Bis Frühjahrs Kommen, meine ich, wollen wir uns auf den Weg machen und zunächst nach Spanien reisen!«

»Vortrefflich! Vortrefflich!« rief Bomstorff. »Und ich spüre keine Vorwürfe, wenn ich mich ganz auf Eure Tasche lege, Vetter! – Hört, was Timon von Athen sagt, ich las es just heute: ›O, Ihr Götter! denk ich, was brauchten wir irgend der Freunde, wenn wir ihrer niemals bedürften? Wir wären ja die unnützesten Geschöpfe auf der Welt, wenn wir sie nicht brauchten, und sie glichen lieblichen Instrumenten, die in ihren Kästen an der Wand hängen und ihre Töne für sich behalten. Wahrhaftig, ich habe oft gewünscht, noch ärmer zu sein, um Euch näher zu stehen. Wir sind dazu geboren, wohlthätig zu sein, und was können wir wohl mit besserem Anspruch unser eigen nennen, als den Reichtum unserer Freunde? O, welch ein köstlicher Gedanke ist es, daß so viele, Brüdern gleich, einer über des andern Vermögen gebieten?‹«

Kay lachte, nahm Bomstorffs Anerbieten an, einen Cognae, einen Tropfen »Süßvergessen« zu trinken, verständigte ihn über den Tag der Abfahrt, lud ihn für den Abend zu einer kleinen Gesellschaft ein und empfahl sich.

*           *
*

Clementina-Julia wußte im allgemeinen von Kays Plänen, und sie kamen ihr äußerst gelegen, aber das Günstige, was sich für sie aus ihnen ergeben konnte, schien nun doch ihren Händen entschlüpfen zu wollen.

Beim Souper war mehrfach von der bevorstehenden Reise die Rede, und als einer der Gäste laut über den Tisch hinüber mit Kay eine Unterhaltung anknüpfte, die Absicht seiner längeren Abwesenheit berührte und der Zurückbleibenden gedachte, erwiderte er zu Clementina-Julias Überraschung:

»Ich werde meine Tochter Carmelita mitnehmen, da ich sie in eine Berliner Pension geben will. Sie soll dort für Musik und Malerei, aber auch für den Haushalt ausgebildet werden. Meine Frau mit den Jüngern werden mir, wie ich hoffe, entgegenreisen, sobald die Jahreszeit im nächsten Jahre es gestattet.«

Wie ein Blitz traf Clementina-Julia diese Erwiderung mit ihrem unerwarteten Inhalt. Carmelita wollte er mitnehmen, während sie sicher angenommen hatte, er werde sie zurücklassen oder zu den Schwiegereltern geben! Alles hatte sich schon in den Gedanken der Frau gestaltet:

Sobald Kay in Madrid angelangt sein würde, wollte sie ihm telegraphisch melden, daß Carmelita bedenklich erkrankt sei, und bereits am folgenden Tage ergänzen, daß der Tod sie unerwartet rasch fortgerafft habe. So eilig konnte Kay nicht zurückkehren, daß die Leiche noch über der Erde stand, und lag sie erst einmal im Sarge, war alles gut, und Fragen nach Krankheit und Verlauf hatten nur die Bedeutung, daß irgend eine Antwort gegeben werden mußte. Freilich, eins beschäftigte Clementina-Julia noch. Mußte sie nicht den Arzt zu Rate ziehen? Nein! Einem scheinbar leichten Unwohlsein konnte die Krisis so unerwartet schnell gefolgt sein, daß keine Zeit zu einem Rufe nach ihm geblieben war. Aber möglicherweise mußte sie den Doktor vor der Beerdigung der Toten noch einmal an das Sterbebett führen! Und wenn es nicht geschah, was dann? Würde die Unterlassung nicht auffallen? Vielleicht! Denkbar! Sicher! Aber kluger Umsicht bedurfte die That überhaupt, und der Augenblick der Not schuf meist den besten Entschluß. Und das war nun alles hinfällig! Der Trank, den Clementina-Julia schon in ihren Gedanken gemischt hatte, und der so rasch dahinraffte, wie ihre Wünsche ungeduldig waren, war jetzt, wie schon einmal früher, blos einer Katze Tod! Nur mit gewaltiger Mühe gelang es der Frau, ihre äußere Fassung zu bewahren.

Seit über Jahresfrist fraß, wie eine schleichende Krankheit, der Gedanke in Clementina-Julias Seele, auf welche Weise sie Carmelita beseitigen könne. Als jetzt die günstige Gelegenheit mit der Unmöglichkeit so rasch wechselte, gesellte sich zu der Krankheit ein tobendes Fieber, das ihr Kraft und Atem nahm. Alles brannte in ihr nach Befreiung. Und die Befreiung – die Heilung – war die That – oder der Verzicht! – Verzicht –? Verzicht –?

Während Clementina-Julia auf die Reden ihres Tischnachbars hörte, der den zarten Rehrücken und den vortrefflichen alten Rotwein rühmte, flogen durch ihr Gehirn die Worte: »That oder Verzicht?«

Einmal kam ihr der Gedanke »Verzicht« als die einzige wirkliche Befreiung vor. Sie erinnerte sich der Vergehen, bei denen doch endlich der Urheber des Verbrechens entdeckt worden war. Sie überlegte die Folgen: die Seelenqualen, die Reue, die Verhöre, die Strafen. – Ihr schauderte! – Aber das waren doch nur flüchtige Aufblitze der Furcht! Verstand, Vernunft hatten keine Sprache mehr.

Ein Todeshungriger überlegt nicht, ob die Speise ihn töten kann. Er will, er muß seine Gier befriedigen! Der Verdurstende bückt sich in den schmutzigsten Sumpf und trinkt den Schlamm, der vielleicht tausend Todeskeime in sich birgt. Der Sinnliche will den Gegenstand seiner ruhelosen und heißen Phantasie! Er kann nicht anders! Es sei denn, daß ihn im letzten Augenblick ein Gott mit tränenden Augen – seine bessere Natur – am Arme fasse!

Und nichts anderes als Hunger und Durst und Leidenschaft war der unbefriedigte Haß in Clementina-Julia. Sie schrie wie ein vom Hungerfieber gequältes Tier nach ihrem Opfer und überlegte nicht mehr die Folgen.

Als nach Tisch musiziert ward, als auch Clementina-Julia sich in dem von strahlendem Kerzenlicht erfüllten und von dem Hauch vornehmer Wohnlichkeit durchzogenen Balkongemach, scheinbar aufmerksam lauschend, in ihrem Sessel zurücklehnte, aber nichts hörte, nur mit sich beschäftigt, das entsetzlich quälende Gefühl der Unbefriedigung abzustoßen suchte, drangen noch einmal mahnende Stimmen auf sie ein und redeten eine dringliche Sprache: »Es geht nicht! Es ist umsonst! Reiße den Entschluß aus Deinem Innern!«

Unter den einschmeichelnden Klängen der Musik, der sie nicht bewußt folgte, die aber doch ihr Ohr in sich aufnahm, wurden ihre Gemütsregungen sanfter. Für Sekunden gewann ihre bessere Natur, gewann ihre Vernunft noch einmal die Oberhand. Aber da trat zum Unglück Carmelita mit ihrer anmutsvollen Erscheinung in den Salon und folgte einer Aufforderung Kays und der Gäste, etwas vorzutragen.

Sie setzte sich alsbald an das Klavier, spielte und sang. Die Blicke der Frau flogen über die Gestalt des Kindes. Wie reizend waren die Linien ihres Körpers, wie edelgeformt das Hinterhaupt und die zarten Schultern. Und wie bestrickend waren die Laute, die aus ihrer unschuldigen Kehle drangen; sie schien nicht zu singen, sondern singend zu sprechen. Als sie geendet hatte und sich den Gästen wieder zuwandte, flammten noch sanfte Feuer der Begeisterung in ihren Augen, und färbten noch Fluten der Erregung ihre dunklen Wangen. Und da fand die Frau Kays Tochter so über alle Beschreibung schön und so hassenswert zugleich, daß sie am liebsten aufgesprungen wäre und sie erwürgt hätte.

Und die Leidenschaft faßte abermals feste, nun aber auch unausreißbare Wurzeln, und sie gebar auch einen Plan. Es gab noch einen Ausweg! Clementina-Julia atmete auf. Ja, so sollte es sein!

Bevor sich Carmelita aus der Gesellschaft entfernte, trat Clementina-Julia mit gütiger Miene auf sie zu und redete mit ihr über die Reise.

»Papa hat seinen Entschluß so rasch gefaßt, daß wir nun noch gar nicht mit der Toilette in Ordnung sind« – hub sie an. »Seine Absicht, das alles fertig in Hamburg zu kaufen, ist kaum ausführbar und wird jedenfalls auch Aufenthalt verlangen. Ich habe gedacht, liebes Kind, wir lassen die Herren voraus reisen und machen uns noch acht Tage tüchtig an die Arbeit. Ich würde Dich dann vielleicht selbst nach Hamburg oder Berlin begleiten. Was meinst Du, Carmelita?«

Das Kind mit seinem arglosen Gemüt und seinem liebebedürftigen Herzen ward durch den ungewöhnlich freundlichen Ton der Rede aufs angenehmste berührt. Er bewirkte, daß sie ihrer Mutter lebhaft und ohne Mißtrauen zustimmte.

»Gewiß, wenn Du meinst, Mama! Ganz wie Du wünschest –« gab sie zur Antwort.

»Gut! Dann sprich auch Du mit Papa und stelle ihm das als wünschenswert vor! Bei seiner entschiedenen Art müssen wir uns schon verbinden –« schloß sie lächelnd und strich mit der Hand über Carmelitas Haupt, als dränge ihr Herz nach einem Ausdruck der Zärtlichkeit.

Zufällig stand Bomstorff neben Kay, als Carmelita, den Anwesenden Gute Nacht bietend, auch an ihren Vater herantrat. Er beugte sich, wie immer liebevoll zu ihr herab, und Bomstorff, von ihrer Schönheit hingerissen, murmelte vor sich hin: »Der Glanz der Engel konnte nicht erlöschen, ob auch der glänzendste von ihnen fiel. Ob alles Böse sich in Schönheit hüllte, die Schönheit würde drum nicht häßlich sein. –«

Carmelita aber brachte ihre und ihrer Mutter Wünsche zur Sprache und redete eifrig auf ihren Vater ein.

»Hm!« machte Kay. »Ich sollte nur meinen, daß das, was Du für die Reise brauchst, nicht eben viel sein kann und auch vorhanden ist. Ich habe daran gedacht, Dir lieber in Berlin – wir gehen über Berlin, um Dir dort Dein Nest zu machen, – einige Toiletten anzuschaffen, wir werden dort größere Auswahl haben –«

Aber Carmelita, in dem ehrlichen Bestreben, ihrer Mutter Wünsche zu erfüllen, redete ihm zu, hob den Preisunterschied hervor und schlug ihn endlich mit dem Hinweis, daß er stets betont habe, er halte sich verpflichtet, seine Einkäufe – wenn immer möglich – in seiner Heimat zu machen.

Kay sah in die guten, schönen Augen seines Kindes. Wie leicht war ihr Herz zu rühren, – wie empfänglich war sie für Liebe! Er konnte ihr auch in diesem Augenblick nichts abschlagen. Was immer sie gefordert hätte, er würde es ihr gewährt haben! Sie aber sah an seinem Blick, daß sie ihn bezwungen hatte, und wandte sich mit neckischer Rede und Handkuß von ihm. Auch Bomstorff bot sie die Rechte zum Abschied.

»Gute Nacht, schöner Schwan mit dem schwarzen Gefieder –« stieß Bomstorff trotz Kays wiederholt ausgesprochener Bitte, ihr keine Artigkeiten zu sagen, heraus. – »Mögen die Götter des Traumes und Schlafes die ganze Welt vergessen, aber Ihnen diese Nacht einen Einblick in ihre herrlichsten Himmel eröffnen.«

»Nein! Nein!« erwiderte Carmelita, und etwas von Cedes' schelmischem Wesen begleitete ihre Worte: »So soll's nicht sein! Ich will mich aber nachher durch den Wald an Ihr Hinterfenster schleichen und so lange Wiegenlieder singen, bis der kleine Hugo eingeschlafen ist.«

Sie kicherte vergnügt, nickte und verschwand. »Bitte Gevatter!« warf Bomstorff in einem ernsten Tone hin, nachdem sich Carmelita entfernt hatte: »Habe ich recht gehört? Wird uns die Komtesse nicht begleiten?«

Kay verneinte, und in Bomstorffs Mienen trat ein zerstreuter Ausdruck. In diesem Augenblick entstand eine Bewegung unter den Gästen, sie rüsteten sich zum Gehen. Kay ward dadurch veranlaßt, von Bomstorff zurück zu treten, und rief ihm lachend und im eiligen Fortgehen zu:

»Natürlich, Sie können es nicht erwarten, daß mein Töchterchen mit uns durch die Welt fährt. Es wird am Ende sicherer sein, ich lasse sie überhaupt hier! Die Sache wird gefährlich! –«

Nun entschwand er Bomstorffs Blicken, und jener wandte sich dem Ausgange zu. –

Als Kay am Morgen der Abreise bereits zum Einsteigen an den Wagen getreten war, kam Clas atemlos herbeigeeilt. »Der Herr Baron lassen sagen: Herr Graf möchten verzeihen, aber er hätte plötzlich so starke Schmerzen, daß er sich nicht bewegen könnte. Er bittet aber, die Reise nicht zu verschieben. Herr Baron würde möglichst schon morgen nachkommen.«

»Ah!« stieß Kay ungeduldig heraus. »Und welch schlechte Aussichten für die Reise überhaupt! –« verklangs unmutig zwischen seinen Lippen.

Aber seiner entschiedenen Art entsprechend, änderte er seinen Entschluß nicht, ließ nur Bomstorff sein Bedauern ausdrücken, übergab Clas die Adresse des Hamburger Hotels, in dem er absteigen wollte, und wies ihn an, solche dem Baron einzuhändigen.

»Adieu! Adieu! Lebt wohl! Mach's gut, Clementina-Julia! Adieu, Ihr lieben Kinder!« Jetzt schwang der Kutscher die Peitsche, und der Wagen flog davon.

In der dem Gesellschaftsabende folgenden Nacht war Clementina-Julia Bomstorff im Traum erschienen. Was er am Abend gesehen, was ihn wachend beschäftigt, war mit beängstigenden Traumbildern im Schlaf auf ihn eingedrungen.

Während Kay beim Schluß des Festes mit Carmelita gesprochen, hatte Bomstorff Clementina-Julias lauernde Blicke aufgefangen, und diese Blicke riefen plötzlich eine Unruhe in ihm hervor, der er nicht Herr zu werden vermochte. Ohnehin nicht arglos, ward er geradezu erschreckt durch den teuflisch-boshaften Ausdruck in dem Gesicht der Frau.

Kays sorglose Mienen hatten vorübergehend seine Besorgnisse wieder verscheucht. Aber als er am nächsten Morgen erwacht war, hatten die ihn vor dem Einschlafen abermals bestürmenden Gedanken eine festere Gestalt angenommen, und so mächtig hafteten die Eindrücke des Erlebten und des Traumes, daß er sich unwiderstehlich gedrängt fühlte, die Reise wenigstens für diesen Tag noch zu verschieben. Mochte kommen, was da wollte, er ging nicht! Er fühlte die Pflicht, über Carmelita zu wachen und sie sicher in die Arme ihres Vaters zu führen.

Er blieb auch an diesem Tage in seinem Zimmer und ließ nur Carmelita zu sich herein, die in der Abenddämmerung an seine Thür pochte um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Sie schien noch etwas auf dem Herzen zu haben, was sie ihm mitteilen wollte.

»Der Traumgott hat Ihre Wünsche nicht erfüllt –« hub sie, nachdem einige gleichgültige Dinge berührt waren, an. – »Ich schlief so unruhig – Meine Mutter« –

»Ihre Mama –? Was? Was, Komtesse –?« fuhr Bomstorff, ganz von seinen Vorstellungen beherrscht, auf. Er sah die angstvollen Mienen, welche die Worte »Meine Mutter« begleiteten, und konnte nicht erwarten, Näheres zu hören.

Carmelita sah die forschenden Augen des Mannes auf sich gerichtet, und eine bisher versteckte, grenzenlose Unruhe quoll von neuem in ihr auf.

»Sie fragen mich so eindringlich. Sie erschrecken mich!« stieß sie mit zitternden Augen heraus.

»Ja, ja, meine holde, schwarze Taube, vergeben Sie mir! Aber reden Sie, erzählen Sie. Ihre Mutter, sagen Sie –?«

»Ja, meine Mutter war im Traum, oder in Wirklichkeit an meinem Bette, und sie bückte sich über mich, packte meine Kehle und rief: Du mußt sterben! –«

»Genug, genug! Halten Sie ein, Komtesse!« rief Bomstorff, schritt stürmisch auf und ab und griff sich an die Brust.

»Und bitte! Setzen Sie sich gütigst, Komtesse, und hören Sie mich an!« fuhr er, sich fassend und seine Worte genau wägend, fort, nachdem er dann wieder Carmelita durch Blicke zu besänftigen gewußt hatte. »Mich befiel gestern bereits eine große Sorge, als ich hörte, daß Sie hierbleiben sollten. In der Nacht träumte mir – seien Sie ruhig und glauben Sie, daß es gut war für uns beide, – für Sie, meine ich – Ähnliches, wie das, was Sie mir erzählen, und deshalb schützte ich Schmerzen in meinem Bein vor und blieb. Doch nicht eben aus Mißtrauen gegen Ihre Mama, sondern ans irgend einem, mir selbst unerklärlichen Zwange. Nun kommen Sie aber und berichten mir dieselben grausigen Dinge. – Es ist mir seltsam, daß ich mit Ihnen dergleichen besprechen muß, und alles, meine teure Komtesse, wird nur eine thörichte Vorstellung sein, – indes, – indes –«

Bomstorff hielt inne.

»Nun? Herr von Bomstorff« –

»Nichts! Garnichts, liebe Komtesse! Ich möchte Sie nur ersuchen. vorsichtig zu sein, daß Sie sich nicht verletzen, daß Ihnen nichts zustößt. »Achten Sie auf alles, was Sie umgiebt, – ich meine – während dieser Tage – seien Sie sorgsam um Ihre Person. – Ich werde auch mit Ihrer Frau Mama sprechen, daß sie Sie behütet, selbst auf die Gefahr hin, daß sie meine Befürchtung belächeln sollte.«

»Nein,« erwiderte Carmelita mit angstvollem Ausdruck. »Reden Sie nicht mit ihr. Ich beschwöre Sie! – Ihren Rat aber werde ich befolgen.«

Sie sprach nur diese wenigen Worte und schaute dann starr wie eine Abwesende vor sich hin.

Dann aber schossen Tränen aus ihren Augen, eine zitternde Erregung flog durch ihren Körper, und plötzlich fiel sie leichenblaß zurück.

»Ich muß es Ihnen sagen – ja, ja – vielleicht war's nichts – Herr von Bomstorff. Aber ich kam nicht umsonst hierher, und Ihre Ahnung, und was ich heute erlebt habe –«

Sie stockte. Der Schweiß brach hervor aus ihrer Stirn, und nur mühsam vermochte Bomstorff sie aufzurichten.

»Beruhigen Sie sich! Sprechen Sie, teure Komtesse!« drang es sanft aus seiner Brust. Und da sagte Carmelita, schaudernd und in kurzen Sätzen die Worte herauspressend:

»Heute mittag, bei Tisch, wollte Julia zu trinken haben, und ich schenkte ihr ein. Als ich mir selbst auch Wasser ins Glas goß, befahl Mama, ich möchte die Nußknacker, die auf dem Büffet lagen, herbeiholen. Eben waren Charlotte und das Fräulein aus dem Zimmer gegangen. Da hörte ich, daß Kay rief: »O, Zucker bekommt Carmen in ihr Wasser?« Als ich mich umwandte, beugte sich Mama zornig zu ihm herab, und er begann zu weinen. – Julia war gerade aufgestanden, um ein Fruchtmesser zu nehmen. Sie stand an meiner Seite, und als ich nun an den Tisch zurücktrat, ergriff sie mein Wasserglas statt des ihrigen und setzte es an den Mund. Und da sprang Mama empor und schlug ihr über den Tisch das Glas so heftig vom Munde fort, daß es auf die Erde fiel und zerbrach. Und – ich weiß nicht, wie es kam, da fiel mir die furchtbare Nacht ein, und als sie mich dann plötzlich so entsetzlich ansah, – gerade wie im Traum, fiel ich in meiner Angst auf die Knie und rief: »Bitte, bitte! Thu' mir nichts! Thu' mir nichts!« Sie aber schalt mich wegen meiner Albernheiten und sandte uns alle fort. – Nun habe ich – habe ich –«

»Sprechen Sie, Komtesse, – sprechen Sie!« ermunterte Bomstorff mit ruhiger Stimme, obgleich ihm eisige Schauer durch die Seele zogen.

»Nun habe ich gedacht, Mama wollte etwas mit dem Wasser thun, und es wäre etwas darin –«

»Darin? Was, Komtesse?« rief Bomstorff, und die Haare sträubten sich vor Entsetzen auf seinem Haupte empor.

Aber Carmelita war nicht mehr imstande, zu antworten. Plötzlich wurde sie ohnmächtig und fiel in Bomstorffs Arme.

Der Mann war im ersten Augenblick nicht Herr eines klaren Gedankens. Er sah auf die geschlossenen Augen des Kindes, ward aufs furchtbarste beunruhigt durch die jähe Veränderung ihrer Gesichtsfarbe und stellte sich die schlimmsten Folgen vor Augen. Dann aber raffte er sich auf, hob Carmelita sanft empor und trug sie mit seinen Riesenarmen auf den Divan. Hier bettete er sie und begann unverzüglich mit Wiederbelebungsversuchen. Er feuchtete ihr die Stirn und rieb die Handgelenke. Und als das nicht half, sann er auf anderes. Es schien erforderlich, Kleid und Mieder zu lösen, damit die Atmungsfähigkeit erleichtert werde. Aber sein Zartgefühl regte sich, ob ihm solche Dienstleistung zustehe. Er schaute sie an. Da lag vor ihm Kays Tochter in dem ersten Aufknospen der Jugend, liebreizend, hinreißend schön wie eine Psyche.

Sollte er ins Herrenhaus eilen? Dann war er gezwungen, selbst zu gehen, da sein Diener Clas nicht mehr anwesend war. Nein, das ging nicht, er durfte Carmelita nicht so lange allein lassen, und er wußte auch, wenn er Hilfe von dort herbeiholte, wie alles kommen werde. Richtiger und der Sachlage angemessener war's, er handelte selbst, und es galt auch unverzüglich zu handeln!

Er löste vorsichtig des Kindes spitzenbesetztes Kleid und Kragen; er machte ihren Hals und die zarte Brust unter dem Untergewande frei. Er that es mit der sanften Behutsamkeit einer dienenden Schwester, und wie ein zärtlich sorgender Bruder richtete er den Blick auf ihr Angesicht und beobachtete die Wirkung seiner Fürsorge.

Und als er sich dann herabbeugte und spürte, daß der Herzschlag an Kraft gewann, belebten sich seine Züge. Er rieb ihr wiederum Schläfen und Nacken und benetzte auch von neuem ihr Gesicht. Endlich richtete er sie empor und wußte ihr etwas Cognac und Wasser einzuflößen. Und dann gelang's!

Carmelita schlug die Augen auf, blickte verwirrt um sich, – sah sich selbst an, erschrak, legte die Hände in sittsamem Erschrecken auf die Brust und richtete einen ängstlich fragenden Blick auf den Mann, der frohbewegt, aber mit einem Nachhauch von zagender Unsicherheit vor ihr stand.

»Sie wurden ohnmächtig. teure Komtesse,« erklärte er. »Es hat lange gewährt, bevor Sie wieder zu sich kamen. Ich that alles, was mir nützlich schien! Gottlob, – Sie atmen kräftiger. – Soll ich die Fenster öffnen? Wie ist Ihnen –?«

Und als sie nicht gleich antwortete, vielmehr noch immer ängstlich und wie bedroht ihn anblickte, auch dann mit dem tiefen Rot der Scham hastig an ihren Kleidern ordnete, machte er eine ehrerbietig stumme Bewegung und begab sich ins Nebenzimmer.

Nachdem er gegangen war, trat in Carmelitas Angesicht ein Ausdruck, als ob sie etwas ihn Verletzendes gethan habe, und rasch vollendete sie ihre Toilette und rief ihn mit gütiger Stimme zurück.

Auch sah sie ihn mit ihren seelenvollen Augen an. und diese sprachen eine beredte Sprache. Er aber verstand sie, und über sein Angesicht flog es wie Sonnenschein.

Zuletzt war's Carmelita, die zuerst wieder das Wort nahm.

»Ich kann nicht ins Haus zurück –,« erklärte sie. »Unmöglich! Wollen Sie mich – jetzt gleich – zu meinen Großeltern in die Stadt bringen und meinen Papa benachrichtigen. – Ich will zu ihm, ich muß ihn sprechen! –«

Aber schon nach diesen wenigen Worten veränderten sich abermals die Züge ihres Angesichts. Der entschlossene Ausdruck wich einem hilflosen, zaghaften, der sie unbeschreiblich rührend erscheinen ließ. Die furchtbaren seelischen Eindrücke übten von neuem ihre Nachwirkung; sie brach in bittere Tränen aus und sank in einen Stuhl.

»Ach, bleiben Sie bei mir, verlassen Sie mich nicht, Herr von Bomstorff! –« flehte sie. »Ich will zu meinem Vater, – bald – bald. – Mir graut, – ich ängstige mich. – Schon der Gedanke, – vor meine Mutter hinzutreten –« Ein Schütteln flog über ihren Körper, und ein Fieber schien sie zu durchschauern.

»Gewiß, gewiß, liebe Komtesse. Was Sie wünschen, soll geschehen, verlassen Sie sich darauf –« beruhigte Bomstorff. »Und wir wollen gleich handeln. Ich werde sofort einen Wagen beordern.«

»Ja, ich bitte! Lassen Sie anspannen. Ich bleibe hier. Ich schließe ab, während Sie fortgehen.«

»Sehr gut! – Ich eile! Verzug ist schon deshalb zu vermeiden, weil man Sie vermissen wird.«

Carmelita pflichtete lebhaft bei. »Gewiß, – obgleich ich vorgab, zu Behmers gehen zu wollen.«

Bomstorff trat ins Schlafzimmer, um seinen Mantel zu holen. Er griff nach seinem Stock und suchte noch einige Kleinigkeiten, die er mitnehmen wollte.

Carmelita saß da, bleich, aber sich bezwingend, voll Spannung sein Thun verfolgend und der weiteren Dinge harrend.

»Also baldigst bin ich mit dem Wagen hier, Komtesse. Ich werde Auftrag geben, daß Ihre Frau Mama erst nach unserer Abfahrt benachrichtigt wird –« fügte er, bereits an der Thür stehend, hinzu. »Doch halt, wäre es nicht besser, das zu schreiben?« unterbrach er sich und trat nochmals ins Zimmer zurück.

Lautlose Stille trat ein. Nur das Kritzeln der schwerfällig arbeitenden Feder unterbrach das eingetretene Schweigen.

Aber dann wards plötzlich draußen unruhig. Man pochte wiederholt laut, eindringlich, und beide – Bomstorff und das Kind, – fuhren empor.

»Gehen Sie in mein Schlafzimmer, Komtesse –« riet Bomstorff mit leiser, entschiedener Stimme. »Oder nein – bleiben Sie!« – berichtigte er sich in einem ebenso festen Ton und reckte sich empor, wie ein Mensch, der sich gegen die Gefahr gewappnet hat. Alsdann öffnete er mit einem kräftigen »Herein!« selbst die Thür.

In ihrem Rahmen stand, von Konrad begleitet, Clementina-Julia!

»Entschuldigen Sie die späte Störung, Herr von Bomstorff –« hub sie in ihrer kühlen Art, aber in einem deutlich erregten Tone an. »Seit einer Stunde bereits suchen wir Carmelita. Ist sie vielleicht –«

»Ja! Sie ist hier,« erwiderte Bomstorff einfach. »Ich bitte gehorsamst, wollen Sie nicht näher treten, Frau Gräfin.«

»Warten Sie draußen, Konrad!« befahl Clementina-Julia und trat in das Gemach.

Nun schloß sich die Thür. Aber bevor noch weitere Worte gewechselt wurden, stieß sie Bomstorff unter höflicher Entschuldigung gegen Julia wieder auf, rief Konrad heran und erteilte ihm mit raschen Worten einen Auftrag.

Als er zurückkehrte, hörte er, wie Clementina-Julia heftig auf Carmelita einsprach. »Ich bitte, wollen Sie nicht gütigst Platz nehmen, gnädige Gräfin!« unterbrach Bomstorff die Eifernde.

Und zu Carmelita gewendet, die unschlüssig, zitternd dastand: »Gestatten Sie mir, Komtesse, daß ich mit Ihrer Frau Mama einige Worte allein rede? Würden Sie sich freundlichst in das Nebenzimmer zurückziehen? Ich danke Ihnen. –«

Carmelitas Züge erhellten sich, und sie gehorchte mit einem dankbaren Blick auf den Freund.

Aus Clementina-Julias Angesicht aber wichen die Farben und hastig, als ob Zeit Verlust bedeute, stieß sie die Worte aus dem Munde:

»Was ist's, Herr von Bomstorff? Und vor allem eins. Ich begreife nicht, daß man mich in eine solche Unruhe versetzt! Carmelita entfernt sich, ich lasse sie suchen, man findet sie nirgends, auch bei Behmers nicht, wohin sie gehen zu wollen vorgegeben hatte. Nun, nun? Was soll das alles?«

Sie sprach den letzten Satz brüsk wie eine Herrscherin, die ihren Diener vor sich hat. Aber Bomstorff ließ sich nicht beirren. Er blickte ihr unerschrocken ins Angesicht, und als sie geendet hatte, sagte er höflich, aber entschieden jedes Wort durch starke Betonung hervorhebend:

»Eben wegen Ihres begreiflichen Erstaunens, Frau Gräfin, nehme ich mir die Erlaubnis zu der Bitte, einige Augenblicke mit Ihnen allein sprechen zu dürfen. Die Tochter meines Freundes und Wohltäters, des Grafen Kay von Witzdorff, hat sich unter meinen Schutz begeben. Sie wird in wenigen Augenblicken auf ihren Wunsch nach Schleswig zu ihren Großeltern fahren, und morgen erwartet sie den Grafen Kay daselbst, der von Hamburg zurückkehrt.«

Clementina-Julia öffnete den Mund, als wolle sie den Mann, der vor ihr stand, mit den Zähnen zerreißen. Wie bei einem Raubtier blitzten die weißen Reihen, und ein heißer Atem drang aus der arbeitenden Brust.

Nun war also alles dahin! Ihre Ahnung hatte sie nicht betrogen. Carmelita wußte jegliches, und Bomstorff hielt die Vorgänge für so außerordentlich, daß er Kay zurückrief.

»Und Ihre Berechtigung zu solcher Einmischung in die Angelegenheiten meines Hauses?« stieß sie, die Klugheit völlig beiseite setzend, heraus und warf, während sie sich erhob, den Bomstorffschen Erbsessel so ungeschickt beiseite, daß er umschlug und polternd zu Boden fiel. »Ich bitte um eine Erklärung.«

»Gewiß! Da Sie es befehlen, Frau Gräfin. –« erwiderte Bomstorff, schwerfällig sich bückend, mit gleichbleibender Ehrerbietung. »Die Komtesse hat Furcht, in das Herrenhaus zurückzukehren. Sie gab mir auch ihre Gründe an. Furcht, Frau Gräfin, eine so starke Furcht, daß ich sie eben erst aus einer langdauernden Ohnmacht befreit habe. Ich glaube, der Komtesse Wünsche erfüllen zu müssen, weil ich ihre Motive gerechtfertigt finde, und der Richter unserer Handlungsweise – Ihr Richter und der meinige, – wird Graf Kay sein. Verzeihen Sie nach dieser Darlegung, wenn ich, meinem pflichtmäßigen Drange folgend, vielleicht Ihren Wünschen entgegentrete, gnädige Gräfin. – Ah, der Wagen! –« schloß Bomstorff, als Konrad nun eben die Thür öffnete und die Ankunft desselben meldete.

»Nochmals Vergebung, meine Gnädigste! – und – Komtesse! Wollen Sie so liebenswürdig sein? Unser Gespräch ist beendet –«

Und als nun Carmelita mit ihrem ängstlichen Antlitz hervortrat, aber doch mit entschlossener Miene ihre Mutter anblickte, da machte Clementina-Julia zwar noch einen Versuch, ihrer Autorität Geltung zu verschaffen, indem sie ausrief: »Du bleibst, Carmelita! Ich befehle es Dir! Ich wünsche nicht, daß Du dergleichen abenteuerlichen Eingebungen folgst und bei Nacht und Nebel Dronninghof verläßt!«

Aber sie war doch nicht überrascht, als Bomstorff gegen ihr Geheiß bedauernd die Achseln zuckte, Carmelita mit kavaliermäßiger Artigkeit ein Tuch um die Schultern warf, ihr den Arm bot, die Thür öffnete und mit höflich stummer Miene an Clementina-Julia vorüber an den Wagen schritt. –

»Löschen Sie die Lichter, schließen Sie die Thür und geben Sie dem Hofwächter die Schlüssel, Konrad!« befahl er in einem Ton, als sei er der Herr, verbeugte sich nochmals von hier aus mit äußerster Ehrerbietigkeit vor Clementina-Julia, half Carmelita, die rasch, mit befreiter Miene in den Wagen stieg, gab, ihr folgend, das Zeichen zur Abfahrt und flog davon.


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