Ulrich Hegner
Saly's Revolutionstage
Ulrich Hegner

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Wir wandelten fröhlich unsre Straße ohne etwas Böses zu ahnden, und mochten noch etwa eine halbe Stunde von Horgen am See, wo wir übernachten wollten, entfernt seyn, als in einem kleinen Walde, wo es schon anfing dunkel zu werden, ein Fuhrwerk hinter uns hergerollt kam. Zum Glück war Klare eine Strecke voraus, denn, noch ehe ich mich recht umsehen konnte, sprangen zwey Hunde wüthend auf mich los, und indem ich den einen, der an mir aufstand, vom Gesichte wegstieß, fuhr mir der andre nach den Beinen; es gelang mir aber diesen mit meinem Knotenstocke niederzuschlagen, und auf sein scheußliches Geheul zog sich der andre zum Wagen zurück. Der Mezger und sein rother Gesell – wer anders hätte es seyn können als die Bösewichter! – fluchten und hetzten noch immer, allein der Hund hatte den Muth verloren.

255 Klare kam zitternd mit einem kleinen Messer in der Hand herzugelaufen, ich hieß sie zurückbleiben, und sprang mit aufgehobnem Stock an das offene Fuhrwerk hin, fest entschlossen, die Kerle wie ihren Hund zu behandeln; doch die Memmen warteten mich nicht ab, sondern jagten davon. Ich sah mich nach einem Stein um, ihnen an die Köpfe zu werfen, aber der Boden war mit Schnee bedeckt, und der Wagen zu geschwind weit. Sie pfiffen noch eine Zeit lang dem zurückgebliebenen Hunde, allein der hatte das Aufstehen vergessen, der Rückgrath war ihm gebrochen, er winselte erbärmlich.

Meine Freundin, blaß wie der Tod, machte mich auf den blutigen Schnee aufmerksam, und fragte, wo ich verletzt sey? Erst jetzt ward ich meiner Wunde inne; sie blutete stark, das Thier hatte mir den Fuß über dem Knöchel zerfleischt. Ich setzte mich auf einen Baumstamm nieder, um auszuruhen, und mußte zugeben, daß sie mir mit schwesterlicher Hand die Wunde mit Schnee auswusch und mit ihrem Tuche verband.

Wir begaben uns zwar bald wieder auf den Weg, allein je weiter ich ging, desto mehr schmerzte mich die Wunde und schwoll der Fuß auf, so daß ich das Dorf nur mit Mühe und nicht ohne den Beystand der Klare erreichen konnte; wo ich mich sogleich, von Frost und Schmerz überwältigt, auf ein Bett werfen 256 mußte. Klare schickte ohne mein Wissen nach einem Wundarzte, und es traf sich zum Glück, daß dieß einer von den verbrüderten Männern, von welchen ich in Meilen den Auftrag nach Basel erhalten hatte, und ein durch seine Kunst im ganzen Lande wohlbekannter Mann war. Ein Glück nenne ich es, denn als ich ihm die Geschichte erzählte, zeigte es sich, daß der dicke Mezger, dem ich meinen Unfall zu danken hatte, der Schwiegersohn des Wirthes war, bey dem ich mich befand, und also das Ansehen des Wundarzts nöthig sey, um unangenehme Folgen zu verhüthen. Freylich war der Mensch wegen seines besoffenen Charakters jedem rechtlichen Mann, auch seinem Schwiegervater verhaßt, und ich war der beleidigte Theil, nicht er; gleichwohl kömmt in dergleichen Fällen der Unbekannte und Auswärtige, wenn er auch das Recht auf seiner Seite hat, vor Verwandten und Bekannten nicht selten zu kurz.

Nachdem er mich verbunden, und bemerkt hatte, der Biß sey ziemlich tief gegangen, welches ich wohl fühlte, so ging er hinunter, nur dem Wirthe den Vorfall bekannt zu machen, der dann selbst zu mir kam, und seinen Unwillen über den ungerathenen Tochtermann mit vielen Entschuldigungen erklärte, und mir durch seine Pflege zu zeigen versicherte, daß er gern so viel an ihm liege wieder gut machen wolle. Wirklich ließ er sogleich ein Bett in einem warmen 257 Zimmer zurecht machen, und half mir mit aufrichtiger Sorgfalt hinüber.

Ich hatte nunmehr keinen andern Gedanken noch Wunsch als nach Ruhe, denn das Stechen und Spannen der Wunde wurde unerträglich, und machte mich für alles andre gleichgültig und kleinmüthig. Der Wundarzt versicherte aber, die starke Entzündung komme nur vom Gehen her, und morgen werde mit ihr auch der Schmerz abnehmen. Er wollte mir einen Wärter zuordnen, allein Klare wollte es nicht zugeben; sie sey meine Schwester, sagte sie, und werde sich diese Nacht nicht von mir trennen. Bey ihrer sorgsamen Hülfsbegierde sah sie den Zwang nicht, den sie mir anthat.

Nach und nach fühlte ich meinen Verstand in Fieberhitze dahin schwinden, und traumähnliche Bilder, die sich immer mehr der Wirklichkeit näherten, mich umgeben. Zwar verlor ich mein Bewußtseyn nie ganz, es war aber blos leidend, und erschien mir, wenn ich es suchte, wie ein Säugling, der in einer heftig schaukelnden Wiege neben mir läge. Ich konnte nichts mehr ohne Bilder denken; mein Bett ward mir zu einer finstern Felsenhöhle, und das Nachtlicht zu einem großen Feuer, das mich zu verzehren drohte; hinter demselben stand mit ängstlichen Geberden meine Frau, und suchte vergeblich durchzudringen. Hoch über mir am blauen kühlen Aether sah der alte Klaus 258 in mein brennendes Feuer herab, zwar mit aufgehobenem Zeigefinger, aber mit der Miene des Friedens und väterlichen Wohlwollens.

 


 


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