Ulrich Hegner
Saly's Revolutionstage
Ulrich Hegner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ich sah es der Klare an, daß diese alte Heldenseele ihr Herz gewonnen; der offene Ton eines wackern Mannes lockt das Zutrauen aus weiblichem Busen hervor, das vom Witze nur verscheucht und von Blödigkeit selten bewegt wird; kömmt noch die muntere Sitte der feinen Welt hinzu, und, wie vielleicht hier, eine unerklärliche Ahndung aus der Vergangenheit, so ist die Freundschaft fertig, und zur Liebe bedarf es nur noch den Reiz der Jugend.

Sie sprach mit der Stärke des Wohlgefallens von ihm, welche beym zärtern Geschlechte oft so schnell die Vernunft in Glauben verwandelt. Das sollte die Sprache aller Schweizer seyn, meinte sie, und war nicht zufrieden, als ich nur den hohen Muth des Mannes rühmte, aber an der Wirkung desselben zweifelte; ja sie wurde beynahe unwillig, als ich auch diese kühne Zuversicht nur einen Gesichtspunkt nannte, und die Lage unsers Vaterlandes mit einem Guckkasten verglich, den ich einmahl in W. sah, der so künstlich eingerichtet war, daß, so viele hineinsahen, jeder etwas anderes erblickte, als die übrigen.

Der Oheim kam indessen wieder, hörte uns eine Zeitlang zu, und sagte dann: Eben diese Mannigfaltigkeit der Ansichten wird uns unglücklich machen. 227 Wollte Gott, der Wunsch der Klare würde erfüllt und der Muth meines Freundes allgemein, oder aber auch die entgegengesetzte Gesinnung der nachgiebigen Basler, oder jede andre würde es, deren Ursprung rein ist; wenn nur eine Einheit der Ansichten und also auch eine Einmüthigkeit des Willens zu Stande käme! Einer ist, der am Ende alles lenkt, und dieser liebt vor allem aus die Einfalt des guten Willens; vor ihm ist jede Ansicht gut, wenn sie nur ehrlich ist und mit allgemeiner Ehrlichkeit verfolgt wird, daher wird auch an der Einfalt oft die feinste Klugheit zu Schanden. Aber Er läßt sich nicht täuschen, und hilft eher dem Verwegenen, der gar nichts nach ihm fragt, als dem Gleißner, der zu eigennützigen Absichten auf seinen Beystand zählt! – Wenn irgendwo ein übereinstimmendes Streben zu einem gemeinschaftlichen Zwecke, wär' es auch nur zu männlichem Dulden, nöthig ist, so ist es bey einem Volke, dessen Selbständigkeit in Gefahr steht; jegliches Reich, das in sich selbst uneinig ist, wird wüste, ruft uns die Wahrheit zu, allein wir hören sie nicht, unsre Sinnen sind durch die Leidenschaft des Eigennutzes getrübt; statt sein eignes Wohl in dem zu suchen, was dem Allgemeinen ersprießlich ist, will jeder nur das Seinige bewahren, und es als ein Augenmerk für alle hervorstellen. Das ist so weit gediehen, daß Rettung kaum mehr denkbar ist, und so eingewurzelt, daß selbst die Arzney des Unglücks das Uebel kaum mehr heben wird.

228 Aber was ist denn zu machen? fragte ich traurig.

Für uns ist wohl Rath, lieber Vetter, erwiederte er. Wir wollen als gemeine Leute die Sache Gott anheim stellen, und die Sorgen denen überlassen, deren Stellung oder Wille sie in dem stürmischen Meere zu steuern treibt. Ein sichrer Hafen ist uns gewährt in der Geduld, in der Enthaltung von aller Zudringlichkeit des Mitwirkens, in der Schuldlosigkeit, die schon an sich ein großer Gewinn ist; dazu gelangen wir, wenn wir über öffentliche Dinge nicht antworten, ehe wir gefragt werden, und reine Antwort geben auch auf unreine Fragen. – Politische Widerwärtigkeiten, fuhr er fort, sind oft bloß ein eingebildetes Uebel, und haben, wenn man sich von dem allgemeinen Geschrey der aufgestörten Herkömmlichkeit nur nicht irre machen läßt, nicht immer Privatunglück zur Folge. Der göttliche Wille bewirkt oft Veränderung im Großen, ohne die Ruhe des Kleinen anzufechten, wenn dieser sie nicht selbst stört. Wer diesen Willen erkennt, und demselben seinen eignen unterordnet, ist nie fern von Ruhe und Glück.

Wenn das nur so eine leichte Sache wäre, dachte ich, und die Entsagung des eignen Willens nicht selbst schon die stärkste Willenskraft erforderte! Unterdessen ließ ich es mir gesagt seyn, weil ich wohl verstand, daß er dabey mein eignes Treiben im Auge habe.

Schon aus mehrern Aeusserungen meines Oheims hatte ich wahrgenommen, daß er mit großer Freyheit 229 des Denkens gottesfürchtige Gesinnungen von besondrer Art verband, die er aber selten und nur in großem Ernst laut werden ließ. Aus seinem ausgebreiteten Briefwechsel, über den er uns keinen weitern Aufschluß gab, als die ernste Versicherung, daß derselbe keinen politischen Zweck habe, und aus dem Besuche, den er zuweilen von seltsamen Menschen, sogar von Juden, hatte, schlossen wir, daß er in Verbindungen stehe, von denen wir nichts erfahren sollten. – Ich bin kein Freund von Geheimnissen, daher bekümmerte ich mich auch weiter nicht darum, wir liebten und ehrten ihn aber deßwegen nicht weniger; wie hätten wir auch anders gekonnt, da ihn selbst nur Liebe und Güte beseelte! – Auch sprach er nie absichtlich über Religion mit mir, und sagte einmahl, als ich aus der katholischen Kirche kam, und den musikalischen Gottesdienst gegen unsre kalten Predigten abwog: Noch steht Euch diese ruhige Gleichgültigkeit besser an, als geistlicher Eifer oder eitles Forschen nach Geheimnissen; bleibt nur mit Sicherheit dabey, so lange kein dringendes Bedürfniß nach höhern Kenntnissen in Euch erwacht und auch dann seyd vorsichtig in Euerm Glauben, und prüfet die Werke derer, die Euch lehren wollen!

Er behielt uns mehrere Tage bey sich, welches ich mir so viel eher gefallen ließ, da er versicherte, er habe meiner Frau wissen lassen, daß ich unter einem freundschaftlichen Dache lebe, und Klare mit mir bringe. 230 Auch werden mir diese Tage unvergeßlich bleiben, denn von ihm sah und hörte ich nichts als menschenfreundliche Tugend und himmelanstrebende Weisheit, und fühlte mich in einer Schule, aus welcher ich den Meinigen für den Schmerz der Trennung wieder manchen Ersatz nach Hause bringen konnte. Dennoch lag mir die gute Marie öfters im Sinne; was hilft der Gegenwart ein Ersatz der Zukunft? Was kann ihre sanfte Seele trösten über die Abwesenheit des Geliebten, in dem sie einzig lebt?



 << zurück weiter >>